Die Suche nach Orientierung in neuen Situationen, die Frage
nach dem ‚was not tut’, weil die Inhalte der modernen Kultur nicht mehr fest standen,
bewegten Franz Rosenzweig und Martin Buber nach dem ersten Weltkrieg.[2]
Beide fragten zuerst und zuletzt nach der „Wahrheit“ der menschlichen Existenz,
beide handeln von Gott, dem Menschen und von der Welt.
Durch das „Neue Denken“ Rosenzweigs hielten , so Lévinas, „Schöpfung,
Offenbarung, Erlösung ... Einzug in die Philosophie, angetan mit der Würde von
Kategorien, oder kantisch gesprochen ’Verstandesbegriffen’[3]
und die dialogische Philosophie Martin Bubers
hat uns, seiner Ansicht nach
„aufmerksam gemacht auf die Zweideutigkeit bzw. Rätselhaftigkeit von Gedanken,
die versuchen, Welt und den Anderen zusammen zu denken, Wissen und
Gemeinschaft, Sein und Gott.“
Rosenzweigs Biographie und
geistige Entwicklung
Franz Rosenzweig wurde am 25. Dezember 1886 in Kassel als Kind
einer assimilierten jüdischen, großbürgerlichen Familie geboren und wuchs in
einem liberal-konservativen, von Bismarck Machtstaatsgedanken geprägten
jüdischen Bürgertums auf, das seine religiösen Wurzeln nahezu verleugnete. Rosenzweig
lebte in jungen Jahren praktisch außerhalb des Judentums. Seine besten Jugend-
und Studienfreunde, darunter seine Vettern, waren zum Christentum konvertiert.
Zunächst studierte er Medizin, wechselte dann das Fach, um in
Freiburg Geschichte zu hören.
Franz Rosenzweig hatte sich während seiner Studienzeit bei
Friedrich Meinecke, einem führenden Vertreter des Historismus, in Freiburg
intensiv mit Hegel beschäftigt. Er wählte als Dissertationsthema ausgehend von
Meineckes „Weltbürgertum und Nationalstaat“ den Staatsgedanken Hegels; diese
Arbeit entwickelte sich zu dem umfassenden Werk „Hegel und der Staat“, das erst
1920 erscheinen konnte, als Rosenzweig sich bereits von der Hegelschen
Philosophie abgewandt hatte. Als Historiker befindet er sich in der Auseinandersetzung
mit Hegel zwischen dem Anspruch die
absolute Wahrheit zu erkennen der Relativität des geschichtlichen Geschehens,
wie sie im Gefolge der Romantik und des aus ihr herausgewachsenen Historismus
sichtbar wurden. Auch die Geschichtsphilosophie Hegels erwies sich nun
ihrerseits als historische bedingt, darum als überwindbare und schon überholte
Teilansicht.
Für Rosenzweig stellte sich die Frage nach der „Beurteilung“
des bunten Reigens der geschichtlichen Gestalten und Gestaltungen, er sah die
Gefahr – wie auch sein Lehrer – dass Geschichte zu einem bloß ästhetischen
Schauspiel wurde.
Geschichte kann für ihn nicht, wie er bereits 1910 an seinen
Vetter Hans Ehrenberg schreibt, „als in der Zeit auseinandergelegtes Sein für
die Anschauung des Beschauers, sondern Tat des Täters.“ Religion im Sinne des 20. Jahrhunderts wird
für ihn im Gegensatz zur Geschichte bestimmt, „wir leugnen Gott in ihr
um ihn in dem Prozess, durch den sie wird , zu restaurieren.“ Religion
im Sinne des 20. Jahrhunderts war für ihn als persönliche Beziehung zu Gott zu
verstehen. „Wir sehen Gott in jedem ethischen geschehen, aber nicht im dem
fertigen Ganzen, in der Geschichte.“
In einem Brief an
Meinecke (vom August 1920) begründet Rosenzweig seinen Übergang von der
Geschichtswissenschaft zur Philosophie. "Mir ist 1913
etwas geschehen, was ich, wenn ich einmal davon reden soll nicht anders
bezeichnen kann als mit dem Namen Zusammenbruch. Ich fand mich plötzlich auf
einem Trümmerfeld oder vielmehr ich merkte, dass der Weg, den ich ging,
zwischen Unwirklichkeiten dahinführt...Diesem Gestaltungshunger, dieser, wie
ich meine: unersättlichen Rezeptivität hätte mein Geschichtsstudium dienen
müssen; es war mir gerade gut genug gewesen als Zutreiber. Vor diesem Menschen,
der ich war und von dem es, wie ich heute sehe, andern graute, graute es damals
mir selber.
Inmitten der Fetzen meiner Talente suchte ich nach mir selber,
inmitten alles Vielen nach dem Einen..."
Rosenzweig auf seiner Suche nach einem neuen geistigen
Fundament wandte sich zunächst dem protestantischen Christentum zu . In seinen
Gesprächen, die er im Zusammenhang mit einem möglichen Übertritt zum
Christentum mit seinen Freunden Rosenstock und Rudolf Ehrenberg führte,
konfrontierte ihn Eugen Rosenstock mit dem Begriff der historisch –
überhistorischen Offenbarung und damit
mit der Frage „ nach jenem Maß „ das in der Geschichte waltet.
Er entschied sich aber, nach dem Besuch einer Synagoge
anlässlich eines Jom-Kippur- Festes, auf die Taufe zu verzichten und im Judentum
zu verbleiben. Noch im Morgengrauen schrieb er an seinen Vetter Rudolf
Ehrenberg, der auf die Nachricht seiner Konversion wartete:“ Es ist nicht
möglich, es ist nicht notwendig.“
Schritte
zum Neuen Denken
Es wurden also bereits in seiner Freiburger Studienzeit die
Grundlagen für sein „Neues Denken“ gelegt. Als Medizinstudent setze er sich
intensiv mit Kants Kritik der reinen Vernunft auseinander, in der die
Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung untersucht werden. Rosenzweigs
Begriff der Erfahrung, auf den an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden
kann, hat hier seinen Ursprung, geht aber weit über die kantische hinaus. Kants
Kritik an den metaphysischen Themen Welt, Seele und Gott, die er als
transzendentale Ideen unter dem Primat der Ethik beibehält, sie finden sich bei
Rosenzweig in den Urelementen Gott, Mensch und Welt, wenn auch in neuer
Begründung, wieder.
Sein Verstehen der Geschichte als Zeit, die durch den
Menschen geschieht, die Frage nach der Denkbarkeit
von Offenbarung und die Hinwendung zum Judentum.
In seinem Aufsatz
„Atheistische Theologie“ von 1914, den er Buber zusandte, der ihn aber in der
Zeitschrift „Der Jude“ nicht druckte,
setzte sich Rosenzweig erneut mit der Frage der Offenbarung auseinander.
Angeregt wurde der Aufsatz durch die Leben Jesu Diskussion im christlichen
Bereich (an dieser Stelle sei nur auf
Albert Schweitzers "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" von 1913
verwiesen, die 1913 die noch heute als das maßgebende Werk gilt) und der
"Volkstumstheologie" auf jüdischer Seite wie sie von Buber propagiert
wurde. Gott manifestiert sich in einer bestimmten historischen Person bzw.
einem Volk, oder wird damit gleichgesetzt, was den Atheismusvorwurf Rosenzweigs
provoziert.
Seine neu gewonnenen jüdischen Position klärte Rosenzweig in dem
bekannten Briefdialog mit Eugen Rosenstock , und in einem
Brief an seinen Vetter Rudolf Ehrenberg (der „Urzelle des Sterns der
Erlösung“) entwickelte Rosenzweig seine
Auffassung über eine neue Philosophie.
Rosenzweig und Rosenstock stimmten darin überein, dass das
hegelsche System an sein Ende gekommen sei und dass an dessen Stelle eine
Methode treten müsse, die der „unendlichen Fülle des Lebens gerecht werden und
das Menschsein des Menschen erfasse“ (Reinhold Meyer, S.39) sollte. Anstelle
des einsamen zeitlosen Ich, das sich
Systeme erdenkt, tritt ein „lebendiger Mensch..., der die Zeit ernstnimmt und
sich abhängig weiß vom Gegenüber. Sie nannten es Sprachdenken, weil es, wie
alles Sprechen, nur in der Ich-Du-Korrelation möglich ist. Inmitten der
Vielfalt gewährt die Offenbarung dann Orientierung; von ihr ergeben sich
Festpunkte: was oben und unten im Raum,
was früher und später ist in der Zeit.“ (Ebd. S.39f)
In seinem Brief an Rudolf Ehrenberg geht er wiederum auf den
„Zentralbegriff“ der Offenbarung ein und fragt nach dem Zusammenhang von Denken
und Offenbarung: „ob und wie man rein philosophisch oder auch überhaupt an
irgend welchen Kriterien die Offenbarung von aller eigenmenschlichen Erkenntnis
abgrenzen konnte“.
Damit im Zusammenhang entwickelt Rosenzweig die wesentliche
Elemente seines neuen Denkens, wobei er auf Einsichten Schellings und
Feuerbachs sowie auf Kirkegaard, Schopenhauer und Nietzsche zurückgreift. wie
sie dann im „Stern der Erlösung“
konkretisiert und systematisch
dargestellt und später in seinem
Aufsatz „Das neue Denken“ (1925) erläutert wurden.
Während des Weltkrieges, den er als logische Folge des
philosophischen Totalitätsdenkens Hegelscher Provienienz ansah und der den
Zusammenbruch des preußisch-deutschen Staats zur Folge hatte, der für
Rosenzweig auch den Bankrott des hegelschen Denkens bedeutete und somit die
abendländischen Philosophie von Jonien bis Jena (Monismus, Totalitätsdenkens)
in Frage stellte.
Als Sanitätssoldat an der Balkanfront, schrieb er auf
Feldpostkarten sein grundlegendes Werk "Der Stern der Erlösung".
Der ‚Stern der Erlösung’ und das ‚Neue Denken’
Im ersten Teil des Stern der Erlösung „die Elemente oder die
immerwährende Vorwelt“ stellt Rosenzweig einleitend sein „neues Denken“ als
fundamentalen Neuansatz der Philosophie dem Hegelschen Identitätsdenken
entgegen.
Ausgehend von der Antwort der
idealistischen Philosophie auf das Problem des Todes stellt Rosenzweig den
jeweils eignen unvertretbaren Tod in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.
Wodurch die Lösungen der klassischen
Philosophie und damit diese Philosophie selbst in Frage gestellt wird. Der
seine Sterblichkeit erfahrende Mensch, entzieht sich deren Totalitätsanspruch,
er tritt „neben“ das System.
In seinem 1924 erschienen Aufsatz „Das Neue Denken“ gewissermaßen dem Nachwort zum Stern der Erlösung erläutert er seinen Ansatz. Er fasst sein "Neues Denken" nicht
nur als ein Denken, das eine "kopernikanische Wendung herbeiführen möchte,
wo man "die Dinge verkehrt herum, aber doch noch die gleichen Dinge
sieht" , sondern als eine vollkommene Erneuerung des Denkens auf. Dabei
beginnt er von vorn, geht von sich - dem Menschen Rosenzweig - aus. Die
Entdeckung des ganzen Menschen ist für ihn von grundlegender Bedeutung. Er
sieht, dass die Einheit der
Philosophie, die er jetzt ablehnen muss, darin besteht, dass sie das
mannigfache auf das Eine, d.h. die Wirklichkeit auf das Denkbare zu reduzieren versuchte.
Die Geschichte der abendländischen Philosophie ist für Rosenzweig ein Versuch
die Wirklichkeit zu beherrschen, sie auf einen Nenner zu bringen. In der Antike
wird alles auf die Welt zurückgeführt, das Denken ist eine Kosmologie. Im
Mittelalter führt die Scholastik alles auf Gott zurück, also eine Theologie,
und seit Descartes wird alles auf das Ich als denkendes Subjekt reduziert, eine
Anthropologie.
Das Grundübel des Alten Denkens besteht für ihn darin, dass alle
Philosophie nur nach dem "Wesen" fragte, die „Was ist Frage“
stellte..
Diesem Denken gegenüber – wobei Rosenzweig keinesfalls das rein
rationale Denken ablehnt, sondern
darauf hinweist, dass es nicht das Ganze existenzieller Erfahrung und
Lebenspraxis ausmacht – betont er den Vorrang der Erfahrung:
"Die Erfahrung entdeckt im Menschen, so tief sie eindringen
mag, immer wieder nur Menschliches, in der Welt nur Weltliches, in Gott nur
Göttliches." (Ebd.)
Rosenzweig will damit zeigen, dass keines
dieser drei "Elemente" des philosophischen Denkens auf die andere
zurückgeführt werden kann. Entsprechend gibt es auf die Frage nach dem Wesen
nur tautologische Antworten:„Gott ist nur göttlich , der Mensch nur
menschlich, die Welt nur
weltlich". (Ebd.. S.247)
Im ersten Teil des „Stern“ unternimmt es Rosenzweig
die „Elemente“ Gott, Welt, Mensch zu
klären. Er spricht davon, dass es eine
Metaphysik – „nämlich eine Wissenschaft“ gibt, „ die von Gott handelt, ganz
gleichgültig ob er jemals die Welt geschaffen hat oder nicht, von Gott ganz für
sich, von Gott als wenn er nicht der Herr und Schöpfer der 'Physik' wäre
sondern selber seine eigne Physik hätte.“ Gott beginnt mit dem Nichts und
schreitet fort zur unendlichen Fülle. In Gott findet sich die fundamentale
Polarität der Sprache, die leugnet und begrenzt, bekräftigt und sich unendlich
ausbreitet, um das All zu umgreifen. Die Begrenzung, die Weigerung der
unendlichen Ausdehnung ist das göttliche fiat der Freiheit und macht, die
Weigerung, anders zu sein als Er selbst, die Freiheit, die in Gott immer die
Potenz der Schöpfung ist.
Daneben steht die „Metalogik „ als „eine Wissenschaft von
der Welt ganz unbekümmert um ihr (der Welt) Verhältnis zu einem etwaigen
Denken, einem Logos, sondern im Gegenteil diesen Logos selbst als ein Stück
Weltinhalt fassend statt der Weltform.“ Sie durchläuft den gleichen Rhythmus von Bekräftigung und
Begrenzung: das Nein der Welt ist das unendliche Universum besonderer
Erscheinungen – begrenzt durch ihre Unbezogenheit und Isolation. Die Welt der
Objekte sucht nach der Form. Form wird
durch das Ja der Welt gegeben, das der formlosen Besonderheit die Ordnung und
den Bau der Begrifflichkeit aufdrückt. Endliche Erscheinungen werden allmählich
vom reinen Logos umgriffen und verlieren ihre Begrenzung und Individualität.
Rosenzweig geht es aber vorrangig
um eine Metaethik, „eine Lehre vom Menschen, der nicht unter Gesetzen u.
Ordnungen steht, für den keine Ethik gilt, sondern dessen Ethos, wenn er eins
hat, ein Stück seines bloßen Daseins, seiner wüsten Natur wäre. Der Mensch
schreitet von der Erkenntnis seiner
Einzigartigkeit und logischen Identität zum Auftauchen des Selbst, der
Individualität und des Charakters und der Persönlichkeit fort.
So ist der erste Teil geprägt durch die selbstbegründende und
selbstbegrenzenden Darlegung der rein rationalen Philosophie und Hinführung und
Ermöglichung des Übergangs zum neuen Denken. Während die traditionelle
Philosophie Begriffe definiert und ihre formalen Beziehungen untereinander
herzustellen versucht, dringt die Neue
Denken von der Philosophie zur Theologie vor. Wenn die alte Philosophie
danach fragt, ob Gott transzendent oder immanent sei, so versucht die neue zu
„sagen, wie und wann er aus dem fernen
zum nahen Gott wird und wieder aus dem nahen zum fernen“. (Rosenzweig,
Zweistromland 1926, S.252)
Im zweiten Teil des Sterns („Die Bahn oder die allzeiterneuerte Welt“) wird die Frage
beantwortet, wie zwischen den drei in sich verkapselten Urelementen eine
Beziehung zu Stande kommen kann.
Der biblische Glaube erkennt, dass sich Gott aus seiner Isolierung
heraus ins Schöpferische begibt
Als Schöpfer hat Gott zwei
Hauptattribute: Vernunft und Willen. Vernunft ist das Attribut Gottes als
Schöpfer. In seiner Weisheit bezieht ER (der entfernte Gott), ER, sich auf
Seine Welt, (Es), gibt ihr Ordnung und Stabilität; Gottes Weisheit wandelt sich
nicht, deshalb bleiben die Naturgesetze stabil. Das Zusammentreffen der göttlichen Schöpferkraft mit dem
nichtverwirklichten Logos bezeichnet der Schöpfung ihre andauernde, sich immer
erneuernde, nie endende Aufgabe. Die Schöpfung überspannt die Zeit vom Anfang
bis zum Ende. Die Schöpfung bringt die Welt und den Menschen zur Einheit. Der
Schöpfungsakt ist zugleich mit der Sprache verbunden. „Bis er zur letzten
Schöpfertat den Mund öffnet und spricht: ‚Lasset uns den Menschen machen’.
‚Lasset uns’ – zum ersten Mal ist der Bann der Objektivität gebrochen, zum
ersten Mal ertönt aus dem einzigen Munde, der bisher in der Schöpfung redet,
statt eines ‚es’ ein Ich, und mehr als ein Ich, mit dem Ich zugleich ein Du,
ein Du welches das Ich zu sich selbst spricht: ‚Lasset’ ‚uns’.“ (Franz
Rosenzweig, Stern der Erlösung. 1988) Dem Ich steht ein Du gegenüber.
Noch stehen wir am 6. Schöpfungstag und noch nicht in der Offenbarung. .
Offenbarung auf der anderen Seite, ist ein Akt des Willens, drückt die
partikulare Liebe Gottes in Richtung auf ein partikulares Wesen aus.
Erst aus der Offenbarung geht die Wechselwirkung von Gott und
Mensch hervor. Die Schöpfung ist Beginn der Sprache Gottes, aber die
Wirklichkeit seiner Sprache ist die Offenbarung.
Bereits in seinem Brief an Rudolph Ehrenberg hatte Rosenzweig den
Menschen vor der Offenbarung
geschildert., als 'stummen', 'tauben',
in sich vergrabenen Klotz“. Der von der
Offenbarung noch nicht erfasste Mensch „dieser Mensch sagt noch nicht
einmal 'Ich', er hat tatsächlich noch keine Sprache“. Rosenzweig nennt „ihn
'das Selbst' (im Gegensatz zur 'Persönlichkeit', d.i. der Mensch in der Welt,
als zu 'Seele'. d. i. der Mensch dem die Offenbarung geschehen ist (
Rosenzweig, 2002) Das Selbst ist in sich eingeschlossen, aber nicht
verschlossen gegenüber der Welt; das Selbst, das starr in sich ruht, hat keinen
Zugang zur Welt, aber die Welt wird an ihn herangetragen (Funktion des Chores
in der antiken Tragödie). Die Offenbarung zieht das Ego aus seiner Zuflucht an
das Licht Gottes. "Das Selbst musste aus seiner Stummheit zum redenden Selbst werden." (.Stern II
1930, 155)
Rosenzweig greift zur
Beschreibung der Offenbarung ...
auf eben das Medium zurück, durch das sie erlebt wird: die Sprache (im Gegensatz
zu einem Begriffssystem). Wie die Schöpfung wird auch die Offenbarung nicht
gedacht, sondern erlebt, und ihre Realität wird in Kategorien der Sprache
bezeugt. Während aber die Schöpfung als Erfahrung des Daseins der Welt in den
Modalitäten der Erzählung gelesen wird, muss die Offenbarung als die Entdeckung
einer grundlegenden Alterität vom G e b
r a u c h der Sprache selbst her
entziffert werden, dass heißt, soweit sich jedes gesprochenen Wort sich an
einen Gesprächspartner wendet, von den Formen des Dialogs her. Denn unter den
drei Grundbeziehungen, die die Dimension der Existenz bestimmen, bringt nur die
Offenbarung zwei Wesenheiten zusammen, die sich durch den Gebrauch der Sprache
eröffnen. In seinen Ausführungen zur Sprache als inneren Zentrum der
Offenbarung nimmt Rosenzweigs schon Bubers Ich-Du-Philosophie vorweg.“ „Hier,
in diesem Verhältnis zwischen der Logik der Sprache und ihrer Grammatik, haben
wir nun allen Anschein nach schon den gesuchten Gegenstand, der Schöpfung und
Offenbarung verbindet. Die Sprache, die uns in den Urworten ihrer Logik die
stummen, immerwährenden Elemente der Vor-Welt, der Schöpfung, vernehmlich
machte, wird in den Formen ihrer Grammatik den tönend sich immer erneuernden
Sphärengesang der ewigen Mitwelt verständlich machen...Denn die Sprache ist
wahrhaftig die Morgengabe des Schöpfers an die Menschheit und doch zu gleich
das gemeinsame Gut der Menschenkinder ... und endlich das Siegel der Menschheit
im Menschen.“ (Stern der Erlösung II, S. 29)
Der Mensch gründet in der Schöpfung. Er weiß sich von Gott her
geliebt, weil Gott den Menschen liebt, kann der Mensch lieben, und er antwortet
mit Liebe über die Schöpfung, die das korrelative "und" zwischen den
beiden Momenten darstellt. "Indem die Liebe zum Menschen von Gott geboten wird, wird sie, weil Liebe
nicht geboten werden kann außer von dem Liebenden selber, unmittelbar auf die
Liebe zu Gott zurückgeführt. Die Liebe zu Gott soll sich äußern in der Liebe
zum Nächsten. Deshalb kann die Nächstenliebe geboten werden und muss geboten
werden." (Stern II 1930, S. 163)
Die Seele hat ihre Sicherheit in Gott, daraus erwächst ihr die
Kraft moralisch zu handeln, das durch die Nächstenliebe moralisch gebotene aus
freiem Willen zu tun oder sogar über das gebotene hinauszugehen. Aus diesem
Verständnis gewinnt Rosenzweig den Begriff der Erlösung. Die Bühne ist jetzt
die Welt.
Die Erlösung des einzelnen geht Hand in Hand mit der Erlösung der
Welt. Das Geschöpf steht inmitten der Spannung zwischen dem Leben und dem
Leblosen..
Die Erlösung der Welt ist abhängig von der Offenbarung, die sich
zwischen Mensch und Gott vollzieht, die
ja nicht an der Welt geschieht „Der Grund für diese Sonderstellung der
Welt liegt nun in dem...: der Mensch wie Gott sind schon, die Welt wird. Die
Welt ist noch nicht fertig. Es ist noch Lachen und Weinen in ihr, Noch ist die
Träne nicht weggewischt von jeglichem Angesicht.“ (Stern der Erlösung
1930,S.169; 1988, S.244). Die Zeitform in der das geschieht, ist nicht
die des Präteritums, wo das Vergangene daliegt und bereits er-zählt werden
kann, sondern das Futur, das Zukünftige will vorausgesagt werden.
Die Welt muss erst werden, um endgültig als Gottes Schöpfung
erkannt zu werden. Das ermöglicht ein neues Verständnis von Zeit.
„Dass jeder Augenblick der letzte ein kann, macht ihn ewig,
Und eben dass jeder Augenblick der letzte sein kann, macht ihm zum Ursprung der
Zukunft als einer Reihe, von der jedes Glied durch das erste vorweggenommen
wird. (Ebd.,S.179, S.252)
Die Erlösung des Mitmenschen ist die Erlösung der Welt; wie jeder
Mensch sich seinem Nachbarn zuwendet, erwartet die Welt ihren nächsten
Augenblick. In jeder Zuwendung und jedem neunen Augenblick wird das ewige
Kommen des Gottesreiches vorhergesagt und vorweggenommen.
„Was Gott getan hat, was er tut, was er tun wird, was der Welt geschehen
ist, was ihr geschehen wird, was dem Menschen geschieht, was er tun wird – das
alles kann nicht von seiner Zeitlichkeit losgelöst werden.“ (Ebd., S.253)
Die Zeit ist dem Zeitlosen
entgegengesetzt, aber die zeit wird nicht im Gegensatz zur Ewigkeit gesetzt.
Die Zeit ist nur der Vorhang vor dem sich der Vorbeizug des Leben von der
Geburt bis zum Tod bewegt. Gottes Zeit ist jedoch ewiges Leben. Das ewig
kommende Gottesreich der Erlösung wird in der geschichtlichen Zeit vorhergesagt.
Es ist in den geschichtlichen Gemeinschaften des Judentums und des Christentums
vorweggenommen.
Wurde in diesem zweiten Teil des Stern die Erfahrung beschrieben,
die ihre Entsprechung im Zeichensystem der Sprache fand, wie zu den
Elementargegebenheiten des ersten Teils die mathematischen Zeichen gehören, so
wird im dritten Teil des Stern („Die Gestalt oder die ewige
Überwelt“) „jenseits der Erfahrung ...eine neue Topologie des Seins,
wie sie aus den religiösen Formen des religiösen Lebens hervorgeht“
entworfen.(Stéphane Mosès), dem entspricht ein System der sozialen Zeichen; sie
nehmen vorweg; „es ist ein Zukünftiges, das sie zum Heute machen“ (Stern III
1930; 45). Dieses ewige „Heute“ findet Franz Rosenzweig wie sein Lehrer Hermann
Cohen, im Gebet und im religiösen Leben. „Für Rosenzweig ist das Gebet – und
das Ritual, insbesondere die Feste – der Ort der Vorwegnahme der Erlösung.“
(Goodman-Thau, Zeitbruch, 1995, S.149)
Rosenzweig verweist darauf, dass die Liebestat des Menschen ohne transzendenten Bezug zum Ewigen, wie
er im Gebet, insbesondere im gemeinschaftlichen Glaubensritus Gestalt gewinnt,
blind und unfruchtbar bleibt.
Das wird auch besonders deutlich in der Charakterisierung der
beiden auf den gleichen Offenbarungsgrundlagen aufbauenden
Glaubensgemeinschaften der Juden und der Christen. Auf die damit in Verbindung
stehenden geschichtsphilosophischen Vorstellungen Rosenzweigs sowie seine
Analysen des liturgischen Jahres der jüdischen und christlichen
Religionsgemeinschaften kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Die Erlösung selbst liegt aber, außerhalb der historischen Zeit, sie ist Tat Gottes.
„Gott selbst muss das letzte Wort sprechen – es darf kein Wort mehr sein. Denn es muss Ende sein
und nicht Vorwegnahme mehr...Für Gott sind die Wir wie die Ihr - Sie. Aber er spricht kein Sie, er
vollbringts. Er tuts. Er ist Erlöser...Er ist Erlöser... in viel schwerem Sinn
als er Schöpfer und Offenbarer ist; denn er ist es nicht bloß, der erlöst, sondern
auch der erlöst wird. Gott erlöst in der Erlösung, der Welt durch den Menschen,
des Menschen an der Welt sich selber. Mensch und Welt verschwinden in der
Erlösung, Gott aber vollendet sich.“ (Ebd., S.194, S.265f.)
Weil das Sein für Rosenzweig nicht losgelöst vom Leben gesehen
werden kann, so endet der Stern, der mit der Philosophie des Todes begann und
zum Schluss kam, dass sie deren Tord bedeutet, mit „ins Leben“. Er zog für sein eignes Leben daraus die Konsequenzen.
Rosenzweig verzichtete
bewusst darauf, sich zu habilitieren und damit die akademische Laufbahn
einzuschlagen. Er versucht seine
Vorstellungen und Ziele in dem von ihm in Frankfurt gegründeten Freien
Jüdischen Lehrhaus umzusetzen. Im Jahre 1922 machten sich die ersten Anzeichen
einer progressiven Paralyse bei ihm bemerkbar. Die Krankheit führte bald zum
Verlust der Sprache und verurteilte ihn
zu beinah völliger Bewegungsunfähigkeit. Trotzdem arbeitet er in dieser Zeit
zusammen mit Martin Buber an der
Übersetzung der jüdischen Bibel ins Deutsche, unterhielt eine breite
Korrespondenz und publizierte kleinere philosophische Aufsätze. Rosenzweig starb 1929 noch nicht ganz
43-jährig.
Martin Buber wurde am 8. Februar 1878 in Wien geboren und
wuchs, bedingt durch die Trennung seiner Eltern im Hause seines Großvaters
Salomon Buber in Lemberg auf. Durch den Großvater, einem Vertreter der Haskala,
der jüdischen Aufklärung, der mit den wissenschaftlichen Methoden seiner Zeit
an die Erforsch und der jüdischen Tradition im allgemeinen und des Midrasch heranging, wurde er in das
Hebräische eingeführt und mit der Bibel und anderen jüdischen Schriften bekannt
gemacht. Wie aus seinen Autobiographischen
Fragmenten ersichtlich entwickelte sich Martin Bubers Verhältnis zur
Sprache schon in frühster Jugend, denn der Hauptteil dieses Privatunterrichts
war Sprachunterrichts. Die Sprachen mit denen er aufwuchs waren neben Polnisch,
Russisch, Jiddisch, Hebräisch und Deutsch auch Französisch und Latein. Buber
war fasziniert von zweisprachigen Unterhaltungen zwischen Menschen, ihrem
Dialog. Der junge Buber wurde aber nicht nur durch die Halaska geprägt sondern
auch durch den Chassidismus, zu dem er durch seinen Großvater und die Umgebung
seiner Kindheit in Kontakt kam.
Martin Buber setzte sich während seiner Gymnasialzeit mit
Kant, der einen bleibenden Einfluss auf sein Denken ausüben sollte und später
mit Nietzsche auseinander. Er studierte dann von 1897 bis 1904 an verschiedenen
mitteleuropäischen Universitäten Universität Philosophie, Germanistik,
Kunstgeschichte und Psychologie.
Von ausschlaggebender Bedeutung sollte für ihn werden, dass
er in Berlin die Vorlesungen Wilhelm
Dilthey’s, der als Begründer der
Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaften (mit ihrer Methode des Verstehens),
deren Selbständigkeit gegenüber den
Naturwissenschaften (mit ihrer Methode des Erklärens) postulierte und des Soziologen Georg Simmel hören konnte.
Diltheys Philosophie war ein wichtiger Schritt über den
Neukantianismus hinaus in Richtung auf die Lebensphilosophie. Diltheys
erkenntnistheoretische Begründung geht davon aus, , dass das Erlebnis der Welt
die letzte Grundlage der Erkenntnis ist, dass das Erlebnis der Welt die letzte
Grundlage der Erkenntnis ist. (Fußnote: Das Leben selber, die Lebendigkeit,
hinter die ich nicht zurückgehen kann, enthält Zusammenhänge, an welchen
sich alles Erfahren und Denken
expliziert [Dilthey, Gesammelte Schriften, Leipzig-Berlin 1914, Bd. V., S 83.])
„Buber bezeichnet Dilthey auch noch in seinen späteren
Jahren ausdrücklich als seinen Lehrer...und er stand jahrelang mit Simmel im
Gespräch.“ (Berhard Casper, Das dialogische Denken, 2. Auflage 2002, S. 22)
Die Struktur der Diltheyischen Lebensphilosophie wurde auch
in Bubers Dissertation „Beiträge zur Geschichte des Inidividuationsproblems“
deutlich. In seiner Dissertation wird das gestellte Problem als Dialektik von
Vielfalt und Einheit entfaltet. Damit verbunden ist bei Buber die Frage nach
der Wahrheit als die Frage nach der wahren Religiosität“ gestellt.
„Zeigt sich hier schon in der Art der anfänglichen
Fragestellung, dass Buber zunächst im Raum der Lebensphilosophie denkt, so wird
das in der Entfaltung seines frühen Werkes nur immer deutlicher. Wirklichkeit
schlechthin ist für den jungen Buber, der sich hier allerdings nicht nur von
Dilthey, sondern immer wieder von Nietzsche beeinflusst zeigt, letztlich
durchgängig das Leben. Leben ist das ganz Diesseitiges, von dem man ausgehen
muss und hinter das man nicht zurückgehen kann. Und Leben wird selbst hell im
Erleben. Leben und Erleben bilden einen Zirkel. Welt konstituiert sich in der
Beziehung (Ebd., S.23).dort systematisch gestellte Problem entfaltet sich
formal als die Dialektik von Vielheit und Einheit...Es ist formal die Frage, in
der sich Buber die Frage nach der wahren Religiosität als die Frage nach der
wahren Einheit stellen wird.“ (Ebd.)
"Diese von Nietzsche herkommende Einheitslehre - wo es
darum geht, wie in einer Welt der Individuation Einheit zustande kommt - bleibt
in Bubers prädialogischem Denken vorherrschend. Bis ins Jahr 1916 - wo wir die
Anfänge seiner dialogischen Phase wahrnehmen - lässt sich seine gesamte
literaische Tätigkeit, ob er nun B Mystik und Volkserzählungen interpretiert,
spekulative Philosophie teibt oder zionistische Aufsätze veröffentlicht, als
eine geläuterte und überhöhte Form seiner 'Einheitslehre' sehen."
(Mendes-Flohr 1978, S. 68)
Der Einfluss Diltheys zeigt sich aber auch auf dem Gebiet
der Sprache.
Bekanntermaßen beschäftigte sich Buber nach 1899 ausgiebig mit
dem Zionismus. Im Gegensatz zu Herzel sah Buber keine überwiegend politische
Konzeption sondern einen Rahmen für die kulturelle Erneuerung des Judentums,
den er auf dem Fünften Zionistenkongress 1901 in Basel absteckte. Er
propagierte die Förderung der jüdischen Kunst, die Gründung eines jüdischen
Verlages als Mittelpunkt einer spezifisch jüdischen Literatur, die Verbreitung,
die Verbreitung moderner jüdischen Kultur in Zeitungen und Zeitschriften und
die Modernisierung der jüdischen Wissenschaft. Die Quelle dieser Erneuerung
fand er im Mythos und in der Mystik Mit der Ausgabe seiner chassidischen
Geschichten des Rabbi Nachmann (1906)
und der
Legende des Baalschem (1908), wobei er sich der
hermeneutischen Methode seiner Lehrers Dilthey bediente, erzielte Buber eine
enorme Resonanz, die Geschichten bildeten für viele assimilierte deutsche Juden
die Grundlage eines erneuten Interesses am Judentum. Der damit verbundenen
wachsenden Popularität verdankte Buber auch die Einladung des Bar-Kochba
Vereins in Prag. In den Vorträgen, die er dort hielt, sie sind in den „Drei
Reden über das Judentum“ (1911) zu finden, entfaltet Buber systematisch die
ansatzweise bereits in seinen Büchern über den Chassidismus angerissenen
Themen.
„Ferner bezog Buber den Chassidismus auf andere mystische
und mystische Traditionen, die der Neuromantik teuer waren, und wies überzeugen
nach, wie belangreich seine Einsichten für die vordringliche geltenden Aufgaben
der mystischen Suche waren : die Kraft der metaphysischen Einheit (jenseits von
Raum und Zeit) zu leistende Wiederherstellung der Einheit der realen
raum-zeitlichen Welt, genauer gesagt, der Regeneration des Lebens der
Gemeinschaft als des durch Bande des gegenseitigen Vertrauens und Sichkümmerns
zusammengehaltenen organischen Solidarverbandes von Menschen, der durch das
fragmentierte Getriebe der modernen Gesellschaft brutal verdrängt wurde.“ (Paul
Mendes-Flohr, Neue Richtungen im jüdischen Denken, in: Steven M. Lowenstein,
Paul Mendes-Flohr, Peter Pulzer u.a (Hrsg.),Deutsch-jüdische Geschichte in der
Neuzeit, München 1997, S.348)
Hier klingt bereits das Thema des Zwischenmenschlichen an,
das für Buber einen immer größeren Stellenwert bekommen sollte. In ihm sieht er
jene größere Wirklichkeit, die alle andere Wirklichkeit fundiert, wobei das
Erleben seine eigne größere Wirklichkeit des „Wir“ findet. So rückt für Buber
das „heile Dasein“ immer mehr mit dem „heilen Zwischenmenschlichen zusammen.
"Diese begriffliche Fassung des Zwischenmenschlichen
als einer extramentalen ontischen Kategorie scheint,.., von Simmel geprägt, der
die Formen der Wechselwirkung... als 'objektive Formen subjektiver Seelen'
auffasste. Dagegen rührt das Augenmerk, das Buber auf den Bereich der Beziehungen von Individuen untereinander
richtet... von Landauers sozialen Ethik her. Schließlich ist aus seinem Begriff
der Mitte zu entnehmen, dass Buber sich zwar von seiner frühen Erlebnis-Mystik
abgekehrt hatte, aber weiterhin an Nietzsches heraklitischen Weltbild
festhielt: die Welt (als Wirklichkeit) ist ein Strom, der sich ständig wandelt;
daher muss der Mensch, sofern er mit diesem Vorgang im Einklang bleiben will,
nach ständiger Erneuerung seiner Urbeziehung zur Welt trachten. Man kann wohl
sagen, dass Buber, insofern als weiterhin die Lösung von Grundproblemen
menschlicher Existenz und Kultur in Geistestaten erblickte, romantischer
Kulturphilosoph geblieben ist." (Mendes-Flohr 1978, S. 164)
Noch 1919 –
kurz vor seiner dialogischen
Phase geht Buber in „Worte an die Zeit“
noch immer von seiner alten Konzeption aus: „Wirklichkeit gründet im Erleben.
Dieses ist heil, wenn es unmittelbar ist. Nur steht jetzt nicht mehr das
einzelne Selbst im Vordergrund, sondern in der Wirklichkeit des
Zwischenmenschlichen. Zur Unmittelbarkeit dieses großen ‚Selbst’ gehört es, dass
zwischen den Einzelnen ‚die Schleier einer von der Zwecksucht eingegebenen
Begrifflichkeit, die den Einzelnen nicht als Person, sondern als
Gattungsmitglied, als Staatsbürger, als
Klassenangehörigen erscheinen lassen, hinweggezogen sind und sie zueinander als
Einzige und Alltragende kommen ... Je reiner die Unmittelbarkeit, um so wahrer
erfüllt sich die Gemeinschaft’.
Diese Fragestellung steht jedoch bereits in großer Nähe zum
Dialogischen Denken „und bildet tatsächlich so etwas wie eine Brücke zu ‚Ich
und Du’“ (Casper,S. 54)
Übergänge
zum Dialogischen Denken
In einem von Rivka Horwitz publizierten vom Februar 1918
stammenden Dokument das in der ersten Zeile gewissermaßen der
„Überschrift“ „Das Gegenüber und das
Dazwischen“ den Gegenstand der geplanten Arbeit angibt , kann als ein frühes
Konzept des späteren „Ich und Du“ angesehen werden kann, in ihm wird bereits
Bubers Bruch oder Ablösung mit bzw. von seiner „mystischen Phase“ und
grundlegende Momente seines späteren dialogischen Denkens sichtbar. Buber
konzipiert sein „System“ noch ohne die
Begriffspaare Ich-Du und Ich-Es, sondern einzig im Bezug zum Gegenüber der
„Substanz“. Das Gegenüber ist ein Synonym für das, was Buber später „Du“ nennt.
Das Thema des Gegenüber wird Bubers Ich und Du durchziehen und die Basis für
seinen dialogischen Ansatz bilden, jedoch verwendet er 1918 noch die
klassischen ontologischen Kategorien wie etwa „Substanz“. In „Ich und Du“ wird diese Kategorie nicht mehr verwandt.
Die im Entwurf aufgeführten Beispiele für ein Gegenüber
Gott, Werk, Geliebte finden sich in den Lehrhausvorträgen von Anfang 1922 und
in Ich und Du wieder Das/die Geliebte wird später zu Du werden.
Erst nach dem Martin Buber auf Wunsch Franz Rosenzweigs am
Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt
die Vortragsreihe „Religion als Gegenwart“ übernommen, hatte und der persönliche Kontakt zwischen den beiden
intensiver geworden war, kann man von einem Einfluss Franz Rosenzweigs auf die philosophische Entwicklung Bubers
sprechen.
Im Entwurf von 1918 sowie in den Vorlesungen konzipiert
Buber eine „Philosophie des Gegenüber“, die seit dem “Daniel“ seine „mystische
Phase“ langsam ablöst. Vermutlich unter dem Einfluss Ferdinand Ebners wandelt
sich die Beziehung zum „Gegenüber“ im
Januar 1922 zur Du-Relation. Trotz der Verwendung dieses Begriffs finden sich
keine entscheidenden Hinweise auf die
Sprache, noch wird der Terminus Dialog verwandt. Die dialogische Basis für
Ich und Du scheint also späteren
Datums, eine Zufügung in einem bereits bestehenden Rahmen zu sein. Gershom
Scholem vermutet in „Ich und Du“ einen „mystischen Ausgangspunkt“ . Diese
Vermutung wird durch die Analyse der Vorlesungen bestätigt.
Lehrhausvorträge (‚Religion als Gegenwart’)
Hier heißt es: „Ich habe das Du, das mir gegenübersteht,
nicht zu erfahren, sondern zu verwirklichen“. (Religion als Gegenwart) und
entsprechend noch in „Ich und Du“: „Die Gestalt, die mir entgegentritt, kann
ich nicht erfahren und nicht beschreiben; nur verwirklichen kann ich sie.“ Noch
deutlich wird sich das bei der
Betrachtung der vier Beispiele, die für
die Du-Beziehung stehen sollen, zeigen.
Im Daniel hatte Buber versucht eine Synthese zwischen
östlichem und westlichem Denken in den divergierenden Auffassungen auf den
Gebieten der Wissenschaft, Kunst, Religion und Philosophie zu finden. In “Ich
und Du“ bevorzugt er eine mehr biblische Betrachtungsweise und der Gott des
Ewigen Du, ist der biblische Gott, Jahwe. Dabei ist er aber zu einem Teil
bei seinen früheren Auffassungen geblieben. Natur , Ästhetik und Entscheidung
sind wesentliche Bestandteile im
Daniel. Sie finden sich aber auch noch in „Ich und Du“, in dessen Rahmen
als einer Philosophie des Dialogs sie nicht passen.
Im „Daniel“ postuliert Buber die Möglichkeit der
Verwirklichung in jedem menschlichen Akt und er betont die zentrale Wichtigkeit
der richtigen Entscheidung für die Verwirklichung Gottes. „Religion als
Gegenwart“ bringt nun die Zusammenfassung der Idee des „Gegenüber“ mit der des
Du.
Die Veränderungen in Bubers philosophischen Anschauungen vollzogen sich bei Buber in der Regel nicht abrupt:
Als er sein Konzept der Du-Beziehung formulierte, sprach er weiter von der Idee
der Vergegenwärtigung als dem einzigen Inhalt. Ein erheblicher Widerspruch in
den Begriffen.
In seinen Vorlesungen im Freien Jüdischen Lehrhaus behandelt
Buber die Entwicklung des kindlichen Ich in
seiner Abhängigkeit vom Du und stellt auch vier Formen der Du-Beziehung
vor. Buber fragt nach der
Entstehung bzw. Entwicklung des "Ichs" des Menschen. Dabei
unterscheidet er zwischen der Entwicklung der Menschheit und des
Individuums
.Zunächst geht er von dem einzelnen Menschen, uns gegenübertritt aus.
Einen Rekurs
auf die Naturvölker hält er für
problematisch und stellt deshalb bei
seinen Betrachtungen
die Entwicklung des Kindes in den Mittelpunkt. Er hält die herrschende
Vorstellung (wobei zu überprüfen wäre, ob es die herrschende Vorstellung ist)
für fragwürdig, dass der Mensch, das Kind es lernt sich von der übrigen Welt“ abzuheben, indem er es merkt, „dass sein Körper Träger ...
seiner Empfindungen ist“. Dem stellt er gegenüber, dass das Kind
zunächst eine Du-Beziehung aufnimmt, "und zwar nicht bloß zu einem für das
Kind, etwa für die Selbsterhaltung des Kindes wesentlichen Du, also etwa zu der
Mutter und dergleichen oder zu der Milchflasche, sondern zu etwas manchmal
scheinbar ganz willkürlich
Herausgehobenen,
ja manchmal zu etwas, was wir gar nicht sehen, was gleichsam in der Luft ist,
wonach das Kind aber dennoch irgendwie zu greifen, zu fassen, ihm
entgegenzustreben scheint."
Buber führt
in den Lehrhausvorträgen aus, dass es zwei "Schichten" des bewussten
Lebens gäbe eine Es-Welt
und eine
Du-Welt, die aber nicht nur aus der Außenwelt an den Menschen heran träten,
sondern dass im Menschen das Du, die Du-Beziehung angelegt, dass das Du im
Menschen "eingeboren“ sei „und es sich" in der "Du-Beziehung
" entfaltet.
Er führt
"vier Grundbeispiele" für eine Du-Beziehung an:
- Ein Gegenüber, mein Gegenüber, die
"wahrhafte Beziehung" in der ich dem Menschen gegenüberstehe, hier
erfahre ich nichts über den Menschen. "Dieser Mensch erweist sich hier
nicht als eine Summe erfahrbarer Eigenschaften; er ist
nicht ein
Gegenstand, den ich zu wissen bekomme, von dem ich nun etwas weiß, von dem ich
nun etwas aussagen kann, sondern er ist eben nichts anderes als mein Du, und in
dieser Ausschließlichkeit des Du - das Du ist niemals neben anderen wie Er und
Sie und Es, sondern es ist immer ausschließlich - in dieser Ausschließlichkeit
des Du, in dieser Welthaftigkeit der Beziehung liegt ihr Wesen."
- Auch kann eine Beziehung zur Natur
bestehen. Dann unterwerfe ich dieses Stück Natur nicht meinen raumzeitlichen
Kategorien, dann wird es nicht zu einem Ding, zu einem Erfahrungsinhalt,
"sondern es ist etwas Ausschließliches, Einziges
und nur in
dieser Beziehung Erschlossenes, nur in ihr Gegenwärtiges."
- Weiter nennt Buber das Kunstwerk. Wenn der Künstler die Konzeption eines
Werkes besitzt, seinem Werk so gegenübersteht, das es nicht Gegenstand unter
Gegenständen (etwa ein hinter sich gelassenes früheres Werk), sondern zu diesem
Werk in einer Beziehung steht. Dieses Werk ist keine psychische Fiktion,
"sondern in Wahrheit in dieser Welt des Wirklichen, von der wir sprechen,
ist das Werk so sehr wie der geliebte Mensch oder die als Du angesprochne Natur
ist. Diese Beziehung ist nicht eine Beziehung zu etwas Fiktiven, sondern etwas,
was da ist, aber nicht als Es, sondern als Du.
- Der "Mensch,
der sich entscheidet zu einer Tat, für den ist die Tat in Wahrheit gegenwärtig
als etwas, was ihm gegenübertritt, und zwar in der Entscheidung ausschließend,
so dass alles Dinghafte, alles, was sonst vorgefunden, erfahren werden kann,
abfällt und nichts mehr da ist als dieses welthafte Du der Tat, die er zu tun
hat, die er zu tun entschieden hat. Und auch dies ist nichts Fiktives, nichts,
was erst wirklich werden soll, sondern in diesem Moment der Entscheidung ist
sie durchaus wirklich und gegenwärtig, aber eben als ein Gegenüber, als ein
Du."
In den vier den
Monaten zwischen den Vorträgen und der Vollendung von „Ich und Du“ veränderte
sich auch der Inhalt der genannten Beispiele weg von einem Denken wie im Daniel
hin zu einem stärkeren dialogisch-theologischen. In den veränderten
Formulierungen des ersten Beispiels wird das deutlich. Heißt es in den
Vorlesungen: „Ich stehe einem Menschen gegenüber, den ich liebe. Was
bedeutet das, was ist das für ein Vorgang, wenn ich diesem Menschen wirklich
gegenüberstehe als einem Du?“ Um dann zu dem Schluss zu kommen. „Ich habe das
Du, das mir gegenübersteht, nicht zu erfahren, sondern zu verwirklichen.“
Ähnlich auch noch in „Ich und Du“ bezogen auf das Kunstwerk: „Die Gestalt, die
mir entgegentritt, kann ich nicht erfahren und nicht beschreiben; nur
verwirklichen kann ich sie.“ (Ich und Du, S.17), aber nun findet sich
auch: „Stehe ich einem Menschen als meinen Du gegenüber, spreche ich das
Grundwort Ich-Du zu ihm...“ (Ich und Du. S.15) Wie man sieht, das neu erworbene
Konzept des Dialog hat Eingang gefunden.
Interessant ist auch die Veränderung des Verhältnisses zur
Natur. Heißt es im Daniel bezogen auf das bekannte Baumbeispiel: „...mit
all deiner gerichteten Kraft empfange den Baum, ergib dich ihm. Bis du seine
Rinde wie deine Haut fühlst und das Abspringen eines Zweiges vom Stamm wie das
Streben in deinen Muskeln; bis deine Füße wie Wurzeln haften und tasten und
dein Scheitel sich wölbt wie eine lichtschwere Krone; bis du in den weichen
blauen Zapfen deine Kinder erkennst; ja wahrlich bis zu verwandelt bist.“
(Daniel 16f.)
In den Vorlesungen liegt die Betonung nicht mehr auf dem
Begriff „Verwandlung“ sondern es wird vom „Gegenüber“ gesprochen: „Welche sind
unsere entscheidenden Beziehungen zur Natur: Wie sehen die aus? Welches sind
die entscheidenden Momente in denen wir
von der Natur etwas in unser Leben aufnehmen? Sind das die, in denen wir
Bestandteile, ... der Natur in unsere
Erfahrung übernehmen? Oder sind es die, in der wir der Natur gegenüberstehen
als einem Du, das uns gegenübertritt
und zu dem wir diese einzigartige, diese einmalige, unvergleichliche Beziehung
haben, ...?“ (Religion als Gegenwart, S.89)
In der darauf folgenden Vorlesung finden wir den ersten
Schritt zum Dialog: „Wenn ich die Natur, das was ich von ihr in diesem
Augenblick fasse,..., in diesem Ding oder Wesen gegenüberstehe als einem Du, zu
ihm wirklich unmittelbar Du sage,...
(Ebd. S.100)
In Ich und Du dagegen ist dieses „Gegenüber“ schon wieder
abgeschwächt: „Es kann auch geschehen, aus Willen und Gnade in einem, dass ich,
den Baum betrachtend in Beziehung zu ihm eingefasst werde...Die Macht der Ausschließlichkeit hat mich
ergriffen“ (Ich und Du. S.14)
Das Hinzunehmen der
Gegenseitigkeit zur Beziehung eines Menschen zu einem Baum macht dieses
Beispiel noch schwieriger. In seiner Kritik an Ich und Du vom September 1922
merkt Franz Rosenzweig an, dass nur die irrige Philosophie des vergangenen
Jahrhunderts, die Meinung vertrat, dass der Baum existiert, wenn ich ihn sehe.
„Denn es hat noch nie ein Mensch so lange die Welt steht gesagt: ‚ich sehe den
Baum’. Nur Philosophen sagen das.“ Briefwechsel II, S.137)
Auch die Beispiele, die die Beziehung zum Kunstwerk und die
Entscheidung vorstellen , sind in einem dialogischen Rahmen kaum einzuordnen.
Hier klingt eine Terminologie an, die weniger der des
Dialogs als der der Mystik entspricht. Wesentliche Partien sind nicht mehr in
der gedruckten Version von Ich und Du enthalten, sie fanden sich aber noch in
den Druckfahnen, die Rosenzweig im September 1922 zugesandt wurden, so dass
wohl die Kürzungen unter dem Einfluss Rosenzweigs getätigt wurden.
Es finden sich auch
bereits Anklänge an Dialogisches Denken
in den Vorlesungen: „Wie wir, wenn wir eines Weges gehen, einem anderen
Menschen begegnen, der uns entgegen kam und auch [eines] Wegs ging, nur dass wir eben unser Stück
kennen, das andere aber nur in Begegnung erleben, so ist es hier.“ (Religion
als Gegenwart, S.112Die Passagen haben
zahlreiche dialogische Elemente zum Inhalt, was jedoch in den
Vorlesungen noch nicht sichtbar wird ist ein entsprechender roter Faden, vor
allem fehlt noch der Bezug auf die Sprache und das Sprechen.
Buber kritisiert nicht wie Rosenzweig und Ebner den
Idealismus mittels einer Theorie der Sprache. Es bleibt auch unklar warum er
Ebners Konzept des Ich und Du übernahm und dabei die enge Beziehung zur
Sprache, die damit verbunden ist, übersah
Das wahre Gegenüber oder die Du-Beziehung verlangten bezogen
auf Gott ein Konzept, das zum einem
sein Sein und zur anderen in Abgrenzung des menschlichen Ich durch das
DU erfasste, um einen Monismus oder Idealismus zu verhindern. Bubers
fortgesetzter Gebrauch des Terminus Verwirklichung in den Vorlesungen ist
deshalb problematisch, weil es ein Konzept nahe legt, dass Gott in der menschlichen Seele zum Er wird.
In der bereits genannten Vorlesungen,
in der es um die menschliche Entwicklung ging, kommt Buber zum Abschluss nicht
auf die zunächst angesprochene
Entwicklung der Du-Beziehung zurück, sondern er spricht am Ende von der
„Übereinung der weltgetrennten Welten im absoluten Ich“ (Religion als Gegenwart,
S.118). Diese eher mystische Anschauung, die dieser idealistischen Konzeption
des absoluten Ich mitgegeben ist, scheint völlig ungeeignet für eine
Vorstellung eines Gottes als Gegenüber.
Bereits 1914 hatte Rosenzweig, wie bereits erwähnt, in
seinem Aufsatz „Atheistische Theologie“
Bubers Theorie eines immanenten Gottes, der in der Seele des Einzelnen oder des
Volkes zu sich kommt (geboren wird?) angegriffen. So fand er Bubers weiteren Gebrauch des Begriffes Verwirklichung wenig akzeptabel. In der
Endfassung von „Ich und Du“ erscheint er nur noch hin und wieder, in den
meisten Fällen wurde er durch Termini des Dialogs oder der Sprache ersetzt und
Buber stellt klar: „Es gibt kein Ich an sich.“
Wesentliche Elemente aus den Vorlesungen finden sich in der
Endfassung von Ich und Du – teilweise in modifizierter Form. In ihnen ist
bereits von Du Beziehung und Es Erfahrung die Rede. Ich und Du wird
entsprechend eingeleitet:
"Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen
Haltung", und diese Haltung ist zwiefältig gemäß ihrer zwiefältigen Wege
der Verständigung: Wenn der Mensch sich selbst zu anderen Wesen in Beziehung
setzt, mit denen er als Subjekt interagiert und die er auch als Subjekt
wahrnimmt, dann wird er eine Beziehung
ins Leben rufen, die mit Hilfe des grundlegenden Ausdrucks Ich-Du
bezeichnet werden kann. Setzt er sich selbst zu Objekten in Beziehung, dann
wird er eine Beziehung etablieren, die
durch den
grundlegenden Ausdruck Ich-Es beschrieben werden kann.
Buber
benutzt den Ausdruck "Grundwort" für
Ich-Du und Ich-Es. Wir verstehen die Bedeutung dieses Ausdrucks ohne
Erklärung, seit wir mit seinem korrekten Gebrauch in der täglichen Interaktion
vertraut sind. Seine Bedeutung beruht auf einem impliziten intersubjektiven
Verständnis. Weiter, bemerkt Buber
ausdrücklich, dass diese grundlegenden Worte als Paare zu
betrachten
sind, die nicht voneinander getrennt werden, sondern in sinnvoller Weise nur
gemeinsam als Ganzes benutzt werden können. Es macht keinen Sinn, Ich zu sagen,
ohne nicht zugleich Du oder Es zu sagen: "Es gibt kein Ich an sich,
sondern nur das Ich des Grundwortes Ich-Du und das Ich des Grundwortes Ich-Es.
- Jedes Wortpaar drückt ein besonderes
Verhältnis zur Welt aus. Das Ich des ersten Wortpaars ist ein anderes als das
Ich des zweiten Wortpaars: "das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen
Wesen gesprochen werden. Das Grundwort Ich-Es kann nie mit dem ganzen Wesen
gesprochen werden." Mit dem ganzen Wesen sprechen bedeutet, dass man sich in eine ethische
Beziehung hineinbegibt, in der man sich für den anderen öffnet ohne
Hintergedanken.
- Die grundlegenden Wortpaare
repräsentieren nichts und stehen für nichts anderes. Statt dessen, so Buber,
sie "gründen etwas, das zur Existenz kommt".
Buber stellt
die Frage, ob die Du-Beziehungen, die letztendlich zum "Es" werden,
nur einzelne Momente sind, die kommen und gehen, ob die Du-Welt nicht nur eine
Unendlichkeit von vergänglichen Du-Momenten darstellt. (vgl. S.107ff.)
Die Welt der
Beziehung ist Gegenwart. Sie dauert nicht an. Die Spannungskraft des Menschen
erlischt. Das Du, das den ganzen Himmel bedeckte und in dessen Licht alles
lebte, wird zum Es, zu einem begrenzten Gegenstand unter Gegenständen, teilhaft
und gegliedert, bedingt in der Abfolge von Ursache und Wirkung. Hier liegt der
Zusammenhang der beiden Welten, der Welt der Wirklichkeit und der Welt der
Erfahrung. Es ist ein "Prozess, der sich stündlich in uns selbst
vollzieht, wenn wir aus der Gerichtetheit in die Richtungslosigkeit, aus der
Sammlung in die Zerstreuung sinken". Es ist die Weltachsendrehung im Ich.
An die Stelle des Einen, das wir erlebend besaßen, tritt die unendliche
Mannigfaltigkeit, die wir begrifflich denken, zu bewältigen suchen, ohne sie je
ausschöpfen zu können.
Es ist die
Tragik des Menschen, dass jedes Du in der Welt seinem Wesen nach wieder Es
werden muss.
So stellt
sich "die Frage nach der Kontinuität des Du, nach der Unbedingtheit des
Du.
Gott
ist das absolute Du, das seinem Wesen nach nicht mehr Es werden kann. Wenn wir
nicht irgend ein begrenzbares, aus seinem Wesen notwendiges zum Gegenstand
Werdendes, sondern das Unbedingte, das Seiende selbst als Du ansprechen, ist
die Kontinuität der Du-Welt erschlossen. Der Du-Sinn des Menschen, jenes
eingeborene Du, das in ihm liegt und sich in den Beziehungen entfaltet, der
Du-Sinn des Menschen, der immer wieder die Enttäuschung des Es-Werdens leben
muss, strebt über sie alle nach einem adäquaten Du hinaus, nicht wie man es
sucht, es gibt in Wahrheit kein Gottsuchen, sondern wie man etwas, was ganz
ursprünglich bei einem ist, über alle Hindernisse hinaus, entdeckt. Es ist kein
Suchen, sondern ein Finden."
Nachdem Rosenzweig die Korrekturbögen im September 1922 zur
Durchsicht von Buber erhalten hatte, mahnte er, in dem sich daraus
entwickelnden Briefwechsel, grundlegende Prinzipien des biblischen und
dialogischen Denkens bei Buber an, die ihm in „Ich und Du“ gänzlich fehlten
oder nur unklar formuliert schienen.
Rosenzweigs Kritik richtet sich weniger gegen den Buberschen
Terminus des Ich-Du als gegen dessen Darstellung des Ich-Es.
Nach seiner Ansicht muss jedes der Grundworte mit dem ganzen
Wesen gesprochen werden. Wie wir sahen ging es Rosenzweig darum einen
Orientierungspunkt in Zeit und Raum zu finden, deshalb kreist sein Denken um
den Begriff der Offenbarung und gründet seine Philosophie in bestimmten
biblischen Glaubensvoraussetzungen. Er
verlangt von Anfang an die Orientierung
eines Oben und eines Unten, eines Vorher und eines Nachher, ohne sie eine
Ich-Du Beziehung nicht erreichbar ist.
Auf einer anderen Basis als der biblischen, sobald die Welt aufgefasst
wird als ohne Anfang und Ende, die nicht Schöpfung und Offenbarung berücksichtigt,
wenn der Mensch nicht weiß woher kommt und wohin er geht, so mögen
rationalistische, materialistische oder pantheistische Lösungen vorgeschlagen
werden, stellt die Erklärung einer Ich-Du Beziehung nur einen isolierten Akt in
einer unendlichen Welt dar. Die Methode eines solchen Ansatzes ist das Denken,
die des biblischen Ansatzes dagegen die
des Sprachdenkens.
In seinem Briefwechsel mit Buber bezeichnet Rosenzweig
Bubers Ich-Es als das Produkt einer großen Täuschung wie sie seit 300 Jahren
Europa philosophisch in Form des
Rationalismus und Idealismus ausgehend von Descartes heimsucht.
„Sie geben dem Ich-Du im Ich-Es einen Krüppel zum
Gegner. Dass dieser Krüppel die moderne Welt regiert, ändert nichts daran, dass
es ein Krüppel ist. Dieses Es haben Sie freilich leicht abführen. Aber es ist
das falsche Es, das Produkt der großen Täuschung, in Europa keine 300 Jahre
alt.“ (GS I, 824)
Er verweist dabei auch auf Ferdinand Ebners Buch „Das Wort
und die geistigen Realitäten“ dass keinen Platz biete für ein „authentisches
Es, sondern jedes „Ding“ der Ich-Du Beziehung unterzubringen suche.
„Von dieser Verengung auf das Ich-Du (die Sie
übrigens mit Ebner teilen) ergibt sich glaube ich alles andere. Sie, wie Ebner,, werfen im Rausch der
Entdeckerfreude alles andere (ganz wörtlich:)
zu den Toten. Es ist aber nicht tot, obwohl der Tod ihm angehört; Es ist
geschaffen. Weil aber von Ihnen Es mit dem allerdings toten
‚Es’-‚für’-‚das’-Ich gleichgesetzt wird, so müssen Sie alles, was Sie nicht in
dieses Tal des Todes hineinfallen lassen wollen, weil es zu lebendig ist, in
das Reich des Grundwortes Ich-Du hineingeben, da dadurch ungeheuer erweitert
werden muss“ (GS I, 825)
Beiden, Buber und Ebner, fehlt eine Theorie der Schöpfung
für sie besteht eine authentische Beziehung allein im Ich-Du.
Wie bei Rosenzweig zu bemerken war, hatte er im „Stern der
Erlösung“ dem Kapitel Offenbarung in dem das Dialogische von Wort und Liebe zur
Sprache kommt, das Kapitel Schöpfung vorangestellt, in dem er das Verhältnis
des Menschen zum kreatürlichen Dasein, in das wir selbst verwoben sind,
entwickelt. Rosenzweig geht es dabei um eine „grundsätzliche existentielle
Haltung unseres kreatürlichen Menschseins zu allen Mitgeschöpfen“
(Schmied-Kowarzik, Franz Rosenzweig 1991, S,188), die einer sprachlichen ich Du
Beziehung vorgelagert ist. Der Mensch erfährt sich als ein natürlich Es, das
jedoch von einem anderen her ins Dasein gerufen ist. Eine solche Beziehung
nennt Rosenzweig ER-Es-Beziehung. Zusätzlich vermisst Rosenzweig bei Buber und
Ebner die dem „Menschen gemeinsam“ aufgegebene „Gestaltung künftiger
Geschichte:
„Mit Ihnen gesprochen: es gibt neben Ich-Du zwei
ebenso wesenhafte Grundworte, in deren einen Hälfte sich jeweils ebenso sehr
das ganze Wesen der anderen Hälfte hingibt wie bei Ich-Du. Von dem einen, dem
Wort des ‚Eingangs’ sprach ich schon. Das Wort des ‚Ausgangs’ ...heißt;
Wir-Es... Das ist die zweite Weise‚ mit dem ganzen Wesen’ Es zu sprechen...
(NB: in dem Wir-Es liegen die Antworten auf alle jene Probleme, die von der
Philosophie in dem Pseudo-Grundwort Ich-Es zu beantworten gesucht werden.)
Indem Wir aber Es sagen, wird Es zu – ES. So muss, weil in diesem Paar das
volle Gleichgewicht herrscht, in dem Ich-Du in jedem Augenblick in ICH-Du und
ebenso in jedem Augenblick in Ich-DU enthüllen kann:
ER-Es, Ich-Du Wir-ES
ICH-Du
Ich-DU“ (GS I, (826)
Wir haben hier in Kurzform das mit „Erlösung“ bezeichnete
Kapitel aus Rosenzweigs Stern der Erlösung vorliegen. Der Mensch beantwortet
die ihm als Geschöpf geschenkte Liebe Gott durch die Hinwendung zum
Mitmenschen, mit tätiger Nächstenliebe
„Dadurch wird uns die noch ausstehende Geschichte zu einem nur in gemeinsamer
Praxis einlösbaren Auftrag. Wo uns dieser unter Einschluss der Verantwortung
der Natur gegenüber gelingt, wird uns die Welt zum verheißenen Reich –
zum Wir-Es.“ (Schmied-Kowarzik, a.a.O., S. 189)
Im Gegensatz zu Rosenzweig stellt Buber den Menschen in den
Mittelpunkt seiner Philosophie und konstruiert beinah eine Dichotomie zwischen
Gott und dem Es.. Wenn der Mensch seine Beziehung zur Welt als Du Beziehung
auffasst, dann ist der Baum, um dieses Beispiel wieder zu bemühen, ebenso in
einer Beziehung zu Gott, „weil wir in jedem Du“ - so Buber- „das Ewige Du
ansprechen. aber; wenn wir den Baum als ein Objekt ansehen, ihn
wissenschaftlich katalogisieren oder wirtschaftlich nutzen, dann ist er weder
als Du noch als ewiges Du gegenwärtig. Über die abhängige Beziehung des Ewigen Du zur Natur können wir nichts
aussagen, es findet sich auch in Bubers Abhandlung kein Hinweis darauf.
Denker wie Kierkegaard, Ferdinand Ebner oder Pascal legen
ihrer Philosophie nicht wie Rosenzweig das erste Kapitel der Genesis zu Grunde.
Für Pascal und in seiner Nachfolge Ebner
hat die Liebe Vorrang vor der Schöpfung.
Sie beziehen sich in ihrem Denken auf den Prolog des
Johannesevangeliums „Am Anfang war das Wort“, das in Jesus Christus Fleisch
geworden ist. Die Schöpfung ist nicht das Licht, sondern die Dunkelheit, in die
das Licht kam. Entsprechend unterstellt Martin Buber seine Ich-Du Beziehung dem neutestamentliche Konzept der
Liebe bzw. des Wortes. „Am Anfang ist die Beziehung“. Das Ich-Du hat Vorrang
vor Ich-Es, die Liebe hat Vorrang vor der Vernunft. Als ein Jude sieht er auf
keine Fall in der Ich-Du Beziehung eine Hypostase des Göttlichen, noch schreibt
er ihm die Rolle eines Mittlers zu. Gott ist einzig und als solcher Er allein ist das Ewige Du, das Ewige
Gegenüber. Gottes Wesen als Ewiges Du ist dabei nicht ein Attribut und einer
Reihe von Attributen Gottes, sonder das
Attribut. Buber vertritt die Ablehnung Gottes als eines ER mit großem Ernst.
Die Annäherung der Position Bubers und Rosenzweigs
In den Jahren nach 1922 kann man eine Annäherung der
Positionen Rosenzweigs und Bubers verzeichnen, was an der Übernahme wesentlicher Prinzipien
Rosenzweigs ersichtlich wird. Das wird zum Teil deutlich bei den Problemen
Schöpfung und der Bezeichnung Gottes
als ER. Buber betont nun den grundsätzlichen Unterschied in der Frage der
Schöpfung gegenüber Kirkegaard und Ebner. Er vergleicht die Haltung Kirkegaards
mit der des Marcion und des Gnostizismus. Im Gegensatz zur Ablehnung eines
Gottes als Urheber der Geschichte – heißt es doch noch in den Vorlesungen: „Die
Religionen reden von Gott als von einer dritten Person, zumeist als von einem
Er. Man vergegenwärtigt sich selten ...wie weit schon dieses Pronomen eine
Versetzung Gottes in die Welt der Dinge und Wesen bedeutet, wie sehr schon das
Genus dieses Pronomens eben dies bedeutet. Gott wird in die Es-Welt, das heißt,
in die gottentlaufene Schöpfung hineinversetzt. Mit anderen Worten: In der
Geschichte ist Gott ein Ding.“ (Religion als Gegenwart, S.132f.) - spricht er nun positiv vom Gott (Herrn)
der Geschichte. Buber hat also sein früheres rigides Konzept bezogen auf
die Ich-Du Beziehung modifiziert, was wiederum die Bubersche Philosophie als
eine dynamische auszeichnet. Der Wechsel in seiner Haltung begann bereits vor
1923. Das zeigte sich der gemeinsamen Bibelübersetzung mit Franz Rosenzweig ,
wo das Tetragramm mit ER übersetzt
wird. Nur zwei Jahre nach der Publikation
von Ich und Du, akzeptiert Buber die Nennung Gottes in der dritten
Person. Grundlegend für diesen Gebrauch ist ein philosophisches Verständnis der Bibel, nicht die
buchstäbliche Übertragung (eine Form
der Übersetzung, die auch die Zustimmung von Benno Jacob, dem bedeuten
Kommentator der Bücher Genesis und Exodus , findet).
Schrittweise nähert sich Buber dem Rosenzweigschen Schema
Schöpfung-Offenbarung-Erlösung, schließlich übernimmt und interpretiert er es
in seinem Artikel „Der Glaube des Judentums“(in: Kampf um Israel, Berlin 1933,
S.29ff“) von 1928. Wie Rosenzweig spricht Buber nun im Abschnitt „Der Dreikang
der Weltzeiten“ von Schöpfung-Offenbarung-Erlösung und er interpretiert die drei Zeiten als einzigartige Ereignisse,
die einstmals und nur einstmals stattgefunden haben, die aber als immer
wiederkehrende Beziehungen, die grundlegende Orientierung für den Menschen
darstellen.
„Steht die ganze Welt, das ganze Weltgeschehen, die ganze
Weltzeit unreduziert in der dialogischen Situation, bedeutet ihre Geschichte in
Wahrheit das Zwiegespräch Gottes mit seiner Kreatur, dann ist die Dreiheit, in
der diese Geschichte geschaut und vernommen wird, nicht ein
beiseitezuschiebendes menschliches Orientierungsschema, sondern die geschehene
Wirklichkeit selber. Was aus dem Abgrund des Ursprungs in die Sphäre unserer
nicht erfassenden Fassung, unseres stammelnden Berichts tritt, ist der
Schöpferische Ruf Gottes aus dem Nichts.“ (Ebd., S.48)
Schöpfung wird als nun beschrieben als der „Ruf Gottes aus
dem Nichts“, in diesem Stadium findet noch kein Dialog zwischen Schöpfer und
Schöpfung statt. Schöpfung, die Zuweisung einer Aufgabe für jedes Geschöpf ist
die Bejahung der kreatürlichen Existenz. „Noch lagert das Schweigen ihm
gegenüber, aber schon entstehen Dinge und antworten, ihr Gewordensein ist
Antwort, und indem Gott sie segnet und beauftragt, hat die Offenbarung, die Beziehung
von Geben und Empfangen, aber auch die von Gebenwollen und Empfangversagen,
begonnen. Sie währt, bis die echte Antwort, die umkehrende Kreatur lautbar und
von Gottes erlösend aufgenommen wird...“.(Ebd.)
Schließlich stellt Buber zusammen mit Rosenzweig die
universelle Bedingung auf: So wie die Schöpfung allumfassend ist, so muss auch
die Erlösung allumfassend sein.
Wie wir sahen, waren
die Auseinandersetzung zwischen Buber und Rosenzweig, die aus den unterschiedlichen
Grundvoraussetzungen ihres Denkens resultierten, zu einem Ende gekommen.
Verbunden mit der Änderungen seiner Grundvoraussetzungen, war Bubers
zunehmendes Bewusstsein für den fundamentalen Unterschied zwischen einer
Philosophie des „Denkens“ und einer, die auf dem Sprechen und der Sprache
fußte. Für Rosenzweig war der ausschlaggebende Unterschied. Philosophie oder
biblisches Denken. Er selbst spitzte diesen Gegensatz dementsprechend auf
Denken und Sprache zu. Bubers“ Ich und Du“ schien ihm noch zu sehr mit dem
„alten Denken“ verbunden und zuwenig
dem biblischen Sprach-Denken mit seinen das Leben prägenden Zeitformen
verbunden.
In den späteren Jahren machte sich Rosenzweigs Kritik am
„alten Denken“, an der Philosophie von
Jonien bis Jena auch in Bubers Schriften bemerkbar. In dem Artikel „Dialog“
1929 kritisierte er die Philosophen von Platon bis Nietzsche als „Philosophen
des Monologs“, deren Sprechen zu Gott oder dem Menschen nichts anderes sei als
ein Selbstgespräch.
Der Einfluss von Rosenzweigs dialogischen Denken
lässt sich bei Buber auch in den späteren Jahren noch bei untergeordneten
Themen nachweisen.
Zusammenfassen lässt
sich sagen, dass bei
Rosenzweig in Gegensatz zu Buber die
Ich-Du-Beziehung in einen größeren
„Gesamtzusammenhang eines Existentiellen Philosophierens eingebettet ist, das
auch das kreatürliche Dasein der Natur
und das gemeinschaftliche Wir geschichtlichen Handelns mit umfasst
(Schmied-Kowarczik, Franz Rosenzweig 1991,S. 190)
Gemeinsamkeiten
Jedoch
fanden trafen Martin Buber mit Franz Rosenzweig im „Neuen Denken“ zusammen, das auf drei Grundbegriffen beruht:“ auf der Anerkennung der
Erfahrung als Ausgangspunkt, auf der Erkenntnis der Sprache als Zugang zur
Wesenserfassung, auf der Ablehnung jedes wirklichkeitsaufhebenden Monismus in
der Wahrheit der Korrelation. Das neue Denken geht von dem anschaulichen Wissen
der Erfahrung aus und von der konkreten Situation des Menschen, es ist nicht
mehr zeitlos, sondern in der zeitlichen Wirklichkeit, in der Zeitlage. Sein
Wahrheitsbegriff ist daher kein statisch ewiger, sondern ein dynamischer, in
der Zeit ruhender, aber nicht pragmatisch subjektiv, sondern mit dem Einsatz
des Lebens und der Person zu bewähren. Dies zeitgebundene, konkrete Denken wird
zum Sprechen, es wendet sich immer an einen Bestimmten, an ein Du, es ist ein
dialogischer Vorgang, bei dem etwas geschieht, bei dem man nicht vorher weiß,
was der andere sagen wird. Das dramatische Denken, das Sprachdenken tritt an
die Stelle des monologisch-abstrakten logischen Denkens. Es ist ein Denken der
Beziehung, ein Denken der Begegnung. Es entspricht der Wahrheit der
Korrelation, der wechselseitigen Aufeinanderbezogenheit von Ich und Du und Es,
von Gott und Mensch und Welt, der Tatsache des Grundwortes ‚und’. Im wahren
Sprechen vollzieht sich zwischen Ich und Du eine Einheit, die doch die
Individualität der beiden, des Sprechens und des Antwortens, voll bestehen
lässt." (Kohn 1979, S. 229-230)
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[1] Für diesen Beitrag, der uns eine grobe Skizze der Entwicklung des Dialogischen Denkens im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bei den beiden bereits erwähnten, führenden Vertreter, Franz Rosenzweig und Martin Buber, bieten kann - zu nennen wären auch Ferdinand Ebner, Hans und Rudolf Ehrenberg, Eugen Rosenstock-Hussey, Berhard Griesbach und andere – wurde im Wesentlichen zurückgegriffen auf den Briefwechsel zwischen Martin Buber und Franz Rosenzweig, auf Rosenzweigs „Stern der Erlösung“ und sein „Neues Denken“, ferner Bubers „Daniel“, die Vortragsreihe „Religion als Gegenwart“, die von Rivka Horwitz publiziert und glänzend analysiert wurde, und sein „Ich und Du“ sowie einige seiner Vorträge
[2] Wie die Beiträge auf der
Hiddenseer Konferenz, die zahlreichen Publikationen, verwiesen sei hier nur
stellvertretend auf Bernhard Casper,
Religion der Erfahrung. Einführung in das Denken Franz Rosenzweigs, Paderborn
2004 und die Neuauflage seines Buches ‚Das Dialogische Denken’, oder die breite
Rezeption der Schriften von E. Lévinas, der sich ausdrücklich in einem seiner
Hauptwerke auf Franz Rosenzweigs ‚Stern der Erlösung’ bezieht: „Diese Schrift
ist zu häufig in diesem Buch gegenwärtig, um zitiert zu werden.(Emanuel
Lévinas, „Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriotät“,
Freiburg/München 1987, S. 31) zeigen, auch wenn man gewisse modische Trends in
Abzug bringen muss, bleibt dieses Suchen nach Orientierung, was der Weiter-
bzw. Wiederbeschäftigung mit Denkern wie Buber und Rosenzweig zu Grunde liegt.
Die
Auseinandersetzung mit diesem Thema ist darüber hinaus lohnend, weil sie
zugleich einen Einblick in die Entwicklung des modernen jüdische Denkens
ermöglicht, dass trotz der Shoa, eine Fortsetzung und Vertiefung etwa bei
Emmanuel Lévinas gefunden hat.
Rosenzweig Kongress Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ermöglichen zugleich einen Einblick in die Entwicklung des Logos der Sprache und von der Zeit.
[3] E. Lévinas, „Außer sich,
Meditationen über Religion und Philosophie“, München/Wien, 1991, S. 108