IV387 Die alte griechische
Philosophie theilte sich in drei Wissenschaften ab: Die Physik, die Ethik
und die Logik. Diese Eintheilung ist der Natur der Sache vollkommen
angemessen, und man hat an ihr nichts zu verbessern, als etwa nur das Princip
derselben hinzu zu thun, um sich auf solche Art theils ihrer Vollständigkeit zu
versichern, theils die nothwendigen Unterabtheilungen richtig bestimmen zu
können.
Alle
Vernunfterkenntniß ist entweder material und betrachtet irgend ein Object; oder
formal und beschäftigt sich bloß mit der Form des Verstandes und der Vernunft
selbst und den allgemeinen Regeln des Denkens überhaupt ohne Unterschied der
Objecte. Die formale Philosophie heißt Logik, die materiale aber, welche
es mit bestimmten Gegenständen und den Gesetzen zu thun hat, denen sie
unterworfen sind, ist wiederum zwiefach. Denn diese Gesetze sind entweder
Gesetze der Natur, oder der Freiheit. Die Wissenschaft von der
ersten heißt Physik, die der andern ist Ethik; jene wird auch
Naturlehre, diese Sittenlehre genannt.
Die Logik kann keinen
empirischen Theil haben, d.i. einen solchen, da die allgemeinen und
nothwendigen Gesetze des Denkens auf Gründen beruhten, die von der Erfahrung
hergenommen wären; denn sonst wäre sie nicht Logik, d.i. ein Kanon für den Verstand
oder die Vernunft, der bei allem Denken gilt und demonstrirt werden muß.
Dagegen können sowohl die natürliche, als sittliche Weltweisheit jede ihren
empirischen Theil haben, weil jene der Natur als einem Gegenstande der
Erfahrung, diese aber dem Willen des Menschen, so fern er durch die Natur
afficirt wird, ihre Gesetze bestimmen muß, die erstern zwar als Gesetze, nach
denen alles |
IV388 geschieht, die zweiten als solche, nach denen alles geschehen soll,
aber doch auch mit Erwägung der Bedingungen, unter denen es öfters nicht
geschieht.
Man kann alle
Philosophie, so fern sie sich auf Gründe der Erfahrung fußt, empirische, die
aber, so lediglich aus Principien a priori ihre Lehren vorträgt, reine
Philosophie nennen. Die letztere, wenn sie bloß formal ist, heißt Logik; ist
sie aber auf bestimmte Gegenstände des Verstandes eingeschränkt, so heißt sie
Metaphysik.
Auf solche Weise
entspringt die Idee einer zwiefachen Metaphysik, einer Metaphysik der Natur und
einer Metaphysik der Sitten. Die Physik wird also ihren empirischen, aber auch
einen rationalen Theil haben; die Ethik gleichfalls, wiewohl hier der
empirische Theil besonders praktische Anthropologie, der rationale aber
eigentlich Moral heißen könnte.
Alle Gewerbe,
Handwerke und Künste haben durch die Vertheilung der Arbeiten gewonnen, da
nämlich nicht einer alles macht, sondern jeder sich auf gewisse Arbeit, die
sich ihrer Behandlungsweise nach von andern merklich unterscheidet,
einschränkt, um sie in der größten Vollkommenheit und mit mehrerer Leichtigkeit
leisten zu können. Wo die Arbeiten so nicht unterschieden und vertheilt werden,
wo jeder ein Tausendkünstler ist, da liegen die Gewerbe noch in der größten
Barbarei. Aber ob dieses zwar für sich ein der Erwägung nicht unwürdiges Object
wäre, zu fragen: ob die reine Philosophie in allen ihren Theilen nicht ihren
besonderen Mann erheische, und es um das Ganze des gelehrten Gewerbes nicht
besser stehen würde, wenn die, so das Empirische mit dem Rationalen dem
Geschmacke des Publicums gemäß nach allerlei ihnen selbst unbekannten
Verhältnissen gemischt zu verkaufen gewohnt sind, die sich Selbstdenker, andere
aber, die den bloß rationalen Theil zubereiten, Grübler nennen, gewarnt würden,
nicht zwei Geschäfte zugleich zu treiben, die in der Art, sie zu behandeln, gar
sehr verschieden sind, zu deren jedem vielleicht ein besonderes Talent
erfordert wird, und deren Verbindung in einer Person nur Stümper hervorbringt:
so frage ich hier doch nur, ob nicht die Natur der Wissenschaft es erfordere,
den empirischen von dem rationalen Theil jederzeit sorgfältig abzusondern und
vor der eigentlichen (empirischen) Physik eine Metaphysik der Natur, vor der
praktischen Anthropologie aber eine Metaphysik der Sitten voranzuschicken, die
von allem Empirischen sorgfältig gesäubert sein müßten, um zu wissen, wie viel
reine Vernunft in beiden Fällen leisten |
IV389 könne, und aus welchen Quellen sie selbst diese ihre Belehrung a
priori schöpfe, es mag übrigens das letztere Geschäfte von allen
Sittenlehrern (deren Name Legion heißt) oder nur von einigen, die Beruf dazu
fühlen, getrieben werden.
Da meine Absicht hier
eigentlich auf die sittliche Weltweisheit gerichtet ist, so schränke ich die
vorgelegte Frage nur darauf ein: ob man nicht meine, daß es von der äußersten
Nothwendigkeit sei, einmal eine reine Moralphilosophie zu bearbeiten, die von
allem, was nur empirisch sein mag und zur Anthropologie gehört, völlig
gesäubert wäre; denn daß es eine solche geben müsse, leuchtet von selbst aus
der gemeinen Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze ein. Jedermann muß
eingestehen, daß ein Gesetz, wenn es moralisch, d.i. als Grund einer
Verbindlichkeit, gelten soll, absolute Nothwendigkeit bei sich führen müsse;
daß das Gebot: du sollst nicht lügen, nicht etwa bloß für Menschen gelte, andere
vernünftige Wesen sich aber daran nicht zu kehren hätten, und so alle übrige
eigentliche Sittengesetze; daß mithin der Grund der Verbindlichkeit hier nicht
in der Natur des Menschen, oder den Umständen in der Welt, darin er gesetzt
ist, gesucht werden müsse, sondern a priori lediglich in Begriffen der
reinen Vernunft, und daß jede andere Vorschrift, die sich auf Principien der
bloßen Erfahrung gründet, und sogar eine in gewissem Betracht allgemeine
Vorschrift, so fern sie sich dem mindesten Theile, vielleicht nur einem
Bewegungsgrunde nach auf empirische Gründe stützt, zwar eine praktische Regel,
niemals aber ein moralisches Gesetz heißen kann.
Also unterscheiden
sich die moralischen Gesetze sammt ihren Principien unter allem praktischen
Erkenntnisse von allem übrigen, darin irgend etwas Empirisches ist, nicht
allein wesentlich, sondern alle Moralphilosophie beruht gänzlich auf ihrem
reinen Theil, und auf den Menschen angewandt, entlehnt sie nicht das mindeste
von der Kenntniß desselben (Anthropologie), sondern giebt ihm, als vernünftigem
Wesen, Gesetze a priori, die freilich noch durch Erfahrung geschärfte
Urtheilskraft erfordern, um theils zu unterscheiden, in welchen Fällen sie ihre
Anwendung haben, theils ihnen Eingang in den Willen des Menschen und Nachdruck
zur Ausübung zu verschaffen, da dieser, als selbst mit so viel Neigungen
afficirt, der Idee einer praktischen reinen Vernunft zwar fähig, aber nicht so
leicht vermögend ist, sie in seinem Lebenswandel in concreto wirksam zu
machen.
Eine Metaphysik der Sitten
ist also unentbehrlich nothwendig, nicht bloß aus einem Bewegungsgrunde der
Speculation, um die Quelle der a |
IV390 priori in
unserer Vernunft liegenden praktischen Grundsätze zu erforschen, sondern weil
die Sitten selber allerlei Verderbniß unterworfen bleiben, so lange jener
Leitfaden und oberste Norm ihrer richtigen Beurtheilung fehlt. Denn bei dem,
was moralisch gut sein soll, ist es nicht genug, daß es dem sittlichen Gesetze
gemäß sei, sondern es muß auch um desselben willen geschehen; widrigenfalls ist
jene Gemäßheit nur sehr zufällig und mißlich, weil der unsittliche Grund zwar
dann und wann gesetzmäßige, mehrmals aber gesetzwidrige Handlungen
hervorbringen wird. Nun ist aber das sittliche Gesetz in seiner Reinigkeit und
Ächtheit (woran eben im Praktischen am meisten gelegen ist) nirgend anders, als
in einer reinen Philosophie zu suchen, also muß diese (Metaphysik) vorangehen,
und ohne sie kann es überall keine Moralphilosophie geben; selbst verdient
diejenige, welche jene reine Principien unter die empirischen mischt, den Namen
einer Philosophie nicht (denn dadurch unterscheidet diese sich eben von der
gemeinen Vernunfterkenntniß, daß sie, was diese nur vermengt begreift, in
abgesonderter Wissenschaft vorträgt), viel weniger einer Moralphilosophie, weil
sie eben durch diese Vermengung sogar der Reinigkeit der Sitten selbst Abbruch
thut und ihrem eigenen Zwecke zuwider verfährt.
Man denke doch ja
nicht, daß man das, was hier gefordert wird, schon an der Propädeutik des
berühmten Wolff vor seiner Moralphilosophie, nämlich der von ihm so genannten
allgemeinen praktischen Weltweisheit, habe, und hier also nicht eben ein ganz
neues Feld einzuschlagen sei. Eben darum, weil sie eine allgemeine praktische
Weltweisheit sein sollte, hat sie keinen Willen von irgend einer besondern Art,
etwa einen solchen, der ohne alle empirische Bewegungsgründe, völlig aus
Principien a priori, bestimmt werde, und den man einen reinen Willen
nennen könnte, sondern das Wollen überhaupt in Betrachtung gezogen mit allen
Handlungen und Bedingungen, die ihm in dieser allgemeinen Bedeutung zukommen,
und dadurch unterscheidet sie sich von einer Metaphysik der Sitten, eben so wie
die allgemeine Logik von der Transscendentalphilosophie, von denen die erstere
die Handlungen und Regeln des Denkens überhaupt, diese aber bloß die besondern
Handlungen und Regeln des reinen Denkens, d.i. desjenigen, wodurch
Gegenstände völlig a priori erkannt werden, vorträgt. Denn die
Metaphysik der Sitten soll die Idee und die Principien eines möglichen reinen
Willens untersuchen und nicht die Handlungen und Bedingungen des menschlichen
Wollens überhaupt, welche größtentheils aus der Psychologie geschöpft werden.
Daß in der allgemeinen |
IV391 praktischen Weltweisheit (wiewohl wider alle Befugniß) auch von
moralischen Gesetzen und Pflicht geredet wird, macht keinen Einwurf wider meine
Behauptung aus. Denn die Verfasser jener Wissenschaft bleiben ihrer Idee von
derselben auch hierin treu; sie unterscheiden nicht die Bewegungsgründe, die
als solche völlig a priori bloß durch Vernunft vorgestellt werden und
eigentlich moralisch sind, von den empirischen, die der Verstand bloß durch
Vergleichung der Erfahrungen zu allgemeinen Begriffen erhebt, sondern
betrachten sie, ohne auf den Unterschied ihrer Quellen zu achten, nur nach der
größeren oder kleineren Summe derselben (indem sie alle als gleichartig
angesehen werden) und machen sich dadurch ihren Begriff von Verbindlichkeit,
der freilich nichts weniger als moralisch, aber doch so beschaffen ist, als es
in einer Philosophie, die über den Ursprung aller möglichen praktischen
Begriffe, ob sie auch a priori oder bloß a posteriori stattfinden,
gar nicht urtheilt, nur verlangt werden kann.
Im Vorsatze nun, eine
Metaphysik der Sitten dereinst zu liefern, lasse ich diese Grundlegung
vorangehen. Zwar giebt es eigentlich keine andere Grundlage derselben, als die
Kritik einer reinen praktischen Vernunft, so wie zur Metaphysik die schon
gelieferte Kritik der reinen speculativen Vernunft. Allein theils ist jene
nicht von so äußerster Nothwendigkeit als diese, weil die menschliche Vernunft
im Moralischen selbst beim gemeinsten Verstande leicht zu großer Richtigkeit
und Ausführlichkeit gebracht werden kann, da sie hingegen im theoretischen,
aber reinen Gebrauch ganz und gar dialektisch ist: theils erfordere ich zur
Kritik einer reinen praktischen Vernunft, daß, wenn sie vollendet sein soll,
ihre Einheit mit der speculativen in einem gemeinschaftlichen Princip zugleich
müsse dargestellt werden können, weil es doch am Ende nur eine und dieselbe
Vernunft sein kann, die bloß in der Anwendung unterschieden sein muß. Zu einer
solchen Vollständigkeit konnte ich es aber hier noch nicht bringen, ohne
Betrachtungen von ganz anderer Art herbeizuziehen und den Leser zu verwirren.
Um deswillen habe ich mich statt der Benennung einer Kritik der reinen
praktischen Vernunft der von einer Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
bedient.
Weil aber drittens
auch eine Metaphysik der Sitten ungeachtet des abschreckenden Titels dennoch
eines großen Grades der Popularität und Angemessenheit zum gemeinen Verstande
fähig ist, so finde ich für nützlich, diese Vorarbeitung der Grundlage davon
abzusondern, um das Sub|tile,
IV392 was darin unvermeidlich ist, künftig nicht faßlichern Lehren beifügen
zu dürfen.
Gegenwärtige
Grundlegung ist aber nichts mehr, als die Aufsuchung und Festsetzung des
obersten Princips der Moralität, welche allein ein in seiner Absicht ganzes und
von aller anderen sittlichen Untersuchung abzusonderndes Geschäfte ausmacht.
Zwar würden meine Behauptungen über diese wichtige und bisher bei weitem noch
nicht zur Gnugthuung erörterte Hauptfrage durch Anwendung desselben Princips
auf das ganze System viel Licht und durch die Zulänglichkeit, die es
allenthalben blicken läßt, große Bestätigung erhalten: allein ich mußte mich
dieses Vortheils begeben, der auch im Grunde mehr eigenliebig, als gemeinnützig
sein würde, weil die Leichtigkeit im Gebrauche und die scheinbare
Zulänglichkeit eines Princips keinen ganz sicheren Beweis von der Richtigkeit
desselben abgiebt, vielmehr eine gewisse Parteilichkeit erweckt, es nicht für
sich selbst, ohne alle Rücksicht auf die Folge, nach aller Strenge zu
untersuchen und zu wägen.
Ich habe meine Methode
in dieser Schrift so genommen, wie ich glaube, daß sie die schicklichste sei,
wenn man vom gemeinen Erkenntnisse zur Bestimmung des obersten Princips
desselben analytisch und wiederum zurück von der Prüfung dieses Princips und
den Quellen desselben zur gemeinen Erkenntniß, darin sein Gebrauch angetroffen
wird, synthetisch den Weg nehmen will. Die Eintheilung ist daher so
ausgefallen:
1. Erster Abschnitt:
Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen.
2. Zweiter Abschnitt:
Übergang von der populären Moralphilosophie zur Metaphysik der Sitten.
3. Dritter Abschnitt:
Letzter Schritt von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen
Vernunft.
IV393 Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch
außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten
werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz, Urtheilskraft und
wie die Talente des Geistes sonst heißen mögen, oder Muth, Entschlossenheit,
Beharrlichkeit im Vorsatze als Eigenschaften des Temperaments sind ohne Zweifel
in mancher Absicht gut und wünschenswerth; aber sie können auch äußerst böse
und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen
soll und dessen eigenthümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut
ist. Mit den Glücksgaben ist es eben so bewandt. Macht, Reichthum, Ehre, selbst
Gesundheit und das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustande
unter dem Namen der Glückseligkeit machen Muth und hiedurch öfters auch
Übermuth, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluß derselben aufs
Gemüth und hiemit auch das ganze Princip zu handeln berichtige und
allgemein-zweckmäßig mache; ohne zu erwähnen, daß ein vernünftiger
unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines ununterbrochenen Wohlergehens
eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein
Wohlgefallen haben kann, und so der gute Wille die unerlaßliche Bedingung
selbst der Würdigkeit glücklich zu sein auszumachen scheint.
Einige Eigenschaften
sind sogar diesem guten Willen selbst beförderlich und können sein Werk sehr
erleichtern, haben aber dem ungeachtet kei|nen
IV394 innern unbedingten Werth, sondern setzen immer noch einen guten Willen
voraus, der die Hochschätzung, die man übrigens mit Recht für sie trägt,
einschränkt und es nicht erlaubt, sie für schlechthin gut zu halten. Mäßigung
in Affecten und Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne Überlegung
sind nicht allein in vielerlei Absicht gut, sondern scheinen sogar einen Theil
vom innern Werthe der Person auszumachen; allein es fehlt viel daran, um sie
ohne Einschränkung für gut zu erklären (so unbedingt sie auch von den Alten
gepriesen worden). Denn ohne Grundsätze eines guten Willens können sie höchst
böse werden, und das kalte Blut eines Bösewichts macht ihn nicht allein weit
gefährlicher, sondern auch unmittelbar in unsern Augen noch
verabscheuungswürdiger, als er ohne dieses dafür würde gehalten werden.
Der gute Wille ist
nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit
zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das
Wollen, d.i. an sich, gut und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit
höher zu schätzen als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja
wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden
könnte. Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch
kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich
an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten
Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute Wille
(freilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller
Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein
Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Werth in sich
selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werthe weder
etwas zusetzen, noch abnehmen. Sie würde gleichsam nur die Einfassung sein, um
ihn im gemeinen Verkehr besser handhaben zu können, oder die Aufmerksamkeit
derer, die noch nicht gnug Kenner sind, auf sich zu ziehen, nicht aber um ihn
Kennern zu empfehlen und seinen Werth zu bestimmen.
Es liegt gleichwohl in
der Idee von dem absoluten Werthe des bloßen Willens, ohne einigen Nutzen bei
Schätzung desselben in Anschlag zu bringen, etwas so Befremdliches, daß
unerachtet aller Einstimmung selbst der gemeinen Vernunft mit derselben dennoch
ein Verdacht entspringen muß, daß vielleicht bloß hochfliegende Phantasterei
ingeheim zum Grunde liege, und die Natur in ihrer Absicht, warum sie unserm
Willen |
IV395 Vernunft zur Regiererin beigelegt habe, falsch verstanden sein möge.
Daher wollen wir diese Idee aus diesem Gesichtspunkte auf die Prüfung stellen.
In den Naturanlagen
eines organisirten, d.i. zweckmäßig zum Leben eingerichteten, Wesens nehmen wir
es als Grundsatz an, daß kein Werkzeug zu irgend einem Zwecke in demselben
angetroffen werde, als was auch zu demselben das schicklichste und ihm am
meisten angemessen ist. Wäre nun an einem Wesen, das Vernunft und einen Willen
hat, seine Erhaltung, sein Wohlergehen, mit einem Worte seine Glückseligkeit,
der eigentliche Zweck der Natur, so hätte sie ihre Veranstaltung dazu sehr
schlecht getroffen, sich die Vernunft des Geschöpfs zur Ausrichterin dieser
ihrer Absicht zu ersehen. Denn alle Handlungen, die es in dieser Absicht
auszuüben hat, und die ganze Regel seines Verhaltens würden ihm weit genauer
durch Instinct vorgezeichnet und jener Zweck weit sicherer dadurch haben
erhalten werden können, als es jemals durch Vernunft geschehen kann, und sollte
diese ja obenein dem begünstigten Geschöpf ertheilt worden sein, so würde sie
ihm nur dazu haben dienen müssen, um über die glückliche Anlage seiner Natur
Betrachtungen anzustellen, sie zu bewundern, sich ihrer zu erfreuen und der
wohlthätigen Ursache dafür dankbar zu sein; nicht aber, um sein
Begehrungsvermögen jener schwachen und trüglichen Leitung zu unterwerfen und in
der Naturabsicht zu pfuschen; mit einem Worte, sie würde verhütet haben, daß
Vernunft nicht in praktischen Gebrauch ausschlüge und die Vermessenheit hätte,
mit ihren schwachen Einsichten ihr selbst den Entwurf der Glückseligkeit und
der Mittel dazu zu gelangen auszudenken; die Natur würde nicht allein die Wahl
der Zwecke, sondern auch der Mittel selbst übernommen und beide mit weiser
Vorsorge lediglich dem Instincte anvertraut haben.
In der That finden wir
auch, daß, je mehr eine cultivirte Vernunft sich mit der Absicht auf den Genuß
des Lebens und der Glückseligkeit abgiebt, desto weiter der Mensch von der
wahren Zufriedenheit abkomme, woraus bei vielen und zwar den Versuchtesten im
Gebrauche derselben, wenn sie nur aufrichtig genug sind, es zu gestehen, ein
gewisser Grad von Misologie, d.i. Haß der Vernunft, entspringt, weil sie nach
dem Überschlage alles Vortheils, den sie, ich will nicht sagen von der
Erfindung aller Künste des gemeinen Luxus, sondern sogar von den Wissenschaften
(die ihnen am Ende auch ein Luxus des Verstandes zu sein scheinen) ziehen,
dennoch finden, daß sie sich in der That nur mehr Mühseligkeit auf |
IV396 den Hals gezogen, als an Glückseligkeit gewonnen haben und darüber
endlich den gemeinern Schlag der Menschen, welcher der Leitung des bloßen
Naturinstincts näher ist, und der seiner Vernunft nicht viel Einfluß auf sein
Thun und Lassen verstattet, eher beneiden als geringschätzen. Und so weit muß
man gestehen, daß das Urtheil derer, die die ruhmredige Hochpreisungen der
Vortheile, die uns die Vernunft in Ansehung der Glückseligkeit und
Zufriedenheit des Lebens verschaffen sollte, sehr mäßigen und sogar unter Null
herabsetzen, keinesweges grämisch, oder gegen die Güte der Weltregierung
undankbar sei, sondern daß diesen Urtheilen ingeheim die Idee von einer andern
und viel würdigern Absicht ihrer Existenz zum Grunde liege, zu welcher und
nicht der Glückseligkeit die Vernunft ganz eigentlich bestimmt sei, und welcher
darum als oberster Bedingung die Privatabsicht des Menschen größtentheils
nachstehen muß.
Denn da die Vernunft
dazu nicht tauglich genug ist, um den Willen in Ansehung der Gegenstände
desselben und der Befriedigung aller unserer Bedürfnisse (die sie zum Theil
selbst vervielfältigt) sicher zu leiten, als zu welchem Zwecke ein
eingepflanzter Naturinstinct viel gewisser geführt haben würde, gleichwohl aber
uns Vernunft als praktisches Vermögen, d.i. als ein solches, das Einfluß auf
den Willen haben soll, dennoch zugetheilt ist: so muß die wahre Bestimmung
derselben sein, einen nicht etwa in anderer Absicht als Mittel, sondern an sich
selbst guten Willen hervorzubringen, wozu schlechterdings Vernunft nöthig war,
wo anders die Natur überall in Austheilung ihrer Anlagen zweckmäßig zu Werke
gegangen ist. Dieser Wille darf also zwar nicht das einzige und das ganze, aber
er muß doch das höchste Gut und zu allem Übrigen, selbst allem Verlangen nach
Glückseligkeit die Bedingung sein, in welchem Falle es sich mit der Weisheit
der Natur gar wohl vereinigen läßt, wenn man wahrnimmt, daß die Cultur der
Vernunft, die zur erstern und unbedingten Absicht erforderlich ist, die
Erreichung der zweiten, die jederzeit bedingt ist, nämlich der Glückseligkeit,
wenigstens in diesem Leben auf mancherlei Weise einschränke, ja sie selbst
unter Nichts herabbringen könne, ohne daß die Natur darin unzweckmäßig
verfahre, weil die Vernunft, die ihre höchste praktische Bestimmung in der
Gründung eines guten Willens erkennt, bei Erreichung dieser Absicht nur einer
Zufriedenheit nach ihrer eigenen Art, nämlich aus der Erfüllung eines Zwecks,
den wiederum nur Vernunft bestimmt, fähig ist, sollte dieses auch mit manchem
Abbruch, der den Zwecken der Neigung geschieht, verbunden sein.
IV397 Um aber den Begriff eines an sich selbst
hochzuschätzenden und ohne weitere Absicht guten Willens, so wie er schon dem
natürlichen gesunden Verstande beiwohnt und nicht sowohl gelehrt als vielmehr
nur aufgeklärt zu werden bedarf, diesen Begriff, der in der Schätzung des
ganzen Werths unserer Handlungen immer obenan steht und die Bedingung alles
übrigen ausmacht, zu entwickeln: wollen wir den Begriff der Pflicht vor
uns nehmen, der den eines guten Willens, obzwar unter gewissen subjectiven
Einschränkungen und Hindernissen, enthält, die aber doch, weit gefehlt daß sie
ihn verstecken und unkenntlich machen sollten, ihn vielmehr durch Abstechung
heben und desto heller hervorscheinen lassen.
Ich übergehe hier alle
Handlungen, die schon als pflichtwidrig erkannt werden, ob sie gleich in dieser
oder jener Absicht nützlich sein mögen; denn bei denen ist gar nicht einmal die
Frage, ob sie aus Pflicht geschehen sein mögen, da sie dieser sogar
widerstreiten. Ich setze auch die Handlungen bei Seite, die wirklich
pflichtmäßig sind, zu denen aber Menschen unmittelbar keine Neigung haben, sie
aber dennoch ausüben, weil sie durch eine andere Neigung dazu getrieben werden.
Denn da läßt sich leicht unterscheiden, ob die pflichtmäßige Handlung aus
Pflicht oder aus selbstsüchtiger Absicht geschehen sei. Weit schwerer ist
dieser Unterschied zu bemerken, wo die Handlung pflichtmäßig ist und das
Subject noch überdem unmittelbare Neigung zu ihr hat. Z.B. ist es allerdings
pflichtmäßig, daß der Krämer seinen unerfahrnen Käufer nicht übertheure, und,
wo viel Verkehr ist, thut dieses auch der kluge Kaufmann nicht, sondern hält
einen festgesetzten allgemeinen Preis für jedermann, so daß ein Kind eben so
gut bei ihm kauft, als jeder andere. Man wird also ehrlich bedient; allein das
ist lange nicht genug, um deswegen zu glauben, der Kaufmann habe aus Pflicht
und Grundsätzen der Ehrlichkeit so verfahren; sein Vortheil erforderte es; daß
er aber überdem noch eine unmittelbare Neigung zu den Käufern haben sollte, um
gleichsam aus Liebe keinem vor dem andern im Preise den Vorzug zu geben, läßt
sich hier nicht annehmen. Also war die Handlung weder aus Pflicht, noch aus
unmittelbarer Neigung, sondern bloß in eigennütziger Absicht geschehen.
Dagegen sein Leben zu
erhalten, ist Pflicht, und überdem hat jedermann dazu noch eine unmittelbare
Neigung. Aber um deswillen hat die oft ängstliche Sorgfalt, die der größte
Theil der Menschen dafür trägt, doch keinen innern Werth und die Maxime
derselben keinen moralischen |
IV398 Gehalt. Sie bewahren ihr Leben zwar pflichtmäßig aber nicht aus
Pflicht. Dagegen wenn Widerwärtigkeiten und hoffnungsloser Gram den Geschmack
am Leben gänzlich weggenommen haben; wenn der Unglückliche, stark an Seele,
über sein Schicksal mehr entrüstet als kleinmüthig oder niedergeschlagen, den
Tod wünscht und sein Leben doch erhält, ohne es zu lieben, nicht aus Neigung
oder Furcht, sondern aus Pflicht: alsdann hat seine Maxime einen moralischen
Gehalt.
Wohlthätig sein, wo
man kann, ist Pflicht, und überdem giebt es manche so theilnehmend gestimmte
Seelen, daß sie auch ohne einen andern Bewegungsgrund der Eitelkeit oder des
Eigennutzes ein inneres Vergnügen daran finden, Freude um sich zu verbreiten,
und die sich an der Zufriedenheit anderer, so fern sie ihr Werk ist, ergötzen
können. Aber ich behaupte, daß in solchem Falle dergleichen Handlung, so
pflichtmäßig, so liebenswürdig sie auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen
Werth habe, sondern mit andern Neigungen zu gleichen Paaren gehe, z. E. der
Neigung nach Ehre, die, wenn sie glücklicherweise auf das trifft, was in der
That gemeinnützig und pflichtmäßig, mithin ehrenwerth ist, Lob und
Aufmunterung, aber nicht Hochschätzung verdient; denn der Maxime fehlt der
sittliche Gehalt, nämlich solche Handlungen nicht aus Neigung, sondern aus
Pflicht zu thun. Gesetzt also, das Gemüth jenes Menschenfreundes wäre vom
eigenen Gram umwölkt, der alle Theilnehmung an anderer Schicksal auslöscht, er
hätte immer noch Vermögen, andern Nothleidenden wohlzuthun, aber fremde Noth
rührte ihn nicht, weil er mit seiner eigenen gnug beschäftigt ist, und nun, da
keine Neigung ihn mehr dazu anreizt, risse er sich doch aus dieser tödtlichen
Unempfindlichkeit heraus und thäte die Handlung ohne alle Neigung, lediglich
aus Pflicht, alsdann hat sie allererst ihren ächten moralischen Werth. Noch
mehr: wenn die Natur diesem oder jenem überhaupt wenig Sympathie ins Herz
gelegt hätte, wenn er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und
gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre, vielleicht weil er, selbst gegen
seine eigene mit der besondern Gabe der Geduld und aushaltenden Stärke
versehen, dergleichen bei jedem andern auch voraussetzt, oder gar fordert; wenn
die Natur einen solchen Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Product
sein würde) nicht eigentlich zum Menschenfreunde gebildet hätte, würde er denn
nicht noch in sich einen Quell finden, sich selbst einen weit höhern Werth zu
geben, als der eines gutartigen Temperaments sein mag? Allerdings! gerade da
hebt der Werth des Charakters an, der moralisch |
IV399 und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich daß er wohlthue,
nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.
Seine eigene
Glückseligkeit sichern, ist Pflicht (wenigstens indirect), denn der Mangel der
Zufriedenheit mit seinem Zustande in einem Gedränge von vielen Sorgen und
mitten unter unbefriedigten Bedürfnissen könnte leicht eine große Versuchung zu
Übertretung der Pflichten werden. Aber auch ohne hier auf Pflicht zu sehen,
haben alle Menschen schon von selbst die mächtigste und innigste Neigung zur
Glückseligkeit, weil sich gerade in dieser Idee alle Neigungen zu einer Summe
vereinigen. Nur ist die Vorschrift der Glückseligkeit mehrentheils so
beschaffen, daß sie einigen Neigungen großen Abbruch thut und doch der Mensch
sich von der Summe der Befriedigung aller unter dem Namen der Glückseligkeit
keinen bestimmten und sichern Begriff machen kann; daher nicht zu verwundern
ist, wie eine einzige in Ansehung dessen, was sie verheißt, und der Zeit, worin
ihre Befriedigung erhalten werden kann, bestimmte Neigung eine schwankende Idee
überwiegen könne, und der Mensch, z.B. ein Podagrist, wählen könne, zu
genießen, was ihm schmeckt, und zu leiden, was er kann, weil er nach seinem
Überschlage hier wenigstens sich nicht durch vielleicht grundlose Erwartungen
eines Glücks, das in der Gesundheit stecken soll, um den Genuß des
gegenwärtigen Augenblicks gebracht hat. Aber auch in diesem Falle, wenn die
allgemeine Neigung zur Glückseligkeit seinen Willen nicht bestimmte, wenn
Gesundheit für ihn wenigstens nicht so nothwendig in diesen Überschlag gehörte,
so bleibt noch hier wie in allen andern Fällen ein Gesetz übrig, nämlich seine
Glückseligkeit zu befördern, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht, und da hat
sein Verhalten allererst den eigentlichen moralischen Werth.
So sind ohne Zweifel
auch die Schriftstellen zu verstehen, darin geboten wird, seinen Nächsten,
selbst unsern Feind zu lieben. Denn Liebe als Neigung kann nicht geboten werden,
aber Wohlthun aus Liebe selbst, wenn dazu gleich gar keine Neigung treibt, ja
gar natürliche und unbezwingliche Abneigung widersteht, ist praktische und
nicht pathologische Liebe, die im Willen liegt und nicht im Hange der
Empfindung, in Grundsätzen der Handlung und nicht schmelzender Theilnehmung;
jene aber allein kann geboten werden.
Der zweite Satz ist:
eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Werth nicht in der Absicht,
welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie
beschlossen wird, hängt also nicht von |
IV400 der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern blos von dem
Princip des Wollens, nach welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstände
des Begehrungsvermögens geschehen ist. Daß die Absichten, die wir bei
Handlungen haben mögen, und ihre Wirkungen, als Zwecke und Triebfedern des
Willens, den Handlungen keinen unbedingten und moralischen Werth ertheilen
können, ist aus dem vorigen klar. Worin kann also dieser Werth liegen, wenn er
nicht im Willen in Beziehung auf deren verhoffte Wirkung bestehen soll? Er kann
nirgend anders liegen, als im Princip des Willens unangesehen der Zwecke, die
durch solche Handlung bewirkt werden können; denn der Wille ist mitten inne
zwischen seinem Princip a priori, welches formell ist, und zwischen
seiner Triebfeder a posteriori, welche materiell ist, gleichsam auf
einem Scheidewege, und da er doch irgend wodurch muß bestimmt werden, so wird
er durch das formelle Princip des Wollens überhaupt bestimmt werden müssen, wenn
eine Handlung aus Pflicht geschieht, da ihm alles materielle Princip entzogen
worden.
Den dritten Satz als
Folgerung aus beiden vorigen würde ich so ausdrücken: Pflicht ist die
Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz. Zum Objecte als Wirkung
meiner vorhabenden Handlung kann ich zwar Neigung haben, aber niemals Achtung,
eben darum weil sie bloß eine Wirkung und nicht Thätigkeit eines Willens ist.
Eben so kann ich für Neigung überhaupt, sie mag nun meine oder eines andern
seine sein, nicht Achtung haben, ich kann sie höchstens im ersten Falle
billigen, im zweiten bisweilen selbst lieben, d.i. sie als meinem eigenen
Vortheile günstig ansehen. Nur das, was bloß als Grund, niemals aber als
Wirkung mit meinem Willen verknüpft ist, was nicht meiner Neigung dient,
sondern sie überwiegt, wenigstens diese von deren Überschlage bei der Wahl ganz
ausschließt, mithin das bloße Gesetz für sich kann ein Gegenstand der Achtung
und hiemit ein Gebot sein. Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung
und mit ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts für
den Willen übrig, was ihn bestimmen könne, als objectiv das Gesetz und
subjectiv reine Achtung für dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime*[1], einem
|
IV401 solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu
leisten.
Es liegt also der
moralische Werth der Handlung nicht in der Wirkung, die daraus erwartet wird,
also auch nicht in irgend einem Princip der Handlung, welches seinen
Bewegungsgrund von dieser erwarteten Wirkung zu entlehnen bedarf. Denn alle
diese Wirkungen (Annehmlichkeit seines Zustandes, ja gar Beförderung fremder
Glückseligkeit) konnten auch durch andere Ursachen zu Stande gebracht werden,
und es brauchte also dazu nicht des Willens eines vernünftigen Wesens, worin
gleichwohl das höchste und unbedingte Gute allein angetroffen werden kann. Es
kann daher nichts anders als die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst, die
freilich nur im vernünftigen Wesen stattfindet so fern sie, nicht aber die
verhoffte Wirkung der Bestimmungsgrund des Willens ist, das so vorzügliche
Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen, welches in der Person selbst
schon gegenwärtig ist, die darnach handelt, nicht aber allererst aus der
Wirkung erwartet werden darf.*[2]
IV402 Was kann das aber wohl für ein Gesetz sein, dessen
Vorstellung, auch ohne auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen,
den Willen bestimmen muß, damit dieser schlechterdings und ohne Einschränkung
gut heißen könne? Da ich den Willen aller Antriebe beraubt habe, die ihm aus
der Befolgung irgend eines Gesetzes entspringen könnten, so bleibt nichts als
die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt übrig, welche allein
dem Willen zum Princip dienen soll, d.i. ich soll niemals anders verfahren als
so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz
werden. Hier ist nun die bloße Gesetzmäßigkeit überhaupt (ohne irgend ein auf
gewisse Handlungen bestimmtes Gesetz zum Grunde zu legen) das, was dem Willen
zum Princip dient und ihm auch dazu dienen muß, wenn Pflicht nicht überall ein
leerer Wahn und chimärischer Begriff sein soll; hiemit stimmt die gemeine
Menschenvernunft in ihrer praktischen Beurtheilung auch vollkommen überein und
hat das gedachte Princip jederzeit vor Augen.
Die Frage sei z.B.:
darf ich, wenn ich im Gedränge bin, nicht ein Versprechen thun, in der Absicht,
es nicht zu halten? Ich mache hier leicht den Unterschied, den die Bedeutung
der Frage haben kann, ob es klüglich, oder ob es pflichtmäßig sei, ein falsches
Versprechen zu thun. Das erstere kann ohne Zweifel öfters stattfinden. Zwar
sehe ich wohl, daß es nicht gnug sei, mich vermittelst dieser Ausflucht aus
einer gegenwärtigen Verlegenheit zu ziehen, sondern wohl überlegt werden müsse,
ob mir aus dieser Lüge nicht hinterher viel größere Ungelegenheit entspringen
könne, als die sind, von denen ich mich jetzt befreie, und, da die Folgen bei
aller meiner vermeinten Schlauigkeit nicht so leicht vorauszusehen sind, daß
nicht ein einmal verlornes Zutrauen mir weit nachtheiliger werden könnte als
alles Übel, das ich jetzt zu vermeiden gedenke, ob es nicht klüglicher
gehandelt sei, hiebei nach einer allgemeinen Maxime zu verfahren und es sich
zur Gewohnheit zu machen, nichts zu versprechen als in der Absicht, es zu
halten. Allein es leuchtet mir hier bald ein, daß eine solche Maxime doch immer
nur die besorglichen Folgen zum Grunde habe. Nun ist es doch etwas ganz
anderes, aus Pflicht wahrhaft zu sein, als aus Besorgniß der nachtheiligen
Folgen: indem im ersten Falle der Begriff der Handlung an sich selbst schon ein
Gesetz für mich enthält, im zweiten ich mich allererst anderwärtsher umsehen
muß, welche Wirkungen für mich wohl damit verbunden sein möchten. Denn wenn ich
von dem Princip der Pflicht abweiche, so ist es ganz gewiß böse; werde ich aber
meiner Maxime der |
IV403 Klugheit abtrünnig, so kann das mir doch manchmal sehr vortheilhaft
sein, wiewohl es freilich sicherer ist, bei ihr zu bleiben. Um indessen mich in
Ansehung der Beantwortung dieser Aufgabe, ob ein lügenhaftes Versprechen
pflichtmäßig sei, auf die allerkürzeste und doch untrügliche Art zu belehren,
so frage ich mich selbst: würde ich wohl damit zufrieden sein, daß meine Maxime
(mich durch ein unwahres Versprechen aus Verlegenheit zu ziehen) als ein
allgemeines Gesetz (sowohl für mich als andere) gelten solle, und würde ich
wohl zu mir sagen können: es mag jedermann ein unwahres Versprechen thun, wenn
er sich in Verlegenheit befindet, daraus er sich auf andere Art nicht ziehen
kann? So werde ich bald inne, daß ich zwar die Lüge, aber ein allgemeines
Gesetz zu lügen gar nicht wollen könne; denn nach einem solchen würde es
eigentlich gar kein Versprechen geben, weil es vergeblich wäre, meinen Willen
in Ansehung meiner künftigen Handlungen andern vorzugeben, die diesem Vorgeben
doch nicht glauben, oder, wenn sie es übereilter Weise thäten, mich doch mit
gleicher Münze bezahlen würden, mithin meine Maxime, so bald sie zum
allgemeinen Gesetze gemacht würde, sich selbst zerstören müsse.
Was ich also zu thun
habe, damit mein Wollen sittlich gut sei, dazu brauche ich gar keine weit
ausholende Scharfsinnigkeit. Unerfahren in Ansehung des Weltlaufs, unfähig auf
alle sich eräugnende Vorfälle desselben gefaßt zu sein, frage ich mich nur:
Kannst du auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? Wo nicht,
so ist sie verwerflich und das zwar nicht um eines dir oder auch anderen daraus
bevorstehenden Nachtheils willen, sondern weil sie nicht als Princip in eine
mögliche allgemeine Gesetzgebung passen kann; für diese aber zwingt mir die
Vernunft unmittelbare Achtung ab, von der ich zwar jetzt noch nicht einsehe,
worauf sie sich gründe (welches der Philosoph untersuchen mag), wenigstens aber
doch so viel verstehe: daß es eine Schätzung des Werthes sei, welcher allen
Werth dessen, was durch Neigung angepriesen wird, weit überwiegt, und daß die
Nothwendigkeit meiner Handlungen aus reiner Achtung fürs praktische Gesetz
dasjenige sei, was die Pflicht ausmacht, der jeder andere Bewegungsgrund
weichen muß, weil sie die Bedingung eines an sich guten Willens ist, dessen
Werth über alles geht.
So sind wir denn in
der moralischen Erkenntniß der gemeinen Menschenvernunft bis zu ihrem Princip
gelangt, welches sie sich zwar freilich nicht so in einer allgemeinen Form abgesondert
denkt, aber doch jederzeit wirklich vor Augen hat und zum Richtmaße ihrer
Beurtheilung braucht. |
IV404 Es wäre hier leicht zu zeigen, wie sie mit diesem Compasse in der Hand
in allen vorkommenden Fällen sehr gut Bescheid wisse, zu unterscheiden, was
gut, was böse, pflichtmäßig, oder pflichtwidrig sei, wenn man, ohne sie im
mindesten etwas Neues zu lehren, sie nur, wie Sokrates that, auf ihr eigenes
Princip aufmerksam macht, und daß es also keiner Wissenschaft und Philosophie
bedürfe, um zu wissen, was man zu thun habe, um ehrlich und gut, ja sogar um
weise und tugendhaft zu sein. Das ließe sich auch wohl schon zum voraus
vermuthen, daß die Kenntniß dessen, was zu thun, mithin auch zu wissen jedem
Menschen obliegt, auch jedes, selbst des gemeinsten Menschen Sache sein werde.
Hier kann man es doch nicht ohne Bewunderung ansehen, wie das praktische
Beurtheilungsvermögen vor dem theoretischen im gemeinen Menschenverstande so
gar viel voraus habe. In dem letzteren, wenn die gemeine Vernunft es wagt, von
den Erfahrungsgesetzen und den Wahrnehmungen der Sinne abzugehen, geräth sie in
lauter Unbegreiflichkeiten und Widersprüche mit sich selbst, wenigstens in ein
Chaos von Ungewißheit, Dunkelheit und Unbestand. Im praktischen aber fängt die
Beurtheilungskraft dann eben allererst an, sich recht vortheilhaft zu zeigen,
wenn der gemeine Verstand alle sinnliche Triebfedern von praktischen Gesetzen
ausschließt. Er wird alsdann sogar subtil, es mag sein, daß er mit seinem
Gewissen oder anderen Ansprüchen in Beziehung auf das, was recht heißen soll,
chicaniren, oder auch den Werth der Handlungen zu seiner eigenen Belehrung
aufrichtig bestimmen will, und was das meiste ist, er kann im letzteren Falle
sich eben so gut Hoffnung machen, es recht zu treffen, als es sich immer ein
Philosoph versprechen mag, ja ist beinahe noch sicherer hierin, als selbst der
letztere, weil dieser doch kein anderes Princip als jener haben, sein Urtheil
aber durch eine Menge fremder, nicht zur Sache gehöriger Erwägungen leicht
verwirren und von der geraden Richtung abweichend machen kann. Wäre es demnach
nicht rathsamer, es in moralischen Dingen bei dem gemeinen Vernunfturtheil
bewenden zu lassen und höchstens nur Philosophie anzubringen, um das System der
Sitten desto vollständiger und faßlicher, imgleichen die Regeln derselben zum
Gebrauche (noch mehr aber zum Disputiren) bequemer darzustellen, nicht aber um
selbst in praktischer Absicht den gemeinen Menschenverstand von seiner
glücklichen Einfalt abzubringen und ihn durch Philosophie auf einen neuen Weg
der Untersuchung und Belehrung zu bringen?
Es ist eine herrliche
Sache um die Unschuld, nur es ist auch wiederum |
IV405 sehr schlimm, daß sie sich nicht wohl bewahren läßt und leicht verführt
wird. Deswegen bedarf selbst die Weisheit — die sonst wohl mehr im Thun und
Lassen, als im Wissen besteht — doch auch der Wissenschaft, nicht um von ihr zu
lernen, sondern ihrer Vorschrift Eingang und Dauerhaftigkeit zu verschaffen.
Der Mensch fühlt in sich selbst ein mächtiges Gegengewicht gegen alle Gebote
der Pflicht, die ihm die Vernunft so hochachtungswürdig vorstellt, an seinen
Bedürfnissen und Neigungen, deren ganze Befriedigung er unter dem Namen der
Glückseligkeit zusammenfaßt. Nun gebietet die Vernunft, ohne doch dabei den
Neigungen etwas zu verheißen, unnachlaßlich, mithin gleichsam mit Zurücksetzung
und Nichtachtung jener so ungestümen und dabei so billig scheinenden Ansprüche
(die sich durch kein Gebot wollen aufheben lassen) ihre Vorschriften. Hieraus
entspringt aber eine natürliche Dialektik d.i. ein Hang, wider jene strenge
Gesetze der Pflicht zu vernünfteln und ihre Gültigkeit, wenigstens ihre
Reinigkeit und Strenge in Zweifel zu ziehen und sie wo möglich unsern Wünschen
und Neigungen angemessener zu machen, d.i. sie im Grunde zu verderben und um
ihre ganze Würde zu bringen, welches denn doch selbst die gemeine praktische
Vernunft am Ende nicht gut heißen kann.
So wird also die
gemeine Menschenvernunft nicht durch irgend ein Bedürfniß der Speculation
(welches ihr, so lange sie sich genügt, bloße gesunde Vernunft zu sein, niemals
anwandelt), sondern selbst aus praktischen Gründen angetrieben, aus ihrem
Kreise zu gehen und einen Schritt ins Feld einer praktischen Philosophie zu
thun, um daselbst wegen der Quelle ihres Princips und richtigen Bestimmung
desselben in Gegenhaltung mit den Maximen, die sich auf Bedürfniß und Neigung
fußen, Erkundigung und deutliche Anweisung zu bekommen, damit sie aus der
Verlegenheit wegen beiderseitiger Ansprüche herauskomme und nicht Gefahr laufe,
durch die Zweideutigkeit, in die sie leicht geräth, um alle ächte sittliche
Grundsätze gebracht zu werden. Also entspinnt sich eben sowohl in der
praktischen gemeinen Vernunft, wenn sie sich cultivirt, unvermerkt eine
Dialektik, welche sie nöthigt, in der Philosophie Hülfe zu suchen, als es ihr
im theoretischen Gebrauche widerfährt, und die erstere wird daher wohl eben so
wenig als die andere irgendwo sonst, als in einer vollständigen Kritik unserer
Vernunft Ruhe finden.
Anmerkungen:
*[1] Maxime
ist das subjective Princip des Wollens; das objective Princip (d.i. dasjenige,
was allen vernünftigen Wesen auch subjectiv zum praktischen Princip dienen
würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das
praktische Gesetz.
*[2] Man
könnte mir vorwerfen, als suchte ich hinter dem Worte Achtung nur Zuflucht in
einem dunkelen Gefühle, anstatt durch einen Begriff der Vernunft in der Frage
deutliche Auskunft zu geben. Allein wenn Achtung gleich ein Gefühl ist, so ist
es doch kein durch Einfluß empfangenes, sondern durch einen Vernunftbegriff
selbstgewirktes Gefühl und daher von allen Gefühlen der ersteren Art, die sich
auf Neigung oder Furcht bringen lassen, specifisch unterschieden. Was ich
unmittelbar als Gesetz für mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß
das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze ohne
Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen Sinn bedeutet. Die unmittelbare
Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt
Achtung, so daß diese als Wirkung des Gesetzes aufs Subject und nicht als
Ursache desselben angesehen wird. Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von
einem Werthe, der meiner Selbstliebe Abbruch thut. Also ist es etwas, was weder
als Gegenstand der Neigung, noch der Furcht betrachtet wird, obgleich es mit
beiden zugleich etwas Analogisches hat. Der Gegenstand der Achtung ist also
lediglich das Gesetz und zwar dasjenige, das wir uns selbst und doch als an
sich nothwendig auferlegen. Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe
zu befragen; als uns von uns selbst auferlegt, ist es doch eine Folge unsers
Willens und hat in der ersten Rücksicht Analogie mit Furcht, in der zweiten mit
Neigung. Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz
(der Rechtschaffenheit etc.), wovon jene uns das Beispiel giebt. Weil wir
Erweiterung unserer Talente auch als Pflicht ansehen, so stellen wir uns an
einer Person von Talenten auch gleichsam das Beispiel eines Gesetzes vor (ihr
durch Übung hierin ähnlich zu werden), und das macht unsere Achtung aus. Alles
moralische so genannte Interesse besteht lediglich in der Achtung fürs
Gesetz.
IV406 Wenn wir unsern bisherigen Begriff der
Pflicht aus dem gemeinen Gebrauche unserer praktischen Vernunft gezogen haben,
so ist daraus keinesweges zu schließen, als hätten wir ihn als einen
Erfahrungsbegriff behandelt. Vielmehr, wenn wir auf die Erfahrung vom Thun und
Lassen der Menschen Acht haben, treffen wir häufige und, wie wir selbst
einräumen, gerechte Klagen an, daß man von der Gesinnung, aus reiner Pflicht zu
handeln, so gar keine sichere Beispiele anführen könne, daß, wenn gleich
manches dem, was Pflicht gebietet, gemäß geschehen mag, dennoch es immer noch
zweifelhaft sei, ob es eigentlich aus Pflicht geschehe und also einen
moralischen Werth habe. Daher es zu aller Zeit Philosophen gegeben hat, welche
die Wirklichkeit dieser Gesinnung in den menschlichen Handlungen
schlechterdings abgeleugnet und alles der mehr oder weniger verfeinerten
Selbstliebe zugeschrieben haben, ohne doch deswegen die Richtigkeit des
Begriffs von Sittlichkeit in Zweifel zu ziehen, vielmehr mit inniglichem
Bedauren der Gebrechlichkeit und Unlauterkeit der menschlichen Natur Erwähnung
thaten, die zwar edel gnug sei, sich eine so achtungswürdige Idee zu ihrer
Vorschrift zu machen, aber zugleich zu schwach, um sie zu befolgen, und die
Vernunft, die ihr zur Gesetzgebung dienen sollte, nur dazu braucht, um das
Interesse der Neigungen, es sei einzeln oder, wenn es hoch kommt, in ihrer
größten Verträglichkeit unter einander, zu besorgen.
IV407 In der That ist es schlechterdings
unmöglich, durch Erfahrung einen einzigen Fall mit völliger Gewißheit
auszumachen, da die Maxime einer sonst pflichtmäßigen Handlung lediglich auf
moralischen Gründen und auf der Vorstellung seiner Pflicht beruht habe. Denn es
ist zwar bisweilen der Fall, daß wir bei der schärfsten Selbstprüfung gar
nichts antreffen, was außer dem moralischen Grunde der Pflicht mächtig genug
hätte sein können, uns zu dieser oder jener guten Handlung und so großer
Aufopferung zu bewegen; es kann aber daraus gar nicht mit Sicherheit
geschlossen werden, daß wirklich gar kein geheimer Antrieb der Selbstliebe
unter der bloßen Vorspiegelung jener Idee die eigentliche bestimmende Ursache
des Willens gewesen sei, dafür wir denn gerne uns mit einem uns fälschlich
angemaßten edlern Bewegungsgrunde schmeicheln, in der That aber selbst durch
die angestrengteste Prüfung hinter die geheimen Triebfedern niemals völlig
kommen können, weil, wenn vom moralischen Werthe die Rede ist, es nicht auf die
Handlungen ankommt, die man sieht, sondern auf jene innere Principien
derselben, die man nicht sieht.
Man
kann auch denen, die alle Sittlichkeit als bloßes Hirngespinst einer durch
Eigendünkel sich selbst übersteigenden menschlichen Einbildung verlachen,
keinen gewünschteren Dienst thun, als ihnen einzuräumen, daß die Begriffe der
Pflicht (so wie man sich auch aus Gemächlichkeit gerne überredet, daß es auch
mit allen übrigen Begriffen bewandt sei) lediglich aus der Erfahrung gezogen
werden mußten; denn da bereitet man jenen einen sichern Triumph. Ich will aus
Menschenliebe einräumen, daß noch die meisten unserer Handlungen pflichtmäßig
seien; sieht man aber ihr Tichten und Trachten näher an, so stößt man
allenthalben auf das liebe Selbst, was immer hervorsticht, worauf und nicht auf
das strenge Gebot der Pflicht, welches mehrmals Selbstverleugnung erfordern
würde, sich ihre Absicht stützt. Man braucht auch eben kein Feind der Tugend,
sondern nur ein kaltblütiger Beobachter zu sein, der den lebhaftesten Wunsch
für das Gute nicht sofort für dessen Wirklichkeit hält, um (vornehmlich mit
zunehmenden Jahren und einer durch Erfahrung theils gewitzigten, theils zum
Beobachten geschärften Urtheilskraft) in gewissen Augenblicken zweifelhaft zu
werden, ob auch wirklich in der Welt irgend wahre Tugend angetroffen werde. Und
hier kann uns nun nichts vor dem gänzlichen Abfall von unseren Ideen der
Pflicht bewahren und gegründete Achtung gegen ihr Gesetz in der Seele erhalten,
als die klare Überzeugung, daß, wenn es auch niemals Handlungen gegeben habe,
die aus solchen reinen Quellen |
IV408 entsprungen wären, dennoch hier auch
davon gar nicht die Rede sei, ob dies oder jenes geschehe, sondern die Vernunft
für sich selbst und unabhängig von allen Erscheinungen gebiete, was geschehen
soll, mithin Handlungen, von denen die Welt vielleicht bisher noch gar kein
Beispiel gegeben hat, an deren Thunlichkeit sogar der, so alles auf Erfahrung
gründet, sehr zweifeln möchte, dennoch durch Vernunft unnachlaßlich geboten
seien, und daß z.B. reine Redlichkeit in der Freundschaft um nichts weniger von
jedem Menschen gefordert werden könne, wenn es gleich bis jetzt gar keinen
redlichen Freund gegeben haben möchte, weil diese Pflicht als Pflicht überhaupt
vor aller Erfahrung in der Idee einer den Willen durch Gründe a priori bestimmenden
Vernunft liegt.
Setzt
man hinzu, daß, wenn man dem Begriffe von Sittlichkeit nicht gar alle Wahrheit
und Beziehung auf irgend ein mögliches Object bestreiten will, man nicht in Abrede
ziehen könne, daß sein Gesetz von so ausgebreiteter Bedeutung sei, daß es nicht
bloß für Menschen, sondern alle vernünftige Wesen überhaupt, nicht bloß unter
zufälligen Bedingungen und mit Ausnahmen, sondern schlechterdings nothwendig
gelten müsse: so ist klar, daß keine Erfahrung, auch nur auf die Möglichkeit
solcher apodiktischen Gesetze zu schließen, Anlaß geben könne. Denn mit welchem
Rechte können wir das, was vielleicht nur unter den zufälligen Bedingungen der
Menschheit gültig ist, als allgemeine Vorschrift für jede vernünftige Natur in
unbeschränkte Achtung bringen, und wie sollen Gesetze der Bestimmung unseres
Willens für Gesetze der Bestimmung des Willens eines vernünftigen Wesens
überhaupt und nur als solche auch für den unsrigen gehalten werden, wenn sie
bloß empirisch wären und nicht völlig a priori aus reiner, aber
praktischer Vernunft ihren Ursprung nähmen?
Man
könnte auch der Sittlichkeit nicht übler rathen, als wenn man sie von
Beispielen entlehnen wollte. Denn jedes Beispiel, was mir davon vorgestellt
wird, muß selbst zuvor nach Principien der Moralität beurtheilt werden, ob es
auch würdig sei, zum ursprünglichen Beispiele, d.i. zum Muster, zu dienen,
keinesweges aber kann es den Begriff derselben zu oberst an die Hand geben.
Selbst der Heilige des Evangelii muß zuvor mit unserm Ideal der sittlichen
Vollkommenheit verglichen werden, ehe man ihn dafür erkennt; auch sagt er von
sich selbst: was nennt ihr mich (den ihr sehet) gut? niemand ist gut (das
Urbild des Guten) als der einige Gott (den ihr nicht sehet). Woher haben wir
aber den Begriff von Gott |
IV409 als dem höchsten Gut? Lediglich aus
der Idee, die die Vernunft a priori von sittlicher Vollkommenheit
entwirft und mit dem Begriffe eines freien Willens unzertrennlich verknüpft.
Nachahmung findet im Sittlichen gar nicht statt, und Beispiele dienen nur zur
Aufmunterung, d.i. sie setzen die Thunlichkeit dessen, was das Gesetz gebietet,
außer Zweifel, sie machen das, was die praktische Regel allgemeiner ausdrückt,
anschaulich, können aber niemals berechtigen, ihr wahres Original, das in der
Vernunft liegt, bei Seite zu setzen und sich nach Beispielen zu richten.
Wenn
es denn keinen ächten obersten Grundsatz der Sittlichkeit giebt, der nicht
unabhängig von aller Erfahrung bloß auf reiner Vernunft beruhen müßte, so
glaube ich, es sei nicht nöthig, auch nur zu fragen, ob es gut sei, diese
Begriffe, so wie sie sammt den ihnen zugehörigen Principien a priori feststehen,
im Allgemeinen (in abstracto) vorzutragen, wofern das Erkenntniß
sich vom gemeinen unterscheiden und philosophisch heißen soll. Aber in unsern
Zeiten möchte dieses wohl nöthig sein. Denn wenn man Stimmen sammelte, ob reine
von allem Empirischen abgesonderte Vernunfterkenntniß, mithin Metaphysik der
Sitten, oder populäre praktische Philosophie vorzuziehen sei, so erräth man
bald, auf welche Seite das Übergewicht fallen werde.
Diese
Herablassung zu Volksbegriffen ist allerdings sehr rühmlich, wenn die Erhebung
zu den Principien der reinen Vernunft zuvor geschehen und zur völligen
Befriedigung erreicht ist, und das würde heißen, die Lehre der Sitten zuvor auf
Metaphysik gründen, ihr aber, wenn sie fest steht, nachher durch Popularität
Eingang verschaffen. Es ist aber äußerst ungereimt, dieser in der ersten
Untersuchung, worauf alle Richtigkeit der Grundsätze ankommt, schon willfahren
zu wollen. Nicht allein daß dieses Verfahren auf das höchst seltene Verdienst
einer wahren philosophischen Popularität niemals Anspruch machen kann, indem es
gar keine Kunst ist, gemeinverständlich zu sein, wenn man dabei auf alle
gründliche Einsicht Verzicht thut, so bringt es einen ekelhaften Mischmasch von
zusammengestoppelten Beobachtungen und halbvernünftelnden Principien zum
Vorschein, daran sich schale Köpfe laben, weil es doch etwas gar Brauchbares
fürs alltägliche Geschwätz ist, wo Einsehende aber Verwirrung fühlen und
unzufrieden, ohne sich doch helfen zu können, ihre Augen wegwenden, obgleich
Philosophen, die das Blendwerk ganz wohl durchschauen, wenig Gehör finden, wenn
sie auf einige Zeit von der vorgeb|lichen
IV410 Popularität abrufen, um nur allererst
nach erworbener bestimmter Einsicht mit Recht populär sein zu dürfen.
Man
darf nur die Versuche über die Sittlichkeit in jenem beliebten Geschmacke
ansehen, so wird man bald die besondere Bestimmung der menschlichen Natur
(mitunter aber auch die Idee von einer vernünftigen Natur überhaupt), bald
Vollkommenheit, bald Glückseligkeit, hier moralisches Gefühl, dort
Gottesfurcht, von diesem etwas, von jenem auch etwas in wunderbarem Gemische
antreffen, ohne daß man sich einfallen läßt zu fragen, ob auch überall in der
Kenntniß der menschlichen Natur (die wir doch nur von der Erfahrung herhaben
können) die Principien der Sittlichkeit zu suchen seien, und, wenn dieses nicht
ist, wenn die letztere völlig a priori, frei von allem Empirischen,
schlechterdings in reinen Vernunftbegriffen und nirgend anders auch nicht dem
mindesten Theile nach anzutreffen sind, den Anschlag zu fassen, diese
Untersuchung als reine praktische Weltweisheit, oder (wenn man einen so
verschrieenen Namen nennen darf) als Metaphysik*[1] der Sitten lieber ganz abzusondern, sie für sich
allein zu ihrer ganzen Vollständigkeit zu bringen und das Publicum, das
Popularität verlangt, bis zum Ausgange dieses Unternehmens zu vertrösten.
Es ist
aber eine solche völlig isolirte Metaphysik der Sitten, die mit keiner
Anthropologie, mit keiner Theologie, mit keiner Physik oder Hyperphysik, noch
weniger mit verborgenen Qualitäten (die man hypophysisch nennen könnte)
vermischt ist, nicht allein ein unentbehrliches Substrat aller theoretischen,
sicher bestimmten Erkenntniß der Pflichten, sondern zugleich ein Desiderat von
der höchsten Wichtigkeit zur wirklichen Vollziehung ihrer Vorschriften. Denn
die reine und mit keinem fremden Zusatze von empirischen Anreizen vermischte
Vorstellung der Pflicht und überhaupt des sittlichen Gesetzes hat auf das
menschliche Herz durch den Weg der Vernunft allein (die hiebei zuerst inne
wird, daß sie für sich selbst auch praktisch sein kann) einen so viel
mächtigern Einfluß, als alle andere Trieb|federn*[2], |
IV411 die man aus dem empirischen Felde
aufbieten mag, daß sie im Bewußtsein ihrer Würde die letzteren verachtet und
nach und nach ihr Meister werden kann; an dessen Statt eine vermischte
Sittenlehre, die aus Triebfedern von Gefühlen und Neigungen und zugleich aus
Vernunftbegriffen zusammengesetzt ist, das Gemüth zwischen Bewegursachen, die
sich unter kein Princip bringen lassen, die nur sehr zufällig zum Guten, öfters
aber auch zum Bösen leiten können, schwankend machen muß.
Aus
dem Angeführten erhellt: daß alle sittliche Begriffe völlig a priori in
der Vernunft ihren Sitz und Ursprung haben und dieses zwar in der gemeinsten
Menschenvernunft eben sowohl, als der im höchsten Maße speculativen; daß sie
von keinem empirischen und darum bloß zufälligen Erkenntnisse abstrahirt werden
können; daß in dieser Reinigkeit ihres Ursprungs eben ihre Würde liege, um uns
zu obersten praktischen Principien zu dienen; daß man jedesmal so viel, als man
Empirisches hinzu thut, so viel auch ihrem ächten Einflusse und dem
uneingeschränkten Werthe der Handlungen entziehe; daß es nicht allein die
größte Nothwendigkeit in theoretischer Absicht, wenn es bloß auf Speculation
ankommt, erfordere, sondern auch von der größten praktischen Wichtigkeit sei,
ihre Begriffe und Gesetze aus reiner Vernunft zu schöpfen, rein und unvermengt
vorzutragen, ja den Umfang dieses ganzen praktischen oder reinen
Vernunfterkenntnisses, d.i. das ganze Vermögen der reinen praktischen Vernunft,
zu bestimmen, hierin aber nicht, wie es wohl die speculative Philosophie
erlaubt, ja gar bisweilen nothwendig findet, die Principien von der beson|dern
IV412 Natur der menschlichen Vernunft
abhängig zu machen, sondern darum, weil moralische Gesetze für jedes
vernünftige Wesen überhaupt gelten sollen, sie schon aus dem allgemeinen
Begriffe eines vernünftigen Wesens überhaupt abzuleiten und auf solche Weise
alle Moral, die zu ihrer Anwendung auf Menschen der Anthropologie bedarf,
zuerst unabhängig von dieser als reine Philosophie, d.i. als Metaphysik,
vollständig (welches sich in dieser Art ganz abgesonderter Erkenntnisse wohl
thun läßt) vorzutragen, wohl bewußt, daß es, ohne im Besitze derselben zu sein,
vergeblich sei, ich will nicht sagen, das Moralische der Pflicht in allem, was
pflichtmäßig ist, genau für die speculative Beurtheilung zu bestimmen, sondern
sogar im bloß gemeinen und praktischen Gebrauche, vornehmlich der moralischen
Unterweisung, unmöglich sei, die Sitten auf ihre ächte Principien zu gründen
und dadurch reine moralische Gesinnungen zu bewirken und zum höchsten
Weltbesten den Gemüthern einzupfropfen.
Um
aber in dieser Bearbeitung nicht bloß von der gemeinen sittlichen Beurtheilung
(die hier sehr achtungswürdig ist) zur philosophischen, wie sonst geschehen
ist, sondern von einer populären Philosophie, die nicht weiter geht, als sie
durch Tappen vermittelst der Beispiele kommen kann, bis zur Metaphysik (die
sich durch nichts Empirisches weiter zurückhalten läßt und, indem sie den
ganzen Inbegriff der Vernunfterkenntniß dieser Art ausmessen muß, allenfalls
bis zu Ideen geht, wo selbst die Beispiele uns verlassen) durch die natürlichen
Stufen fortzuschreiten, müssen wir das praktische Vernunftvermögen von seinen
allgemeinen Bestimmungsregeln an bis dahin, wo aus ihm der Begriff der Pflicht
entspringt, verfolgen und deutlich darstellen.
Ein
jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das
Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d.i. nach Principien, zu handeln,
oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft
erfordert wird, so ist der Wille nichts anders als praktische Vernunft. Wenn
die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt, so sind die Handlungen eines
solchen Wesens, die als objectiv nothwendig erkannt werden, auch subjectiv
nothwendig, d.i. der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die
Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch nothwendig, d.i. als gut,
erkennt. Bestimmt aber die Vernunft für sich allein den Willen nicht
hinlänglich, ist dieser noch subjectiven Bedingungen (gewissen Triebfedern)
unterworfen, die nicht immer mit den objectiven übereinstimmen; mit |
IV413 einem Worte, ist der Wille nicht an
sich völlig der Vernunft gemäß (wie es bei Menschen wirklich ist): so sind die
Handlungen, die objectiv als nothwendig erkannt werden, subjectiv zufällig, und
die Bestimmung eines solchen Willens objectiven Gesetzen gemäß ist Nöthigung;
d.i. das Verhältniß der objectiven Gesetze zu einem nicht durchaus guten Willen
wird vorgestellt als die Bestimmung des Willens eines vernünftigen Wesens zwar
durch Gründe der Vernunft, denen aber dieser Wille seiner Natur nach nicht
nothwendig folgsam ist.
Die
Vorstellung eines objectiven Princips, sofern es für einen Willen nöthigend
ist, heißt ein Gebot (der Vernunft), und die Formel des Gebots heißt Imperativ.
Alle
Imperativen werden durch ein Sollen ausgedrückt und zeigen dadurch das
Verhältniß eines objectiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an, der
seiner subjectiven Beschaffenheit nach dadurch nicht nothwendig bestimmt wird
(eine Nöthigung). Sie sagen, daß etwas zu thun oder zu unterlassen gut sein
würde, allein sie sagen es einem Willen, der nicht immer darum etwas thut, weil
ihm vorgestellt wird, daß es zu thun gut sei. Praktisch gut ist aber, was
vermittelst der Vorstellungen der Vernunft, mithin nicht aus subjectiven
Ursachen, sondern objectiv, d.i. aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen
als ein solches gültig sind, den Willen bestimmt. Es wird vom Angenehmen
unterschieden als demjenigen, was nur vermittelst der Empfindung aus bloß
subjectiven Ursachen, die nur für dieses oder jenes seinen Sinn gelten, und
nicht als Princip der Vernunft, das für jedermann gilt, auf den Willen Einfluß
hat*[3].
IV414 Ein vollkommen guter Wille würde also
eben sowohl unter objectiven Gesetzen (des Guten) stehen, aber nicht dadurch
als zu gesetzmäßigen Handlungen genöthigt vorgestellt werden können, weil er
von selbst nach seiner subjectiven Beschaffenheit nur durch die Vorstellung des
Guten bestimmt werden kann. Daher gelten für den göttlichen und überhaupt für
einen heiligen Willen keine Imperativen; das Sollen ist hier am unrechten Orte,
weil das Wollen schon von selbst mit dem Gesetz nothwendig einstimmig ist.
Daher sind Imperativen nur Formeln, das Verhältniß objectiver Gesetze des
Wollens überhaupt zu der subjectiven Unvollkommenheit des Willens dieses oder
jenes vernünftigen Wesens, z.B. des menschlichen Willens, auszudrücken.
Alle
Imperativen nun gebieten entweder hypothetisch, oder kategorisch. Jene stellen
die praktische Nothwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas
anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen
vor. Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für
sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objectiv-nothwendig
vorstellte.
Weil
jedes praktische Gesetz eine mögliche Handlung als gut und darum für ein durch
Vernunft praktisch bestimmbares Subject als nothwendig vorstellt, so sind alle
Imperativen Formeln der Bestimmung der Handlung, die nach dem Princip eines in
irgend einer Art guten Willens nothwendig ist. Wenn nun die Handlung bloß wozu
anders als Mittel gut sein würde, so ist der Imperativ hypothetisch; wird sie
als an sich gut vorgestellt, mithin als nothwendig in einem an sich der
Vernunft gemäßen Willen, als Princip desselben, so ist er kategorisch.
Der
Imperativ sagt also, welche durch mich mögliche Handlung gut wäre, und stellt
die praktische Regel in Verhältniß auf einen Willen vor, der darum nicht sofort
eine Handlung thut, weil sie gut ist, theils weil das Subject nicht immer weiß,
daß sie gut sei, theils weil, wenn es dieses auch wüßte, die Maximen desselben
doch den objectiven Principien einer praktischen Vernunft zuwider sein könnten.
Der
hypothetische Imperativ sagt also nur, daß die Handlung zu irgend einer
möglichen oder wirklichen Absicht gut sei. Im erstern |
IV415 Falle ist er ein problematisch-, im
zweiten assertorisch- praktisches Princip. Der kategorische Imperativ,
der die Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht, d.i. auch ohne irgend
einen andern Zweck, für sich als objectiv nothwendig erklärt, gilt als ein apodiktisch-praktisches
Princip.
Man
kann sich das, was nur durch Kräfte irgend eines vernünftigen Wesens möglich
ist, auch für irgend einen Willen als mögliche Absicht denken, und daher sind
der Principien der Handlung, so fern diese als nothwendig vorgestellt wird, um
irgend eine dadurch zu bewirkende mögliche Absicht zu erreichen, in der That
unendlich viel. Alle Wissenschaften haben irgend einen praktischen Theil, der
aus Aufgaben besteht, daß irgend ein Zweck für uns möglich sei, und aus
Imperativen, wie er erreicht werden könne. Diese können daher überhaupt
Imperativen der Geschicklichkeit heißen. Ob der Zweck vernünftig und gut
sei, davon ist hier gar nicht die Frage, sondern nur was man thun müsse, um ihn
zu erreichen. Die Vorschriften für den Arzt, um seinen Mann auf gründliche Art
gesund zu machen, und für einen Giftmischer, um ihn sicher zu tödten, sind in
so fern von gleichem Werth, als eine jede dazu dient, ihre Absicht vollkommen
zu bewirken. Weil man in der frühen Jugend nicht weiß, welche Zwecke uns im
Leben aufstoßen dürften, so suchen Eltern vornehmlich ihre Kinder recht
vielerlei lernen zu lassen und sorgen für die Geschicklichkeit im Gebrauch der
Mittel zu allerlei beliebigen Zwecken, von deren keinem sie bestimmen können,
ob er etwa wirklich künftig eine Absicht ihres Zöglings werden könne, wovon es
indessen doch möglich ist, daß er sie einmal haben möchte, und diese Sorgfalt
ist so groß, daß sie darüber gemeiniglich verabsäumen, ihnen das Urtheil über
den Werth der Dinge, die sie sich etwa zu Zwecken machen möchten, zu bilden und
zu berichtigen.
Es ist
gleichwohl ein Zweck, den man bei allen vernünftigen Wesen (so fern Imperative
auf sie, nämlich als abhängige Wesen, passen) als wirklich voraussetzen kann,
und also eine Absicht, die sie nicht etwa bloß haben können, sondern von der
man sicher voraussetzen kann, daß sie solche insgesammt nach einer Naturnothwendigkeit
haben, und das ist die Absicht auf Glückseligkeit. Der hypothetische Imperativ,
der die praktische Nothwendigkeit der Handlung als Mittel zur Beförderung der
Glückseligkeit vorstellt, ist assertorisch. Man darf ihn nicht bloß als
nothwendig zu einer ungewissen, bloß möglichen Absicht vortragen, sondern zu
einer Absicht, die man sicher und a priori bei jedem Menschen
voraussetzen kann, |
IV416 weil sie zu seinem Wesen gehört. Nun
kann man die Geschicklichkeit in der Wahl der Mittel zu seinem eigenen größten
Wohlsein Klugheit*[4] im engsten Verstande nennen. Also ist
der Imperativ, der sich auf die Wahl der Mittel zur eigenen Glückseligkeit
bezieht, d.i. die Vorschrift der Klugheit, noch immer hypothetisch; die
Handlung wird nicht schlechthin, sondern nur als Mittel zu einer andern Absicht
geboten.
Endlich
giebt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch ein gewisses
Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses
Verhalten unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist kategorisch. Er
betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr erfolgen soll,
sondern die Form und das Princip, woraus sie selbst folgt, und das
Wesentlich-Gute derselben besteht in der Gesinnung, der Erfolg mag sein,
welcher er wolle. Dieser Imperativ mag der der Sittlichkeit heißen.
Das
Wollen nach diesen dreierlei Principien wird auch durch die Ungleichheit der
Nöthigung des Willens deutlich unterschieden. Um diese nun auch merklich zu
machen, glaube ich, daß man sie in ihrer Ordnung am angemessensten so benennen
würde, wenn man sagte: sie wären entweder Regeln der Geschicklichkeit, oder
Rathschläge der Klugheit, oder Gebote (Gesetze) der Sittlichkeit. Denn nur das
Gesetz führt den Begriff einer unbedingten und zwar objectiven und mithin
allgemein gültigen Nothwendigkeit bei sich, und Gebote sind Gesetze, denen
gehorcht, d.i. auch wider Neigung Folge geleistet, werden muß. Die Rathgebung
enthält zwar Nothwendigkeit, die aber bloß unter subjectiver zufälliger
Bedingung, ob dieser oder jener Mensch dieses oder jenes zu seiner
Glückseligkeit zähle, gelten kann; dagegen der kategorische Imperativ durch
keine Bedingung eingeschränkt wird und als absolut-, obgleich
praktisch-nothwendig ganz eigentlich ein Gebot heißen kann. Man könnte die
ersteren Imperative auch technisch (zur Kunst gehörig), die |
IV417 zweiten pragmatisch*[5] (zur Wohlfahrt), die dritten moralisch (zum freien
Verhalten überhaupt, d.i. zu den Sitten gehörig) nennen.
Nun
entsteht die Frage: wie sind alle diese Imperative möglich? Diese Frage
verlangt nicht zu wissen, wie die Vollziehung der Handlung, welche der
Imperativ gebietet, sondern wie bloß die Nöthigung des Willens, die der
Imperativ in der Aufgabe ausdrückt, gedacht werden könne. Wie ein Imperativ der
Geschicklichkeit möglich sei, bedarf wohl keiner besondern Erörterung. Wer den
Zweck will, will (so fern die Vernunft auf seine Handlungen entscheidenden
Einfluß hat) auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mittel, das in seiner
Gewalt ist. Dieser Satz ist, was das Wollen betrifft, analytisch; denn in dem
Wollen eines Objects als meiner Wirkung wird schon meine Causalität als
handelnde Ursache, d.i. der Gebrauch der Mittel, gedacht, und der Imperativ
zieht den Begriff nothwendiger Handlungen zu diesem Zwecke schon aus dem
Begriff eines Wollens dieses Zwecks heraus (die Mittel selbst zu einer
vorgesetzten Absicht zu bestimmen, dazu gehören allerdings synthetische Sätze,
die aber nicht den Grund betreffen, den Actus des Willens, sondern das Object
wirklich zu machen). Daß, um eine Linie nach einem sichern Princip in zwei
gleiche Theile zu theilen, ich aus den Enden derselben zwei Kreuzbogen machen
müsse, das lehrt die Mathematik freilich nur durch synthetische Sätze; aber
daß, wenn ich weiß, durch solche Handlung allein könne die gedachte Wirkung
geschehen, ich, wenn ich die Wirkung vollständig will, auch die Handlung wolle,
die dazu erforderlich ist, ist ein analytischer Satz; denn etwas als eine auf
gewisse Art durch mich mögliche Wirkung und mich in Ansehung ihrer auf dieselbe
Art handelnd vorstellen, ist ganz einerlei.
Die
Imperativen der Klugheit würden, wenn es nur so leicht wäre, einen bestimmten
Begriff von Glückseligkeit zu geben, mit denen der Geschicklichkeit ganz und
gar übereinkommen und eben sowohl analytisch sein. Denn es würde eben sowohl
hier als dort heißen: wer den Zweck will, will auch (der Vernunft gemäß
nothwendig) die einzigen Mittel, die dazu in |
IV418 seiner Gewalt sind. Allein es ist ein
Unglück, daß der Begriff der Glückseligkeit ein so unbestimmter Begriff ist,
daß, obgleich jeder Mensch zu dieser zu gelangen wünscht, er doch niemals
bestimmt und mit sich selbst einstimmig sagen kann, was er eigentlich wünsche
und wolle. Die Ursache davon ist: daß alle Elemente, die zum Begriff der
Glückseligkeit gehören, insgesammt empirisch sind, d.i. aus der Erfahrung
müssen entlehnt werden, daß gleichwohl zur Idee der Glückseligkeit ein
absolutes Ganze, ein Maximum des Wohlbefindens, in meinem gegenwärtigen und
jedem zukünftigen Zustande erforderlich ist. Nun ists unmöglich, daß das
einsehendste und zugleich allervermögendste, aber doch endliche Wesen sich
einen bestimmten Begriff von dem mache, was er hier eigentlich wolle. Will er
Reichthum, wie viel Sorge, Neid und Nachstellung könnte er sich dadurch nicht
auf den Hals ziehen! Will er viel Erkenntniß und Einsicht, vielleicht könnte
das ein nur um desto schärferes Auge werden, um die Übel, die sich für ihn
jetzt noch verbergen und doch nicht vermieden werden können, ihm nur um desto
schrecklicher zu zeigen, oder seinen Begierden, die ihm schon genug zu schaffen
machen, noch mehr Bedürfnisse aufzubürden. Will er ein langes Leben, wer steht
ihm dafür, daß es nicht ein langes Elend sein würde? Will er wenigstens
Gesundheit, wie oft hat noch Ungemächlichkeit des Körpers von Ausschweifung
abgehalten, darein unbeschränkte Gesundheit würde haben fallen lassen, u.s.w.
Kurz, er ist nicht vermögend, nach irgend einem Grundsatze mit völliger
Gewißheit zu bestimmen, was ihn wahrhaftig glücklich machen werde, darum weil
hiezu Allwissenheit erforderlich sein würde. Man kann also nicht nach
bestimmten Principien handeln, um glücklich zu sein, sondern nur nach
empirischen Rathschlägen, z.B. der Diät, der Sparsamkeit, der Höflichkeit, der
Zurückhaltung u.s.w., von welchen die Erfahrung lehrt, daß sie das Wohlbefinden
im Durchschnitt am meisten befördern. Hieraus folgt, daß die Imperativen der
Klugheit, genau zu reden, gar nicht gebieten, d.i. Handlungen objectiv als
praktisch-nothwendig darstellen, können, daß sie eher für Anrathungen (consilia)
als Gebote (praecepta) der Vernunft zu halten sind, daß die
Aufgabe: sicher und allgemein zu bestimmen, welche Handlung die Glückseligkeit
eines vernünftigen Wesens befördern werde, völlig unauflöslich, mithin kein
Imperativ in Ansehung derselben möglich sei, der im strengen Verstande geböte,
das zu thun, was glücklich macht, weil Glückseligkeit nicht ein Ideal der
Vernunft, sondern der Einbildungskraft ist, was bloß auf empirischen Gründen
beruht, von denen man ver|geblich
IV419 erwartet, daß sie eine Handlung
bestimmen sollten, dadurch die Totalität einer in der That unendlichen Reihe
von Folgen erreicht würde. Dieser Imperativ der Klugheit würde indessen, wenn
man annimmt, die Mittel zur Glückseligkeit ließen sich sicher angeben, ein
analytisch-praktischer Satz sein; denn er ist von dem Imperativ der
Geschicklichkeit nur darin unterschieden, daß bei diesem der Zweck bloß
möglich, bei jenem aber gegeben ist; da beide aber bloß die Mittel zu
demjenigen gebieten, von dem man voraussetzt, daß man es als Zweck wollte: so
ist der Imperativ, der das Wollen der Mittel für den, der den Zweck will,
gebietet, in beiden Fällen analytisch. Es ist also in Ansehung der Möglichkeit
eines solchen Imperativs auch keine Schwierigkeit.
Dagegen,
wie der Imperativ der Sittlichkeit möglich sei, ist ohne Zweifel die einzige
einer Auflösung bedürftige Frage, da er gar nicht hypothetisch ist und also die
objectiv-vorgestellte Nothwendigkeit sich auf keine Voraussetzung stützen kann,
wie bei den hypothetischen Imperativen. Nur ist immer hiebei nicht aus der Acht
zu lassen, daß es durch kein Beispiel, mithin empirisch, auszumachen sei, ob es
überall irgend einen dergleichen Imperativ gebe, sondern zu besorgen, daß alle,
die kategorisch scheinen, doch versteckter Weise hypothetisch sein mögen. Z.B.
wenn es heißt: du sollst nichts betrüglich versprechen, und man nimmt an, daß
die Nothwendigkeit dieser Unterlassung nicht etwa bloße Rathgebung zu
Vermeidung irgend eines andern Übels sei, so daß es etwa hieße: du sollst nicht
lügenhaft versprechen, damit du nicht, wenn es offenbar wird, dich um den
Credit bringest; sondern eine Handlung dieser Art müsse für sich selbst als
böse betrachtet werden, der Imperativ des Verbots sei also kategorisch: so kann
man doch in keinem Beispiel mit Gewißheit darthun, daß der Wille hier ohne
andere Triebfeder, bloß durchs Gesetz, bestimmt werde, ob es gleich so scheint;
denn es ist immer möglich, daß ingeheim Furcht vor Beschämung, vielleicht auch
dunkle Besorgniß anderer Gefahren Einfluß auf den Willen haben möge. Wer kann
das Nichtsein einer Ursache durch Erfahrung beweisen, da diese nichts weiter
lehrt, als daß wir jene nicht wahrnehmen? Auf solchen Fall aber würde der
sogenannte moralische Imperativ, der als ein solcher kategorisch und unbedingt
erscheint, in der That nur eine pragmatische Vorschrift sein, die uns auf
unsern Vortheil aufmerksam macht und uns bloß lehrt, diesen in Acht zu nehmen.
Wir
werden also die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs gänzlich a priori
zu untersuchen haben, da uns hier der Vortheil nicht zu |
IV420 statten kommt, daß die Wirklichkeit
desselben in der Erfahrung gegeben und also die Möglichkeit nicht zur
Festsetzung, sondern bloß zur Erklärung nöthig wäre. So viel ist indessen
vorläufig einzusehen: daß der kategorische Imperativ allein als ein praktisches
Gesetz laute, die übrigen insgesammt zwar Principien des Willens, aber
nicht Gesetze heißen können: weil, was bloß zur Erreichung einer beliebigen
Absicht zu thun nothwendig ist, an sich als zufällig betrachtet werden kann,
und wir von der Vorschrift jederzeit los sein können, wenn wir die Absicht
aufgeben, dahingegen das unbedingte Gebot dem Willen kein Belieben in Ansehung
des Gegentheils frei läßt, mithin allein diejenige Nothwendigkeit bei sich führt,
welche wir zum Gesetze verlangen.
Zweitens
ist bei diesem kategorischen Imperativ oder Gesetze der Sittlichkeit der Grund
der Schwierigkeit (die Möglichkeit desselben einzusehen) auch sehr groß. Er ist
ein synthetisch-praktischer Satz*[6]) a priori, und da die Möglichkeit der Sätze dieser Art einzusehen
so viel Schwierigkeit im theoretischen Erkenntnisse hat, so läßt sich leicht
abnehmen, daß sie im praktischen nicht weniger haben werde.
Bei
dieser Aufgabe wollen wir zuerst versuchen, ob nicht vielleicht der bloße
Begriff eines kategorischen Imperativs auch die Formel desselben an die Hand
gebe, die den Satz enthält, der allein ein kategorischer Imperativ sein kann;
denn wie ein solches absolutes Gebot möglich sei, wenn wir auch gleich wissen,
wie es lautet, wird noch besondere und schwere Bemühung erfordern, die wir aber
zum letzten Abschnitte aussetzen.
Wenn
ich mir einen hypothetischen Imperativ überhaupt denke, so weiß ich nicht zum
voraus, was er enthalten werde: bis mir die Bedingung gegeben ist. Denke ich
mir aber einen kategorischen Imperativ, so weiß ich sofort, was er enthalte.
Denn da der Imperativ außer dem Gesetze nur die Nothwendigkeit der Maxime**[7] enthält, diesem Gesetze |
IV421 gemäß zu sein, das Gesetz aber keine
Bedingung enthält, auf die es eingeschränkt war, so bleibt nichts als die
Allgemeinheit eines Gesetztes überhaupt übrig, welchem die Maxime der Handlung
gemäß sein soll, und welche Gemäßheit allein der Imperativ eigentlich als
nothwendig vorstellt.
Der
kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur
nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein
allgemeines Gesetz werde.
Wenn
nun aus diesem einigen Imperativ alle Imperativen der Pflicht als aus ihrem
Princip abgeleitet werden können, so werden wir, ob wir es gleich unausgemacht
lassen, ob nicht überhaupt das, was man Pflicht nennt, ein leerer Begriff sei,
doch wenigstens anzeigen können, was wir dadurch denken und was dieser Begriff
sagen wolle.
Weil
die Allgemeinheit des Gesetzes, wornach Wirkungen geschehen, dasjenige
ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstande (der Form nach), d.i.
das Dasein der Dinge, heißt, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist,
so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten: handle so, als
ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen
Naturgesetze werden sollte.
Nun
wollen wir einige Pflichten herzählen nach der gewöhnlichen Eintheilung
derselben in Pflichten gegen uns selbst und gegen andere Menschen, in
vollkommene und unvollkommene Pflichten.*[8]
1)
Einer, der durch eine Reihe von Übeln, die bis zur Hoffnungslosigkeit
angewachsen ist, einen Überdruß am Leben empfindet, ist noch |
IV422 so weit im Besitze seiner Vernunft,
daß er sich selbst fragen kann, ob es auch nicht etwa der Pflicht gegen sich
selbst zuwider sei, sich das Leben zu nehmen. Nun versucht er: ob die Maxime
seiner Handlung wohl ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Seine Maxime
aber ist: ich mache es mir aus Selbstliebe zum Princip, wenn das Leben bei
seiner längern Frist mehr Übel droht, als es Annehmlichkeit verspricht, es mir
abzukürzen. Es frägt sich nur noch, ob dieses Princip der Selbstliebe ein
allgemeines Naturgesetz werden könne. Da sieht man aber bald, daß eine Natur,
deren Gesetzes wäre, durch dieselbe Empfindung, deren Bestimmung es ist, zur
Beförderung des Lebens anzutreiben, das Leben selbst zu zerstören, ihr selbst
widersprechen und also nicht als Natur bestehen würde, mithin jene Maxime
unmöglich als allgemeines Naturgesetz stattfinden könne und folglich dem
obersten Princip aller Pflicht gänzlich widerstreite.
2) Ein
anderer sieht sich durch Noth gedrungen, Geld zu borgen. Er weiß wohl, daß er
nicht wird bezahlen können, sieht aber auch, daß ihm nichts geliehen werden
wird, wenn er nicht festiglich verspricht, es zu einer bestimmten Zeit zu
bezahlen. Er hat Lust, ein solches Versprechen zu thun; noch aber hat er so
viel Gewissen, sich zu fragen: ist es nicht unerlaubt und pflichtwidrig, sich
auf solche Art aus Noth zu helfen? Gesetzt, er beschlösse es doch, so würde
seine Maxime der Handlung so lauten: wenn ich mich in Geldnoth zu sein glaube,
so will ich Geld borgen und versprechen es zu bezahlen, ob ich gleich weiß, es
werde niemals geschehen. Nun ist dieses Princip der Selbstliebe oder der
eigenen Zuträglichkeit mit meinem ganzen künftigen Wohlbefinden vielleicht wohl
zu vereinigen, allein jetzt ist die Frage: ob es recht sei. Ich verwandle also
die Zumuthung der Selbstliebe in ein allgemeines Gesetz und richte die Frage so
ein: wie es dann stehen würde, wenn meine Maxime ein allgemeines Gesetz würde.
Da sehe ich nun sogleich, daß sie niemals als allgemeines Naturgesetz gelten
und mit sich selbst zusammenstimmen könne, sondern sich nothwendig
widersprechen müsse. Denn die Allgemeinheit eines Gesetzes, daß jeder, nachdem
er in Noth zu sein glaubt, versprechen könne, was ihm einfällt, mit dem
Vorsatz, es nicht zu halten, würde das Versprechen und den Zweck, den man damit
haben mag, selbst unmöglich machen, indem niemand glauben würde, daß ihm was
versprochen sei, sondern über alle solche Äußerung als eitles Vorgeben lachen
würde.
3) Ein
dritter findet in sich ein Talent, welches vermittelst einiger |
IV423 Cultur ihn zu einem in allerlei
Absicht brauchbaren Menschen machen könnte. Er sieht sich aber in bequemen
Umständen und zieht vor, lieber dem Vergnügen nachzuhängen, als sich mit
Erweiterung und Verbesserung seiner glücklichen Naturanlagen zu bemühen. Noch
frägt er aber: ob außer der Übereinstimmung, die seine Maxime der Verwahrlosung
seiner Naturgaben mit seinem Hange zur Ergötzlichkeit an sich hat, sie auch mit
dem, was man Pflicht nennt, übereinstimme. Da sieht er nun, daß zwar eine Natur
nach einem solchen allgemeinen Gesetze immer noch bestehen könne, obgleich der
Mensch (so wie die Südsee-Einwohner) sein Talent rosten ließe und sein Leben
bloß auf Müßiggang, Ergötzlichkeit, Fortpflanzung, mit einem Wort auf Genuß zu
verwenden bedacht wäre; allein er kann unmöglich wollen, daß dieses ein
allgemeines Naturgesetz werde, oder als ein solches in uns durch Naturinstinct
gelegt sei. Denn als ein vernünftiges Wesen will er nothwendig, daß alle
Vermögen in ihm entwickelt werden, weil sie ihm doch zu allerlei möglichen
Absichten dienlich und gegeben sind.
Noch
denkt ein vierter, dem es wohl geht, indessen er sieht, daß andere mit großen
Mühseligkeiten zu kämpfen haben (denen er auch wohl helfen könnte): was gehts
mich an? mag doch ein jeder so glücklich sein, als es der Himmel will, oder er
sich selbst machen kann, ich werde ihm nichts entziehen, ja nicht einmal
beneiden; nur zu seinem Wohlbefinden oder seinem Beistande in der Noth habe ich
nicht Lust etwas beizutragen! Nun könnte allerdings, wenn eine solche
Denkungsart ein allgemeines Naturgesetz würde, das menschliche Geschlecht gar
wohl bestehen und ohne Zweifel noch besser, als wenn jedermann von Theilnehmung
und Wohlwollen schwatzt, auch sich beeifert, gelegentlich dergleichen
auszuüben, dagegen aber auch, wo er nur kann, betrügt, das Recht der Menschen
verkauft, oder ihm sonst Abbruch thut. Aber obgleich es möglich ist, daß nach
jener Maxime ein allgemeines Naturgesetz wohl bestehen könnte: so ist es doch
unmöglich, zu wollen, daß ein solches Princip als Naturgesetz
allenthalben gelte. Denn ein Wille, der dieses beschlösse, würde sich selbst
widerstreiten, indem der Fälle sich doch manche eräugnen können, wo er anderer
Liebe und Theilnehmung bedarf, und wo er durch ein solches aus seinem eigenen
Willen entsprungenes Naturgesetz sich selbst alle Hoffnung des Beistandes, den
er sich wünscht, rauben würde.
Dieses
sind nun einige von den vielen wirklichen oder wenigstens von uns dafür
gehaltenen Pflichten, deren Abtheilung aus dem einigen ange|führten
IV424 Princip klar in die Augen fällt. Man
muß wollen können, daß eine Maxime unserer Handlung ein allgemeines Gesetz
werde: dies ist der Kanon der moralischen Beurtheilung derselben überhaupt.
Einige Handlungen sind so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht
einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, daß man
noch wollen könne, es sollte ein solches werden. Bei andern ist zwar jene
innere Unmöglichkeit nicht anzutreffen, aber es ist doch unmöglich, zu wollen,
daß ihre Maxime zur Allgemeinheit eines Naturgesetzes erhoben werde, weil ein solcher
Wille sich selbst widersprechen würde. Man sieht leicht: daß die erstere der
strengen oder engeren (unnachlaßlichen) Pflicht, die zweite nur der weiteren
(verdienstlichen) Pflicht widerstreite, und so alle Pflichten, was die Art der
Verbindlichkeit (nicht das Object ihrer Handlung) betrifft, durch diese
Beispiele in ihrer Abhängigkeit von dem einigen Princip vollständig aufgestellt
worden.
Wenn
wir nun auf uns selbst bei jeder Übertretung einer Pflicht Acht haben, so
finden wir, daß wir wirklich nicht wollen, es solle unsere Maxime ein
allgemeines Gesetz werden, denn das ist uns unmöglich, sondern das Gegentheil
derselben soll vielmehr allgemein ein Gesetz bleiben; nur nehmen wir uns die
Freiheit, für uns oder (auch nur für diesesmal) zum Vortheil unserer Neigung
davon eine Ausnahme zu machen. Folglich wenn wir alles aus einem und demselben
Gesichtspunkte, nämlich der Vernunft, erwögen, so würden wir einen Widerspruch
in unserm eigenen Willen antreffen, nämlich daß ein gewisses Princip objectiv
als allgemeines Gesetz nothwendig sei und doch subjectiv nicht allgemein
gelten, sondern Ausnahmen verstatten sollte. Da wir aber einmal unsere Handlung
aus dem Gesichtspunkte eines ganz der Vernunft gemäßen, dann aber auch eben
dieselbe Handlung aus dem Gesichtspunkte eines durch Neigung afficirten Willens
betrachten, so ist wirklich hier kein Widerspruch, wohl aber ein Widerstand der
Neigung gegen die Vorschrift der Vernunft (antagonismus), wodurch die
Allgemeinheit des Princips (universalitas) in eine bloße Gemeingültigkeit
(generalitas) verwandelt wird, dadurch das praktische
Vernunftprincip mit der Maxime auf dem halben Wege zusammenkommen soll. Ob nun
dieses gleich in unserm eigenen unparteiisch angestellten Urtheile nicht
gerechtfertigt werden kann, so beweiset es doch, daß wir die Gültigkeit des
kategorischen Imperativs wirklich anerkennen und uns (mit aller Achtung für
denselben) nur einige, wie es uns scheint, unerhebliche und uns abgedrungene
Ausnahmen erlauben.
IV425 Wir haben so viel also wenigstens dargethan,
daß, wenn Pflicht ein Begriff ist, der Bedeutung und wirkliche Gesetzgebung für
unsere Handlungen enthalten soll, diese nur in kategorischen Imperativen,
keinesweges aber in hypothetischen ausgedrückt werden könne; imgleichen haben
wir, welches schon viel ist, den Inhalt des kategorischen Imperativs, der das
Princip aller Pflicht (wenn es überhaupt dergleichen gäbe) enthalten müßte,
deutlich und zu jedem Gebrauche bestimmt dargestellt. Noch sind wir aber nicht
so weit, a priori zu beweisen, daß dergleichen Imperativ wirklich
stattfinde, daß es ein praktisches Gesetz gebe, welches schlechterdings und
ohne alle Triebfedern für sich gebietet, und daß die Befolgung dieses Gesetzes
Pflicht sei.
Bei
der Absicht, dazu zu gelangen, ist es von der äußersten Wichtigkeit, sich
dieses zur Warnung dienen zu lassen, daß man es sich ja nicht in den Sinn
kommen lasse, die Realität dieses Princips aus der besondern Eigenschaft der
menschlichen Natur ableiten zu wollen. Denn Pflicht soll praktisch-unbedingte
Nothwendigkeit der Handlung sein; sie muß also für alle vernünftige Wesen (auf
die nur überall ein Imperativ treffen kann) gelten und allein darum auch für
allen menschlichen Willen ein Gesetz sein. Was dagegen aus der besondern
Naturanlage der Menschheit, was aus gewissen Gefühlen und Hange, ja sogar wo
möglich aus einer besonderen Richtung, die der menschlichen Vernunft eigen wäre
und nicht nothwendig für den Willen eines jeden vernünftigen Wesens gelten
müßte, abgeleitet wird, das kann zwar eine Maxime für uns, aber kein Gesetz
abgeben, ein subjectiv Princip, nach welchem wir handeln zu dürfen Hang und
Neigung haben, aber nicht ein objectives, nach welchem wir angewiesen wären zu
handeln, wenn gleich aller unser Hang, Neigung und Natureinrichtung dawider
wäre, sogar, daß es um desto mehr die Erhabenheit und innere Würde des Gebots
in einer Pflicht beweiset, je weniger die subjectiven Ursachen dafür, je mehr
sie dagegen sind, ohne doch deswegen die Nöthigung durchs Gesetz nur im
mindesten zu schwächen und seiner Gültigkeit etwas zu benehmen.
Hier
sehen wir nun die Philosophie in der That auf einen mißlichen Standpunkt
gestellt, der fest sein soll, unerachtet er weder im Himmel, noch auf der Erde
an etwas gehängt oder woran gestützt wird. Hier soll sie ihre Lauterkeit
beweisen als Selbsthalterin ihrer Gesetze, nicht als Herold derjenigen, welche
ihr ein eingepflanzter Sinn, oder wer weiß welche vormundschaftliche Natur
einflüstert, die insgesammt, sie mögen immer besser sein |
IV426 als gar nichts, doch niemals Grundsätze
abgeben können, die die Vernunft dictirt, und die durchaus völlig a priori ihren
Quell und hiemit zugleich ihr gebietendes Ansehen haben müssen: nichts von der
Neigung des Menschen, sondern alles von der Obergewalt des Gesetzes und der
schuldigen Achtung für dasselbe zu erwarten, oder den Menschen widrigenfalls
zur Selbstverachtung und innern Abscheu zu verurtheilen.
Alles
also, was empirisch ist, ist als Zuthat zum Princip der Sittlichkeit nicht
allein dazu ganz untauglich, sondern der Lauterkeit der Sitten selbst höchst
nachtheilig, an welchen der eigentliche und über allen Preis erhabene Werth
eines schlechterdings guten Willens eben darin besteht, daß das Princip der
Handlung von allen Einflüssen zufälliger Gründe, die nur Erfahrung an die Hand
geben kann, frei sei. Wider diese Nachlässigkeit oder gar niedrige Denkungsart
in Aufsuchung des Princips unter empirischen Bewegursachen und Gesetzen kann
man auch nicht zu viel und zu oft Warnungen ergehen lassen, indem die
menschliche Vernunft in ihrer Ermüdung gern auf diesem Polster ausruht und in
dem Traume süßer Vorspiegelungen (die sie doch statt der Juno eine Wolke
umarmen lassen) der Sittlichkeit einen aus Gliedern ganz verschiedener
Abstammung zusammengeflickten Bastard unterschiebt, der allem ähnlich sieht,
was man daran sehen will, nur der Tugend nicht für den, der sie einmal in ihrer
wahren Gestalt erblickt hat.*[9]
Die
Frage ist also diese: ist es ein nothwendiges Gesetz für alle vernünftige
Wesen, ihre Handlungen jederzeit nach solchen Maximen zu beurtheilen, von denen
sie selbst wollen können, daß sie zu allgemeinen Gesetzen dienen sollen? Wenn
es ein solches ist, so muß es (völlig a priori) schon mit dem
Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt verbunden sein. Um
aber diese Verknüpfung zu entdecken, muß man, so sehr man sich auch sträubt,
einen Schritt hinaus thun, nämlich zur Metaphysik, obgleich in ein Gebiet
derselben, welches von dem der speculativen Philosophie unterschieden ist,
nämlich in die Metaphysik der Sitten. |
IV427 In einer praktischen Philosophie, wo
es uns nicht darum zu thun ist, Gründe anzunehmen von dem, was geschieht,
sondern Gesetze von dem, was geschehen soll, ob es gleich niemals geschieht,
d.i. objectiv-praktische Gesetze: da haben wir nicht nöthig, über die Gründe
Untersuchung anzustellen, warum etwas gefällt oder mißfällt, wie das Vergnügen
der bloßen Empfindung vom Geschmacke, und ob dieser von einem allgemeinen
Wohlgefallen der Vernunft unterschieden sei; worauf Gefühl der Lust und Unlust
beruhe, und wie hieraus Begierden und Neigungen, aus diesen aber durch
Mitwirkung der Vernunft Maximen entspringen; denn das gehört alles zu einer
empirischen Seelenlehre, welche den zweiten Theil der Naturlehre ausmachen
würde, wenn man sie als Philosophie der Natur betrachtet, so fern sie auf
empirischen Gesetzen gegründet ist. Hier aber ist vom objectiv-praktischen
Gesetze die Rede, mithin von dem Verhältnisse eines Willens zu sich selbst, so
fern er sich bloß durch Vernunft bestimmt, da denn alles, was aufs Empirische
Beziehung hat, von selbst wegfällt: weil, wenn die Vernunft für sich allein das
Verhalten bestimmt (wovon wir die Möglichkeit jetzt eben untersuchen wollen),
sie dieses nothwendig a priori thun muß.
Der
Wille wird als ein Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß
sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermögen kann nur in
vernünftigen Wesen anzutreffen sein. Nun ist das, was dem Willen zum objectiven
Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck, und dieser, wenn er durch
bloße Vernunft gegeben wird, muß für alle vernünftige Wesen gleich gelten. Was
dagegen bloß den Grund der Möglichkeit der Handlung enthält, deren Wirkung
Zweck ist, heißt das Mittel. Der subjective Grund des Begehrens ist die
Triebfeder, der objective des Wollens der Bewegungsgrund; daher der Unterschied
zwischen subjectiven Zwecken, die auf Triebfedern beruhen, und objectiven, die
auf Bewegungsgründe ankommen, welche für jedes vernünftige Wesen gelten.
Praktische Principien sind formal, wenn sie von allen subjectiven Zwecken
abstrahiren; sie sind aber material, wenn sie diese, mithin gewisse Triebfedern
zum Grunde legen. Die Zwecke, die sich ein vernünftiges Wesen als Wirkungen
seiner Handlung nach Belieben vorsetzt, (materiale Zwecke) sind insgesammt nur
relativ; denn nur bloß ihr Verhältniß auf ein besonders geartetes
Begehrungsvermögen des Subjects giebt ihnen den Werth, der daher keine
allgemeine für alle vernünftige Wesen und auch nicht für jedes Wollen gültige
und nothwendige |
IV428 Principien, d.i. praktische Gesetze,
an die Hand geben kann. Daher sind alle diese relative Zwecke nur der Grund von
hypothetischen Imperativen.
Gesetzt
aber, es gäbe etwas, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Werth hat,
was als Zweck an sich selbst ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde
in ihm und nur in ihm allein der Grund eines möglichen kategorischen
Imperativs, d.i. praktischen Gesetzes, liegen.
Nun
sage ich: der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existirt als Zweck
an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder
jenen Willen, sondern muß in allen seinen sowohl auf sich selbst, als auch auf
andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck
betrachtet werden. Alle Gegenstände der Neigungen haben nur einen bedingten
Werth; denn wenn die Neigungen und darauf gegründete Bedürfnisse nicht wären,
so würde ihr Gegenstand ohne Werth sein. Die Neigungen selber aber als Quellen
des Bedürfnisses haben so wenig einen absoluten Werth, um sie selbst zu
wünschen, daß vielmehr, gänzlich davon frei zu sein, der allgemeine Wunsch
eines jeden vernünftigen Wesens sein muß. Also ist der Werth aller durch unsere
Handlung zu erwerbenden Gegenstände jederzeit bedingt. Die Wesen, deren Dasein
zwar nicht auf unserm Willen, sondern der Natur beruht, haben dennoch, wenn sie
vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Werth, als Mittel, und heißen
daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre
Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d.i. als etwas, das nicht bloß als
Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet, mithin so fern alle Willkür
einschränkt (und ein Gegenstand der Achtung ist). Dies sind also nicht bloß
subjective Zwecke, deren Existenz als Wirkung unserer Handlung für uns einen
Werth hat; sondern objective Zwecke, d.i. Dinge, deren Dasein an sich selbst
Zweck ist und zwar ein solcher, an dessen Statt kein anderer Zweck gesetzt
werden kann, dem sie bloß als Mittel zu Diensten stehen sollten, weil ohne
dieses überall gar nichts von absolutem Werthe würde angetroffen werden; wenn
aber aller Werth bedingt, mithin zufällig wäre, so könnte für die Vernunft
überall kein oberstes praktisches Princip angetroffen werden.
Wenn
es denn also ein oberstes praktisches Princip und in Ansehung des menschlichen
Willens einen kategorischen Imperativ geben soll, so muß es ein solches sein,
das aus der Vorstellung dessen, was nothwendig für jedermann Zweck ist, weil es
Zweck an sich selbst ist, ein objectives |
IV429 Princip des Willens ausmacht, mithin
zum allgemeinen praktischen Gesetz dienen kann. Der Grund dieses Princips ist:
die vernünftige Natur existirt als Zweck an sich selbst. So stellt sich
nothwendig der Mensch sein eignes Dasein vor; so fern ist es also ein
subjectives Princip menschlicher Handlungen. So stellt sich aber auch jedes
andere vernünftige Wesen sein Dasein zufolge eben desselben Vernunftgrundes,
der auch für mich gilt, vor*[10]; also ist es zugleich ein objectives Princip, woraus als einem obersten
praktischen Grunde alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können.
Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die
Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern
jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. Wir wollen
sehen, ob sich dieses bewerkstelligen lasse.
Um bei
den vorigen Beispielen zu bleiben, so wird
Erstlich
nach dem Begriffe der nothwendigen Pflicht gegen sich selbst derjenige, der mit
Selbstmorde umgeht, sich fragen, ob seine Handlung mit der Idee der Menschheit
als Zwecks an sich selbst zusammen bestehen könne. Wenn er, um einem
beschwerlichen Zustande zu entfliehen, sich selbst zerstört, so bedient er sich
einer Person bloß als eines Mittels zu Erhaltung eines erträglichen Zustandes bis
zu Ende des Lebens. Der Mensch aber ist keine Sache, mithin nicht etwas, das
bloß als Mittel gebraucht werden kann, sondern muß bei allen seinen Handlungen
jederzeit als Zweck an sich selbst betrachtet werden. Also kann ich über den
Menschen in meiner Person nichts disponiren, ihn zu verstümmeln, zu verderben,
oder zu tödten. (Die nähere Bestimmung dieses Grundsatzes zur Vermeidung alles
Mißverstandes, z.B. der Amputation der Glieder, um mich zu erhalten, der
Gefahr, der ich mein Leben aussetze, um mein Leben zu erhalten etc., muß ich
hier vorbeigehen; sie gehört zur eigentlichen Moral.)
Zweitens,
was die nothwendige oder schuldige Pflicht gegen andere betrifft, so wird der,
so ein lügenhaftes Versprechen gegen andere zu thun im Sinne hat, sofort
einsehen, daß er sich eines andern Menschen bloß als Mittels bedienen will,
ohne daß dieser zugleich den Zweck in sich enthalte. Denn der, den ich durch
ein solches Versprechen zu meinen Absichten brauchen will, kann unmöglich in
meine Art, gegen ihn zu ver|fahren,
IV430 einstimmen und also selbst den Zweck
dieser Handlung enthalten. Deutlicher fällt dieser Widerstreit gegen das
Princip anderer Menschen in die Augen, wenn man Beispiele von Angriffen auf
Freiheit und Eigenthum anderer herbeizieht. Denn da leuchtet klar ein, daß der
Übertreter der Rechte der Menschen, sich der Person anderer bloß als Mittel zu
bedienen, gesonnen sei, ohne in Betracht zu ziehen, daß sie als vernünftige
Wesen jederzeit zugleich als Zwecke, d.i. nur als solche, die von eben
derselben Handlung auch in sich den Zweck müssen enthalten können, geschätzt
werden sollen*[11].
Drittens,
in Ansehung der zufälligen (verdienstlichen) Pflicht gegen sich selbst ists
nicht genug, daß die Handlung nicht der Menschheit in unserer Person als Zweck
an sich selbst widerstreite, sie muß auch dazu zusammenstimmen. Nun sind in der
Menschheit Anlagen zu größerer Vollkommenheit, die zum Zwecke der Natur in
Ansehung der Menschheit in unserem Subject gehören; diese zu vernachlässigen,
würde allenfalls wohl mit der Erhaltung der Menschheit als Zwecks an sich
selbst, aber nicht der Beförderung dieses Zwecks bestehen können.
Viertens,
in Betreff der verdienstlichen Pflicht gegen andere ist der Naturzweck, den
alle Menschen haben, ihre eigene Glückseligkeit. Nun würde zwar die Menschheit
bestehen können, wenn niemand zu des andern Glückseligkeit was beitrüge, dabei
aber ihr nichts vorsetzlich entzöge; allein es ist dieses doch nur eine
negative und nicht positive Übereinstimmung zur Menschheit als Zweck an sich
selbst, wenn jedermann auch nicht die Zwecke anderer, so viel an ihm ist, zu
befördern trachtete. Denn das Subject, welches Zweck an sich selbst ist, dessen
Zwecke müssen, wenn jene Vorstellung bei mir alle Wirkung thun soll, auch, so
viel möglich, meine Zwecke sein.
Dieses
Princip der Menschheit und jeder vernünftigen Natur überhaupt, als Zwecks an
sich selbst, (welche die oberste einschränkende |
IV431 Bedingung der Freiheit der Handlungen
eines jeden Menschen ist) ist nicht aus der Erfahrung entlehnt: erstlich wegen
seiner Allgemeinheit, da es auf alle vernünftige Wesen überhaupt geht, worüber
etwas zu bestimmen keine Erfahrung zureicht; zweitens weil darin die Menschheit
nicht als Zweck der Menschen (subjectiv), d.i. als Gegenstand, den man sich von
selbst wirklich zum Zwecke macht, sondern als objectiver Zweck, der, wir mögen
Zwecke haben, welche wir wollen, als Gesetz die oberste einschränkende
Bedingung aller subjectiven Zwecke ausmachen soll, vorgestellt wird, mithin es
aus reiner Vernunft entspringen muß. Es liegt nämlich der Grund aller
praktischen Gesetzgebung objectiv in der Regel und der Form der Allgemeinheit,
die sie ein Gesetz (allenfalls Naturgesetz) zu sein fähig macht (nach dem
ersten Princip), subjectiv aber im Zwecke; das Subject aller Zwecke aber ist
jedes vernünftige Wesen, als Zweck an sich selbst (nach dem zweiten Princip):
hieraus folgt nun das dritte praktische Princip des Willens, als oberste
Bedingung der Zusammenstimmung desselben mit der allgemeinen praktischen
Vernunft, die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein
gesetzgebenden Willens.
Alle
Maximen werden nach diesem Princip verworfen, die mit der eigenen allgemeinen
Gesetzgebung des Willens nicht zusammen bestehen können. Der Wille wird also
nicht lediglich dem Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch
als selbstgesetzgebend und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er
selbst sich als Urheber betrachten kann) unterworfen angesehen werden muß.
Die
Imperativen nach der vorigen Vorstellungsart, nämlich der allgemein einer
Naturordnung ähnlichen Gesetzmäßigkeit der Handlungen, oder des allgemeinen
Zwecksvorzuges vernünftiger Wesen an sich selbst, schlossen zwar von ihrem
gebietenden Ansehen alle Beimischung irgend eines Interesse als Triebfeder aus,
eben dadurch daß sie als kategorisch vorgestellt wurden; sie wurden aber nur
als kategorisch angenommen, weil man dergleichen annehmen mußte, wenn man den
Begriff von Pflicht erklären wollte. Daß es aber praktische Sätze gäbe, die
kategorisch geböten, könnte für sich nicht bewiesen werden, so wenig wie es
überhaupt in diesem Abschnitte auch hier noch nicht geschehen kann; allein
eines hätte doch geschehen können, nämlich: daß die Lossagung von allem
Interesse beim Wollen aus Pflicht, als das specifische Unterscheidungszeichen
des kategorischen vom hypothetischen Imperativ, in dem Imperativ selbst durch |
IV432 irgend eine Bestimmung, die er
enthielte, mit angedeutet würde, und dieses geschieht in gegenwärtiger dritten
Formel des Princips, nämlich der Idee des Willens eines jeden vernünftigen
Wesens als allgemein- gesetzgebenden Willens.
Denn
wenn wir einen solchen denken, so kann, obgleich ein Wille, der unter Gesetzen
steht, noch vermittelst eines Interesse an dieses Gesetz gebunden sein mag,
dennoch ein Wille, der selbst zu oberst gesetzgebend ist, unmöglich so fern von
irgend einem Interesse abhängen; denn ein solcher abhängender Wille würde
selbst noch eines andern Gesetzes bedürfen, welches das Interesse seiner
Selbstliebe auf die Bedingung einer Gültigkeit zum allgemeinen Gesetz
einschränkte.
Also
würde das Princip eines jeden menschlichen Willens, als eines durch alle seine
Maximen allgemein gesetzgebenden Willens*[12], wenn es sonst mit ihm nur seine Richtigkeit hätte, sich zum
kategorischen Imperativ darin gar wohl schicken, daß es eben um der Idee der
allgemeinen Gesetzgebung willen sich auf kein Interesse gründet und also unter
allen möglichen Imperativen allein unbedingt sein kann; oder noch besser, indem
wir den Satz umkehren: wenn es einen kategorischen Imperativ giebt (d.i. ein
Gesetz für jeden Willen eines vernünftigen Wesens), so kann er nur gebieten,
alles aus der Maxime seines Willens als eines solchen zu thun, der zugleich
sich selbst als allgemein gesetzgebend zum Gegenstande haben könnte; denn
alsdann nur ist das praktische Princip und der Imperativ, dem er gehorcht,
unbedingt, weil er gar kein Interesse zum Grunde haben kann.
Es ist
nun kein Wunder, wenn wir auf alle bisherige Bemühungen, die jemals unternommen
worden, um das Princip der Sittlichkeit ausfindig zu machen, zurücksehen, warum
sie insgesammt haben fehlschlagen müssen. Man sah den Menschen durch seine
Pflicht an Gesetze gebunden, man ließ es sich aber nicht einfallen, daß er nur
seiner eigenen und dennoch allgemeinen Gesetzgebung unterworfen sei, und daß er
nur verbunden sei, seinem eigenen, dem Naturzwecke nach aber allgemein
gesetzgebenden Willen gemäß zu handeln. Denn wenn man sich ihn nur als einem
Gesetz (welches es auch sei) unterworfen dachte: so mußte dieses ir|gend
IV433 ein Interesse als Reiz oder Zwang bei
sich führen, weil es nicht als Gesetz aus seinem Willen entsprang, sondern
dieser gesetzmäßig von etwas anderm genöthigt wurde, auf gewisse Weise zu
handeln. Durch diese ganz nothwendige Folgerung aber war alle Arbeit, einen
obersten Grund der Pflicht zu finden, unwiederbringlich verloren. Denn man
bekam niemals Pflicht, sondern Nothwendigkeit der Handlung aus einem gewissen
Interesse heraus. Dieses mochte nun ein eigenes oder fremdes Interesse sein.
Aber alsdann mußte der Imperativ jederzeit bedingt ausfallen und konnte zum
moralischen Gebote gar nicht taugen. Ich will also diesen Grundsatz das Princip
der Autonomie des Willens im Gegensatz mit jedem andern, das ich deshalb
zur Heteronomie zähle, nennen.
Der
Begriff eines jeden vernünftigen Wesens, das sich durch alle Maximen seines
Willens als allgemein gesetzgebend betrachten muß, um aus diesem Gesichtspunkte
sich selbst und seine Handlungen zu beurtheilen, führt auf einen ihm
anhängenden sehr fruchtbaren Begriff, nämlich den eines Reichs der Zwecke.
Ich
verstehe aber unter einem Reiche die systematische Verbindung verschiedener
vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze. Weil nun Gesetze die Zwecke
ihrer allgemeinen Gültigkeit nach bestimmen, so wird, wenn man von dem
persönlichen Unterschiede vernünftiger Wesen, imgleichen allem Inhalte ihrer
Privatzwecke abstrahirt, ein Ganzes aller Zwecke (sowohl der vernünftigen Wesen
als Zwecke an sich, als auch der eigenen Zwecke, die ein jedes sich selbst setzen
mag) in systematischer Verknüpfung, d.i. ein Reich der Zwecke, gedacht werden
können, welches nach obigen Principien möglich ist.
Denn
vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst
und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck
an sich selbst behandeln solle. Hiedurch aber entspringt eine systematische
Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objective Gesetze, d.i.
ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen auf
einander als Zwecke und Mittel zur Absicht haben, ein Reich der Zwecke
(freilich nur ein Ideal) heißen kann.
Es
gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke, wenn es
darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen
ist. Es gehört dazu als Oberhaupt, wenn es als gesetzgebend keinem Willen eines
andern unterworfen ist.
IV434 Das vernünftige Wesen muß sich
jederzeit als gesetzgebend in einem durch Freiheit des Willens möglichen Reiche
der Zwecke betrachten, es mag nun sein als Glied, oder als Oberhaupt. Den Platz
des letztern kann es aber nicht bloß durch die Maxime seines Willens, sondern
nur alsdann, wenn es ein völlig unabhängiges Wesen ohne Bedürfniß und
Einschränkung seines dem Willen adäquaten Vermögens ist, behaupten.
Moralität
besteht also in der Beziehung aller Handlung auf die Gesetzgebung, dadurch
allein ein Reich der Zwecke möglich ist. Diese Gesetzgebung muß aber in jedem
vernünftigen Wesen selbst angetroffen werden und aus seinem Willen entspringen
können, dessen Princip also ist: keine Handlung nach einer andern Maxime zu
thun, als so, daß es auch mit ihr bestehen könne, daß sie ein allgemeines
Gesetz sei, und also nur so, daß der Wille durch seine Maxime sich selbst
zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne. Sind nun die Maximen mit
diesem objectiven Princip der vernünftigen Wesen, als allgemein gesetzgebend,
nicht durch ihre Natur schon nothwendig einstimmig, so heißt die Nothwendigkeit
der Handlung nach jenem Princip praktische Nöthigung, d.i. Pflicht. Pflicht
kommt nicht dem Oberhaupte im Reiche der Zwecke, wohl aber jedem Gliede und
zwar allen in gleichem Maße zu.
Die
praktische Nothwendigkeit nach diesem Princip zu handeln, d.i. die Pflicht,
beruht gar nicht auf Gefühlen, Antrieben und Neigungen, sondern bloß auf dem
Verhältnisse vernünftiger Wesen zu einander, in welchem der Wille eines
vernünftigen Wesens jederzeit zugleich als gesetzgebend betrachtet werden muß,
weil es sie sonst nicht als Zweck an sich selbst denken könnte. Die Vernunft
bezieht also jede Maxime des Willens als allgemein gesetzgebend auf jeden
anderen Willen und auch auf jede Handlung gegen sich selbst und dies zwar nicht
um irgend eines andern praktischen Bewegungsgrundes oder künftigen Vortheils willen,
sondern aus der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze
gehorcht als dem, das es zugleich selbst giebt.
Im
Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen
Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt
werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent
verstattet, das hat eine Würde.
Was
sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat
einen Marktpreis; das, was, auch ohne ein Bedürfniß vorauszusetzen, einem
gewissen Geschmacke, d.i. einem Wohlgefallen am |
IV435 bloßen zwecklosen Spiel unserer
Gemüthskräfte, gemäß ist, einen Affectionspreis; das aber, was die Bedingung
ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß
einen relativen Werth, d.i. einen Preis, sondern einen innern Werth, d.i. Würde.
Nun
ist Moralität die Bedingung, unter der allein ein vernünftiges Wesen Zweck an
sich selbst sein kann, weil nur durch sie es möglich ist, ein gesetzgebend
Glied im Reiche der Zwecke zu sein. Also ist Sittlichkeit und die Menschheit,
so fern sie derselben fähig ist, dasjenige, was allein Würde hat.
Geschicklichkeit und Fleiß im Arbeiten haben einen Marktpreis; Witz, lebhafte
Einbildungskraft und Launen einen Affectionspreis; dagegen Treue im
Versprechen, Wohlwollen aus Grundsätzen (nicht aus Instinct) haben einen innern
Werth. Die Natur sowohl als Kunst enthalten nichts, was sie in Ermangelung
derselben an ihre Stelle setzen könnten; denn ihr Werth besteht nicht in den
Wirkungen, die daraus entspringen, im Vortheil und Nutzen, den sie schaffen,
sondern in den Gesinnungen, d.i. den Maximen des Willens, die sich auf diese
Art in Handlungen zu offenbaren bereit sind, obgleich auch der Erfolg sie nicht
begünstigte. Diese Handlungen bedürfen auch keiner Empfehlung von irgend einer
subjectiven Disposition oder Geschmack, sie mit unmittelbarer Gunst und
Wohlgefallen anzusehen, keines unmittelbaren Hanges oder Gefühles für dieselbe:
sie stellen den Willen, der sie ausübt, als Gegenstand einer unmittelbaren
Achtung dar, dazu nichts als Vernunft gefordert wird, um sie dem Willen
aufzuerlegen, nicht von ihm zu erschmeicheln, welches letztere bei Pflichten
ohnedem ein Widerspruch wäre. Diese Schätzung giebt also den Werth einer
solchen Denkungsart als Würde zu erkennen und setzt sie über allen Preis
unendlich weg, mit dem sie gar nicht in Anschlag und Vergleichung gebracht
werden kann, ohne sich gleichsam an der Heiligkeit derselben zu vergreifen.
Und
was ist es denn nun, was die sittlich gute Gesinnung oder die Tugend
berechtigt, so hohe Ansprüche zu machen? Es ist nichts Geringeres als der
Antheil, den sie dem vernünftigen Wesen an der allgemeinen Gesetzgebung
verschafft und es hiedurch zum Gliede in einem möglichen Reiche der Zwecke
tauglich macht, wozu es durch seine eigene Natur schon bestimmt war, als Zweck
an sich selbst und eben darum als gesetzgebend im Reiche der Zwecke, in
Ansehung aller Naturgesetze als frei, nur denjenigen allein gehorchend, die es
selbst giebt und nach welchen seine Maximen zu einer allgemeinen Gesetzgebung
(der es sich zugleich selbst |
IV436 unterwirft) gehören können. Denn es
hat nichts einen Werth als den, welchen ihm das Gesetz bestimmt. Die
Gesetzgebung selbst aber, die allen Werth bestimmt, muß eben darum eine Würde,
d.i. unbedingten, unvergleichbaren Werth, haben, für welchen das Wort Achtung
allein den geziemenden Ausdruck der Schätzung abgiebt, die ein vernünftiges
Wesen über sie anzustellen hat. Autonomie ist also der Grund der Würde der
menschlichen und jeder vernünftigen Natur.
Die
angeführten drei Arten, das Princip der Sittlichkeit vorzustellen, sind aber im
Grunde nur so viele Formeln eben desselben Gesetzes, deren die eine die anderen
zwei von selbst in sich vereinigt. Indessen ist doch eine Verschiedenheit in
ihnen, die zwar eher subjectiv als objectiv-praktisch ist, nämlich um eine Idee
der Vernunft der Anschauung (nach einer gewissen Analogie) und dadurch dem
Gefühle näher zu bringen. Alle Maximen haben nämlich
1)
eine Form, welche in der Allgemeinheit besteht, und da ist die Formel des
sittlichen Imperativs so ausgedrückt: daß die Maximen so müssen gewählt werden,
als ob sie wie allgemeine Naturgesetze gelten sollten;
2)
eine Materie, nämlich einen Zweck, und da sagt die Formel: daß das vernünftige
Wesen als Zweck seiner Natur nach, mithin als Zweck an sich selbst jeder Maxime
zur einschränkenden Bedingung aller bloß relativen und willkürlichen Zwecke
dienen müsse;
3)
eine vollständige Bestimmung aller Maximen durch jene Formel, nämlich: daß alle
Maximen aus eigener Gesetzgebung zu einem möglichen Reiche der Zwecke, als
einem Reiche der Natur*[13],
zusammenstimmen sollen. Der Fortgang geschieht hier wie durch die Kategorien
der Einheit der Form des Willens (der Allgemeinheit desselben), der Vielheit
der Materie (der Objecte, d.i. der Zwecke) und der Allheit oder Totalität des
Systems derselben. Man thut aber besser, wenn man in der sittlichen
Beurtheilung immer nach der strengen Methode verfährt und die allgemeine Formel
des kategorischen Imperativs zum Grunde legt: handle nach der Maxime, die sich
selbst zugleich zum allgemeinen Ge|setze
IV437 machen kann. Will man aber dem
sittlichen Gesetze zugleich Eingang verschaffen: so ist sehr nützlich, ein und
eben dieselbe Handlung durch benannte drei Begriffe zu führen und sie dadurch,
so viel sich thun läßt, der Anschauung zu nähern.
Wir
können nunmehr da endigen, von wo wir im Anfange ausgingen, nämlich dem
Begriffe eines unbedingt guten Willens. Der Wille ist schlechterdings gut, der
nicht böse sein, mithin dessen Maxime, wenn sie zu einem allgemeinen Gesetze
gemacht wird, sich selbst niemals widerstreiten kann. Dieses Princip ist also
auch sein oberstes Gesetz: handle jederzeit nach derjenigen Maxime, deren
Allgemeinheit als Gesetzes du zugleich wollen kannst; dieses ist die einzige
Bedingung, unter der ein Wille niemals mit sich selbst im Widerstreite sein
kann, und ein solcher Imperativ ist kategorisch. Weil die Gültigkeit des
Willens als eines allgemeinen Gesetzes für mögliche Handlungen mit der
allgemeinen Verknüpfung des Daseins der Dinge nach allgemeinen Gesetzen, die
das Formale der Natur überhaupt ist, Analogie hat, so kann der kategorische
Imperativ auch so ausgedrückt werden: Handle nach Maximen, die sich selbst
zugleich als allgemeine Naturgesetze zum Gegenstande haben können. So ist also
die Formel eines schlechterdings guten Willens beschaffen.
Die
vernünftige Natur nimmt sich dadurch vor den übrigen aus, daß sie ihr selbst
einen Zweck setzt. Dieser würde die Materie eines jeden guten Willens sein. Da
aber in der Idee eines ohne einschränkende Bedingung (der Erreichung dieses
oder jenes Zwecks) schlechterdings guten Willens durchaus von allem zu
bewirkenden Zwecke abstrahirt werden muß (als der jeden Willen nur relativ gut
machen würde), so wird der Zweck hier nicht als ein zu bewirkender, sondern
selbstständiger Zweck, mithin nur negativ gedacht werden müssen, d.i. dem
niemals zuwider gehandelt, der also niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit
zugleich als Zweck in jedem Wollen geschätzt werden muß. Dieser kann nun nichts
anders als das Subject aller möglichen Zwecke selbst sein, weil dieses zugleich
das Subject eines möglichen schlechterdings guten Willens ist; denn dieser kann
ohne Widerspruch keinem andern Gegenstande nachgesetzt werden. Das Princip:
handle in Beziehung auf ein jedes vernünftige Wesen (auf dich selbst und
andere) so, daß es in deiner Maxime zugleich als Zweck an sich selbst gelte,
ist demnach mit dem Grundsatze: handle nach einer Maxime, die ihre eigene
allgemeine Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen |
IV438 zugleich in sich enthält, im Grunde
einerlei. Denn daß ich meine Maxime im Gebrauche der Mittel zu jedem Zwecke auf
die Bedingung ihrer Allgemeingültigkeit als eines Gesetzes für jedes Subject einschränken
soll, sagt eben so viel, als: das Subject der Zwecke, d.i. das vernünftige
Wesen selbst, muß niemals bloß als Mittel, sondern als oberste einschränkende
Bedingung im Gebrauche aller Mittel, d.i. jederzeit zugleich als Zweck, allen
Maximen der Handlungen zum Grunde gelegt werden.
Nun
folgt hieraus unstreitig: daß jedes vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst
sich in Ansehung aller Gesetze, denen es nur immer unterworfen sein mag,
zugleich als allgemein gesetzgebend müsse ansehen können, weil eben diese
Schicklichkeit seiner Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung es als Zweck an sich
selbst auszeichnet, imgleichen daß dieses seine Würde (Prärogativ) vor allen
bloßen Naturwesen es mit sich bringe, seine Maximen jederzeit aus dem
Gesichtspunkte seiner selbst, zugleich aber auch jedes andern vernünftigen als
gesetzgebenden Wesens (die darum auch Personen heißen) nehmen zu müssen. Nun
ist auf solche Weise eine Welt vernünftiger Wesen (mundus intelligibilis)
als ein Reich der Zwecke möglich und zwar durch die eigene Gesetzgebung
aller Personen als Glieder. Demnach muß ein jedes vernünftige Wesen so handeln,
als ob es durch seine Maximen jederzeit ein gesetzgebendes Glied im allgemeinen
Reiche der Zwecke wäre. Das formale Princip dieser Maximen ist: handle so, als
ob deine Maxime zugleich zum allgemeinen Gesetze (aller vernünftigen Wesen)
dienen sollte. Ein Reich der Zwecke ist also nur möglich nach der Analogie mit
einem Reiche der Natur, jenes aber nur nach Maximen, d.i. sich selbst
auferlegten Regeln, diese nur nach Gesetzen äußerlich genöthigter wirkenden
Ursachen. Dem unerachtet giebt man doch auch dem Naturganzen, ob es schon als
Maschine angesehen wird, dennoch, so fern es auf vernünftige Wesen als seine
Zwecke Beziehung hat, aus diesem Grunde den Namen eines Reichs der Natur. Ein
solches Reich der Zwecke würde nun durch Maximen, deren Regel der kategorische
Imperativ allen vernünftigen Wesen vorschreibt, wirklich zu Stande kommen, wenn
sie allgemein befolgt würden. Allein obgleich das vernünftige Wesen darauf
nicht rechnen kann, daß, wenn es auch gleich diese Maxime selbst pünktlich
befolgte, darum jedes andere eben derselben treu sein würde, imgleichen daß das
Reich der Natur und die zweckmäßige Anordnung desselben mit ihm, als einem
schicklichen Gliede, zu einem durch es selbst möglichen Reiche der Zwecke
zusammenstimmen, d.i. seine Erwartung der Glückselig|keit
IV439 begünstigen werde, so bleibt doch
jenes Gesetz: handle nach Maximen eines allgemein gesetzgebenden Gliedes zu
einem bloß möglichen Reiche der Zwecke, in seiner vollen Kraft, weil es
kategorisch gebietend ist. Und hierin liegt eben das Paradoxon: daß bloß die
Würde der Menschheit als vernünftiger Natur ohne irgend einen andern dadurch zu
erreichenden Zweck oder Vortheil, mithin die Achtung für eine bloße Idee
dennoch zur unnachlaßlichen Vorschrift des Willens dienen sollte, und daß
gerade in dieser Unabhängigkeit der Maxime von allen solchen Triebfedern die
Erhabenheit derselben bestehe und die Würdigkeit eines jeden vernünftigen
Subjects, ein gesetzgebendes Glied im Reiche der Zwecke zu sein; denn sonst
würde es nur als dem Naturgesetze seines Bedürfnisses unterworfen vorgestellt
werden müssen. Obgleich auch das Naturreich sowohl, als das Reich der Zwecke
als unter einem Oberhaupte vereinigt gedacht würde, und dadurch das letztere
nicht mehr bloße Idee bliebe, sondern wahre Realität erhielte, so würde
hiedurch zwar jener der Zuwachs einer starken Triebfeder, niemals aber
Vermehrung ihres innern Werths zu statten kommen; denn diesem ungeachtet müßte
doch selbst dieser alleinige unumschränkte Gesetzgeber immer so vorgestellt
werden, wie er den Werth der vernünftigen Wesen nur nach ihrem uneigennützigen,
bloß aus jener Idee ihnen selbst vorgeschriebenen Verhalten beurtheilte. Das
Wesen der Dinge ändert sich durch ihre äußere Verhältnisse nicht, und was, ohne
an das letztere zu denken, den absoluten Werth des Menschen allein ausmacht,
darnach muß er auch, von wem es auch sei, selbst vom höchsten Wesen beurtheilt
werden. Moralität ist also das Verhältniß der Handlungen zur Autonomie des
Willens, das ist zur möglichen allgemeinen Gesetzgebung durch die Maximen
desselben. Die Handlung, die mit der Autonomie des Willens zusammen bestehen
kann, ist erlaubt; die nicht damit stimmt, ist unerlaubt. Der Wille, dessen
Maximen nothwendig mit den Gesetzen der Autonomie zusammenstimmen, ist ein
heiliger, schlechterdings guter Wille. Die Abhängigkeit eines nicht
schlechterdings guten Willens vom Princip der Autonomie (die moralische
Nöthigung) ist Verbindlichkeit. Diese kann also auf ein heiliges Wesen nicht
gezogen werden. Die objective Nothwendigkeit einer Handlung aus Verbindlichkeit
heißt Pflicht.
Man
kann aus dem kurz vorhergehenden sich es jetzt leicht erklären, wie es zugehe:
daß, ob wir gleich unter dem Begriffe von Pflicht uns eine Unterwürfigkeit
unter dem Gesetze denken, wir uns dadurch doch zugleich |
IV440 eine gewisse Erhabenheit und Würde an
derjenigen Person vorstellen, die alle ihre Pflichten erfüllt. Denn so fern ist
zwar keine Erhabenheit an ihr, als sie dem moralischen Gesetze unterworfen ist,
wohl aber so fern sie in Ansehung eben desselben zugleich gesetzgebend und nur
darum ihm untergeordnet ist. Auch haben wir oben gezeigt, wie weder Furcht,
noch Neigung, sondern lediglich Achtung fürs Gesetz diejenige Triebfeder sei,
die der Handlung einen moralischen Werth geben kann. Unser eigener Wille, so
fern er nur unter der Bedingung einer durch seine Maximen möglichen allgemeinen
Gesetzgebung handeln würde, dieser uns mögliche Wille in der Idee ist der
eigentliche Gegenstand der Achtung, und die Würde der Menschheit besteht eben
in dieser Fähigkeit, allgemein gesetzgebend, obgleich mit dem Beding, eben
dieser Gesetzgebung zugleich selbst unterworfen zu sein.
Anmerkungen:
*[1] Man kann, wenn
man will, (so wie die reine Mathematik von der angewandten, die reine Logik von
der angewandten unterschieden wird, also) die reine Philosophie der Sitten
(Metaphysik) von der angewandten (nämlich auf die menschliche Natur)
unterscheiden. Durch diese Benennung wird man auch sofort erinnert, daß die
sittlichen Principien nicht auf die Eigenheiten der menschlichen Natur
gegründet, sondern für sich a priori bestehend sein müssen, aus solchen aber, wie für jede
vernünftige Natur, also auch für die menschliche praktische Regeln müssen
abgeleitet werden können.
*[2] Ich habe einen Brief vom sel. vortrefflichen Sulzer,
worin er mich frägt: was doch die Ursache sein möge, warum die Lehren der
Tugend, so viel Überzeugendes sie auch für die Vernunft haben, doch so wenig ausrichten.
Meine Antwort wurde durch die Zurüstung dazu, um sie vollständig zu geben,
verspätet. Allein es ist keine andere, als daß die Lehrer selbst ihre Begriffe
nicht ins Reine gebracht haben, und indem sie es zu gut machen wollen, dadurch,
daß sie allerwärts Bewegursachen zum Sittlichguten auftreiben, um die Arznei
recht kräftig zu machen, sie sie verderben. Denn die gemeinste Beobachtung
zeigt, daß, wenn man eine Handlung der Rechtschaffenheit vorstellt, wie sie von
aller Absicht auf irgend einen Vortheil in dieser oder einer andern Welt
abgesondert selbst unter den größten Versuchungen der Noth oder der Anlockung
mit standhafter Seele ausgeübt worden, sie jede ähnliche Handlung, die nur im
mindesten durch eine fremde Triebfeder afficirt war, weit hinter sich lasse und
verdunkle, die Seele erhebe und den Wunsch errege, auch so handeln zu können.
Selbst Kinder von mittlerem Alter fühlen diesen Eindruck, und ihnen sollte man
Pflichten auch niemals anders vorstellen.
*[3] Die Abhängigkeit des Begehrungsvermögens von
Empfindungen heißt Neigung, und diese beweiset also jederzeit ein Bedürfniß.
Die Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens aber von Principien der
Vernunft heißt ein Interesse. Dieses findet also nur bei einem abhängigen
Willen statt, der nicht von selbst jederzeit der Vernunft gemäß ist; beim
göttlichen Willen kann man sich kein Interesse gedenken. Aber auch der
menschliche Wille kann woran ein Interesse nehmen, ohne darum aus Interesse zu
handeln. Das erste bedeutet das praktische Interesse an der Handlung, das
zweite das pathologische Interesse am Gegenstande der Handlung. Das erste zeigt
nur Abhängigkeit des Willens von Principien der Vernunft an sich selbst, das
zweite von den Principien derselben zum Behuf der Neigung an, da nämlich die
Vernunft nur die praktische Regel angiebt, wie dem Bedürfnisse der Neigung
abgeholfen werde. Im ersten Falle interessirt mich die Handlung, im zweiten der
Gegenstand der Handlung (so fern er mir angenehm //IV414// ist). Wir haben im ersten Abschnitte gesehen: daß bei
einer Handlung aus Pflicht nicht auf das Interesse am Gegenstande, sondern bloß
an der Handlung selbst und ihrem Princip in der Vernunft (dem Gesetz) gesehen
werden müsse.
*[4] Das Wort
Klugheit wird in zwiefachem Sinn genommen, einmal kann es den Namen
Weltklugheit, im zweiten den der Privatklugheit führen. Die erste ist die
Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß zu haben, um sie zu seinen
Absichten zu gebrauchen. Die zweite die Einsicht, alle diese Absichten zu
seinem eigenen daurenden Vortheil zu vereinigen. Die letztere ist eigentlich
diejenige, worauf selbst der Werth der erstern zurückgeführt wird, und wer in
der erstern Art klug ist, nicht aber in der zweiten, von dem könnte man besser
sagen: er ist gescheut und verschlagen, im Ganzen aber doch unklug.
*[5] Mich deucht, die eigentliche Bedeutung des Worts
pragmatisch könne so am genauesten bestimmt werden. Denn pragmatisch werden die
Sanctionen genannt, welche eigentlich nicht aus dem Rechte der Staaten als
nothwendige Gesetze, sondern aus der Vorsorge für die allgemeine Wohlfahrt
fließen. Pragmatisch ist eine Geschichte abgefaßt, wenn sie klug macht, d.i.
die Welt belehrt, wie sie ihren Vortheil besser, oder wenigstens eben so gut
als die Vorwelt besorgen könne.
*[6] Ich verknüpfe
mit dem Willen ohne vorausgesetzte Bedingung aus irgend einer Neigung die That a
priori, mithin nothwendig (obgleich nur
objectiv, d.i. unter der Idee einer Vernunft, die über alle subjective
Bewegursachen völlige Gewalt hätte). Dieses ist also ein praktischer Satz, der
das Wollen einer Handlung nicht aus einem anderen, schon vorausgesetzten
analytisch ableitet (denn wir haben keinen so vollkommenen Willen), sondern mit
dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens unmittelbar als etwas, das
in ihm nicht enthalten ist, verknüpft.
*[7] Maxime ist
das subjective Princip zu handeln und muß vom objectiven Princip, nämlich dem
praktischen Gesetze, unterschieden werden. Jene enthält die //IV421// praktische Regel, die die Vernunft
den Bedingungen des Subjects gemäß (öfters der Unwissenheit oder auch den
Neigungen desselben) bestimmt, und ist also der Grundsatz, nach welchem das
Subject handelt; das Gesetz aber ist das objective Princip, gültig für jedes
vernünftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d.i. ein
Imperativ.
**[8] Man muß hier
wohl merken, daß ich die Eintheilung der Pflichten für eine künftige Metaphysik
der Sitten mir gänzlich vorbehalte, diese hier also nur als beliebig (um meine
Beispiele zu ordnen) dastehe. Übrigens verstehe ich hier unter einer
vollkommenen Pflicht diejenige, die keine Ausnahme zum Vortheil der Neigung
verstattet, und da habe ich nicht bloß äußere, sondern auch innere vollkommene
Pflichten, welches dem in Schulen angenommenen Wortgebrauch zuwider läuft, ich
aber hier nicht zu verantworten gemeint bin, weil es zu meiner Absicht einerlei
ist, ob man es mir einräumt, oder nicht.
*[9] Die Tugend in ihrer eigentlichen Gestalt erblicken,
ist nichts anders, als die Sittlichkeit von aller Beimischung des Sinnlichen
und allem unächten Schmuck des Lohns oder der Selbstliebe entkleidet
darzustellen. Wie sehr sie alsdann alles übrige, was den Neigungen reizend
erscheint, verdunkele, kann jeder vermittelst des mindesten Versuchs seiner
nicht ganz für alle Abstraction verdorbenen Vernunft leicht inne werden.
*[10]
Diesen Satz stelle ich hier als Postulat auf. Im letzten Abschnitte wird
man die Gründe dazu finden.
*[11] Man denke ja nicht, daß hier das
triviale: quod tibi non vis fieri etc.
zur Richtschnur oder
Princip dienen könne. Denn es ist, obzwar mit verschiedenen Einschränkungen,
nur aus jenem abgeleitet; es kann kein allgemeines Gesetz sein, denn es enthält
nicht den Grund der Pflichten gegen sich selbst, nicht der Liebespflichten
gegen andere (denn mancher würde es gerne eingehen, daß andere ihm nicht
wohlthun sollen, wenn er es nur überhoben sein dürfte, ihnen Wohlthat zu
erzeigen), endlich nicht der schuldigen Pflichten gegen einander; denn der
Verbrecher würde aus diesem Grunde gegen seine strafenden Richter argumentiren,
u.s.w.
*[12] Ich kann hier, Beispiele zur
Erläuterung dieses Princips anzuführen, überhoben sein, denn die, so zuerst den
kategorischen Imperativ und seine Formel erläuterten, können hier alle zu eben
dem Zwecke dienen.
*[13] Die Teleologie erwägt die Natur als
ein Reich der Zwecke, die Moral ein mögliches Reich der Zwecke als ein Reich
der Natur. Dort ist das Reich der Zwecke eine theoretische Idee zu Erklärung
dessen, was da ist. Hier ist es eine praktische Idee, um das, was nicht da ist,
aber durch unser Thun und Lassen wirklich werden kann, und zwar eben dieser
Idee gemäß zu Stande zu bringen.
IV440 Autonomie des Willens ist
die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von
aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist. Das Princip
der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen als so, daß die Maximen seiner
Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien.
Daß diese praktische Regel ein Imperativ sei, d.i. der Wille jedes vernünftigen
Wesens an sie als Bedingung nothwendig gebunden sei, kann durch bloße
Zergliederung der in ihm vorkommenden Begriffe nicht bewiesen werden, weil es
ein synthetischer Satz ist; man müßte über die Erkenntniß der Objecte und zu
einer Kritik des Subjects, d.i. der reinen praktischen Vernunft, hinausgehen,
denn völlig a priori muß dieser synthetische Satz, der apodiktisch
gebietet, erkannt werden können, dieses Geschäft aber gehört nicht in
gegenwärtigen Abschnitt. Allein daß gedachtes Princip der Autonomie das
alleinige Princip der Moral sei, läßt sich durch bloße Zergliederung der
Begriffe der Sittlichkeit gar wohl darthun. Denn dadurch findet sich, daß ihr
Princip ein kategorischer Imperativ sein müsse, dieser aber nichts mehr oder
weniger als gerade diese Autonomie gebiete.
IV441 Wenn der Wille irgend worin anders, als in der
Tauglichkeit seiner Maximen zu seiner eigenen allgemeinen Gesetzgebung, mithin,
wenn er, indem er über sich selbst hinausgeht, in der Beschaffenheit irgend
eines seiner Objecte das Gesetz sucht, das ihn bestimmen soll, so kommt
jederzeit Heteronomie heraus. Der Wille giebt alsdann sich nicht selbst,
sondern das Object durch sein Verhältniß zum Willen giebt diesem das Gesetz.
Dies Verhältniß, es beruhe nun auf der Neigung, oder auf Vorstellungen der
Vernunft, läßt nur hypothetische Imperativen möglich werden: ich soll etwas
thun darum, weil ich etwas anderes will. Dagegen sagt der moralische, mithin
kategorische Imperativ: ich soll so oder so handeln, ob ich gleich nichts
anderes wollte. Z. E. jener sagt: ich soll nicht lügen, wenn ich bei Ehren
bleiben will; dieser aber: ich soll nicht lügen, ob es mir gleich nicht die
mindeste Schande zuzöge. Der letztere muß also von allem Gegenstande so fern
abstrahiren, daß dieser gar keinen Einfluß auf den Willen habe, damit
praktische Vernunft (Wille) nicht fremdes Interesse bloß administrire, sondern
bloß ihr eigenes gebietendes Ansehen als oberste Gesetzgebung beweise. So soll
ich z.B. fremde Glückseligkeit zu befördern suchen, nicht als wenn mir an deren
Existenz was gelegen wäre (es sei durch unmittelbare Neigung, oder irgend ein
Wohlgefallen indirect durch Vernunft), sondern bloß deswegen, weil die Maxime,
die sie ausschließt, nicht in einem und demselben Wollen, als allgemeinen
Gesetz, begriffen werden kann.
IV441 Die menschliche Vernunft hat hier, wie allerwärts in
ihrem reinen Gebrauche, so lange es ihr an Kritik fehlt, vorher alle mögliche
unrechte Wege versucht, ehe es ihr gelingt, den einzigen wahren zu treffen.
Alle Principien, die
man aus diesem Gesichtspunkte nehmen mag, sind entweder empirisch oder
rational. Die ersteren, aus dem Princip |
IV442 der Glückseligkeit, sind aufs physische oder moralische Gefühl, die zweiten,
aus dem Princip der Vollkommenheit, entweder auf den Vernunftbegriff
derselben als möglicher Wirkung, oder auf den Begriff einer selbstständigen
Vollkommenheit (den Willen Gottes) als bestimmende Ursache unseres Willens
gebauet.
Empirische Principien
taugen überall nicht dazu, um moralische Gesetze darauf zu gründen. Denn die
Allgemeinheit, mit der sie für alle vernünftige Wesen ohne Unterschied gelten
sollen, die unbedingte praktische Nothwendigkeit, die ihnen dadurch auferlegt
wird, fällt weg, wenn der Grund derselben von der besonderen Einrichtung der
menschlichen Natur, oder den zufälligen Umständen hergenommen wird, darin sie
gesetzt ist. Doch ist das Princip der eigenen Glückseligkeit am meisten
verwerflich, nicht bloß deswegen weil es falsch ist, und die Erfahrung dem
Vorgeben, als ob das Wohlbefinden sich jederzeit nach dem Wohlverhalten richte,
widerspricht, auch nicht bloß weil es gar nichts zur Gründung der Sittlichkeit
beiträgt, indem es ganz was anderes ist, einen glücklichen, als einen guten
Menschen, und diesen klug und auf seinen Vortheil abgewitzt, als ihn tugendhaft
zu machen: sondern weil es der Sittlichkeit Triebfedern unterlegt, die sie eher
untergraben und ihre ganze Erhabenheit zernichten, indem sie die Bewegursachen
zur Tugend mit denen zum Laster in eine Classe stellen und nur den Calcul
besser ziehen lehren, den specifischen Unterschied beider aber ganz und gar
auslöschen; dagegen das moralische Gefühl, dieser vermeintliche besondere
Sinn*, (so seicht auch die Berufung auf selbigen ist, indem diejenigen, die
nicht denken können, selbst in dem, was bloß auf allgemeine Gesetze ankommt,
sich durchs Fühlen auszuhelfen glauben, so wenig auch Gefühle, die dem Grade
nach von Natur unendlich von einander unterschieden sind, einen gleichen
Maßstab des Guten und Bösen abgeben, auch einer durch sein Gefühl für andere
gar nicht gültig urtheilen kann) dennoch der Sittlichkeit und ihrer Würde
dadurch näher bleibt, daß er der Tugend die Ehre beweist, das Wohlgefallen und
die Hochschätzung für sie ihr unmittelbar zuzuschreiben, und ihr nicht
gleich|sam
IV443 ins Gesicht sagt, daß es nicht ihre Schönheit, sondern nur der Vortheil
sei, der uns an sie knüpfe.
Unter den rationalen
oder Vernunftgründen der Sittlichkeit ist doch der ontologische Begriff der
Vollkommenheit (so leer, so unbestimmt, mithin unbrauchbar er auch ist, um in
dem unermeßlichen Felde möglicher Realität die für uns schickliche größte Summe
auszufinden; so sehr er auch, um die Realität, von der hier die Rede ist,
specifisch von jeder anderen zu unterscheiden, einen unvermeidlichen Hang hat,
sich im Cirkel zu drehen, und die Sittlichkeit, die er erklären soll, ingeheim
vorauszusetzen, nicht vermeiden kann) dennoch besser als der theologische
Begriff, sie von einem göttlichen, allervollkommensten Willen abzuleiten, nicht
bloß deswegen weil wir seine Vollkommenheit doch nicht anschauen, sondern sie
von unseren Begriffen, unter denen der der Sittlichkeit der vornehmste ist,
allein ableiten können, sondern weil, wenn wir dieses nicht thun (wie es denn,
wenn es geschähe, ein grober Cirkel im Erklären sein würde), der uns noch
übrige Begriff seines Willens aus den Eigenschaften der Ehr- und
Herrschbegierde, mit den furchtbaren Vorstellungen der Macht und des Racheifers
verbunden, zu einem System der Sitten, welches der Moralität gerade entgegen
gesetzt wäre, die Grundlage machen müßte.
Wenn ich aber zwischen
dem Begriff des moralischen Sinnes und dem der Vollkommenheit überhaupt (die
beide der Sittlichkeit wenigstens nicht Abbruch thun, ob sie gleich dazu gar nichts
taugen, sie als Grundlagen zu unterstützen) wählen müßte: so würde ich mich für
den letzteren bestimmen, weil er, da er wenigstens die Entscheidung der Frage
von der Sinnlichkeit ab und an den Gerichtshof der reinen Vernunft zieht, ob er
gleich auch hier nichts entscheidet, dennoch die unbestimmte Idee (eines an
sich guten Willens) zur nähern Bestimmung unverfälscht aufbehält.
Übrigens glaube ich
einer weitläuftigen Widerlegung aller dieser Lehrbegriffe überhoben sein zu
können. Sie ist so leicht, sie ist von denen selbst, deren Amt es erfordert,
sich doch für eine dieser Theorien zu erklären (weil Zuhörer den Aufschub des
Urtheils nicht wohl leiden mögen), selbst vermuthlich so wohl eingesehen, daß
dadurch nur überflüssige Arbeit geschehen würde. Was uns aber hier mehr
interessirt, ist, zu wissen: daß diese Principien überall nichts als
Heteronomie des Willens zum ersten Grunde der Sittlichkeit aufstellen und eben
darum nothwendig ihres Zwecks verfehlen müssen.
IV444 Allenthalben, wo ein Object
des Willens zum Grunde gelegt werden muß, um diesem die Regel vorzuschreiben,
die ihn bestimme, da ist die Regel nichts als Heteronomie; der Imperativ ist
bedingt, nämlich: wenn oder weil man dieses Object will, soll man so oder so
handeln; mithin kann er niemals moralisch, d.i. kategorisch, gebieten. Es mag
nun das Object vermittelst der Neigung, wie beim Princip der eigenen
Glückseligkeit, oder vermittelst der auf Gegenstände unseres möglichen Wollens
überhaupt gerichteten Vernunft, im Princip der Vollkommenheit, den Willen
bestimmen, so bestimmt sich der Wille niemals unmittelbar selbst durch die
Vorstellung der Handlung, sondern nur durch die Triebfeder, welche die
vorausgesehene Wirkung der Handlung auf den Willen hat; ich soll etwas thun,
darum weil ich etwas anderes will, und hier muß noch ein anderes Gesetz in
meinem Subject zum Grunde gelegt werden, nach welchem ich dieses Andere
nothwendig will, welches Gesetz wiederum eines Imperativs bedarf, der diese
Maxime einschränke. Denn weil der Antrieb, den die Vorstellung eines durch
unsere Kräfte möglichen Objects nach der Naturbeschaffenheit des Subjects auf
seinen Willen ausüben soll, zur Natur des Subjects gehört, es sei der
Sinnlichkeit (der Neigung und des Geschmacks) oder des Verstandes und der
Vernunft, die nach der besonderen Einrichtung ihrer Natur an einem Objecte sich
mit Wohlgefallen üben, so gäbe eigentlich die Natur das Gesetz, welches als ein
solches nicht allein durch Erfahrung erkannt und bewiesen werden muß, mithin an
sich zufällig ist und zur apodiktischen praktischen Regel, dergleichen die
moralische sein muß, dadurch untauglich wird, sondern es ist immer nur
Heteronomie des Willens, der Wille giebt sich nicht selbst, sondern ein fremder
Antrieb giebt ihm vermittelst einer auf die Empfänglichkeit desselben
gestimmten Natur des Subjects das Gesetz.
Der schlechterdings
gute Wille, dessen Princip ein kategorischer Imperativ sein muß, wird also, in
Ansehung aller Objecte unbestimmt, bloß die Form des Wollens überhaupt
enthalten und zwar als Autonomie, d.i. die Tauglichkeit der Maxime eines jeden
guten Willens, sich selbst zum allgemeinen Gesetze zu machen, ist selbst das
alleinige Gesetz, das sich der Wille eines jeden vernünftigen Wesens selbst
auferlegt, ohne irgend eine Triebfeder und Interesse derselben als Grund
unterzulegen.
Wie ein solcher
synthetischer praktischer Satz a priori möglich und warum er nothwendig
sei, ist eine Aufgabe, deren Auflösung nicht mehr binnen den Grenzen der
Metaphysik der Sitten liegt, auch haben wir |
IV445 seine Wahrheit hier nicht behauptet, viel weniger vorgegeben, einen
Beweis derselben in unserer Gewalt zu haben. Wir zeigten nur durch Entwickelung
des einmal allgemein im Schwange gehenden Begriffs der Sittlichkeit; daß eine
Autonomie des Willens demselben unvermeidlicher Weise anhänge, oder vielmehr
zum Grunde liege. Wer also Sittlichkeit für Etwas und nicht für eine
chimärische Idee ohne Wahrheit hält, muß das angeführte Princip derselben
zugleich einräumen. Dieser Abschnitt war also eben so, wie der erste bloß analytisch.
Daß nun Sittlichkeit kein Hirngespinst sei, welches alsdann folgt, wenn der
kategorische Imperativ und mit ihm die Autonomie des Willens wahr und als ein
Princip a priori schlechterdings nothwendig ist, erfordert einen
möglichen synthetischen Gebrauch der reinen praktischen Vernunft, den wir aber
nicht wagen dürfen, ohne eine Kritik dieses Vernunftvermögens selbst
voranzuschicken, von welcher wir in dem letzten Abschnitte die zu unserer
Absicht hinlängliche Hauptzüge darzustellen haben.
__________
Anmerkungen:
* Ich rechne das
Princip des moralischen Gefühls zu dem der Glückseligkeit, weil ein jedes
empirische Interesse durch die Annehmlichkeit, die etwas nur gewährt, es mag
nun unmittelbar und ohne Absicht auf Vortheile, oder in Rücksicht auf dieselbe
geschehen, einen Beitrag zum Wohlbefinden verspricht. Imgleichen muß man das
Princip der Theilnehmung an anderer Glückseligkeit mit Hutcheson zu demselben
von ihm angenommenen moralischen Sinne rechnen.
IV446 Der Wille ist eine Art von Causalität lebender Wesen,
so fern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser
Causalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen
wirkend sein kann: so wie Naturnothwendigkeit die Eigenschaft der Causalität aller
vernunftlosen Wesen, durch den Einfluß fremder Ursachen zur Thätigkeit bestimmt
zu werden.
Die angeführte
Erklärung der Freiheit ist negativ und daher, um ihr Wesen einzusehen,
unfruchtbar; allein es fließt aus ihr ein positiver Begriff derselben, der
desto reichhaltiger und fruchtbarer ist. Da der Begriff einer Causalität den
von Gesetzen bei sich führt, nach welchen durch etwas, was wir Ursache nennen,
etwas anderes, nämlich die Folge, gesetzt werden muß: so ist die Freiheit, ob
sie zwar nicht eine Eigenschaft des Willens nach Naturgesetzen ist, darum doch
nicht gar gesetzlos, sondern muß vielmehr eine Causalität nach unwandelbaren
Gesetzen, aber von besonderer Art sein; denn sonst wäre ein freier Wille ein
Unding. Die Naturnothwendigkeit war eine Heteronomie der wirkenden Ursachen;
denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetze möglich, daß etwas anderes die
wirkende Ursache zur Causalität bestimmte; was kann denn wohl die Frei|heit
IV447 des Willens sonst sein als Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens,
sich selbst ein Gesetz zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen
Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Princip, nach keiner
anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz
zum Gegenstande haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen
Imperativs und das Princip der Sittlichkeit: also ist ein freier Wille und ein
Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.
Wenn also Freiheit des
Willens vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit sammt ihrem Princip
daraus durch bloße Zergliederung ihres Begriffs. Indessen ist das letztere doch
immer ein synthetischer Satz: ein schlechterdings guter Wille ist derjenige,
dessen Maxime jederzeit sich selbst, als allgemeines Gesetz betrachtet, in sich
enthalten kann, denn durch Zergliederung des Begriffs von einem schlechthin
guten Willen kann jene Eigenschaft der Maxime nicht gefunden werden. Solche
synthetische Sätze sind aber nur dadurch möglich, daß beide Erkenntnisse durch
die Verknüpfung mit einem dritten, darin sie beiderseits anzutreffen sind,
unter einander verbunden werden. Der positive Begriff der Freiheit schafft
dieses dritte, welches nicht wie bei den physischen Ursachen die Natur der
Sinnenwelt sein kann (in deren Begriff die Begriffe von etwas als Ursache in
Verhältniß auf etwas anderes als Wirkung zusammenkommen). Was dieses dritte
sei, worauf uns die Freiheit weiset, und von dem wir a priori eine Idee
haben, läßt sich hier sofort noch nicht anzeigen und die Deduction des Begriffs
der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft, mit ihr auch die Möglichkeit
eines kategorischen Imperativs begreiflich machen, sondern bedarf noch einiger
Vorbereitung.
IV447 Es ist nicht genug, daß wir unserem Willen, es sei aus
welchem Grunde, Freiheit zuschreiben, wenn wir nicht ebendieselbe auch allen
vernünftigen Wesen beizulegen hinreichenden Grund haben. Denn da Sittlichkeit
für uns bloß als für vernünftige Wesen zum Gesetze dient, so muß sie auch für
alle vernünftige Wesen gelten, und da sie lediglich aus der Eigenschaft der
Freiheit abgeleitet werden muß, so muß auch Freiheit als Eigenschaft des
Willens aller vernünftigen Wesen bewiesen werden, und es ist nicht genug, sie
aus gewissen vermeintlichen Erfahrungen |
IV448 von der menschlichen Natur darzuthun (wiewohl dieses auch
schlechterdings unmöglich ist und lediglich a priori dargethan werden
kann), sondern man muß sie als zur Thätigkeit vernünftiger und mit einem Willen
begabter Wesen überhaupt gehörig beweisen. Ich sage nun: Ein jedes Wesen, das
nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum in
praktischer Rücksicht wirklich frei, d.i. es gelten für dasselbe alle Gesetze,
die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, eben so als ob sein Wille
auch an sich selbst und in der theoretischen Philosophie gültig für frei
erklärt würde*. Nun behaupte ich: daß wir jedem vernünftigen Wesen, das einen
Willen hat, nothwendig auch die Idee der Freiheit leihen müssen, unter der es
allein handle. Denn in einem solchen Wesen denken wir uns eine Vernunft, die
praktisch ist, d.i. Causalität in Ansehung ihrer Objecte hat. Nun kann man sich
unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtsein in Ansehung
ihrer Urtheile anderwärts her eine Lenkung empfinge, denn alsdann würde das Subject
nicht seiner Vernunft, sondern einem Antriebe die Bestimmung der Urtheilskraft
zuschreiben. Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Principien ansehen
unabhängig von fremden Einflüssen, folglich muß sie als praktische Vernunft,
oder als Wille eines vernünftigen Wesens von ihr selbst als frei angesehen
werden; d.i. der Wille desselben kann nur unter der Idee der Freiheit ein
eigener Wille sein und muß also in praktischer Absicht allen vernünftigen Wesen
beigelegt werden.
Anmerkungen:
* Diesen Weg, die
Freiheit nur als von vernünftigen Wesen bei ihren Handlungen bloß in der Idee
zum Grunde gelegt zu unserer Absicht hinreichend anzunehmen, schlage ich
deswegen ein, damit ich mich nicht verbindlich machen dürfte, die Freiheit auch
in ihrer theoretischen Absicht zu beweisen. Denn wenn dieses letztere auch
unausgemacht gelassen wird, so gelten doch dieselben Gesetze für ein Wesen, das
nicht anders als unter der Idee seiner eigenen Freiheit handeln kann, die ein
Wesen, das wirklich frei wäre, verbinden würden. Wir können uns hier also von
der Last befreien, die die Theorie drückt.
IV448 Wir haben den bestimmten Begriff der Sittlichkeit auf
die Idee der Freiheit zuletzt zurückgeführt; diese aber konnten wir als etwas
Wirkliches nicht einmal in uns selbst und in der menschlichen Natur beweisen;
wir |
IV449 sahen nur, daß wir sie voraussetzen müssen, wenn wir uns ein Wesen als
vernünftig und mit Bewußtsein seiner Causalität in Ansehung der Handlungen,
d.i. mit einem Willen, begabt uns denken wollen, und so finden wir, daß wir aus
eben demselben Grunde jedem mit Vernunft und Willen begabten Wesen diese
Eigenschaft, sich unter der Idee seiner Freiheit zum Handeln zu bestimmen,
beilegen müssen.
Es floß aber aus der
Voraussetzung dieser Ideen auch das Bewußtsein eines Gesetzes zu handeln: daß
die subjectiven Grundsätze der Handlungen, d.i. Maximen, jederzeit so genommen
werden müssen, daß sie auch objectiv, d.i. allgemein als Grundsätze, gelten,
mithin zu unserer eigenen allgemeinen Gesetzgebung dienen können. Warum aber
soll ich mich denn diesem Princip unterwerfen und zwar als vernünftiges Wesen
überhaupt, mithin auch dadurch alle andere mit Vernunft begabte Wesen? Ich will
einräumen, daß mich hiezu kein Interesse treibt, denn das würde keinen kategorischen
Imperativ geben; aber ich muß doch hieran nothwendig ein Interesse nehmen und
einsehen, wie das zugeht; denn dieses Sollen ist eigentlich ein Wollen, das
unter der Bedingung für jedes vernünftige Wesen gilt, wenn die Vernunft bei ihm
ohne Hindernisse praktisch wäre; für Wesen, die wie wir noch durch Sinnlichkeit
als Triebfedern anderer Art afficirt werden, bei denen es nicht immer
geschieht, was die Vernunft für sich allein thun würde, heißt jene
Nothwendigkeit der Handlung nur ein Sollen, und die subjective Nothwendigkeit
wird von der objectiven unterschieden.
Es scheint also, als
setzten wir in der Idee der Freiheit eigentlich das moralische Gesetz, nämlich
das Princip der Autonomie des Willens selbst, nur voraus und könnten seine
Realität und objective Nothwendigkeit nicht für sich beweisen, und da hätten
wir zwar noch immer etwas ganz Beträchtliches dadurch gewonnen, daß wir
wenigstens das ächte Princip genauer, als wohl sonst geschehen, bestimmt
hätten, in Ansehung seiner Gültigkeit aber und der praktischen Nothwendigkeit,
sich ihm zu unterwerfen, wären wir um nichts weiter gekommen; denn wir könnten
dem, der uns fragte, warum denn die Allgemeingültigkeit unserer Maxime, als
eines Gesetzes, die einschränkende Bedingung unserer Handlungen sein müsse, und
worauf wir den Werth gründen, den wir dieser Art zu handeln beilegen, der so
groß sein soll, daß es überall kein höheres Interesse geben kann, und wie es
zugehe, daß der Mensch dadurch allein seinen persönlichen Werth zu |
IV450 fühlen glaubt, gegen den der eines angenehmen oder unangenehmen
Zustandes für nichts zu halten sei, keine genugthuende Antwort geben.
Zwar finden wir wohl,
daß wir an einer persönlichen Beschaffenheit ein Interesse nehmen können, die
gar kein Interesse des Zustandes bei sich führt, wenn jene uns nur fähig macht,
des letzteren theilhaftig zu werden, im Falle die Vernunft die Austheilung
desselben bewirken sollte, d.i. daß die bloße Würdigkeit, glücklich zu sein,
auch ohne den Bewegungsgrund, dieser Glückseligkeit theilhaftig zu werden, für
sich interessiren könne: aber dieses Urtheil ist in der That nur die Wirkung
von der schon vorausgesetzten Wichtigkeit moralischer Gesetze (wenn wir uns
durch die Idee der Freiheit von allem empirischen Interesse trennen); aber daß
wir uns von diesem trennen, d.i. uns als frei im Handeln betrachten und so uns
dennoch für gewissen Gesetzen unterworfen halten sollen, um einen Werth bloß in
unserer Person zu finden, der uns allen Verlust dessen, was unserem Zustande
einen Werth verschafft, vergüten könne, und wie dieses möglich sei, mithin
woher das moralische Gesetz verbindet, können wir auf solche Art noch nicht
einsehen.
Es zeigt sich hier,
man muß es frei gestehen, eine Art von Cirkel, aus dem, wie es scheint, nicht
heraus zu kommen ist. Wir nehmen uns in der Ordnung der wirkenden Ursachen als
frei an, um uns in der Ordnung der Zwecke unter sittlichen Gesetzen zu denken,
und wir denken uns nachher als diesen Gesetzen unterworfen, weil wir uns die
Freiheit des Willens beigelegt haben; denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des
Willens sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe, davon aber einer eben um
deswillen nicht dazu gebraucht werden kann, um den anderen zu erklären und von
ihm Grund anzugeben, sondern höchstens nur, um in logischer Absicht verschieden
scheinende Vorstellungen von eben demselben Gegenstande auf einen einzigen
Begriff (wie verschiedne Brüche gleiches Inhalts auf die kleinsten Ausdrücke)
zu bringen.
Eine Auskunft bleibt
uns aber noch übrig, nämlich zu suchen: ob wir, wenn wir uns durch Freiheit als
a priori wirkende Ursachen denken, nicht einen anderen Standpunkt
einnehmen, als wenn wir uns selbst nach unseren Handlungen als Wirkungen, die
wir vor unseren Augen sehen, uns vorstellen.
Es ist eine Bemerkung,
welche anzustellen eben kein subtiles Nachdenken erfordert wird, sondern von
der man annehmen kann, daß sie wohl der gemeinste Verstand, obzwar nach seiner
Art durch eine dunkele Unter|scheidung
IV451 der Urtheilskraft, die er Gefühl nennt, machen mag: daß alle
Vorstellungen, die uns ohne unsere Willkür kommen (wie die der Sinne), uns die
Gegenstände nicht anders zu erkennen geben, als sie uns afficiren, wobei, was
sie an sich sein mögen, uns unbekannt bleibt, mithin daß, was diese Art
Vorstellungen betrifft, wir dadurch auch bei der angestrengtesten
Aufmerksamkeit und Deutlichkeit, die der Verstand nur immer hinzufügen mag,
doch bloß zur Erkenntniß der Erscheinungen, niemals der Dinge an sich selbst
gelangen können. Sobald dieser Unterschied (allenfalls bloß durch die bemerkte
Verschiedenheit zwischen den Vorstellungen, die uns anders woher gegeben
werden, und dabei wir leidend sind, von denen, die wir lediglich aus uns selbst
hervorbringen, und dabei wir unsere Thätigkeit beweisen) einmal gemacht ist, so
folgt von selbst, daß man hinter den Erscheinungen doch noch etwas anderes, was
nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge an sich, einräumen und annehmen müsse,
ob wir gleich uns von selbst bescheiden, daß, da sie uns niemals bekannt werden
können, sondern immer nur, wie sie uns afficiren, wir ihnen nicht näher treten
und, was sie an sich sind, niemals wissen können. Dieses muß eine, obzwar rohe,
Unterscheidung einer Sinnenwelt von der Verstandeswelt abgeben, davon die
erstere nach Verschiedenheit der Sinnlichkeit in mancherlei Weltbeschauern auch
sehr verschieden sein kann, indessen die zweite, die ihr zum Grunde liegt,
immer dieselbe bleibt. Sogar sich selbst und zwar nach der Kenntniß, die der
Mensch durch innere Empfindung von sich hat, darf er sich nicht anmaßen zu
erkennen, wie er an sich selbst sei. Denn da er doch sich selbst nicht
gleichsam schafft und seinen Begriff nicht a priori, sondern empirisch
bekommt, so ist natürlich, daß er auch von sich durch den innern Sinn und
folglich nur durch die Erscheinung seiner Natur und die Art, wie sein
Bewußtsein afficirt wird, Kundschaft einziehen könne, indessen er doch
nothwendiger Weise über diese aus lauter Erscheinungen zusammengesetzte
Beschaffenheit seines eigenen Subjects noch etwas anderes zum Grunde Liegendes,
nämlich sein Ich, so wie es an sich selbst beschaffen sein mag, annehmen und
sich also in Absicht auf die bloße Wahrnehmung und Empfänglichkeit der
Empfindungen zur Sinnenwelt, in Ansehung dessen aber, was in ihm reine
Thätigkeit sein mag, (dessen, was gar nicht durch Afficirung der Sinne, sondern
unmittelbar zum Bewußtsein gelangt) sich zur intellectuellen Welt zählen muß,
die er doch nicht weiter kennt.
Dergleichen Schluß muß
der nachdenkende Mensch von allen Dingen, |
IV452 die ihm vorkommen mögen, fällen; vermuthlich ist er auch im gemeinsten
Verstande anzutreffen, der, wie bekannt, sehr geneigt ist, hinter den
Gegenständen der Sinne noch immer etwas Unsichtbares, für sich selbst Thätiges
zu erwarten, es aber wiederum dadurch verdirbt, daß er dieses Unsichtbare sich bald
wiederum versinnlicht, d.i. zum Gegenstande der Anschauung machen will, und
dadurch also nicht um einen Grad klüger wird.
Nun findet der Mensch
in sich wirklich ein Vermögen, dadurch er sich von allen andern Dingen, ja von
sich selbst, so fern er durch Gegenstände afficirt wird, unterscheidet, und das
ist die Vernunft. Diese, als reine Selbstthätigkeit, ist sogar darin noch über
den Verstand erhoben: daß, obgleich dieser auch Selbstthätigkeit ist und nicht
wie der Sinn bloß Vorstellungen enthält, die nur entspringen, wenn man von
Dingen afficirt (mithin leidend) ist, er dennoch aus seiner Thätigkeit keine
andere Begriffe hervorbringen kann als die, so bloß dazu dienen, um die
sinnlichen Vorstellungen unter Regeln zu bringen und sie dadurch in einem Bewußtsein
zu vereinigen, ohne welchen Gebrauch der Sinnlichkeit er gar nichts denken
würde, da hingegen die Vernunft unter dem Namen der Ideen eine so reine
Spontaneität zeigt, daß sie dadurch weit über alles, was ihr Sinnlichkeit nur
liefern kann, hinausgeht und ihr vornehmstes Geschäfte darin beweiset,
Sinnenwelt und Verstandeswelt von einander zu unterscheiden, dadurch aber dem
Verstande selbst seine Schranken vorzuzeichnen.
Um deswillen muß ein
vernünftiges Wesen sich selbst als Intelligenz (also nicht von Seiten seiner
untern Kräfte), nicht als zur Sinnen-, sondern zur Verstandeswelt gehörig,
ansehen; mithin hat es zwei Standpunkte, daraus es sich selbst betrachten und
Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen erkennen
kann, einmal, so fern es zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen
(Heteronomie), zweitens, als zur intelligibelen Welt gehörig, unter Gesetzen,
die, von der Natur unabhängig, nicht empirisch, sondern bloß in der Vernunft
gegründet sind.
Als ein vernünftiges,
mithin zur intelligibelen Welt gehöriges Wesen kann der Mensch die Causalität
seines eigenen Willens niemals anders als unter der Idee der Freiheit denken;
denn Unabhängigkeit von den bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt (dergleichen
die Vernunft jederzeit sich selbst beilegen muß) ist Freiheit. Mit der Idee der
Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem
aber das allgemeine Princip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen
Hand|lungen
IV453 vernünftiger Wesen eben so zum Grunde liegt, als das Naturgesetz allen
Erscheinungen.
Nun ist der Verdacht,
den wir oben rege machten, gehoben, als wäre ein geheimer Cirkel in unserem
Schlusse aus der Freiheit auf die Autonomie und aus dieser aufs sittliche
Gesetz enthalten, daß wir nämlich vielleicht die Idee der Freiheit nur um des
sittlichen Gesetzes willen zum Grunde legten, um dieses nachher aus der
Freiheit wiederum zu schließen, mithin von jenem gar keinen Grund angeben
könnten, sondern es nur als Erbittung eines Princips, das uns gutgesinnte
Seelen wohl gerne einräumen werden, welches wir aber niemals als einen
erweislichen Satz aufstellen könnten. Denn jetzt sehen wir, daß, wenn wir uns
als frei denken, so versetzen wir uns als Glieder in die Verstandeswelt und
erkennen die Autonomie des Willens sammt ihrer Folge, der Moralität; denken wir
uns aber als verpflichtet, so betrachten wir uns als zur Sinnenwelt und doch
zugleich zur Verstandeswelt gehörig.
IV453 Das vernünftige Wesen zählt sich als Intelligenz zur
Verstandeswelt, und bloß als eine zu dieser gehörige wirkende Ursache nennt es
seine Causalität einen Willen. Von der anderen Seite ist es sich seiner doch
auch als eines Stücks der Sinnenwelt bewußt, in welcher seine Handlungen als
bloße Erscheinungen jener Causalität angetroffen werden, deren Möglichkeit aber
aus dieser, die wir nicht kennen, nicht eingesehen werden kann, sondern an
deren Statt jene Handlungen als bestimmt durch andere Erscheinungen, nämlich
Begierden und Neigungen, als zur Sinnenwelt gehörig eingesehen werden müssen.
Als bloßen Gliedes der Verstandeswelt würden also alle meine Handlungen dem
Princip der Autonomie des reinen Willens vollkommen gemäß sein; als bloßen
Stücks der Sinnenwelt würden sie gänzlich dem Naturgesetz der Begierden und
Neigungen, mithin der Heteronomie der Natur gemäß genommen werden müssen. (Die
ersteren würden auf dem obersten Princip der Sittlichkeit, die zweiten der
Glückseligkeit beruhen.) Weil aber die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt,
mithin auch der Gesetze derselben enthält, also in Ansehung meines Willens (der
ganz zur Verstandeswelt gehört) unmittelbar gesetzgebend ist und also auch als
solche gedacht werden muß, so werde ich mich als Intelligenz, obgleich
andererseits wie ein zur |
IV454 Sinnenwelt gehöriges Wesen, dennoch dem Gesetze der ersteren, d.i. der
Vernunft, die in der Idee der Freiheit das Gesetz derselben enthält, und also
der Autonomie des Willens unterworfen erkennen, folglich die Gesetze der
Verstandeswelt für mich als Imperativen und die diesem Princip gemäße
Handlungen als Pflichten ansehen müssen.
Und so sind
kategorische Imperativen möglich, dadurch daß die Idee der Freiheit mich zu
einem Gliede einer intelligibelen Welt macht, wodurch, wenn ich solches allein
wäre, alle meine Handlungen der Autonomie des Willens jederzeit gemäß sein
würden, da ich mich aber zugleich als Glied der Sinnenwelt anschaue, gemäß sein
sollen, welches kategorische Sollen einen synthetischen Satz a priori vorstellt,
dadurch daß über meinen durch sinnliche Begierden afficirten Willen noch die
Idee ebendesselben, aber zur Verstandeswelt gehörigen reinen, für sich selbst
praktischen Willens hinzukommt, welcher die oberste Bedingung des ersteren nach
der Vernunft enthält; ungefähr so, wie zu den Anschauungen der Sinnenwelt Begriffe
des Verstandes, die für sich selbst nichts als gesetzliche Form überhaupt
bedeuten, hinzu kommen und dadurch synthetische Sätze a priori, auf
welchen alle Erkenntniß einer Natur beruht, möglich machen.
Der praktische
Gebrauch der gemeinen Menschenvernunft bestätigt die Richtigkeit dieser
Deduction. Es ist niemand, selbst der ärgste Bösewicht, wenn er nur sonst
Vernunft zu brauchen gewohnt ist, der nicht, wenn man ihm Beispiele der
Redlichkeit in Absichten, der Standhaftigkeit in Befolgung guter Maximen, der
Theilnehmung und des allgemeinen Wohlwollens (und noch dazu mit großen
Aufopferungen von Vortheilen und Gemächlichkeit verbunden) vorlegt, nicht
wünsche, daß er auch so gesinnt sein möchte. Er kann es aber nur wegen seiner
Neigungen und Antriebe nicht wohl in sich zu Stande bringen, wobei er dennoch
zugleich wünscht, von solchen ihm selbst lästigen Neigungen frei zu sein. Er
beweiset hiedurch also, daß er mit einem Willen, der von Antrieben der
Sinnlichkeit frei ist, sich in Gedanken in eine ganz andere Ordnung der Dinge
versetze, als die seiner Begierden im Felde der Sinnlichkeit, weil er von jenem
Wunsche keine Vergnügung der Begierden, mithin keinen für irgend eine seiner
wirklichen oder sonst erdenklichen Neigungen befriedigenden Zustand (denn dadurch
würde selbst die Idee, welche ihm den Wunsch ablockt, ihre Vorzüglichkeit
einbüßen), sondern nur einen größeren inneren Werth seiner Person erwarten
kann. Diese bessere Per|son
IV455 glaubt er aber zu sein, wenn er sich in den Standpunkt eines Gliedes der
Verstandeswelt versetzt, dazu die Idee der Freiheit, d.i. Unabhängigkeit von
bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt, ihn unwillkürlich nöthigt, und in welchem
er sich eines guten Willens bewußt ist, der für seinen bösen Willen als Gliedes
der Sinnenwelt nach seinem eigenen Geständnisse das Gesetz ausmacht, dessen
Ansehen er kennt, indem er es übertritt. Das moralische Sollen ist also eigenes
nothwendiges Wollen als Gliedes einer intelligibelen Welt und wird nur so fern
von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt
betrachtet.
IV455 Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei.
Daher kommen alle Urtheile über Handlungen als solche, die hätten geschehen
sollen, ob sie gleich nicht geschehen sind. Gleichwohl ist diese Freiheit kein
Erfahrungsbegriff und kann es auch nicht sein, weil er immer bleibt, obgleich
die Erfahrung das Gegentheil von denjenigen Forderungen zeigt, die unter
Voraussetzung derselben als nothwendig vorgestellt werden. Auf der anderen
Seite ist es eben so nothwendig, daß alles, was geschieht, nach Naturgesetzen
unausbleiblich bestimmt sei, und diese Naturnothwendigkeit ist auch kein
Erfahrungsbegriff, eben darum weil er den Begriff der Nothwendigkeit, mithin
einer Erkenntniß a priori bei sich führt. Aber dieser Begriff von einer
Natur wird durch Erfahrung bestätigt und muß selbst unvermeidlich vorausgesetzt
werden, wenn Erfahrung, d.i. nach allgemeinen Gesetzen zusammenhängende
Erkenntniß der Gegenstände der Sinne, möglich sein soll. Daher ist Freiheit nur
eine Idee der Vernunft, deren objective Realität an sich zweifelhaft ist, Natur
aber ein Verstandesbegriff, der seine Realität an Beispielen der Erfahrung
beweiset und nothwendig beweisen muß.
Ob nun gleich hieraus
eine Dialektik der Vernunft entspringt, da in Ansehung des Willens die ihm
beigelegte Freiheit mit der Naturnothwendigkeit im Widerspruch zu stehen
scheint, und bei dieser Wegescheidung die Vernunft in speculativer Absicht den
Weg der Naturnothwendigkeit viel gebähnter und brauchbarer findet, als den der
Freiheit: so ist doch in praktischer Absicht der Fußsteig der Freiheit der
einzige, auf welchem es möglich ist, von seiner Vernunft bei unserem Thun und
Lassen |
IV456 Gebrauch zu machen; daher wird es der subtilsten Philosophie eben so
unmöglich, wie der gemeinsten Menschenvernunft, die Freiheit wegzuvernünfteln.
Diese muß also wohl voraussetzen: daß kein wahrer Widerspruch zwischen Freiheit
und Naturnothwendigkeit ebenderselben menschlichen Handlungen angetroffen
werde, denn sie kann eben so wenig den Begriff der Natur, als den der Freiheit
aufgeben.
Indessen muß dieser
Scheinwiderspruch wenigstens auf überzeugende Art vertilgt werden, wenn man
gleich, wie Freiheit möglich sei, niemals begreifen könnte. Denn wenn sogar der
Gedanke von der Freiheit sich selbst, oder der Natur, die eben so nothwendig
ist, widerspricht, so müßte sie gegen die Naturnothwendigkeit durchaus
aufgegeben werden.
Es ist aber unmöglich,
diesem Widerspruch zu entgehen, wenn das Subject, was sich frei dünkt, sich
selbst in demselben Sinne, oder in eben demselben Verhältnisse dächte, wenn es
sich frei nennt, als wenn es sich in Absicht auf die nämliche Handlung dem
Naturgesetze unterworfen annimmt. Daher ist es eine unnachlaßliche Aufgabe der
speculativen Philosophie: wenigstens zu zeigen, daß ihre Täuschung wegen des
Widerspruchs darin beruhe, daß wir den Menschen in einem anderen Sinne und
Verhältnisse denken, wenn wir ihn frei nennen, als wenn wir ihn als Stück der
Natur dieser ihren Gesetzen für unterworfen halten, und daß beide nicht allein
gar wohl beisammen stehen können, sondern auch als nothwendig vereinigt in
demselben Subject gedacht werden müssen, weil sonst nicht Grund angegeben
werden könnte, warum wir die Vernunft mit einer Idee belästigen sollten, die,
ob sie sich gleich ohne Widerspruch mit einer anderen, genugsam bewährten
vereinigen läßt, dennoch uns in ein Geschäfte verwickelt, wodurch die Vernunft
in ihrem theoretischen Gebrauche sehr in die Enge gebracht wird. Diese Pflicht
liegt aber bloß der speculativen Philosophie ob, damit sie der praktischen
freie Bahn schaffe. Also ist es nicht in das Belieben des Philosophen gesetzt,
ob er den scheinbaren Widerstreit heben, oder ihn unangerührt lassen will; denn
im letzteren Falle ist die Theorie hierüber bonum vacans, in dessen
Besitz sich der Fatalist mit Grunde setzen und alle Moral aus ihrem ohne Titel
besessenen vermeinten Eigenthum verjagen kann.
Doch kann man hier
noch nicht sagen, daß die Grenze der praktischen Philosophie anfange. Denn jene
Beilegung der Streitigkeit gehört gar nicht ihr zu, sondern sie fordert nur von
der speculativen Vernunft, daß diese die Uneinigkeit, darin sie sich in
theoretischen Fragen selbst verwickelt, |
IV457 zu Ende bringe, damit praktische Vernunft Ruhe und Sicherheit für äußere
Angriffe habe, die ihr den Boden, worauf sie sich anbauen will, streitig machen
könnten.
Der Rechtsanspruch
aber selbst der gemeinen Menschenvernunft auf Freiheit des Willens gründet sich
auf das Bewußtsein und die zugestandene Voraussetzung der Unabhängigkeit der
Vernunft von bloß subjectiv-bestimmenden Ursachen, die insgesammt das
ausmachen, was bloß zur Empfindung, mithin unter die allgemeine Benennung der
Sinnlichkeit gehört. Der Mensch, der sich auf solche Weise als Intelligenz
betrachtet, setzt sich dadurch in eine andere Ordnung der Dinge und in ein
Verhältniß zu bestimmenden Gründen von ganz anderer Art, wenn er sich als
Intelligenz mit einem Willen, folglich mit Causalität, begabt denkt, als wenn
er sich wie ein Phänomen in der Sinnenwelt (welches er wirklich auch ist)
wahrnimmt und seine Causalität äußerer Bestimmung nach Naturgesetzen
unterwirft. Nun wird er bald inne, daß beides zugleich stattfinden könne, ja
sogar müsse. Denn daß ein Ding in der Erscheinung (das zur Sinnenwelt gehörig)
gewissen Gesetzen unterworfen ist, von welchen eben dasselbe als Ding oder
Wesen an sich selbst unabhängig ist, enthält nicht den mindesten Widerspruch;
daß er sich selbst aber auf diese zwiefache Art vorstellen und denken müsse,
beruht, was das erste betrifft, auf dem Bewußtsein seiner selbst als durch
Sinne afficirten Gegenstandes, was das zweite anlangt, auf dem Bewußtsein
seiner selbst als Intelligenz, d.i. als unabhängig im Vernunftgebrauch von
sinnlichen Eindrücken (mithin als zur Verstandeswelt gehörig).
Daher kommt es, daß
der Mensch sich eines Willens anmaßt, der nichts auf seine Rechnung kommen
läßt, was bloß zu seinen Begierden und Neigungen gehört, und dagegen Handlungen
durch sich als möglich, ja gar als nothwendig denkt, die nur mit Hintansetzung
aller Begierden und sinnlichen Anreizungen geschehen können. Die Causalität
derselben liegt in ihm als Intelligenz und in den Gesetzen der Wirkungen und
Handlungen nach Principien einer intelligibelen Welt, von der er wohl nichts
weiter weiß, als daß darin lediglich die Vernunft und zwar reine, von
Sinnlichkeit unabhängige Vernunft das Gesetz gebe, imgleichen da er daselbst
nur als Intelligenz das eigentliche Selbst (als Mensch hingegen nur Erscheinung
seiner selbst) ist, jene Gesetze ihn unmittelbar und kategorisch angehen, so
daß, wozu Neigungen und Antriebe (mithin die ganze Natur der Sinnenwelt)
anreizen, den Gesetzen seines Wollens als Intelli|genz
IV458 keinen Abbruch thun kann, so gar, daß er die erstere nicht verantwortet
und seinem eigentlichen Selbst, d.i. seinem Willen, nicht zuschreibt, wohl aber
die Nachsicht, die er gegen sie tragen möchte, wenn er ihnen zum Nachtheil der
Vernunftgesetze des Willens Einfluß auf seine Maximen einräumte.
Dadurch, daß die
praktische Vernunft sich in eine Verstandeswelt hinein denkt, überschreitet sie
gar nicht ihre Grenzen, wohl aber wenn sie sich hineinschauen, hineinempfinden
wollte. Jenes ist nur ein negativer Gedanke in Ansehung der Sinnenwelt, die der
Vernunft in Bestimmung des Willens keine Gesetze giebt, und nur in diesem
einzigen Punkte positiv, daß jene Freiheit als negative Bestimmung zugleich mit
einem (positiven) Vermögen und sogar mit einer Causalität der Vernunft
verbunden sei, welche wir einen Willen nennen, so zu handeln, daß das Princip
der Handlungen der wesentlichen Beschaffenheit einer Vernunftursache, d.i. der
Bedingung der Allgemeingültigkeit der Maxime als eines Gesetzes, gemäß sei.
Würde sie aber noch ein Object des Willens, d.i. eine Bewegursache, aus der
Verstandeswelt herholen, so überschritte sie ihre Grenzen und maßte sich an,
etwas zu kennen, wovon sie nichts weiß. Der Begriff einer Verstandeswelt ist
also nur ein Standpunkt, den die Vernunft sich genöthigt sieht, außer den
Erscheinungen zu nehmen, um sich selbst als praktisch zu denken, welches, wenn
die Einflüsse der Sinnlichkeit für den Menschen bestimmend wären, nicht möglich
sein würde, welches aber doch nothwendig ist, wofern ihm nicht das Bewußtsein
seiner selbst als Intelligenz, mithin als vernünftige und durch Vernunft
thätige, d.i. frei wirkende, Ursache abgesprochen werden soll. Dieser Gedanke
führt freilich die Idee einer anderen Ordnung und Gesetzgebung, als die des
Naturmechanismus, der die Sinnenwelt trifft, herbei und macht den Begriff einer
intelligibelen Welt (d.i. das Ganze vernünftiger Wesen, als Dinge an sich
selbst) nothwendig, aber ohne die mindeste Anmaßung, hier weiter als bloß ihrer
formalen Bedingung nach, d.i. der Allgemeinheit der Maxime des Willens als
Gesetz, mithin der Autonomie des letzteren, die allein mit der Freiheit
desselben bestehen kann, gemäß zu denken; da hingegen alle Gesetze, die auf ein
Object bestimmt sind, Heteronomie geben, die nur an Naturgesetzen angetroffen
werden und auch nur die Sinnenwelt treffen kann.
Aber alsdann würde die
Vernunft alle ihre Grenze überschreiten, wenn sie es sich zu erklären
unterfinge, wie reine Vernunft praktisch sein |
IV459 könne, welches völlig einerlei mit der Aufgabe sein würde, zu erklären,
wie Freiheit möglich sei.
Denn wir können nichts
erklären, als was wir auf Gesetze zurückführen können, deren Gegenstand in
irgend einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann. Freiheit aber ist eine
bloße Idee, deren objective Realität auf keine Weise nach Naturgesetzen, mithin
auch nicht in irgend einer möglichen Erfahrung dargethan werden kann, die also
darum, weil ihr selbst niemals nach irgend einer Analogie ein Beispiel
untergelegt werden mag, niemals begriffen, oder auch nur eingesehen werden
kann. Sie gilt nur als nothwendige Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen,
das sich eines Willens, d.i. eines vom bloßen Begehrungsvermögen noch
verschiedenen Vermögens, (nämlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach
Gesetzen der Vernunft unabhängig von Naturinstincten zu bestimmen) bewußt zu
sein glaubt. Wo aber Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle
Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig als Vertheidigung, d.i. Abtreibung
der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben
vorgeben und darum die Freiheit dreust für unmöglich erklären. Man kann ihnen
nur zeigen, daß der vermeintlich von ihnen darin entdeckte Widerspruch nirgend
anders liege als darin, daß, da sie, um das Naturgesetz in Ansehung
menschlicher Handlungen geltend zu machen, den Menschen nothwendig als
Erscheinung betrachten mußten und nun, da man von ihnen fordert, daß sie ihn
als Intelligenz auch als Ding an sich selbst denken sollten, sie ihn immer auch
da noch als Erscheinung betrachten, wo denn freilich die Absonderung seiner
Causalität (d.i. seines Willens) von allen Naturgesetzen der Sinnenwelt in
einem und demselben Subjecte im Widerspruche stehen würde, welcher aber
wegfällt, wenn sie sich besinnen und wie billig eingestehen wollten, daß hinter
den Erscheinungen doch die Sachen an sich selbst (obzwar verborgen) zum Grunde
liegen müssen, von deren Wirkungsgesetzen man nicht verlangen kann, daß sie mit
denen einerlei sein sollten, unter denen ihre Erscheinungen stehen.
Die subjective
Unmöglichkeit, die Freiheit des Willens zu erklären, ist mit der Unmöglichkeit,
ein Interesse* ausfindig und begreiflich zu |
IV460 machen, welches der Mensch an moralischen Gesetzen nehmen könne,
einerlei; und gleichwohl nimmt er wirklich daran ein Interesse, wozu wir die
Grundlage in uns das moralische Gefühl nennen, welches fälschlich für das
Richtmaß unserer sittlichen Beurtheilung von einigen ausgegeben worden, da es
vielmehr als die subjective Wirkung, die das Gesetz auf den Willen ausübt,
angesehen werden muß, wozu Vernunft allein die objectiven Gründe hergiebt.
Um das zu wollen, wozu
die Vernunft allein dem sinnlich-afficirten vernünftigen Wesen das Sollen
vorschreibt, dazu gehört freilich ein Vermögen der Vernunft, ein Gefühl der
Lust oder des Wohlgefallens an der Erfüllung der Pflicht einzuflößen, mithin
eine Causalität derselben, die Sinnlichkeit ihren Principien gemäß zu
bestimmen. Es ist aber gänzlich unmöglich, einzusehen, d.i. a priori begreiflich
zu machen, wie ein bloßer Gedanke, der selbst nichts Sinnliches in sich
enthält, eine Empfindung der Lust oder Unlust hervorbringe; denn das ist eine
besondere Art von Causalität, von der wie von aller Causalität wir gar nichts a
priori bestimmen können, sondern darum allein die Erfahrung befragen
müssen. Da diese aber kein Verhältniß der Ursache zur Wirkung, als zwischen
zwei Gegenständen der Erfahrung an die Hand geben kann, hier aber reine
Vernunft durch bloße Ideen (die gar keinen Gegenstand für Erfahrung abgeben)
die Ursache von einer Wirkung, die freilich in der Erfahrung liegt, sein soll,
so ist die Erklärung, wie und warum uns die Allgemeinheit der Maxime als
Gesetzes, mithin die Sittlichkeit interessire, uns Menschen gänzlich unmöglich.
So viel ist nur gewiß: daß es nicht darum für uns Gültigkeit hat, weil es
interessirt (denn das ist Heteronomie und Abhängigkeit der praktischen Vernunft
von Sinnlichkeit, näm|lich
IV461 einem zum Grunde liegenden Gefühl, wobei sie niemals sittlich
gesetzgebend sein könnte), sondern daß es interessirt, weil es für uns als
Menschen gilt, da es aus unserem Willen als Intelligenz, mithin aus unserem
eigentlichen Selbst entsprungen ist; was aber zur bloßen Erscheinung gehört,
wird von der Vernunft nothwendig der Beschaffenheit der Sache an sich selbst
untergeordnet.
Die Frage also, wie
ein kategorischer Imperativ möglich sei, kann zwar so weit beantwortet werden,
als man die einzige Voraussetzung angeben kann, unter der er allein möglich
ist, nämlich die Idee der Freiheit, imgleichen als man die Nothwendigkeit
dieser Voraussetzung einsehen kann, welches zum praktischen Gebrauche der
Vernunft, d.i. zur Überzeugung von der Gültigkeit dieses Imperativs, mithin
auch des sittlichen Gesetzes hinreichend ist, aber wie diese Voraussetzung
selbst möglich sei, läßt sich durch keine menschliche Vernunft jemals einsehen.
Unter Voraussetzung der Freiheit des Willens einer Intelligenz aber ist die
Autonomie desselben, als die formale Bedingung, unter der er allein bestimmt
werden kann, eine nothwendige Folge. Diese Freiheit des Willens vorauszusetzen,
ist auch nicht allein (ohne in Widerspruch mit dem Princip der Naturnothwendigkeit
in der Verknüpfung der Erscheinungen der Sinnenwelt zu gerathen) ganz wohl
möglich (wie die speculative Philosophie zeigen kann), sondern auch sie
praktisch, d.i. in der Idee, allen seinen willkürlichen Handlungen als
Bedingung unterzulegen, ist einem vernünftigen Wesen, das sich seiner
Causalität durch Vernunft, mithin eines Willens (der von Begierden
unterschieden ist) bewußt ist, ohne weitere Bedingung nothwendig. Wie nun aber
reine Vernunft ohne andere Triebfedern, die irgend woher sonst genommen sein
mögen, für sich selbst praktisch sein, d.i. wie das bloße Princip der
Allgemeingültigkeit aller ihrer Maximen als Gesetze (welches freilich die Form
einer reinen praktischen Vernunft sein würde) ohne alle Materie (Gegenstand)
des Willens, woran man zum voraus irgend ein Interesse nehmen dürfe, für sich
selbst eine Triebfeder abgeben und ein Interesse, welches rein moralisch heißen
würde, bewirken, oder mit anderen Worten, wie reine Vernunft praktisch sein
könne, das zu erklären, dazu ist alle menschliche Vernunft gänzlich
unvermögend, und alle Mühe und Arbeit, hievon Erklärung zu suchen, ist
verloren.
Es ist eben dasselbe,
als ob ich zu ergründen suchte, wie Freiheit selbst als Causalität eines
Willens möglich sei. Denn da verlasse ich den philo|sophischen
IV462 Erklärungsgrund und habe keinen anderen. Zwar könnte ich nun in der
intelligibelen Welt, die mir noch übrig bleibt, in der Welt der Intelligenzen,
herumschwärmen; aber ob ich gleich davon eine Idee habe, die ihren guten Grund
hat, so habe ich doch von ihr nicht die mindeste Kenntniß und kann auch zu
dieser durch alle Bestrebung meines natürlichen Vernunftvermögens niemals
gelangen. Sie bedeutet nur ein Etwas, das da übrig bleibt, wenn ich alles, was
zur Sinnenwelt gehört, von den Bestimmungsgründen meines Willens ausgeschlossen
habe, bloß um das Princip der Bewegursachen aus dem Felde der Sinnlichkeit
einzuschränken, dadurch daß ich es begrenze und zeige, daß es nicht Alles in
Allem in sich fasse, sondern daß außer ihm noch mehr sei; dieses Mehrere aber
kenne ich nicht weiter. Von der reinen Vernunft, die dieses Ideal denkt, bleibt
nach Absonderung aller Materie, d.i. Erkenntniß der Objecte, mir nichts als die
Form übrig, nämlich das praktische Gesetz der Allgemeingültigkeit der Maximen und
diesem gemäß die Vernunft in Beziehung auf eine reine Verstandeswelt als
mögliche wirkende, d.i. als den Willen bestimmende, Ursache zu denken; die
Triebfeder muß hier gänzlich fehlen; es müßte denn diese Idee einer
intelligibelen Welt selbst die Triebfeder oder dasjenige sein, woran die
Vernunft ursprünglich ein Interesse nähme; welches aber begreiflich zu machen
gerade die Aufgabe ist, die wir nicht auflösen können.
Hier ist nun die
oberste Grenze aller moralischen Nachforschung, welche aber zu bestimmen, auch
schon darum von großer Wichtigkeit ist, damit die Vernunft nicht einerseits in
der Sinnenwelt auf eine den Sitten schädliche Art nach der obersten
Bewegursache und einem begreiflichen, aber empirischen Interesse herumsuche,
andererseits aber, damit sie auch nicht in dem für sie leeren Raum
transscendenter Begriffe unter dem Namen der intelligibelen Welt kraftlos ihre
Flügel schwinge, ohne von der Stelle zu kommen, und sich unter Hirngespinsten
verliere. Übrigens bleibt die Idee einer reinen Verstandeswelt als eines Ganzen
aller Intelligenzen, wozu wir selbst als vernünftige Wesen (obgleich
andererseits zugleich Glieder der Sinnenwelt) gehören, immer eine brauchbare
und erlaubte Idee zum Behufe eines vernünftigen Glaubens, wenn gleich alles
Wissen an der Grenze derselben ein Ende hat, um durch das herrliche Ideal eines
allgemeinen Reichs der Zwecke an sich selbst (vernünftiger Wesen), zu welchem
wir nur alsdann als Glieder gehören können, wenn wir uns nach Maximen der
Freiheit, als ob sie Gesetze der Natur wären, sorgfältig |
IV463 verhalten, ein lebhaftes Interesse an dem moralischen Gesetze in uns zu
bewirken.
Anmerkungen:
* Interesse ist das,
wodurch Vernunft praktisch, d.i. eine den Willen bestimmende Ursache, wird.
Daher sagt man nur von einem vernünftigen Wesen, daß es woran ein Interesse
nehme, vernunftlose Geschöpfe fühlen nur sinnliche Antriebe. //IV460// Ein
unmittelbares Interesse nimmt die Vernunft nur alsdann an der Handlung, wenn
die Allgemeingültigkeit der Maxime derselben ein gnugsamer Bestimmungsgrund des
Willens ist. Ein solches Interesse ist allein rein. Wenn sie aber den
Willen nur vermittelst eines anderen Objects des Begehrens, oder unter
Voraussetzung eines besonderen Gefühls des Subjects bestimmen kann, so nimmt
die Vernunft nur ein mittelbares Interesse an der Handlung, und da Vernunft für
sich allein weder Objecte des Willens, noch ein besonderes ihm zu Grunde
liegendes Gefühl ohne Erfahrung ausfindig machen kann, so würde das letztere
Interesse nur empirisch und kein reines Vernunftinteresse sein. Das logische
Interesse der Vernunft (ihre Einsichten zu befördern) ist niemals unmittelbar,
sondern setzt Absichten ihres Gebrauchs voraus.
IV463 Der speculative Gebrauch der Vernunft in Ansehung der
Natur führt auf absolute Nothwendigkeit irgend einer obersten Ursache der Welt;
der praktische Gebrauch der Vernunft in Absicht auf die Freiheit führt auch auf
absolute Nothwendigkeit, aber nur der Gesetze der Handlungen eines vernünftigen
Wesens als eines solchen. Nun ist es ein wesentliches Princip alles Gebrauchs
unserer Vernunft, ihr Erkenntniß bis zum Bewußtsein ihrer Nothwendigkeit zu
treiben (denn ohne diese wäre sie nicht Erkenntniß der Vernunft). Es ist aber
auch eine eben so wesentliche Einschränkung eben derselben Vernunft, daß sie
weder die Nothwendigkeit dessen, was da ist, oder was geschieht, noch dessen,
was geschehen soll, einsehen kann, wenn nicht eine Bedingung, unter der es da
ist oder geschieht oder geschehen soll, zum Grunde gelegt wird. Auf diese Weise
aber wird durch die beständige Nachfrage nach der Bedingung die Befriedigung
der Vernunft nur immer weiter aufgeschoben. Daher sucht sie rastlos das
Unbedingt-Nothwendige und sieht sich genöthigt, es anzunehmen, ohne irgend ein
Mittel, es sich begreiflich zu machen; glücklich gnug, wenn sie nur den Begriff
ausfindig machen kann, der sich mit dieser Voraussetzung verträgt. Es ist also
kein Tadel für unsere Deduction des obersten Princips der Moralität, sondern
ein Vorwurf, den man der menschlichen Vernunft überhaupt machen müßte, daß sie
ein unbedingtes praktisches Gesetz (dergleichen der kategorische Imperativ sein
muß) seiner absoluten Nothwendigkeit nach nicht begreiflich machen kann; denn
daß sie dieses nicht durch eine Bedingung, nämlich vermittelst irgend eines zum
Grunde gelegten Interesse, thun will, kann ihr nicht verdacht werden, weil es
alsdann kein moralisches, d.i. oberstes Gesetz der Freiheit sein würde. Und so
begreifen wir zwar nicht die praktische unbedingte Nothwendigkeit des
moralischen Imperativs, wir begreifen aber doch seine Unbegreiflichkeit,
welches alles ist, was billigermaßen von einer Philosophie, die bis zur Grenze
der menschlichen Vernunft in Principien strebt, gefordert werden kann.