Herzfeld - Familienchronik

 

Ludwig Herzfeld und seine Familie

im Spiegel der Nachkommen

Briefe, Tagebücher, Memoiren, zeitgenössische Berichte und ähnliche Dokumente, gesammelt von

Wolfgang Herzfeld

 

 

 

Vorwort

 

Aus welchem Grund, so frage ich mich, befasse ich mich mit Familiengeschichte, insbesondere mit den jüdischen Vorfahren? Sicher hat es etwas mit dem Problem der Ich-Identität zu tun, so um die vierzig, sehe ich mich in einer Kontinuität stehen, die mich in Beziehung setzt zu den Männern und Frauen ferner Zeiten und Lebensformen. Dazu kommt der Wunsch, dass der Aspekt der jüdischen Herkunft nicht in Vergessenheit gerät. Denn ein besonderes Gewicht erhält diese Tradition - auch wenn unsere Vorfahren sich bereits vor 150 Jahren taufen ließen - unter dem Hintergrund der Verbrechen an den Juden durch das Nazideutschland. Es ist eine Form der Solidarisierung mit den Opfern, das Streben, nicht das Geschäft der Henker, ein Volk in der Geschichte auszulöschen, auch noch in der Historiographie zu besorgen, indem man diesen Teil der Vergangenheit unserer Familie verdrängt.

 

Während meines Besuchs bei Verwandten wurde mir noch etwas anderes deutlich. Für die Generation der Nachgeborenen, die von der Rassenpolitik des III. Reichs nicht mehr direkt betroffen wurde, kann das Befassen mit Geschichte leicht zur akademischer Spielerei werden. Doch hier traf ich auf Menschen, die ihre Erfahrungen nicht aus irgendwelchen Geschichtsbüchern gewonnen hatten, sondern mit der bitteren Realität konfrontiert gewesen sind. Damit tritt ein weiteres Motiv hervor, das bei der Beschäftigung mit Einzelheiten bald aus dem Blickfeld zu entschwinden droht: die Frage nach den Ursachen des modernen Antisemitismus, die Frage nach dem, was den Genozid an den Juden herbeiführte, auch das sollte in einer Familiengeschichte mitbedacht werden. Noch ein Letztes - und das hat sicherlich mit meinem Interesse an Theologie zu tun. Abgesehen davon, dass das Christentum im Judentum gründet, schon das rechtfertigt die eingehende Beschäftigung mit Religion und Geschichte dieses Volkes, können die Auswirkungen der Aufklärung auf die jüdische Religiosität als paradigmatisch für das Verhältnis von Aufklärung und Religion, oder anders ausgedrückt für das Verhältnis von Vernunft und Glaube, im allgemeinen angesehen werden. In diesem Zusammenhang können am Beispiel unserer Familie also auch die Aspekte untersucht werden, die zur Emanzipation und Assimilation der Juden in Preußen führten.

Die oben geäußerten Beweggründe waren es, insbesondere der Versuch unsere jüdischen Vorfahren zu "germanisieren", die mich veranlassten, vor inzwischen gut drei Jahren auf deren Spurensuche zu gehen. Dabei musste ich fast bei Null beginnen, denn die in der Familie überlieferten mündlichen oder schriftlichen Informationen waren unvollständig und widersprüchlich, anscheinend war bereits im 19. Jahrhundert dieser Teil der Familiengeschichte - mehr oder minder bewusst - verdrängt worden.

 

Ausgehend von dem Fixpunkt, dass sich unser Stammvater Ludwig (Levi) und sein Bruder Carl (Isaac) am 14. Februar 1838 in der Jerusalemer Kirche zu Berlin hatten taufen lassen, fuhr ich nach Berlin, um im Zentralarchiv der Kirche der Union die Taufbücher der Altberliner Gemeinden durchzusehen. Hier gewann ich nicht nur neue Erkenntnisse über die Familie Carls und seinen Halbbruder Albert, sondern ich stieß auch auf die Söhne eines Mendel Herzfeld aus Guhrau. Bei diesem Mendel handelte es sich, wie später weitgehend belegt werden konnte, um den Bruder unseres Jacob.

 

Auf den Spuren der Vorfahren von Mendels und wie es zunächst auch schien Jacobs Schwiegermutter Recha, der Tochter eines Jacob Herzfeld aus Berlin, begab ich mich im Frühjahr 1985 nach Wien. Schweren Herzens musste ich einige Zeit später meine Forschungsergebnisse - es hatten sich sogar eine Reihe von Privatbriefen aus dem Jahre 1618 angefunden - in der Schreibtischschublade verschwinden lassen, als ich eine andere Linie Schlochow (Munk) in Schlichtingsheim fand. Die räumliche Nähe zu Guhrau und der in unserer Familie tradierte Name "Munk", gaben dabei für mich den Ausschlag.

 

Die meisten Erkenntnisse beruhen auf der Auswertung der Mikrofilme des Reichsippenamtes - diese Behörde hatte weitgehend alle Unterlagen (zurückreichend bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts) über jüdische Familien in Deutschland mikroverfilmt -, die verstreut, wie ich nach mühseligen Recherchen feststellen konnte, im Bundesarchiv Koblenz im Geheimen Preußischen Staatsarchiv Berlin und im Landesarchiv Berlin lagern. Daher stammen also, wenn auch nicht immer gekennzeichnet, die Aussagen über die Familie Plato in Glogau, die Familie des Lewin Hertz Hertzfeld in Flatow und die Herzfelds in der Provinz Posen. Aus diesen Quellen stammen auch die Angaben über die Familie unseres Jacob während ihrer Berliner Zeit, die ich im GStA und über die Familie Josephson, die ich im Landesarchiv fand. Als noch ergiebiger erwies sich im letzteren Fall die Publikation der Historischen Kommission zu Berlin "Jüdische Trauungen in Berlin 1759-1813", zu der Hans Herzfeld ein Geleitwort verfasst hat.

 

Bedauerlich ist jedoch, dass die Materialbasis - gerade was private Zeugnisse anbelangt - doch sehr dünn bleibt. Ich habe gewissermaßen aus der Not eine Tugend gemacht und versucht ersatzweise das soziokulturelle Umfeld darzustellen.

 

Bei aller Betonung der Individualität der Menschen bleibt wohl unbestritten, dass ein wesentlicher Teil seiner Persönlichkeit und seines Handelns durch die sozialen Beziehungen und die Verfasstheit einer Gesellschaft - denken wir nur daran, wie etwa die gesetzlichen Bestimmungen das Leben eines Juden in Preußen einengten und reglementierten - bestimmt wird. So können wir viel über die Lebensumstände einer Person bei Heranziehung der soziokulturellen Daten aussagen. Ist auch im Einzelfall nicht mehr festzustellen, wann Jacob beschnitten wurde, so können wir Dank des feststehenden Rituals aber mit großer Sicherheit sagen, wie sie sich vollzogen hat. Liegt auch kein schriftliches oder mündlich überliefertes Zeugnis von Carl oder Ludwig vor, warum sie sich taufen ließen, so gestattet uns jedoch die Analyse der damaligen "Taufepedemie" zumindest einen Teil der Motive aufzuheIlen.

 

Dazu kommt, dass oft erst die Auseinandersetzung mit dem genannten Umfeld die Forschungen auf den rechten Weg brachten, wie beispielsweise die Auseinandersetzung mit der Judenpolitik Friedrich des Großen oder die Klärung der Besitzverhältnisse der Städte Flatow und Dobryzin a.d. Drewenz, die Aussage ermöglichten, dass das Wirkungsfeld von Jacobs Vater, unseres Rabbiners, vermutlich in der letztgenannten Stadt und nicht in Gollub lag.

 

Nachdem ich alle ohne unverhältnismäßig großen finanziellen Aufwand - wie etwa eine Reise nach Guhrau oder in die Archive Warschaus, wobei ein Erfolg zweifelhaft wäre - erreichbaren Unterlagen ausgewertet habe, möchte ich den daran Interessierten die Zusammenfassung meiner Forschungen übergeben

 

Danken möchte ich an dieser Stelle all den Verwandten, die ich, erst angeregt durch diese Arbeit, kennenlernen durfte, für ihre liebevolle Gastfreundschaft und die zahlreichen Gespräche.

 

Gedankt sei aber auch all denen, die in dieser Zeit meine familiengeschichtlichen Monologe ertrugen.

 

 

Norderstedt

 

im November 1987                                                      Wolfgang D. Herzfeld

 

 

 

 

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage

 

Umgestaltet habe ich zunächst die Kapitel Guhrau und Berlin, was durch das Auffinden zahlreicher Briefe aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts möglich und notwendig wurde.

Die Briefe der Jugendfreunde Ludwigs, die einen guten Einblick in seine Glogauer und Saganer Jahre gewähren, habe ich dabei unberücksichtigt gelassen, ihre Publikation ist einem späteren Zeitpunkt vorbehalten. Auch die Überarbeitung des ersten Teils der Familiengeschichte möchte ich später vornehmen, da immer neue Fakten das Forschungsbild ergänzen und verändern.

Von Interesse dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass, wie sich inzwischen herausstellte, der Lemberger Oberrabbiner Naphtali Herz (1658-1718) in 2. Ehe mit Sara Mirel, der Tochter des Oberrabbiners der Dreiergemeinde Wandsbek, Altona, Hamburg Meschullam Salomon Mirel (gest. 1706), er hatte 25 Kinder und erlebte noch 140 Nachkommen, verheiratet gewesen war.

Weiter ergab sich, dass sein Enkel, der Rawitscher Oberrabbiner J. B. Herzfeld (1760-1846) in der Zeit von 1803-1815 das Rabbinat von Königsberg in Preußen innehatte.

 

Was Flatow anbelangt, so lässt sich jetzt belegen, dass auch die Familie Herzfeld von der geschilderten Brandkatastrophe, die Stadt heimsuchte, betroffen war. Aus dem Vergleich der Hausbesitzerlisten wird weiter deutlich, dass es sich bei dem seit 1772 in Flatow nachweisbaren Hertz Levin, um den Großvater von Liebchen, der Mutter des Ludwig Herzfeld, handelt.

Anzumerken bliebe noch, dass in diesem Frühjahr das Grab von Jacob Herzfeld auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin gefunden wurde.

 

Bedanken möchte ich mich besonders an dieser Stelle bei den Verwandten in Hüllhorst für ihre freundliche Unterstützung, und daß sie mir die Briefe zur Auswertung überließen.

 

Ahrensburg, den 3. Dezember 1989,

 

am 200. Geburtstag von Jacob Herzfeld

 

 

 

 

Vorwort zur dritten Auflage

 

 

Den ersten Teil der Familiengeschichte lege ich nun - wie angekündigt - in seiner überarbeiteten und neugestalteten Fassung vor. Da die Bezugsperson für unsere weitverzweigte Familie der Stammvater Ludwig Herzfeld (1819-1911) ist, und sein Lebenslauf für alle, ob sie sich nun von Heinrich, Albert, Alexander über Paul, Hans und Margarethe bis hin zu Wolfgang oder Walther herleiten, von Interesse seien dürfte, habe ich mich entschlossen, eine fragmentarische Biographie in fünf Teilen über Ludwig Herzfeld zu verfassen.

 

 Der erste und zweite Teil  enthalten nun seine Kindheit und Jugend sowie seine Studien und Beamtenjahre. Teil III (Mückendorf) wird teilweise durch Albert Herzfelds 'Erinnerungen für Kinder und Enkel' abgedeckt; ich halte aber eine gründliche Überarbeitung für wünschenswert. Teil IV wird das politische und berufliche Wirken Ludwigs in Halle (1870-1900) zum Gegenstand haben. Hier müssen noch 30 Jahrgänge Hallensischer Zeitungen durchforstet werden. Dort findet sich Material in Fülle. Da man jedoch nicht bereit ist, die Zeitungsbände über die Fernleihe zur Auswertung zur Verfügung zu stellen, also Reisen nach Halle getätigt werden müssen, wird die Fertigstellung des IV. Teils einige Zeit in Anspruch nehmen. Der V. Teil soll dem alten Ludwig gewidmet sein. Mit der Herausgabe auf Ludwig Herzfeld bezogener Passagen aus den Briefen meines Großvaters Martin ist dafür bereits ein Grundstein gelegt worden. Ich hoffe, diesen Teil bis zu seinem 175. Geburtstag am 12. September 1994 fertig stellen zu können.

 

Ahrensburg, den 31. Januar 1994                  Wolfgang D. Herzfeld

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort zur vierten Auflage

 

Ich lege die familiengeschichtlichen Studien nur in leicht veränderter Form vor. Trotz etlicher Änderungsversuche blieb der Charakter einer jüdischen Sozial- und Kulturgeschichte weitgehend erhalten. Im Guhrau- und Berlin-Kapitel haben sich stärker die biographische Darstellungsform niedergeschlagen, jedoch ist die Materialbasis zu dünn, um den Ansprüchen einer Biographie genügen zu können. Detailliert belegen lassen sich inzwischen die Studienschwerpunkte der Brüder Carl und Ludwig Herzfeld an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin. Deutlicher tritt auch das politische Handeln Ludwig  Carls während der Revolution von 1848 hervor.

Der Familie Falk wurde eine eigne Abhandlung gewidmet. Sei dem Kontakt zu den Nachkommen in Neuseeland besteht, konnte besonders der Zeitraum um die Jahrhundertwende ausführlich dargestellt werden.

Welches Resümee ich persönlich aus den familiengeschichtlichen Studien, die die jüdischen Vorfahren in den Mittelpunkt stellten, ziehe, kann dem Nachwort entnommen werden.

 

Ahrensburg im Juli 1998                                                                 Wolfgang D. Herzfeld

 

 

 

 

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Die Überlieferung, so schreibt Franz Rosenzweig, im Blick auf Rembrandts Bild Jakobs Segen, geht weniger vom Vater auf den Sohn als vom Großvater auf den Enkel über. Hinter dieser Bemerkung steht ganz offensichtlich die Auffassung von dem  grundsätzlich diskontinuierlichen Charakter der Tradition, da diese ja eben zum Ziel hat Vergessen zu überwinden. Sie muß unablässig gegen Ihren eigenen Verfall ankämpfen gegen die Lücken und Brüche des Gedächtnisses, mit einem Wort gegen den Tod, der unvermeidlich die Generationen trennt und zugleich die Bedingung ist für ihre Folge. Durch alle Zeiten hindurch gefährdet der Tod die Substanz der Tradition, ermöglicht aber zugleich ihre ständige Erneuerung. Was die Väter wußten, kann von Ihren Kindern vergessen oder verleugnet werden; was aber die Väter vergessen hatten, kann von ihren Söhnen wiedergefunden werden. Der kontinuierlichen und unumkehrbaren Zeit, die die historische Kausalität postuliert, steht hier die Zeit der Generationen gegenüber, eine unterbrochene und umkehrbare Zeit, die von dem doppelten Band von Großvater zu Enkel und Enkel zu Großvater symbolisiert wird, so entsteht die Diskontinuität einer Überlieferung die - wie in der von Rembrandt dargestellten biblischen Szene - den Ahn unmittelbar mit der Generation seiner Enkel verbindet, so entsteht auch die Umkehrbarkeit einer nichtakkumulativen Zeit, in der der Enkel die Generation der Väter überspringt und unmittelbar die Lehren des Großvaters aufgreift. Sobald aber der Begriff der Generation zur Einheit wird, mit der man die geschichtliche Zeit mißt, so verschwindet auch die Fiktion ihrer Kontinuität. Genauso verfahren traditionelle Gesellschaften: Um das Gefühl zu erzeugen, eine weit zurückblickende Vergangenheit sei immer noch ganz nahe, berechnen sie die Entfernung, die uns von ihr trennt, nicht nach Jahren, sondern nach Generationen. Diese Entfernung verkürzt sich noch, wenn sie in Fristen des individuellen Gedächtnisses gemessen wird, das im allgemeinen die Dauer von zwei Generationen umfaßt. So konnte beispielsweise ein heutiger Mensch sagen, der Großvater seines Großvaters habe die napoleonische Zeit erlebt. Eine numerische Chronologie — das Aufzählen von Jahren - wird hier in subjektive Werte, in eine Summe von persönlichen Erfahrungen, kurz: in Gedächtnis umgewandelt.   Dieses Gedächtnis wird um so lebendiger sein, als die beschworenen Gestalten, gleichsam Haltestationen der Erinnerung, bei ihrem Namen genannt werden. Den Namen des Urahns anzurufen - und dabei Generationen zu überspringen - bedeutet, eine ideale Geschlechterfolge herzustellen, die uns unseren Vorfahren und diese uns wieder nahe bringt. Dieses Verfahren des kollektiven Gedächtnisses führt zu einer eingreifenden Kontraktion des Zeitgefühls. In der jüdischen Tradition reicht dieses Gefühl der Nähe der Ahnen rückwirkend bis zu den Urvätern, bis zu den biblischen Erzvätern, den Gründern einer Geschlechterfolge, die ihren Namen trägt. Und umgekehrt nimmt die so hervorgerufene Kontraktion der Zeit die Fülle aller denkbaren historischen Zeit in ferner Zukunft in sich auf. In der religiösen Erfahrung des Judentums stehen uns die letzten Generationen der Menschheitsgeschichte ebenso nahe wie die allerersten. Zwischen der unmittelbaren Nähe der Zeit der Ursprünge und jener Vorwegnahme der Erlösung besteht im Judentum eine genaue Symmetrie.

 

 

 

 

 

For what reason, I ask myself, do I investigate family history, and in particular, my Jewish ancestors? It certainly has something to do with the problem of identity: at around forty years old, I see myself standing as part of a continuity, placed in a relationship to the men and women of distant times and ways of life. To this is added the wish that the fact of Jewish origins does not slip into oblivion. This tradition has a special significance after all - even if our ancestors got baptized as long as 150 years ago – due to the context of the crimes committed on Jews by Nazi Germany. It is a form of solidarity with the victims, an attempt not to also use historiography to assist the executioner’s work in extinguishing a people into history by suppressing this part of our family’s past.

 

 

During visits to relatives something else became clear. For the generation of the ones born later, who were no longer directly affected by the racial policy of the Third Reich, dealing with history can easily become a superficial academic game. But here I met human beings who had not gained their experiences from history books, but had been confronted with the bitter reality. Thus a further motive emerges, one which threatens to disappear from view when just dealing with details: the question about the causes of modern antisemitism, the question of what brought about the genocide of the Jews: that should also be kept in mind in a family history. Another, final point - and this has surely do with my interest in theology. Apart from the fact that Christianity is based on Judaism, which in itself justifies a thorough study of the religion and history of this people, can the effects of the Enlightenment on Jewish religiosity be generally regarded as paradigmatic for the relationship between the Enlightenment and religion - or expressed differently, for the relationship between reason and faith? In this context, factors which led to the emancipation and assimilation of the Jews in Prussia can be examined through the example of our family.

The motives expressed above and in particular the attempt of our Jewish ancestors to "germanise", were what induced me to follow up on their traces a good three years ago. I had to begin at almost zero, because the verbal or written information passed down in the family was incomplete and contradictory. Apparently already in the 19th century this part of the family history - more or less consciously – was suppressed.

I decided to use as a fixed starting point the baptism of our "Stammvater" (ancestral father of our line), Ludwig (Levi) and his brother Carl (Isaac) on 14 February 1838 in the Jerusalemer Kirche, Berlin, so I drove to Berlin in order to look through the baptism records of the old-Berlin municipalities held in the central archive of the Kirche der Union. Here I not only found out new things about the family of Carl and his half brother Albert, but I also came across the sons of a Mendel Herzfeld from Guhrau. This Mendel, it could later be largely confirmed, was the brother of our Jacob.

On the tracks of Mendel’s ancestors and as it first seemed, Jacob’s mother-in-law Recha (the daughter of a Jacob Herzfeld from Berlin) I went in the spring of 1985 to Vienna. Some time later however, and with a heavy heart, I had to leave my research results in my desk drawer – there was even a set of private letters from the year 1618 that had turned up - as I had found another Schlochow (Munk) line in Schlichtingsheim. The spatial proximity to Guhrau and the name "Munk", a name recurrently handed down in our family, were deciding factors.

Most of the information is based on an analysis of the microfilms of the Reichs Family Records Office (Reichssippenamt) - this authority had to a large extent microfilmed all the documents (going back into the mid 18th Century) of Jewish families in Germany – but the records were scattered, as I discovered after toilsome searches, among the federal archive (Bundesarchiv) in Koblenz, the secret Prussian State Archives (GstA) in Berlin and the Berlin Regional archive (Landesarchiv). These are the sources, even if not always indicated, of the evidence about the family Plato in Glogau, the family of Lewin Hertz Hertzfeld in Flatow and the Herzfelds in Posen province. These are also the sources for the information concerning the family of our Jacob during their time in Berlin, which I found in the GStA - and about the Josephson family, which I found in the Regional archive. Even more productive in the latter case was the publication of the Historical Commission of Berlin’s "Jewish weddings in Berlin 1759-1813", to which Hans Herzfeld wrote a foreword.

It is however unfortunate that the material basis – especially regarding personal certificates - remains very thin. I have to a certain extent made a virtue out of necessity and as an alternative tried to portray the sociocultural context.

For all the emphasis on the individuality of human beings, a substantial part of a person’s personality and his behavior is determined by social relations and the constitutional arrangements of a society - we only need to consider, for instance, how the legal regulations restricted and regulated the life of a Jew in Prussia. We can therefore state a lot about the life circumstances of a person by consulting the sociocultural data. Even if in the individual case we can no longer determine, for example, when Jacob was circumcised, we can still say with some certainty, thanks to the well-established ritual, how it was carried out. Even if there is no written or orally handed down information about why Carl or Ludwig got baptized, an analysis of the "Baptism epidemic" at that time at least permits us to throw light on some of their motives.

A further point is that often only a critical look at the information within the relevant context brought the research onto the right track, as for example in the analysis of Frederick the Great’s Jewish policy or clarifying the ownership structures of the towns of Flatow and Dobryzin a.d. Drewenz. This enabled me to say that the area of activity of Jacob’s father, our rabbi, was probably in the latter city and not in Gollub.

Having analysed all the accessible documents which did not involve disproportionately large financial expenditure - as for instance a journey to Guhrau or to the Warsaw archive, where the chances of success seemed doubtful - I would like to hand over the summary of my research to those interested.

I would like to thank all the relatives, whom I was able to meet in the course of my stimulating work, for their kind hospitality and the numerous discussions.

Thanks also to all those who have put up with my family-history monologue during this time.

Norderstedt, November 1987                                                                                 Wolfgang D. Herzfeld

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

From The Preface To The Second Edition

I have changed the chapters Guhrau and Berlin. This was made possible, and necessary, as a result of numerous letters from the middle of the last century being discovered.

The letters from Ludwig’s young friends, which give us a good insight into his Glogau and Sagan years, have been left out and their publication reserved for later. I would also like to postpone the revision of the first section of the family history, since new facts always expand and change the research picture.

One recent fact that has emerged may be of interest. The Lemberg Oberrabbiner (Chief Rabbi of Lvov), Naphtali Herz (1658-1718) in his second marriage was married to Sara Mirel, daughter of the Oberrabbiner of the three municipalities Wandsbek, Altona, Hamburg, Meschullam - Salomon Mirel (died 1706). He had 25 children and lived to see 140 descendants.

Furthermore, his grandson, the Rawitsch Chief Rabbi J. B. Herzfeld (1760-1846), held the Rabbinat of Königsberg in Prussia in the period 1803-1815.

As far as Flatow is concerned, it is now proven that the family Herzfeld was also affected by the fire disaster, which afflicted the town. Comparing the house owner records, it also becomes clear that the Hertz Levin, documented since 1772 in Flatow, is in fact the grandfather of Liebchen, mother of Ludwig Herzfeld.

It is finally worth mentioning that Jacob Herzfeld’s grave was found this spring in the Schönhauser Allee Jewish cemetery, Berlin.

I would particularly like to thank the relatives in Hüllhorst for their friendly support, and their loan of letters for analysis.

Ahrensburg, 3 December 1989 on the 200th Birthday of Jacob Herzfeld

Preface to the third edition

I am now presenting the first part of the family history - as announced - in its revised and newly arranged version. Since the reference person for our widely distributed family is the ancestral father of our line, Ludwig Herzfeld (1819-1911), and his personal history might be of interest for everyone, whether they are descended from Heinrich, Albert, Alexander, Paul, Hans and Margarethe through to Wolfgang and Walther, I have decided to write a fragmentary, five section biography of Ludwig Herzfeld.

The first and second sections now cover his childhood and youth, as well as his studies and civil servant years. Part III (Mückendorf) is partly taken from Albert Herzfeld’s "Memories for children and grandchildren"; I feel, however, that a thorough revision is desirable. Part IV focuses on Ludwig’s political and vocational activities in Halle (1870-1900). There are still 30 years of Halle newspapers to be gone through and material in abundance to be found. However, since it is not possible for newspaper volumes to be made available for analysis by sending away for them and journeys to Halle have to be undertaken, it will take some time to complete section IV. Part V should be dedicated to old Ludwig. With the publication of passages referring to Ludwig Herzfeld from the letters of my grandfather Martin, a foundation stone has been placed. I hope to be able to finish this section by his 175th birthday anniversary on 12 September 1994.

Ahrensburg, 31 January 1994 Wolfgang D. Herzfeld

 

 

Preface to the fourth edition

I am presenting the family history studies in only slightly changed form. Despite some modifications, the character of a Jewish social and cultural history has been largely preserved. In the Guhrau and Berlin section, the biographic portrayal has found stronger expression, but the material basis is too meager to be able to satisfy the requirements of a biography. The main study focus of the brothers Carl and Ludwig Herzfeld at the Friedrich Wilhelm University in Berlin remains detailed. Ludwig and Carl’s political activity during the 1848 revolution is also more clearly highlighted.

The Falk family has a separate treatment dedicated to it. Due to the contact with descendants in New Zealand, the period around the turn of the century could be represented in detail.

What conclusions I personally draw from these family history studies, which placed the Jewish ancestors as the focal point, can be seen in the epilogue.

Ahrensburg, July 1998                                                                   Wolfgang D. Herzfeld

 

 

 

 

 

 

Tradition, writes Franz Rosenzweig, thinking of Rembrandt’s picture Jacob’s Blessing, passes less from father to son than from grandfather to grandson. Behind this remark there clearly stands a conception of tradition as discontinuous, as tradition aims to overcome forgetting. Tradition must unceasingly struggle against its own decay, against the holes and gaps of memory - in one word, against death, which inevitably divides generations and at the same time is the condition for its handing down. Throughout history death threatens the substance of tradition, but also enables its constant renewal. What fathers knew can be forgotten or denied by their children; but what fathers had forgotten can again be found by their children. Generation Time stands in opposition to the continuous and irreversible time postulated by historical causality. It is an interrupted and reversible time, symbolised by the twin strand from grandfather to grandchild and grandchild to grandfather, so giving rise to the discontinuity of a tradition which – as in the biblical scene portrayed by Rembrandt – directly connects the ancestor to the grandchild’s generation. Thus also arises the reversibility of non-accumulative time, in which the grandchild skips the father’s generation and directly grasps the teaching of the grandfather. However, as soon as the concept of generation becomes an integrated whole, by which historical time is measured, the fiction of its continuity also disappears. Traditional societies proceed in the same way: in order to produce the feeling that a long distant past is still quite near, the distance separating us is calculated not in years, but in generations. This distance is still further reduced by measuring the distance in terms of individual memories, which usually span two generations. A person living today could, for example, say that the grandfather of his grandfather experienced Napoleonic times. Numerical chronology – counting of years – is here converted into subjective terms, into a sum of personal experiences - in short, into memory. This memory will be all the more vivid if the figures conjured up, the reference points of memory, can be given names. Calling on the names of ancestors – and thereby jumping generations – means the creation of an ideal lineage, which brings us near to our ancestors and them again near to us. This process of collective memory leads to an intervening contraction of the sense of time. In the Jewish tradition this sense of the proximity of the ancestors reaches backwards to the distant ancestors and to the biblical patriarchs, the founders of a lineage, which carries their name. And conversely, the contraction of time thus created incorporates the entirety of all conceivable future historical time in the distant future. In the religious experience of Judaism, the latest generations of human history stand as near to us as the very first. In Judaism there stands an exact symmetry between the direct closeness of the time of origins and the anticipation of redemption.

 

 

 

 

 

 

 

Der Name Herzfeld und sein Ursprung

 

 

Im Dezember 1994 fand in Berlin ein kleines Familientreffen statt, es war schon eigenartig, daß hier zum Teil wildfremde Menschen zusammenfanden und auch so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl vorhanden war, die einen vor sieben Generationen existierenden Stammvater Jacob Herzfeld ihr eigen nannten. Man konnte wohl kaum mehr von einer "Gemeinschaft des Blutes", wie es im Vorwort der von Wolfgang Herzfeld verfassten Familiengeschichte im Jahre 1929 anklingt, sprechen, die Gemeinschaft wurde über den Namen  "Herzfeld", den grunddeutschen und deshalb jüdisch verdächtigen und belastenden hergestellt.

Wenden wir uns deshalb zunächst dem Ursprung dieses Namens zu, dessen Träger zum guten Teil zu unserem Familienklan gehören, aber nicht zu ihm gehören müssen; aber eines steht fest, sehen wir von jener legendären Tante Karl des Großen, der Hl. Ida von Herzfeld, ab, so sind alle Träger dieses Namens, unabhängig von vielleicht divergierender orthographischer Schreibweise, jüdischen Ursprungs.

 

Aufgrund des Emanzipationsedikts vom 23. März 1812 waren die in den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Grenzen Preußens lebenden Juden verpflichtet, Familiennamen anzunehmen. Manch eine Familie hatte bereits früher einen Familiennamen geführt.’ Das Gefühl für die Wichtigkeit, die Abstammung im Bewußtsein festzuhalten, kam nicht nur dadurch zum Ausdruck, daß die Vornamen der Vorfahren sich vererbten, daß die Herkunftsorte der Vorfahren, etwa Kalisch oder Herford, Halberstadt oder Prag und Witzenhausen fortdauerten.' 1 Dabei darf nicht übersehen werden,  'daß die Schwiegersöhne den Namen des Schwiegervaters übernahmen, wie auch manche Familienamen in den Namen der Mütter und Schwiegermüttern... ihren Ursprung haben. Da, wo der Familienname durch eine Berufsbezeichnung angedeutet war,... war im allgemeinen die Kontinuität der Familie gewahrt. Das gleiche gilt dann, wenn jemand durch den hebräischen Text als Angehöriger der langen Geschlechterreihe der Leviten oder der alten Priesterkaste (Kohanim) gekennzeichnet ist. Allerdings kehren diese deutlich identifizierenden, für die jüdische Familiengeschichte so überaus wichtigen Bezeichnungen - Levi, Levin, Cohn - keineswegs regelmäßig in den im Emanzipationszeitalter angenommenen Namen wieder. Aus zwei Quellen leitet sich der Name 'Herzfeld' ab. Zum  einem von der Stadt Heidingsfeld am Main, die seit dem Jahre 1930 nach Würzburg eingemeindet ist. Aber schon im 18. Jahrhundert wurden die beiden Städte als zusammengehörig betrachtet. So konnte man in den Berliner Wochenmeldungen aus dem Jahre 1765 lesen, daß Aron Wesel und Ranel, die Tochter des Beer H.F., am 25. August d. Js. miteinander die Ehe geschlossen hatten; jedoch stand 'charakteristischerweise' dort 'statt Herzfeld... Wertzburg (Würzburg); denn mit Herzfeld ist Heidingsfeld bei Würzburg gemeint'.2 Die hebräisierte Form von Heidingsfeld ist 'Heitzfeld', woraus sich im fränkischen Dialekt 'Hetzfeld' entwickelte. Hetzfelder nennen die Einwohner der Stadt sich noch heute. Aus den Eintragungen in den Judenbürgerbüchern der Stadt Berlin  ist der Namenswandel zu entnehmen: Am 3. Dezember 1788 heiratete ein Abraham Schlochau die Tochter eines Jacob Herzfeld, und im Namens-, Trau- und Sterberegister der Judenschaft Berlins ist 'die ursprüngliche Abkürzung H.F. durchgestrichen und ganz ausgeschrieben: Herzfeld. Also, deutlicher Wandel von Heitzfeld  = Heidingsfeld zu Herzfeld'.3 Auch in Glogau finden sich Herzfelds, die ihren Namen von Heizdingfeld ableiten. Der Großvater Ferdinand Lassalles, mütterlicherseits, der später in Breslau ansässig war, wird als Abraham Joachim Heitzfeld in der Glogauer Staatsbürgerliste von 1812 geführt. In Breslau ehelichte seine Tochter Rosalie (geb. am 8. Mai 1797, gest. am 13.Febr. 1872) den Kaufmann Chaijjm Wolfsohn, der den Namen Lassalle annahm, den Vater Ferdinands.4 - Im Namen Herzfeld dieser Familien kommt der Herkunftsort zum Ausdruck.

 

Als ich bei meinem Besuch  im Archiv des evangelischen Oberkirchenrates in Berlin auf  Mendel Herzfeld und seine Frau Philippine Tochter eines Abraham Schlochau stieß und bei der Durchsicht des Verzeichnisses der jüdischen Trauungen in Berlin, die bereits erwähnte Eintragung über die Eheschließung zwischen Abraham Schlochau und Recha, der Tochter des Jacob  Herzfeld fand, schien mir die Verbindung der Familie von Ludwig Herzfelds Vater Jacob gegeben. Jedoch sollte sich später zeigen, daß sich der Name von Ludwig Herzfelds Familie, wie auch der von anderen Familien, die den Namen Herzfeld tragen vom Vor- bzw. Vaternamen "Hertz" herleitet. Das trifft beispielsweise auch  auf die in Nordhausen und Ellrich (Harz) beheimateten Herzfelds zu, letztere sind auch mit denen in Bleichrode und in der Provinz Posen, Moses Mescholem und Salomo Herzfeld in Grätz, verwandt, ebenso auf zwei von den vier Familien im Mecklenburgischen. Der Oberrabbiner J. B. Herzfeld in Rawitsch wird sich nach seinem Urgroßvater Zwi Hirsch (Hirsch = Hirz = Herz) Aschkenasi genannt haben. Die aus Dessau stammenden Herzfelds, deren Nachfahren sich später in Hamburg und Wien aufhalten, nehmen den Namen schon früh, wie der Hamburger Schauspieldirektor Jacob Herzfeld 1791, an.

 

Die in Neuss/ Düsseldorf beheimateten, scheinen ihren Namen von Heidingsfeld abgeleitet zu haben, hier lassen sich Verbindungen nach Amsterdam und Glogau aufzeigen.

Bleiben nun die aus Westpreußen stammenden Herzfelds, wo sicher verwandtschaftliche Beziehungen zu einigen der bereits genannten vermutlich  bestanden haben, teilweise auch zu belegen sind. Als einziger Träger dieses Namens in dem bei Preußen verbliebenen Rest der Provinz Westpreußen findet sich im Jahre 1812 Lewin Hertz Hertzfeldt, der Großvater des Ludwig Herzfeld mütterlicherseits. Auch hier leitet sich der Name eindeutig vom Namen des Vaters 'Hertz" her. Ob auch der Vater des Ludwig Herzfeld, Jacob, der 1815 den Namen Herzfeld annahm, mit dem verwandt war, oder ob er sich nach seinem Schwiegervater nennt, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Gegen die letztere Annahme spricht, daß sich Jacobs Bruder Mendel ebenfalls Herzfeld nennt, und auch entferntere Mitglieder der Familie diesen Namen angenommen haben.

Legt man das häufige Auftreten des Namens Levi in etlichen Zweigen der Familie zu Grunde, was nicht bedeuten muss, daß deren Träger zum Stamme Levi gehören 5, so hätte sich die Familie auch Levi nennen können. Vielleicht sind auch im Namen Hertz die Väternamen Naphtali ( = Zwi = Hirsch = Hirz) und Levi, denn das hebräisch 'lev' bedeutet Herz) miteinander verbunden, so daß die Angabe, der Vater des Ludwig Herzfeld habe zunächst Levinsohn geheißen, der Wahrheit entsprechen kann. 6

 

Inwieweit die Träger des Namens Herzfeld miteinander verwandt sind, Iäßt sich nur schwer beurteilen. Zwar sind, wie aus den Staatsbürgerlisten von 1812 ersichtlich, Familien dieses Namens nur sehr selten vertreten 7 , da aber zuvor hinter den eignen Namen nur der Name des Vaters gesetzt wurde, sich etwa Marcus Sohn des Mendel, Marcus ben (bar) Mendel oder einfach Marcus Mendel nannte und dessen Sohn Levi nun Levi Marcus, so fehlt der Anhaltspunkt die verschiedenen Familien auseinander zuhalten. Bedingt durch die jüdische Genealogie sind so der Forschung über die Herkunft der Herzfelds Grenzen gesetzt.

 

 

 

 

Juden in Polen

 

 

 

 

 

 

Wir wissen nicht welches Schicksal die Vorfahren Ludwig Herzfelds nach Polen, wo sich deren erste historische Spuren finden, verschlug.

Gehörten sie vielleicht zu den Händlern, die über weite Strecken unbewohnten, eines durch Sümpfe und Wälder geprägten Landes an die von Slawenstämmen bewohnten Ufer der Weichsel zogen ?

Hier hatte sich gegen Ende des 9. Jahrhunderts der polnische Staat gebildet. Das Königshaus der Piasten trat im Verlauf des 10. Jahrhunderts zum katholischen Christentum über; damit war eine Brücke geschlagen zu dem jungen aufstrebenden Westeuropa mit seinen wachsenden Städten und expandierendem Handel. "Kaufleute aus Westeuropa zogen mit ihren Waren ostwärts, unter ihnen fanden sich auch Juden, die die internationalen Handelswege benutzten und die slawischen Länder besuchten. Eine der wichtigsten Handelsstraßen, die über Südpolen führte, hatte ihren Ausgangspunkt in Südfrankreich und endete in Kiew und im Staat der Chasaren, in dessen Hauptstadt Itil" - so ist es auch möglich, daß seine Vorfahren aus diesem Reiche stammten, denn aus allen linguistischen und anderen Zeugnissen ergibt sich, "daß die Anfänge der jüdischen Wanderung nach Polen auf Ansiedlern aus Chasarien beruht, dem Staat dessen Herrscher das Judentum angenommen hatten.   Viel stärker jedoch fielen ins Gewicht "die aus Kiew eingewanderten Juden, und Juden, die als Kaufleute über die rheinischen Städte, Magdeburg, Regensburg, Prag, Kiew aus dem Westen kamen und bis in den asiatischen Raum gelangten".   

 

Es kann auch sein, daß Ludwig Herzfelds Vorfahren Westeuropa aufgrund der Verfolgungen, die durch den ersten Kreuzzug ausgelöst wurden, verließen und in Polen eine neue Heimat fanden.

 

 

Vom Prager Bischof Cosmas hören wir (1098), daß "viele Juden flüchteten, und andere ihr Vermögen geheim nach Polen, teils nach Ungarn überführten.“   

 

Die Einwanderer ließen sich zuerst an den Grenzen des Landes nieder. So entstanden jüdische Siedlungen in den Städten Gnesen, Kalisch, Posen und Krakau und später auch in verschiedenen kleinen Städten.

 

Die nicht abreißenden Judenverfolgungen in Deutschland, die einen Höhepunkt während des 'Schwarzen Todes', einer Pestepidemie, die in den Jahren 1348 - 1349 ausbrach, erreichten, veranlasste immer mehr Juden Deutschland zu verlassen; wie der Chronist Joseph ha-Kohen in seinem Werk 'Emak ha -bacha' schreibt: 'Auf sieben Wegen verließen die Juden dieses verfluchte Land, und Israel verarmte sehr'.   

 

Dagegen wurde die Einwanderung von den polnischen Fürsten unterstützt und systematisch gefördert.

Am 16. August 1264 gab Boleslaw (der Fromme), Herzog von Großpolen, den Juden ein Privilegium, das ihnen die weitgehensten Rechte einräumte. Sie genossen einen ganz besonderen Rechtsschutz; nur der Woiwode durfte über sie das Urteil fällen. Erschlug ein Christ einen Juden oder beschädigte er einen jüdischen Friedhof, wurde sein Vermögen vom Staate eingezogen; beschuldigte er ihn eines strafwürdigen, aber nicht zu erweisenden Verbrechens, so erlitt er die Strafe, die den Juden im Falle seiner Überführung getroffen hätte. Rief ein Jude nachts um Hilfe, so zahlten alle christlichen Nachbarn, die ihn ohne Schutz gelassen, 30 Gulden Strafe. - Kasimir der Große (1333 - 1370) erweiterte noch die von Boleslaw den Juden gewährten Rechte.

Krakau, Alte Synagoge, Inneres mit Bima und Tora-Schrein (nach 1389)

Jetzt fanden sich Juden in allen Teilen Polens, in Großpolen, Masowien, Kujawien, Pommern, Kleinpolen, Podolien, Wolhynien und Reissen. Im Verlauf des 14. Jahrhunderts siedelten sie sich auch im Herzogtum Litauen an. Man schätzt, daß es am Ende des 15. Jahrhunderts etwa sechzig jüdische Gemeinden mit einer Bevölkerungszahl von zwanzig- bis dreißigtausend Seelen gab. Zu einer Masseneinwanderung kam es erst im 16. Jahrhundert.  Die Zahl der Juden soll sich innerhalb von 150 Jahren verzehnfacht haben. Das war im großen Ganzen das Resultat eines historischen Zufalls. Gerade als sich in Mitteleuropa die Lebensbedingungen der Juden wesentlich verschlechterten, bot sich Polen als Zufluchtsmöglichkeit an. Als Polen sich vergrößerte, Polen war durch die Vereinigung mit Litauen unter den Söhnen Kasimirs IV. zur Großmacht geworden, und immer mehr fremde Experten brauchte, waren die Juden in Mitteleuropa wie auch in Spanien unerwünscht oder überflüssig geworden.

Die Bereitschaft Geächteten und Verfolgten Asyl zu gewähren, mag ihren Grund darin gehabt haben, daß das Christentum in diesem Lande sich nicht so fanatisch gebärdete wie im übrigen Europa, und der monarchische Absolutismus durch das Unabhängigkeitsstreben des polnischen Groß- und Kleinadels in Schranken gehalten wurde.

Unter dem Adel und beim Bürgertum breitete sich das reformatorische Bekenntnis insbesondere der Kalvinismus aus. Die gehässigen Angriffe, die der mit inquisitorischen Vollmachten ausgestattete Franziskanermönch Johannes Capistrano in der Mitte des 15. Jahrhunderts gegen die Juden geführt hatte, waren in Vergessenheit geraten. Dass die Juden auch weiterhin Polen als gute Zufluchtsstätte ansahen, kam in einem Reponsum des berühmten Rabbi Moses Isserles zum Ausdruck: "Besser ein trocknes Brot in Frieden, wie in diesen Gegenden (im Bereich von Krakau), in denen ihr Hass nicht über uns zusammenschlägt wie in den deutschen Ländern."   

 

Unter dem Einfluss der Reformation nahm unter dem Adel die Liebe zu Literatur und Wissenschaft zu. Vereinzelt waren auch die polnischen Juden - im Gegensatz zu den deutschen - an weltlicher Wissenschaft interessiert.

Die Schriften von Aristoteles und Moses Maimonides fanden ihre Leser, ebenso verbreitete sich die Arzneikunde, nachdem die Königin Bona, die Gemahlin Sigismund I. (1508 - 1548), jüdische Ärzte aus Italien mit nach Polen gebracht hatten.

Krakau, Remuh-Synagoge von außen (1. Hälfte des 16. Jh.).

Im Mittelpunkt jüdischer Gelehrsamkeit stand aber das Studium des Talmuds. Die polnischen Juden waren die letzten in Europa und Asien, die sich mit ihm vertraut gemacht hatten. Es waren zwei in Deutschland ausgebildete Rabbiner Moses Menz aus Mainz (um 1463 ausgewandert) und Jacob Polak (um 1490 bis 1530), der an einer deutschen Talmudschule studiert hatte, die diesen Wissenszweig nach Polen verpflanzten.

 

Es entwickelte sich das Pilpul - eine Art Frage- und Antwortspiel, das Jacob Polak in Krakau heimisch machte. Hier hatte der aus Prag eingewanderte auch ein Lehrhaus gegründet. "Die polnisch-talmudischen Hochschulen wurden seit dieser Zeit die berühmtesten in der ganzen europäischen Judenheit. Wer Gründliches lernen wollte, begab sich dahin. In einem jüdisch-polnischen Lehrhaus ausgebildet sein, galt als Empfehlung, und wer diese nicht hatte, wurde nicht als ebenbürtig angesehen."   

Eingang zum jüdischen Viertel in Krakau, 1938.

So ist es gekommen, 'daß Polen und Litauen zum neuen Zentrum des westlichen Judentums geworden sind. Auch die aus Spanien, Portugal und Italien vertriebenen sephardischen Juden haben sich in ihren Gebräuchen an den zahlenmäßig stärkeren Aschkenasim orientiert. Innerhalb kürzester Zeit war es den neu angekommenen Aschkenasim gelungen, die Juden aus Chasaria, Byzanz und dem Mittelosten, die schon seit einigen Jahrhunderten in der Ukraine ansässig gewesen waren, zu assimilieren."   

 

Die aufgeklärten Herrscher Polens im 16. und 17. Jahrhundert bestätigten von neuem die Privilegien der Juden, unter Zusage ihrer wirtschaftlichen Rechte, der Erweiterung ihrer Autonomie und der Verpflichtung ihre persönliche Sicherheit zu schützen. "Trotz der Predigten des Klerus und dem Druck der Städter und deren Bemühungen, die Juden aus den Städten Polens zu verdrängen, konnten sie sich in den bestehenden Städten des Landes behaupten und sich an neuen Orten niederlassen. Das waren die "privaten Städte des Adels, die nach dem geltenden Rechte von der Herrschaft der städtischen Behörden exempt waren. Diese Städte nahmen Juden auf, da man in ihnen ein Element sah, das dem Adel bei der Entwicklung seiner wirtschaftlichen Aktivität behilflich sein konnte. Der Adel bemühte sich, durch Gewährung verschiedener Vergünstigungen die Juden in seine Städte zu ziehen.“   

"So z.B. gab Melchior v. Weyher, Starost von Dt. Crone, 1623 den Juden die Erlaubnis, sich auf der Kicka, einer Vorstadt von Dt. Crone, niederzulassen, wogegen die Stadt als eine Verletzung ihres verbrieften Rechtes, Protest einlegte. Trotzdem blieben sie, von dem Starosten geschützt, an Ort und Stelle; nur mussten sie an den Starosten, der die Kicka für Amtsgrund erklärte, 150 Gulden Grundzins, auch, um die Bürger zu begütigen, 50 Tympf Czopowe (Zapfengeld) an die Stadt zahlen, wofür ihnen gestattet war, mit Branntweinblasen zu brennen und in der Judenstraße Wein und Meth zu schenken. Auch mußten sie sich verbindlich machen, keine blutigen oder Meßkleider zu kaufen und 7 Groschen poln. an den Organisten zu zahlen." 10

 

Vorfahren von Ludwig Herzfeld sind urkundlich in Westpreußen, insbesondere im Kreise Flatow nachweisbar. Aus den südlich der Netze gelegenen polnischen Gebieten kamen nach 1500 Juden in die Kraina, wo sie eine Zufluchtsstätte fanden und durch Handel und Geldgeschäfte vielfach zu großer Wohlhabenheit gelangten. Ihre Anzahl wird sich dort, verursacht durch die chmielnickischen Pogrome, nach 1648 stark vermehrt haben, so daß Ludwig Herzfelds Vorfahren vermutlich erst zu diesem Zeitpunkt dorthin gelangte.

 

 

 

Die Lage der polnischen Juden unter preußischer Herrschaft

 

Die Lage der Juden sollte sich nach der Teilung Polens in den Landstrichen, in denen die Vorfahren des Ludwig Herzfeld lebten, und die an die preußische Krone fielen, grundlegend ändern. Dadurch erfolgte eine weitgehende Eingliederung in den deutschen Sprach- und Kulturkreis.

Mitte des 18. Jahrhunderts außenpolitisch machtlos und innenpolitisch zerrüttet, weckte Polen die Begehrlichkeit seiner Nachbarn, insbesondere die Russlands unter Katharina II. Friedrich der Große aufgrund der Erfahrungen des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) war einerseits um die Freundschaft Russlands bemüht, suchte andererseits für den Fall des Erlöschens der polnischen Unabhängigkeit, Russlands Westgrenze so fern wie möglich von Preußen zu halten und dabei insbesondere Westpreußen als Landbrücke  zu den östlichen Teilen seiner Monarchie zu gewinnen. Preußen und Russland vereinbarten 1764, die Wahl von Stanislaus Poniatowski zum König von Polen zu sichern. Fürst Repnin, der russische Botschafter in Warschau, hielt in Wirklichkeit die Fäden der Macht in der Hand. Er rief die bewaffnete Konföderation von Radom, zu der sich mehr als 8000 polnische Adlige vereinten, ins Leben. Als Reaktion auf den russischen Druck bildete sich die neue Konföderation von Bar, die zum Ausgangspunkt einer nationalen und streng katholischen Revolte wurde. Sie wurde von Österreich und der Türkei unterstützt und hatte die Kriegserklärung des Sultans an Russland 'zum Schutz der polnischen Freiheit' im Gefolge.

Die großen Erfolge der Russen gegenüber Polen und Türken, insbesondere nachdem die türkische Flotte in der Schlacht bei Tschesme vernichtet worden war, und die russische Landarmee auf dem Balkan vorrückte und Konstantinopel bedrohte, führten zu einer preußisch-österreichischen Verständigung, mit dem Ziel, den Frieden zwischen Katharina und dem Sultan zu vermitteln.

Gleichzeitig zog Friedrich einen 'Pestkordon' (cordon sanitaire) um die polnischen Gebiete, die er für Preußen forderte, und Joseph schloss heimlich ein Bündnis mit der Türkei. Auch Österreich besetzte einige Gebietsteile an der ungarischen Grenze und in Galizien; der militärischen Besetzung folgte die politische Besitznahme.

In dieser Phase hatte Prinz Heinrich, der Bruder Friedrich des Großen, den Gedanken, daß durch eine Teilung Polens die Ansprüche aller drei Mächte befriedigt werden konnten. Nach langen Verhandlungen einigte man sich. Am 5. August 1772 wurde der Teilungsvertrag abgeschlossen. Ein polnischer Widerstand gegen den Vertrag war aussichtslos, so daß der am 18. September 1773 vom polnischen Reichstag ratifiziert wurde.

 

Polen verlor damit rund ein Drittel seines Gebiets und die Hälfte seiner Bevölkerung. Russland erhielt den Rest von Weißrußland und den östlichen Teil des ehemaligen Litauischen Staats, Österreich erwarb Galizien, die nördlichen Abhänge der Karpaten und einen Korridor von Österreichisch-Schlesien zu den neuen Besitzungen. Preußen erhielt Westpreußen ohne Danzig und Thorn. Sein Teil an der Beute war der kleinste, aber politisch und militärisch von größter Wichtigkeit, da er die Landverbindung zu Ostpreußen herstellte.

Bei der Darstellung der Besitzergreifung dieser Landesteile durch Preußen wollen wir uns auf die Vorgänge im Netzedistrikt und im Kulm-Micheiauischen Kreise, beschränken, da die Vorfahren Ludwig Herzfelds dort ansässig waren.

Die Besitznahme des Netzedistrikts ging ohne größere Schwierigkeiten vor sich. Der Bevollmächtigte Friedrich des Großen, der Geheime Finanzrat Franz Balthasar Schönberg von Brenckenhoff, rückte mit dem Fähnrich von Dyhern und zwölf Dragonern in den Städten des Distriktes ein, die polnischen Garnisonen zogen sich widerstandslos zurück, und die polnische Bevölkerung verhielt sich gegenüber diesem so wichtigen Besitzwechsel gleichgültig. Ohne Widerspruch wurden die polnischen Wappen abgenommen, an deren Stelle der preußische Adler trat; nur in Flatow wurden Adler und Patente abgerissen. Brenckenhoff selbst berichtete:

 

         "Ich habe bisher alles was nur irgend möglich gewesen ist mitgenommen und die Städte  Filehne, Czarnikau und Usch, desgleichen die an der Netze belegenen Mühlen und  Holländereien sind mit Freuden preußisch geworden. Wenn ich dürfte, wollte ich mit meiner Eskorte von einem Kornet und 12 Mann noch die ganze Warte mit in Besitz nehmen, und man sieht uns allenthalben recht gern. Da Rynarzewo schon der Generalin Skorzewska gehört und alles, was von daher bis  Labischin dazwischen liegt ihr gehört und sie mich recht inständigst gebeten, es dahin zu dirigieren, daß alle ihre Güter preußisch würden, so werde ich mich auf dem Grenzzuge so einzurichten suchen, daß ich an der Netze bis Labischin gehe, von da aber links nach der Weichsel auf Schulitz oder Hoff die Linie nehme. Da die Eigentümer davon zufrieden so glaube ich nicht, daß jemand klagen wird, und wenn keine Klage kommt, auch die Adler einmal stehen, so wird es wohl dabei bleiben. Es ist doch immer gut, je weiter je besser." 11

 

Die endgültige Grenzfestsetzung erfolgte jedoch erst am 22. August 1776, wobei Preußen einige Landstriche an Polen zurückgeben musste.

In seinem Besitznahme-Patent vom 13. September 1772 hatte Friedrich der Große versprochen, "das ganze Land dergestalt zu regieren, daß die vernünftigen und wohldenkenden Einwohner glücklich und zufrieden sein können und keine Ursache haben werden, die Veränderung zu bereuen". Nach einer Reise durch die neuerworbenen Gebiete schrieb er: "Die Leute sind gar zu faul und träge und haben nicht Lust zu arbeiten; das Volk muß in einen anderen Schlenter gebracht werden, wenn die Provinz in einen besseren Wohlstand kommen soll. Die Landwirtschaft in Westpreußen ist in der größten Bredouille von der Welt und ganz erbärmlich... sie säen, ohne das Land gehörig zu düngen." An seinen Bruder Heinrich schrieb er: "Auf meiner Reise durch Polen-Preußen habe ich nur Sand, Tannen, Heidekraut gesehen. Es ist wahr, daß dies Stück Land mir viel Arbeit verursacht; denn ich glaube, Kanada ist eben so wohl eingerichtet wie dieses Pomerellen." In einem Brief an d'Alembert meinte er, es würde erst nach ziemlich langer Zeit und durch bessere Erziehung der Jugend möglich sein, die westpreußischen 'Irokesen' gesitteter zu machen. Einige Jahre später schrieb er an Voltaire: "In  Preußen habe ich die Sklaverei abgeschafft, barbarische Gesetze reformiert, vernünftigere in Gang gebracht, einen Kanal eröffnet, welcher die Weichsel, Brahe, Warthe, Oder und Elbe verbindet, Städte wieder aufgebaut, welche seit der Pest 1709 zerstört, 20 Meilen Morast trocken gelegt und eine Polizei eingeführt, welche in diesem Lande selbst dem Namen nach unbekannt war." 12

 

Im Rahmen dieser vor allem durch ökonomische Gesichtspunkte geprägten Politik muss man auch Friedrichs Maßnahmen gegenüber den Juden sehen.

Die Lage der Juden in Preußen war auch unter dem Regiment eines aufgeklärten Fürsten wie Friedrich bedrückend und schmachvoll, "Wie im Mittelalter bildeten auch die Juden... einen abgesonderten Staat im Staat, durch viele Beschränkungen wirtschaftlicher, sozialer, beruflicher, rechtlicher Art von den übrigen Untertanen geschieden. Die Juden wurden in ein Netzwerk von Gesetzen und Geboten, Reglements und Resolutionen eingespannt, die ihr Leben vom Tage der Geburt bis zur Stunde ihres Todes regelten, ihre Anzahl, ihre Zu- und Abwanderung kontrollierten, ihnen vorschrieben, welchen Beruf sie ergreifen, in welcher Stadt sie wohnen, wie viel Geld sie verdienen, wie viele ihrer Kinder eine Ehe schließen und mit welcher Frau sie sich verheirateten dürften." 13

So war es den Juden verboten, zu betteln und zu hausieren. Der Geldhandel war stark reglementiert. Nicht nur für jeden Bankrott und für Steuerschulden hatte die Gemeinde, sondern auch - wie im Generalprivileg von 1750 festgelegt - hatte "die Gesamtjudenschaft jedes Ortes ex officio" Schadenersatz zu leisten, "wenn ein Dieb den ganzen Wert der gestohlenen oder verhehlten Sachen dem rechten Besitzer nicht ersetzen" konnte.

 

Dieses 'kannibalische Generalprivileg', wie Mirabeau es nannte, sah sechs Gruppen von Juden vor. Abgesehen von der kleinen Zahl generalprivilegierter Juden, die viele Freiheiten genossen, so etwa Haus- und Grundbesitz erwerben konnten, manche von ihnen erhielten sogar das Bürgerrecht, gab es überwiegend 'ordentliche Schutzjuden'; die durften sich zwar in bestimmten Erwerbszweigen betätigen, aber nicht beliebig Wohnung nehmen. Ihren Status des 'Geschützseins' konnten sie auf eins, später auf zwei Kinder vererben, wenn das erste Kind 1000 Taler in bar besaß und außerdem die mit der Erbfolge verbundene Gebühr zahlen konnte. Das zweite Kind musste 10 000 Taler zeigen können. Jedoch waren an den Schutzbrief weitere Nebenbedingungen geknüpft, wie der Zwang ein vorgeschriebenes Kontingent Porzellan der staatlichen Manufaktur in Berlin abzunehmen und zu exportieren. Das Porzellan durfte also nicht für den eignen Gebrauch verwandt werden; selbst auf die Auswahl der Stücke hatte der betroffene Jude keinen Einfluss.

 

Daneben gab es 'außerordentliche' Schutzjuden, deren Privileg auf keinen Angehörigen übertragen werden konnte, was im Falle des Todes des Privilegieninhabers zur Ausweisung der Witwe und der Kinder führen konnte. Die Kultusbeamten der jüdischen Gemeinde waren dieser Gruppe gleichgestellt; sie durften jedoch weder Handel noch Gewerbe treiben.

 

Dazu kamen die 'geduldeten Juden', denen eine berufliche Tätigkeit ebenfalls untersagt war; ihnen hielt man nur die Möglichkeit offen, in eine der oberen Gruppen einheiraten zu können. Schließlich gab es noch die privaten Angestellten, die sich nur so lange am Ort aufhalten durften, wie ihr Arbeitsverhältnis dauerte; ihnen war verboten zu heiraten.

Durch dieses ‘Revidierte Generalprivileg- und Reglement vom 17. April 1750’, das in seinen Grundzügen bis 1812 in Kraft blieb, dem „Grundgesetz der friderizianischen Epoche... waren die Juden weiter vom Ackerbau und vom zünftigen Handwerk ausgeschlossen. Nur solche unzünftigen handwerklichen Berufe wie Petschierstecher, Maler, Gold- und Silbersticker, Glas- und Diamantschleifer, Weißnäher und Kratzwäscher waren ihnen erlaubt. Was ihnen als eigentlicher Wirkungsbereich und aufgrund einer jahrhundertelangen Gewohnheit blieb, war die kaufmännische Tätigkeit.“ 14 Mit der Erwerbung West Preußens kam eine große Zahl von Juden unter preußische Herrschaft. „Ihre Verteilung über die Provinz war ganz ungleichmäßig. Ermland hatte überhaupt keine Juden. Auch die Städte von Polnisch-Preußen hatten sie bis auf eine Stadt - Schlochau - ferngehalten.

Dagegen saßen sie auf dem Land auf geistlichen, starosteilichen und adligen Gründen, im Marienburgischen 124, in Kulm- Michelau 848, in Pomerellen 2629 Seelen. Hier hatte  sie die Gelegenheit des Handels besonders in die Nahe von Danzig gezogen. Auf geistlichen Grund und Boden in Hoppenbruch und Stolzenberg und in der adligen Ortschaft Langfuhr fanden sich allein 1250 Seelen, ein Drittel aller Juden in Polnisch-Preußen, wo im Dezember 1772 eine jüdische Bevölkerung von 3600 Köpfen gezählt worden war.

Anders lagen die Verhältnisse im Netzebezirk. Etwa 9/10 aller Juden saßen in den Städten. Kam in Polnisch-Preußen, das Ermland nicht gerechnet, auf 88 Menschen ein Jude, so im Bezirk an der Netze schon einer auf 16 Einwohner, dort 1%, hier über 6% jüdischer Einschlag mit gegen 11 000 Seelen zur Zeit der Besitznahme. In vielen Städten machten die Juden ein Viertel und ein Drittel, in Flatow und Inowrazlaw über die Hälfte aller Einwohner aus.“ 15

Friedrich der Große übertrug die im Generalprivileg von 1750 enthaltenen Grundsätze auf die neuerworbene Provinz. Nur die vermögenden und handeltreibenden Juden sollten mit Schutzbriefen versehen werden. Wobei zunächst daran gedacht war, daß der Nachweis eines Vermögens von 1000 Tälern die Voraussetzung für die Erteilung eines Schutzbriefes sein sollte.

 

Die bereits erwähnten vor den Toren Danzigs, das bei der ersten polnischen Teilung nicht unter preußisch! Herrschaft gelangt war, gelegenen Gemeinden Schottland, Stolzenberg und Langfuhr  erhielten bald ein entsprechendes Privileg, war der König doch daran interessiert, dem Danziger Handel Abbruch zu tun. Auch sollten die  Juden vom Lande in die kleinen Städte längs der Netze zur Betreibung des Handels mit Polen gewiesen werden. Sämtliche arme Juden aber sollten „sucsessive und ohne Ungestüm“ aus dem Lande gebracht werden. Den geduldeten aber blieb streng untersagt, wie in der polnischen Zeit  ein zunftmäßiges  Handwerk zu treiben. Auch durften sie nur bei christlichen Schlachtern zu eignem Verbrauch schlachten lassen; der Handel mit roher Wolle und Garn oder mit Häuten und Leder war ohne besondere Erlaubnis nicht möglich.

Am 1. März 1773 wurde die scharf gehaltene Bekanntmachung des Generaldirektoriums veröffentlicht, daß bis zum 1. Mai alle Juden, die weniger als 1000 Tlr Vermögen besaßen, Westpreußen zu verlassen hatten. Dieser Befehl schloss den Netzebezirk mit ein. Hier „aber lagen die Verhältnisse ganz anders als in Polnisch- Preußen. So zahlreich saßen hier die Juden, sosehr beherrschten sie Handel und Handwerk und so wenige hatten das zur Ansetzung als  Schutzjuden erforderliche Vermögen, dass die plötzliche Vertreibung der Übrigen geradezu eine Entvölkerung der Städte, eine Lähmung von Handel und Verkehr, eine Schädigung vieler Grundherrschaften herbeigeführt haben würde. Noch eins kam dazu: Die Synagogengemeinden im Netzebezirk hatten über 60 000 Taler Schulden. Eine plötzliche Vertreibung musste die Gläubiger notwendig um ihr Geld bringen.“ 16

Nach Regelung des jüdischen Schuldenwesens in den Gebieten außerhalb des Netzedistrikts und in Folge der Anwendung der Bestimmungen des Generalprivilegs setzte eine starke Auswanderung ein. Die geduldeten Juden siedelten sich in den Städten an, wofür eine Kabinettsordre vom 2. Mai 1773 die rechtliche Grundlage geschaffen hatte, denn nach bisherigem Recht waren die Städte nicht zu ihrer Aufnahme verpflichtet. Die Zahl der geduldeten Juden war jedoch - mit Ausnahme der Danziger Vorstädte - nicht erheblich.

„1774 waren es 39 Schutzjuden mit 304 Köpfen, die in den Städten Christburg, Berent, Stargard, Neuenburg, Mewe,  Schöneck, Hammersteins Schwetz, Landeck, Schlochau, Gollub, Lobau und Strasburg angesetzt wurden. Im folgenden Jahr betrug die Zahl der geduldeten Juden in ganz Westpreußen ausschließlich des Netzebezirks 1479 Seelen, davon in den Danziger Vorstädten 823 Köpfe.“ 17

Was den Netzedistrikt anbelangte, so leistete die Beamtenschaft gegenüber den Ausweisungsbefehlen des Königs hinhaltenden Widerstand. Mit immer neuen Eingaben und Vorschlägen suchten sie die Fortschaffung zumindest hinauszuzögern, denn, so bemerkte der Kammerpräsident Domhardt : „Seine Majestät haben bisher dero Regierung durch Duldung aller Religionen denkwürdig gemacht, eine plötzliche Vertreibung würde aber nicht nur dem allgemeinen Gefühl der Menschlichkeit, sondern auch jenen erhabenen Gesinnungen widersprechen“.

Nach Brenckenhoffs Angaben lebten 1774 diesseits der Netze auf dem Lande 272 Familien mit 1066 Seelen und in den Städten, einschließlich der drei jenseitigen Städte Czarnikau, Filehne und Usch - hier wollte der König, so hatte er es mündlich geäußert, von einer Ausweisung absehen, um die Fabrikwaren nach Polen zu vertreiben - 1755 Familien mit 6406 Seelen, zusammen 7472 jüdische Einwohner. „Die Mehrzahl dieser städtischen Juden waren Handwerker und fast ebensoviel Händler, im übrigen über 100 Rabbiner Kultus- und Schulbediente, einige Brennereipächter, Schankwirte, Tabakverteiler, Salzseller, Musikanten und Feldscherer.“18 Die Gemeinden beanspruchten weit über den Bedarf öffentliche Bediente, um so Glaubensbrüder,  die kein Schutzprivileg hatten erwerben können, vor der Ausweisung zu bewahren. Die Judenschaft in Czarnikau, von der sich zwölf zum ordentlichen und vierundzwanzig zum außerordentlichen Schutz eigneten, beanspruchte 1779 etwa 50 Kultusbedienstete und begründete die Zahl mit der häufigen Anwesenheit russischer und polnischer Juden. Es wurde ihr aber dann nur 15 zugebilligt. Flatow dagegen wurden neben dem Rabbiner 18 Schulmeister zugestanden.

 

Im Juni 1780 bereiste der König die Provinz, er erklärte dem Bromberger Kammerdirektor gegenüber, wenn von den vielen Juden 2000 blieben, so sei das genug für den Netzebezirk, um mit Polen Handel zu treiben.

Trotz der toleranten Haltung der Behörden war ein erheblicher Teil der Juden, man schätzt, daß in den Jahren von 1774 bis 1785 6000 von ihnen ausgewiesen wurden, gezwungen  Preußen zu verlassen.

Jedoch ist den Zahlen gegenüber ein gewisser Vorbehalt angebracht, denn August Carl Holsche bemerkt dazu:

„Denn die Judenzahl wird nur auf 8154 angegeben, statt davon gewiß über 20.000 in der Provinz wohnen, weil nur die Judenfamilien in Anschlag kommen, so Conzession haben. Dies sind aber die wenigsten, denn die meisten Städte sind voll von Juden, und es wohnen oft drey bis vier Familien in einem Hause. Die unvergleiteten Juden werden bisweilen weggejagt, und es müssen aus einer Stadt auf einig hundert auswandern, den anderen Tag sind sie alle wieder da, und dann haben sie so lange Ruhe, bis der Steuerrath einmal wieder eine Musterung vornimmt. Die meisten laufen als dann in ihren Gewerben auf dem Lande herum, und es ist mit Zuverlässigkeit ihre Zahl  nicht auszumitteln.“19

August Holsche, Der Netzedistrikt. Ein Beytrag zur Länder- und Völkerkunde mit statistischen Nachrichten,

 Königsberg 1793,  S.60f

 

 

 

 

 

 

 

Herkunft und Kindheit (1736-1837)

 

 

 

'Ich bin am 12. September 1819 von jüdischen Eltern in Guhrau geboren; mein Vater war daselbst Kaufmann, er lebt gegenwärtig in Berlin, meine Mutter starb am 14. Oktober 1831', schreibt Ludwig Herzfeld im Juli 1845 aus Glogau nach Berlin. Die im einleitenden Satz seines Lebenslaufes angeführten Fakten lassen wesentlich Fragen seiner Herkunft unbeantwortet. Nach jüdischer Auffassung gilt nur der als Jude, der von einer jüdischen Mutter stammt. Aber nicht nur aus diesem Grund wollen wir uns zunächst mit der Herkunft von Ludwig Herzfelds Mutter beschäftigen, sondern auch deshalb, weil sich der weibliche Teil der Familie historisch besser zurückverfolgen lässt.

Den Namen seiner Mutter nennt er in dem erwähnten Schriftstück nicht, auch in seiner  Todesurkunde aus dem Jahre 1911 steht in der entsprechenden Rubrik 'unbekannt', aus anderen Quellen erfahren wir, daß sie Liebchen Herzfeld, Liebchen Munk oder Louise Schlochow hieß.  Bei der am 14. Oktober 1831 Verstorbenen handelt es sich mit Sicherheit um Louise Schlochow und mit großer Wahrscheinlichkeit um die Stiefmutter und nicht um die Mutter von Ludwig Herzfeld. 'Schlochow' dürfte für den Herkunftsort gleichen Namens stehen, über ihn hinaus wird uns der Weg nach Flatow und Gollub führen, Städten, die gleichfalls in Westpreußen liegen, wo sich die Spuren der Herzfeld-Vorfahren verlieren.

 

 

Schlochau

 

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Stadt Schlochau, dem westpreußischen Gemeinwesen, das in vielfältiger Beziehung zu den Trägern des Namens 'Herzfeld' stand.

Juden hatten sich in Schlochow erst seit dem Thorner Frieden (1466) ansiedeln können, denn zuvor war ihnen der Aufenthalt in Ordenspreußen verboten gewesen. Da die anderen Städte ihnen weiter die Tore verschlossen, stieg die Einwohnerzahl Schlochows beachtlich an.

Hier bauten sie eine Synagoge, die im 19. Jahrhundert das älteste Gebäude der Stadt war, legten die Straßenzeile 'Unter den Linden' und den Marktplatz an, der 'Judenmarkt' genannt wurde. Neben der Synagoge, die zugleich als Schule diente, erstand ein Koscherhäuschen für die vorgeschriebenen Schlachtungen. 'Nach und nach breiteten sie sich  über das ihnen zugewiesene Viertel aus. Die Lustration von 1748 erwähnt 6 Radziwill'sche Häuser in der Stadt, die an 17 jüdische Familien vermietet waren, ferner 20 1/2 sog. Judenhäuser, deren Besitzer mit doppeltem Grundzins zur Kommunalkasse veranlagt waren. Ein beigefügtes Verzeichnis der Mieter nennt z.B.: Jacob Salomon, Lewin Jacob, Joachim Isaac, Arend Judas u.a.’ 1

Die Synagogengemeinde Schlochow war äußerst orthodox bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wie wir aus zeitgenössischen Berichten entnehmen können. 'Die hiesige jüdische Gemeinde läßt ihre Leichen', so stellt die Sanitätskommission am 17. September 1837 fest, 'Ganz offen und kaum mit einem Leichentuche bedeckt zu Grabe tragen. Hierbei liegen die Leichen auf einem Brette, das mit Stricken auf ein paar rohe Baumstämme befestigt wird, welche zugleich als Tragbahre dienen müssen. Ein jeder, dem ein solcher Leichenzug  begegnet, muß notwendig von Schauder ergriffen werden, wenn er sieht, wie die menschliche Hülle gehandhabt wird.' 2

In einem Bericht der Regierung aus dem Jahre 1843 heißt es: 'Der jüdische Gottesdienst wird noch nicht in deutscher Sprache gehalten, Sitten und Gebräuche, sowie die Tracht der Kultusbeamten sind noch ganz jüdisch.' 3

Diese orthodoxe Tradition hatte jedoch bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Mitglieder der  Gemeinde nicht gehindert, in Berlin sich dem Gedanken Moses Mendelssohns und damit der Aufklärung zu öffnen.

Im Jahre 1783 verließ Abraham Casper (geb. 1.11.1756) Schlochau. Sein Vater Casper Levin gehörte zu den alteingesessenen Familien der Stadt; er war verschwägert mit Jacob Salomon, der zugleich sein Geschäftsinhaber war, und im Jahre 1848 zu den Besitzern eines  der Radziwill'schen  Häuser gezählt wird.

Abraham ließ sich in Berlin als Tuch- und Seidenhändler nieder. Hier nach seiner Vaterstadt (Schlochau) Schlochoff genannt, heiratete am 1. Januar 1784 Ella, die Tochter des Abraham Brock. Die Ehe war jedoch nur von kurzer Dauer, denn die Frau starb bereits am 23. Februar 1788 - erst 24 Jahre alt - im Wochenbett. Noch im selben Jahr (am 3. Dezember 1788) heiratete Abraham erneut, diesmal Recha, die Tochter  eines 'Jacob Herzfeld', über den wir bereits weiter oben erwähnt haben.  Aus dieser Ehe ist zumindest ein Kind, die Tochter Henriette Louise, nachweisbar. Am 13. Januar 1804 ließ sie sich in der Jerusalemer Kirche taufen, zusammen mit ihren Eltern, die sich nun Carl Abraham und Ernestine Wilhelmine Caspary nannten.

 

 

 

 

 

 

 

 

JACOB HERZFELD aus Heidingsfeld, gest. am 5.11.1794 in Berlin

 

 

Er heiratete am 23. Februar 1753 in Berlin Hendel Bendix; Vermutlich nach dem Großvater seiner Frau, Wolff  Veitel Meyer, nannte er sich auch Jacob Behrend Wulff.

Sein ältester Sohn, Salmann, wurde am 13. März 1754 in Berlin geboren. Vor den anrückenden russischen Truppen flüchtete die Familie während des Siebenjährigen Krieges nach Harzgerode, dort kam ein weiterer Sohn, Jeremias Jacob, am 3. Februar 1759 zur Welt. Einige Zeit muss Jacob sich allein oder mit der Familie in Amsterdam aufgehalten haben. Zumindest der Sohn Jer. Jac. hat auch zeitweilig in Offenbach gelebt, denn in den Göttinger Universitätsmatrikeln wird Dr. Jer. Jac. Wolff als "Offenbaciensis" bezeichnet. Jeremias Jacob hatte sich am 8. März 1780 in Göttingen zum Dr. med. promoviert und erhielt im Jahre 1782 in Berlin seine Approbation. Schließlich avancierte Jeremias Jacob 1803 als Nachfolger von Markus Herz zum Chefarzt des Jüdischen Krankenhauses; später wurde ihm der Titel eines Geheimen Hofrats verliehen. Er ist auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin beerdigt.

Aus den Brautbriefen des Moses Mendelssohn an Frumet wissen wir, daß Jacob Herzfeld zahlreiche Geschäftsreisen tätigte. So hielt er sich im Juli 1761 in Hamburg und Schwerin auf.

"Wenn R. Jaakauw Herzfeld noch schom (dort) ist", schreibt Moses Mendelssohn an seine Braut, "so empfehlen Sie mich diesem guten Freunde. Ich habe ihm unsere Verbindung nach l' Schwerin (nach Schwerin) gemeldet, nämlich in einem Schreiben an R. Reföel, worauf aber ad heno kein t' schuwo (bisher keine Antwort) erfolgt. Ich weis, daß dieser R. Jaakauw mein Freund und auch der Ihrige ist, und bin stolz darauf, denn er ist ein braver Mann." (Berlin, 7. Juli 1761)

 

 

 

Anfang September 1761 wurde Jacob in Berlin zurück erwartet. "R. Jaakauw Herzfeld soll heute oder morgen im jirze ha-Schem kaan (so Gott will) hier seyn. Wie freut es mich diesen braven Mann und guten Freund von meiner Gugenheim zu sprechen. Wenn Sie ihm Briefe schicken, so werden Sie wohl eine Auswahl zu treffen nit vergessen." (Berlin, 1. September 1761). Jacobs Rückkehr verzögerte sich jedoch. "R. Jaakauw Herzfeld ist wider vermuten nit l' chaap, sondern nach Schwerin gereist. Ich glaube also, daß Sie ihn ehr sprechen werden, als ich, den braven Mann." (Berlin, 13. September 1761)

Zu Beginn des Jahres 1762 besuchte Jacob seine Heimat Würzburg, aber er hatte auch in Leipzig zu tun. "Liebste Fromet Ich habe k' ha-jaum Schreiben me - R. Jaakauw Herzfeld erhalten, welcher achschow b' (jetzt in) Leipzig ist. Derselbe bittet mich Ihnen und den Ihrigen sein Compliment zu machen. Als er noch in Würzburg war, habe ich an ihn geschrieben, und ihm recommandirt, seine Commissionen b' - Hamburg al j'de owiho chommi ha-m' juod sche-jichje (durch Ihren Vater, meinen Vorbestimmten Schwiegervater, er bleibe am Leben) bestellen zu lassen. Er versichert mich, daß er seit einem halben Jahr nit 10 / M (wahrscheinlich Mille = Tausender) Mark in Hamburg verkehrt, versprecht aber, so bald sich Gelegenheit dazu bietet, mit Vergnügen zu willfahren. Wir wollen doch sehen, ob er Wort halten wird." (Berlin, 2. Januar 1762)

Im März desselben Jahres schreibt Moses Mendelssohn seiner Schwester Brendel: "R. Jaakauw Herzfeld und seine Leute sind l'chaan zurückgekommen, wollen Sie nit bald folgen?" 5

Fromet, sie ist jetzt gut ein Jahrzehnt mit Moses Mendelssohn verheiratet, bestellt in einem Brief (Berlin, 22. Juli 1774) auch einer Madame Wessely Grüße. Bei Madame Wessely handelt es sich um Ranel bzw. Reinche, einer Schwester Jacob Herzfelds, die 1737 in Heidingsfeld geboren wurde. Sie hatte am 25. August 1765 in Berlin Aron Behrend Wessely (geb. ca. 1740 in Kopenhagen, gest. 13.5.1812 in Berlin), einen Bruder des berühmten Naphtali Wessely, geheiratet. Im Jahre 1774 erhielt er die Konzession zur Weiterführung der Samt- und Seidenfabrik des Moses Riess.

Ein Sohn von Aron W. und Reinche Herzfeld war Bernhard Wessely, geb. 15. August 1766 in Berlin.

Wohl das reifste philosophische Werk Moses Mendelssohns bilden die ‘Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes' aus dem Jahre 1785, die vor allem für seinen Sohn Joseph gedacht waren, unter den wenigen Zuhörern befand sich auch Karl Bernhard Wessely. "Ich entschloß mich", so schreibt Moses Mendelssohn, "die wenigen Stunden des Tages, in welchen ich noch heiter zu sein pflegte, die Morgenstunden, ihm zu diesem Behufe zu widmen, und hatte das Vergnügen, daß mein Schwiegersohn S. und auch W. Karl Bernhard Wessely -W.H.), der Sohn einer Familie, mit der ich seit vielen Jahren in freundschaftlicher Verbindung stehe, an unseren Bemühungen Teil nehmen wollten. Diese drei Jünglinge von schätzbaren Geistesgaben und noch besseren Herzen, besuchten mich in den Morgenstunden; wir unterredeten uns von den Wahrheiten der natürlichen Religion, und wenn ich dazu angelegt war, hielt ich ihnen zusammenhängende Vorlesungen über einen und den anderen Punkt aus derselben, aber wie leicht zu erachten, ohne allen Schulzwang. Sie hatten die Freiheit mich zu unterbrechen, Einwürfe vorzubringen, sie unter sich zu beantworten, und ich brach zuweilen meinen Diskurs ab, um sie unter sich streiten zu lassen". 6

 

 

Im Erscheinungsjahr der 'Morgenstunden' starb Moses Mendelssohn. Die Trauerkantate Ramlers vertonte Karl

 Bernhard Wessely.

 

Ein Schauer drang durch meine Seele,

Als ich des Volkes Trauer sah.

Von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang

Sah ich der Wechsler Tische leer,

Der Krämer Haus verschlossen,

Des Handels Lauf gehemmt.

Man trauerte um den Redlichsten in Israel

Als um den Obersten im Volk,

Als um den Ältesten des Landes.

 

Karl Bernhard war später Kapellmeister des Prinzen Heinrich von Preußen, des Bruders Friedrich des Großen, in Rheinsberg, nach dessen Tode bekleidete er Beamtenstellen zunächst in Berlin, dann in Potsdam. Dort wirkte er für die Belebung des Musiklebens, war als Komponist und Musikschriftsteller tätig. Er starb am 11. Juli 1826 in Potsdam. 7

 

 

 

In dieser Kirche sollten 34 Jahre später die Söhne eines andern Jacob Herzfeld, Ludwig und sein älterer Bruder Karl, denselben Schritt vollziehen.

Aber nicht nur die Übereinstimmung der örtlichen Gegebenheiten, sondern auch die der Namen  ist verblüffend. Im ersten Fall handelt es sich um die Tochter eines Jacob Herzfeld, die mit einem Abraham Schlochau verheiratet ist, ein Kind aus dieser Ehe heißt Henriette Louise. Im zweiten Fall um die Söhne eines Jacob Herzfeld, der in zweiter Ehe Louise, die Tochter eines Abraham Schlochow, zur Frau hat.

Trotzdem spricht etliches gegen die Annahme einer Identität von Abraham Schlochau (Schlochoff) einerseits und von Henriette Louise mit Louise andererseits: Einmal der Name 'Caspary', die jüdische Verwandtschaft in Westpreußen nimmt 1812 diesen Namen ebenfalls an, dann das unterschiedliche soziale Umfeld und die geographische Entfernung zum schlesischen Guhrau, dicht an der Grenze zu Posen. Wir werden noch auf eine Schlochow-Familie zu sprechen kommen, die am Ende des 18. Jahrhunderts in Schlichtingsheim, das nur unweit von Zapplau und Guhrau gelegen ist, wo spätestens seit 1812  Ludwig Herzfelds Vater Jacob und dessen Bruder Mendel, der mit Philippine, Tochter des Abraham Schlochoff, verheiratet  war, ihren Wohnsitz haben, ansässig ist.

Aber zurück zur Familie  Caspary. Ein Bruder des Abraham, Moses (geb. 30. April 1770 in Schlochau), seit 1784 in Berlin als Farbwarenhändler tätig, heiratete dort am 11. Februar 1802 Güttel (geb. 15. Februar 1782 in Potsdam, Tochter Zipporas, der Frau des Bendix Ruben Golschmidt. 8 Der Bruder Güttels, Ruben Goldschmidt, war mit Schönchen Herzfeld 9 , der Tochter des Jacob Koppel David Herzfeld (Heizfeld) 10 verehelicht. Dieser Herzfeld war in Amsterdam ansässig und ist anscheinend vor 1789 gestorben. Sein Bruder Samuel David Herzfeld11 leitete in Berlin das Beth hamidrasch.

Aus der Goldschmidtfamilie stammt auch 'Jettchen Gebert' (= Johanne Goldschmidt), die die Hauptfigur des gleichnamigen Romans von Georg Hermann 12, der mütterlicherseits mit den Josephsons, Ludwig Herzfelds ältere Schwester Bertha heiratete am 28. Juli 1844 in Berlin Joseph Josephson, 13 verwandt war. Da Georg Hermann seine Romanfiguren nachweislich aus dem Kreise der Verwandten und Bekannten nahm, scheint auch sein Roman ‘Dr. Herzfeld' nicht nur fiktiven Ursprungs zu sein. Nachkommen des Jacob Koppel David Herzfeld dürften auch die im Rheinland beheimateten Träger dieses Namens sein, was nicht nur aufgrund der räumlichen Nähe zu Holland, sondern auch durch die Verbindung zu den Goldschmidts wahrscheinlich scheint. 14

 

Ein anderer Bruder des Abraham und des Moses Caspary war Baruch, der am 31. März 1791 in Berlin Jente, die Tochter des Ephraim Spandau heiratete. Das Paar siedelte später nach Konitz, einer Nachbargemeinde Schlochaus, über. 15

In der ' Tabelle von den Juden Häusern in der Provinz West Preußen pro 1799' 16 wird Baruch als Besitzer des Hauses seines inzwischen verstorbenen Vaters Casper Levin in Schlochau aufgeführt.

Wir hatten bereits oben auf den Zusammenhang zwischen den Familien Herzfeld und Munk mit dem Ort Schlochau bzw. Personen, die diesen Namen tragen, hingewiesen.

Mendel Herzfeld, der ältere Bruder des Jacob Herzfeld, war mit Philippine, Tochter eines Abraham Schlochau oder Schlochow, verheiratet. Jacob, der Vater des Ludwig Herzfeld, hatte eine Louise Schlochow (in zweiter Ehe) zur Frau. Nach Angaben von Mitgliedern der Familie Herzfeld, die auf Informationen des Reichssippenamtes beruhen, trug eine der Frauen Jacobs den Namen Munk. In Schlichtingsheim, das nicht weit entfernt von Zapplau und Guhrau (Schlesien), wo Jacob und Mendel über Jahre wohnten und tätig waren, liegt, lebte - wie aus der Posener Staatsbürgerliste zu entnehmen ist - eine Familie Schlochow (Munk) 17 . Es ist wohl dieselbe Familie von der Brilling, dessen Forschungsschwerpunkt das schlesische Landjudentum war, schreibt: 'So versuchten noch 1812 einige Juden aus dem damals zur Provinz Posen gehörenden Schlichtingsheim (Saul Hirschstein, Pincus Abraham Munk, später Schlochow genannt, Fabian Runkel und Abraham Leopold Sachs), sich in Hundsfeld niederzulassen und dadurch das preußische Staatsbürgerrecht zu erwerben.' 18 Wie wir aus dem Namen des Pincus schließen können, hieß sein Vater Abraham. In Breslau wohnte zu dieser Zeit ein Abraham Munk 19 , möglicherweise der Vater, denn Hundsfeld lag vor den Toren Breslaus. Im Jahre 1819 finden wir in der Gemeinde Münsterberg einen Adolf Schlochow als Kultusbeamten; sollte der Name Adolf für Abraham stehen, könnte er mit dem vorgenannten Abraham Munk identisch sein.

Die Familie Munk stammt ursprünglich aus Prag, ist dann in Wien und später in Glogau nachweisbar. Aus ihr gingen viele namhafte Rabbiner und Gelehrte hervor.

In der 'Designation derer im Glogauischen Kammerdepartement in denen accisbaren Städten und auf dem Lande befindlichen Judenfamilien' vom April 1751 war ein Salomon Joachim Muncke, ein Seelig Muncke, ein Wolff  Muncke, ein Hirschel Munck und als Kultusbeamter  der Glogauer jüdischen Gemeinde ein Pincus Munck zu finden. 20 Dieser Pincus Munk könnte sich in das westpreußische Schlochau begeben haben, so daß seine Nachkommen sich später nach diesem Ort benannten. Der Name Pincus deutet auf eine verwandtschaftliche Beziehung zu Pincus Abraham hin, vielleicht war letzterer ein Enkel.

Bedenken wir weiter, daß es in dem kleinen Schlichtingsheim nur eine Familie Schlochow (Munk)21 gegeben haben dürfte, so können wir annehmen, daß es sich bei Pincus Abraham um einen Bruder von Philippine und Louise handelte. Die verwandtschaftlichen Beziehungen stellen sich dann wie folgt dar:

 

 

 

 

 

 

                                      

Pincus Munk (Kultusbeamter

in Glogau um 1751)

 

Abraham Munk (1812 in Breslau)

od. Adolf Schlochow  (1819 Kultus-

beamter in Münsterberg), u.U.

sind beide identisch

 

 

 

 

 

            

Pincus Abraham           Philippine              Täubchen                      Louise                        Salomon

Munk (Schlochow)        To. des                  Munk                             Schlochow                  Schlochow (Munk)

Destillateur                  Abraham Schlochau                                                                                   V. Abraham Schlochi

aus Schlich-                                                                                                                                        1830 u.1834 in

tingsheim                      verh.1805 mit       geb.24.10.1788           2. Frau von                 Schlichtingsheim

1812 Hundsfeld             Mendel Herz-       in Schlichtings-           Jacob Herzfeld           1835 in Guhrau

1841 Gemeinde-            feld                      heim, seit 1802                                                 nachweisbar

vorsteher                                                        in Glogau                                                                    gest. 1852 in Guhrau

 

 

Es lässt sich belegen, dass ein Mor. Schlaumo Salman, Sohn des Abraham Schlochi    am  16. Elul 5612   in Guhrau gestorben ist; erwurde auf dem Friedhof in Schlichtingsheim  begraben. Es könnte sich dabei um den Munk Schlochow handeln, der am 26. Mai 1835 nach Guhrau gegangen war; der ist vermtl. mit dem oben genannten Salomon identisch.

 

Weiter ist aus dem „Verzeichnis der Grabsteine des jüdischen Friedhofs zu Schlichtingsheim. Krs. Fraustadt zu entnehmen, dass dort Reine , Tochter des Schlaumo b. R. Elkana Munk aus Glogau dort am E.R.Ch.Kislev 5574 gestorben ist; ihr Mann war Kasriel Munk. Zur Familie gehörte vermutlich auch der an der jüdischen Elementarschule zu Fraustadt in der Zeit von 1810 bis 1828 tätige Lehrer Munck Leib Abraham (geb. 1775).

.           

 

                                                                                                                                                           Aber es bestehen noch weitere Beziehungen zwischen 'Schlochau' und 'Munk'. In der Glogauer Staatsbürgerliste von 1812 sind eine Familie Schlochauer und eine  Familie Munk hintereinander aufgeführt.

So finden wir Sara Schlochauer geb. Munk oder Muncken (geb. 12. Juli 1788, gest. 25. Jan. 1869 in Berlin - sie liegt auf dem Friedhof Schönhauser Allee). Aus ihrer Ehe mit Nahum Cohn Schlochauer (geb. 12. Okt. 1772; die Eheschließung erfolgte am 25. Dez. 1798) stammten die Kinder Hanne (geb. 13.10.1808), Bella (geb. 3.8.1810) sowie der Sohn Valentin, der am 31. Aug. 1812 wie auch seine Schwestern in Glogau zur Welt kam. Valentin wurde am 28. Juli 1844 in Berlin mit Friederike (geb. 1. Dez. 1825 in Glogau, gest. 16. Dez. 1894 in Berlin), Tochter des Salomon Friedländer vom Rabbinatsassessor Oettinger getraut, der am selben Tag die Ehe zwischen Joseph Josephson und Bertha Herzfeld, der Tochter des Jacob Herzfeld und der Schwester des Ludwig, schloss. 22

Der Name Nahum Cohn  Schlochauers verweist uns erneut auf die westpreußische Stadt, so ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß wir im Jahre 1812 einen Alexander Jacob Kohn, einen Seelig (Salomon) Alexander Kohn und einen Ephraim Kohn finden. Bei Salomon und Ephraim handelt es sich wohl um Brüder des Isaac Alexander Cohn, der am 8. Mai 1768 in Gollub /Westp. geboren, seit 1790 in Glogau ansässig war. Bemerkenswert ist der Geburtsort, kam doch in Gollub auch Jacob Herzfeld zur Welt. Weiter finden wir 1812 in Glogau einen Hirschel Anschel Cohn, der mit Sara Herzfeld (Heizfeld) verheiratet ist. 23

 

                                                                                                                             

 

Flatow

 

Even if our suppositions regarding Louise Schlochow's (mother of Alwine Herzfeld) origins are somewhat shaky, our statements about Ludwig Herzfeld's mother, Liebchen, and step-mother, Bertha Plato (mother of Louise Herzfeld), can be made confidently.

Bertha Plato's father, Liebmann Moses Plato (also written Platau or Flatau), who lived in Glogau from the end of the 18th century, probably took his surname from his town of origin Flatow. He was born in Flatow on 20th Jan 1773, probably the son of a Moses Liebmann. He was married in Glogau on the 27th November 1807 to Edel, born on 18th September 1782 in Lissa, the daughter of Feibel (Philipp).

However, Ludwig Herzfeld's mother, Liebchen Herzfeld - according to the Guhrau Magistrates' deeds, a born Herzfeld - also came from Flatow. The family of her father, Lewin Hertz, who took the name Lewin Hertz Hertzfeldt in 1812, appears to have belonged to an old established Jewish family in the town.

Flatow (Zlotow in Polish) was variously called Vulutovum (1370), Welatowo, Zlothane, Majus Zlothkowo in the middle of the 15th century, Slothowo in 1419and it was named Flotho or Flatow in the 17th and 18th century. The name Welatowo, which seems to have been the original one, recalls the old Slav tribe the Wilzen, also called Weleten, from which the expression Wolotowki megalithic graves comes. Possibly the earthwalls near the town gave rise to its name. As Roman gold coins were found here, as elsewhere, the shift to the name Zlotowo (Goldtown) can be explained. The town lies between three lakes, the Flatow, the Bab- and the Burgmeisterlake, which is connected to the Teufelssee. In olden days a castle stood here. At the beginning of the 17th century, the Potulckis built a castle, from 1619 Johannes Potulicki ruled over the Flatow territory. In 1647 it was Siegesmund Grudzinski and 1650 then Andreas Carl Grudzinski who were nominated as rulers of the castle area. The oldest known town privilege, from the year 1665, was issued by the latter. According to this privilege, the town received German (Magdeburg) Law and 44 Hufen (340ha.) with the usual bonuses were granted. The owner of the land had to pay basic interest every year and deliver two hens, as well as carrying out manual work. The inhabitants who owned no fields had to pay 12 gr for the place. Cloth, meat, baker and merchant stall-holders had to pay 3 pfennig to the rulers. Each citizen had the right to brew 8 bushels of barley of the standard Kalisch measure every year, but had to give half a ton of each brew to the rulers.

In 1688 Flatow fell to the Dzialynski family. On 24 April 1715, the family divided up an inheritance and neighbouring Krojanke remained tied up together with Flatow.

Jews had already settled in the Kraina during the 16th century. The Archbishop of Gnesen granted the Jewish community a special concession in 1690 and Jacob Dzialynski gave the Jewish community of Krojanke a privilege in 1712. When Flatow received a second town privilege in 1736 from Augustin Dzialynski, Starost of Nakel, a privilege for the synagogue community was included (cf. copy).

After the first partition of Poland in 1772, the town fell under Prussia. The Obrist of Mehling, formerly of Saxony, who had married a born von Bojanowska, was an authorized representative of the Polish noble family, later a leaseholder and administered the properties from 1772.

From a description printed in 1793:

"Flatow, an open place of 301 houses and 1052 inhabitants, lies nine miles from Bromberg. Many clothworkers live here, as well as very many Jews, who carry out vigorous trading activity. Based on calculated yields, the lands are the biggest in the Netze district at the present time and previously belonged to the Counts Dzialynski, who sold them to the rich Kriegsrat von Fahrenheit in Königsberg for 100,000 ducats some years ago. Of the 301 houses making up the town, 194 are occupied by Christian and 107 by Jewish families: the number of Christians and of Jews is about equal."1

The appearance of the town was characterised by the half-timbered houses built from wood or mud brick, covered with roofs of straw, thatch, tile or boards. This building method, especially the use of wooden chimneys, favoured the recurring outbreak and spread of fires. As the population was very poor, the houses often could not be rebuilt after a fire: 'waste sites' were created, as the unbuilt building areas were called. The Magistrate's reports to the state authorities repeatedly drew attention to this ill: "The condition of the houses is mostly very poor and needing repair, but due to lack of wood, repairs are not undertaken: for this reason also the waste sites are not built on." In 1789: "The houses are in very bad condition and there are 6 near to collapse!" 23 years later (1804), the mayor complained: "There are still 144 waste sites which cannot be built on since building materials are very expensive, the owners are without the means and have little hope of receiving money to assist them to build." Even in 1832 there were still 90 waste sites in Flatow. But it was not only for this reason that the appearance of the town was impaired, Flatow still made an unclean impression after the Prussian assumption of power. The roads were unpaved, rubbish was simply emptied into the street. Pigs, geese and ducks populated the paths and tracks. When the authorities asked mayor Kelch in 1778 how the town was cleaned, he replied; "The cleaning of the streets is done by the peasants carrying manure onto their fields every spring." In 1786 the Magistrate ordered the 'executioner' (knacker) to catch all the pigs which were not driven into the fields but churning up the roads, and to get a fee from the owners for their return. On 7th October of the same year, the mayor and council wrote: "It is and still remains a scandal for the local town of Flatow and its synagogue that gutters and drains are not working or clean, with the result that some people are shocked at the dirt, from which principally, Jews and in other streets, merchants and traders buying ...." On the 26th November the ruling owners of the land decreed: "there is so much dirt in the streets that people get exasperated what sort of police order is maintained in the town. In order to have better conditions and cleaner streets at all times in future, a commendable magistrate will be requested to see to it that Christians clean the streets and remove the dirt every Wednesday and Saturday, the Jews likewise are to sweep up and gather the dirt into large piles every Monday and Thursday and arrange for those with their own horses to carry it away." On 8th May 1803, War and Tax Councillor Schülke, to whom the town was answerable, stayed in the town. He was appalled at the lack of cleanliness in the streets and reprimanded the town: "that much rubbish and heaps of manure in front of their doors are suffered by the inhabitants of the Stewnitzer Strasse." Again on 14th September 1824, the regional council complained that it was permitted for "pigs to permanently roam around in the streets and carry dirt inside all the houses, soil them and stink them out with manure and refuse, for dogs to be let free at night and disturb those sleeping or ill with their barking."

There was a report regarding the Jewish inhabitants by War and Lands Councillor Ladewig, who travelled through the Netze district towns from 9th November 1772 to 6th January 1773: "The Jews inhabit 106 houses and come to 929 people with tenants paying rent. They pay the landlord a house rate of 8 or 4 Tympfen, according to whether a family has its own house or pays rent, 800 Tympfen slaughter fee, 75 Tympfen for sheep otherwise delivered in nature and 200 Tympfen for tallow. The whole Jewish community pays these last three taxes, whether strong or weak. They make a living from doings and dealings, also the craftsmen."²

After 1772, Jews were registered and subject to the restrictive legislation of the new rulers. The West Prussian magistrates had to first submit accurate tables about the Jews. A distinction was drawn between Protected Jews and their families, Public Servants and their families, private servants, tolerated Jews, who had been tolerated in the region before Prussian occupation and could demonstrate a certain level of assets, and foreigners - especially Jews who had crept in as relatives. The successive deportation ordered by Frederick II particularly extended to the latter category of Jews who were undocumented (without letter of safe conduct). But also the tolerated Jews had a difficult position in the new province of West Prussia after the application of the Prussian General Jewish legislation of 1750. Their hitherto accepted rights were curtailed. For example, on a complaint by the bakery in Flatow in 1780, it was determined that in future only two Jews could bake, and then only for Jews. In 1805 the concession to a Jew from Zempelburg for the purchase of a Christian's house was denied.

House ownership was in any case so severely restricted until the Emancipation Edict of 1812, that it was the exception for so many Jews as in Flatow to be able to call their house their own - "Of the 301 houses making up the town, 194 are occupied by Christian and 107 by Jewish families: the number of Christians and of Jews is about equal.". As far as the occupational structure is concerned, there were numerous clothmakers and very many Jews who carried out vigorous trading activity to be found in the town.

From the 'Generaldesignatio von denen sämtlich vorhandenen Juden so wohl in den Städten als auch auf dem platten Lande in dem District diesseits der Netze' (General listing of Jews in towns and in country areas in the District this side of the Netze river) of 1774, we can find amongst those many Jews with the name Levin, a Hertz Levin, with half a house and 200 Talers to his name. His assets were insufficient for him to qualify for a 'Protection letter' - 1000 Taler were necessary - but thanks also to the humane attitude of the high Prussian officials, who did not strictly comply with Friedrich II's order to remove poorer Jews from the country, he was at least tolerated. He was one of the numerous Jews who carried out their trading activity out of town.

Given the abundance of children at that time, particularly among Jews, there will have been brothers among the Levins. We can especially consider Gabriel and also Leyser, Marcus (Mordechai) and Israel Levin as possibilities.

At this time Hertz Levin's household included only two people, probably his wife and himself. In the General Table of 1791 he alone is entered under the heading 'Abgelebten' (old people): maybe his wife had died in the meantime. His son Levin Hertz is puzzlingly not recorded in this Table, although he is recorded in the 1812 list as resident in Flatow for 31 years. He may have been one of the Jews who carried out their business out of town.

If we look at the Jewish naming tradition (the new born child receives the name of a dead relative or friend of the family), Levin Hertz would have had the name of his grandfather Levin; if this was the case, we can presume that the latter died before 1756. Twenty years later, some of his already adult grandsons will have been head of a household. David Hertz, probably a brother of Levin Hertz, may have been one too.

The marriage of Levin Hertz in 1781 (the name of the wife who may have formed a household with him is unfortunately unknown) fell under the jurisdiction of the new Prussian rule. You could only marry with the permission of the authorities and the prospective bridegroom had to be at least 25 with evidence of sufficient assets. (cf. copy of 1722 document). The marriage contracts usual amongst Jews had to therefore be translated from Hebrew and presented to the authorities in Bromberg.

From this marriage were born the sons Nachmann (*1783) and Feibusch (*1785). Eight years later, Levin Hertz possibly married again and daughter Esther was born, followed by son Markus (Mordechai) the following year.

As already mentioned, Levin Hertz did not stay in Flatow during this time. Perhaps he was obeying the order of Graf Dzialynski, the previous owner of Flatow, (he had sold the town some years before to the rich War Minister von Fahrenheit of Königsberg for 100,000 Ducats) who had freshly settled 80 Jewish families in Dobryzin on the Drewenz. The West Prussian town of Gollub on the other bank of the river, where Jakob Herzfeld, father of Ludwig was born in December 1789, suffered badly from the economic competition.

Following the General Jewish Legislation for South and new East Prussia of 17 April 1797, which was issued after the final partition of Poland, Levin Hertz was granted residency in Flatow. This may be another reason for his lengthy intervening stay in Poland.

The family may have already been in Flatow in 1796 when Liebe, mother of Ludwig Herzfeld, was born, followed two years later by her brother Leyser.

In Liebe's year of birth a terrible fire occurred in Flatow: 31 houses, mostly belonging to Jews, were destroyed in the night from 29 to 30 July. Some of the older inhabitants may have recalled the events of April 23rd 1743 with horror, when "41 houses belonging to Christian farmers with smallholdings burned down, together with all their farm produce, malt, cloth, wool, equipment, stores in the cellar and alcohol; furthermore 27 barns and farm buildings with corn, cattle and farm equipment; 112 Jewish houses including the synagogue and excluding farm buildings burned down with all the contents - only two Jewish houses remained standing and three were demolished." This event led to a substantial emigration of the Jewish population at that time.

In 1800 the family of Levin Hertz was also hit, when the house of his father Hertz Levin, who had presumably taken in relatives, burned down. The half-timbered house with a thatched roof was quickly consumed by the flames. Possibly looking to the forthcoming further marriage of Levin Hertz (the bride's name was Bräunchen), rebuilding was quickly begun the next year (1801).

The honeymoon of the now 46 year old and his 10 years younger wife was also accompanied by the heat of fire. During the night of 29th to 30th of April, 26 houses burned down in Schwensten Straße. The damage caused by the fire of October 1st was even greater: while a goose market was being held in nearby Krojanke, fire broke out at widow Pincus Peiser's house in the Jüdenstraße. It quickly spread in the strong south-west wind. It leapt over into Kirchenstraße, destroyed houses near the Catholic church and several in the main market place. People dragged still burning beams to other streets in order to salvage them and thereby increased the fire danger. The fire had still not been extinguished on October 5th, by which time 68 houses had been destroyed. Due to these events, the lord of the manor banned the construction of houses with thatched roofs and wooden chimneys. In spite of this, bad fires occurred in subsequent years too. On August 8th 1803, whole streets were reduced to ashes; altogether 246 houses went up in flames. Many inhabitants, most of them Jews, turned their backs on the town.

One of them may have been Gabriel Levin, a possible brother of Hertz Levin. Gabriel had lived in a small thatched house which was now a 'waste' site.

His household had numbered 7 people in 1774. Five people are recorded in the General Table of 1791: Gabriel Levin, his wife Rose and children Leib (*1766), Midel (*1768) and Lea (*1771). In the list there is also a Meyer Gabriel, to whom a grandchild named Meyer was born in 1771. Meyer Gabriel can only have been a son of Gabriel Levin if the latter became a father and grandfather in the same year (1771).

On the other hand there is strong support for Mendel (Menachem) Herzfeld (married to Vogel, daughter of Meir and whose father was called Gabriel) being a descendant of this Gabriel Levin. Mendel died on August 4th 1823 (7. Ab. 583) and his wife seven years later on February 2nd 1830 (9. Schebat 590). Both of them are buried in the Jewish cemetery in Lissa (Posen). One son of this Mendel carried the name David Leib - if our assumption is right, he would have been named after his uncle. The name David is also found among the relatives, if we think of David Hertz, possibly a brother of Levin Hertz. In addition, the wife of a David Herzfeld, Gnendel, who died on April 5th 1806, daughter of Salman Mirel is also buried in Lissa cemetery.

The fires appear to have spared Levin Hertz's family this time but they seem to have been affected by another blow of fate, the death of their father, since he is no longer mentioned in the list of house owners in 1802 and his son Levin Hertz is indicated in his place for the first time.

A son born of the union between Levin Hertz and Bräunchen, born on July 8th 1812, received the name of his grandfather, Hertz. We cannot say anything about Bräunchen's origins, nor whether she had further children with Levin Hertz, since we only know the names of those people who were recorded in the lists of households of 1812.

We know just as little regarding the occupations of the family members. There were probably traders and merchants among them, since up till 1792 there was not a single Christian in these categories living in Flatow. A police report of 1790 states: "Local trade consists mostly of non-foreign goods, which local Jewish inhabitants of Frankfurt an der Oder bring in, but a minimal amount remains here". Flatow traders mostly sold their goods in areas east of the Vistula.

We know from the records of the Königsberg Sickness and Death Association (Chewra) in 1785 that many West Prussian Jewish traders stayed there. Most of the travelling traders appear to have belonged to the Flatow district, since Flatow Jews founded a charity organisation on October 24th 1786 in Königsberg with 200 members.

So it is not surprising to find bearers of the name Gabriel in the West Prussian Kulm-Michelau district in Rheden and Briesen. However, they do not seem to have been descendants of Levin but of a Leyser who was also resident in Flatow. In any case, the above mentioned Mendel Herzfeld will also have been related to this family.

The economic foundation of Flatow was based on commerce as well as trade. In 1813 there were twenty taverns, an inn with stables, four retail traders and a pedlar. At the end of the eighteenth and beginning of the nineteenth century, lace-making was a flourishing activity. Between 1792 and 1807 only Jewish men and women were occupied in this craft activity, working for the Berlin firm Nathan & Borchert and the large Potsdam orphanage; we can assume that Ester and Liebchen were involved in this activity. The Napoleonic wars and defeat of 1806 brought an end to this cottage industry.

Following the Edict of Emancipation of March 23rd 1812, Levin Hertz assumed the last name Hertzfeld in 1812. Apart from him, we can find nobody else with the name in those parts of West Prussia which had not been taken by the Grand Duchy of Warsaw.

Shortly afterwards, as mentioned, Bräunchen gave birth to a son at the age of 47. In 1815, either in Flatow or Guhrau (Lower Silesia), Liebchen married Jacob, the father of Ludwig Herzfeld.

At this time or shortly after, Levin Hertz Hertzfeld appears to have left Flatow, since until the middle of the nineteenth century, no record of the name Herzfeld can be found in any of the official births, marriages and deaths documents. In the period 1812 to 1822 the population of Flatow decreased by about a third: the emigration of the family seems to have been part of the trend of the time

If Ludwig was named after his grandfather Levi, the latter must have died before 1819.

References:

1) Carl Holsche, Der Netzedistrikt. Ein Beytrag zur Länder- und Völkerkunde mit statischen Nachrichten, Königsberg 1793, p.126ff.

2) Geheimes Staatsarchiv Berlin. R7 B Nr. 55

Town History notes: cf. F.W.F. Schmidt, Der Kreis Flatow, Thorn 1867, pp.245ff; and Otto Goerke, Der Kreis Flatow, Flatow 1918, pp.380ff.

Family genealogical information taken from:

a)Akten des Generalfiskals (Häuserlisten), Generaltabellen der ansässigen Judenfamilien u.a., (House lists of resident Jewish families) covering the period 1790 to 1805.

b) Amtsblätter (Official notices) in which new family names were published.

c)Microfilms of the Reichssippenamt (Reich Family History Office). Two films refer to Flatow with about 1500 images.

d)The holdings of the GStA Berlin (Secret Prussian state archives).

These were partly stored in Merseburg during the war. Since German reunification they are once more in Berlin. In addition to these vast archives, documents are also held in the Berlin Regional Archive and in the Federal Archive Potsdam (e.g. the Reichssippenamt microfilms, formerly held in Koblenz - printouts are held in the Jewish Museum in Frankfurt/ Main).

(Translated Ronnie Richards)

 

 

 

 

Mögen wir mit unseren Vermutungen über Louise Schlochows Herkunft auf etwas schwankenden  Boden stehen, so haben wir bei der Aussage über Ludwig Herzfelds Mutter Liebchen und die Stiefmutter Bertha Plato festen Grund unter den Füßen.

Der Vater der letzteren, Liebmann Moses Plato, es findet sich auch die Schreibweise Platau oder Flatau, seit Ende des 18. Jahrhunderts in Glogau ansässig, hatte sich wohl nach seinem Herkunftsort Flatow genannt. Dort war er am 20. Januar 1773, vermutlich als Sohn des Moses Liebmann, geboren worden. In Glogau heiratete er am 27. November 1807 Edel, die Tochter des Feibel (Philipp), die am 18. September 1782 in Lissa zur Welt gekommen war.

Aber auch Ludwig Herzfelds Mutter Liebchen,  wie aus den Guhrauer Magistratsakten zu entnehmen eine geborene Herzfeld, stammte ebenfalls aus Flatow. Die Familie ihres Vaters Lewin Hertz, der im Jahre 1812 den Namen Lewin Hertz Hertzfeldt annahm, scheint zu den  alteingesessenen jüdischen Familien der Stadt gehört zu haben.

 

 

 Flatow, polnisch Zotowo (1370 Vulutovum, Welatowo, Zlothane, in der Mitte des 15. Jahrhunderts Majus Zlothkowo, 14191 Slothowo) wurde im 17. und 18. Jahrhundert Flotho oder Flatow genannt. Der Name Welatowo, welcher der ursprüngliche zu sein scheint, erinnert an die alten Wilzen, die auch Weleten heißen, und von denen der Ausdruck wolotowki Riesen- oder Hünengräber herrührt. Vermutlich haben die Erdwälle, die sich in der Nähe der Stadt befinden, die Veranlassung zu diesem Namen gegeben. Da hier wie anderwärts in solchen Erdhügeln römische Goldmünzen gefunden wurden, erklärt sich auch die Verschiebung zu dem Namen Zlotowo d.i. Goldau.

 

Die Stadt liegt zwischen drei Seen, dem Flatower See, dem Bab-See und dem Burgmeister-See, der mit dem Teufels-See zusammenhängt. In alten Zeiten stand hier eine Burg. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts bauten die Potulicki ein Schloß, denn seit 1619 war Johannes Potulicki Besitzer der Herrschaft Flatow. 1647 wurde Siegesmund Grudzinski und 1650 Andreas Carl Grudzinski als Eigentümer des Burgfleckens genannt. Das älteste bekannte Stadtprivileg  aus dem Jahre 1665 wurde von dem letztgenannten ausgestellt. Nach dem Privileg erhielt die Stadt Deutsches (Magdeburgisches) Recht, und es wurden ihr 44 Hufen mit den üblichen Zulagen bewilligt. Die Hufenbesitzer hatten dafür alljährlich auf Martini Grundzins zu entrichten und zwei Hühner abzuliefern, auch Handdienste zu leisten. Die Einwohner, die keinen Acker besaßen, sollten für die Stelle 12 gr. zahlen. Von den Tuch-, Fleischer-, Bäcker- und Kaufmannsbuden gingen an die Herrschaft der 3. Pfennig. Jeder Bürger hatte das Recht, 8 Scheffel Gerste gewöhnliches Kalischer Maß jährlich zu verbrauen, mußte aber von jedem Gebräue eine halbe Tonne an die Herrschaft geben.

1688 fiel Flatow an die Familie Dzialynski. Am 24. April 1715 nahm die Familie eine Erbteilung vor, das Flatow verbundene Krojanke blieb der Stadt im Erbkomplex verbunden.1                                                                   

 

 

Juden hatten sich bereits im Verlauf des 16. Jahrhunderts in der Kraina niedergelassen. Der Gnesener Erzbischof gewährte der jüdischen Gemeinde bereits 1690 eine besondere Konzession und für die Judengemeinde von Krojanke hatte Jacob Dzialynski 1712 ein Privileg eingeräumt. Als 1736 Flatow durch Augustin Dzialynski, Starost von Nakel, das zweite Stadtprivileg erhielt, war darin auch ein Privileg für die Synagogengemeinde enthalten.

Nach der ersten polnischen Teilung fiel das Landstädtchen an Preußen. Als Bevollmächtigter der polnischen Adelsfamilie verwaltete nun ab 1772, später als Generalpächter, der ehemalige sächsische Obrist von Mehling, der eine geborene von Bojanowska geheiratet hatte, die Güter.

Aus einem im Jahre 1793 gedruckten Bericht ist zu entnehmen:

 

„Flatow, ein offner Ort von 301 Häusern und 1052 Einwohnern, neun Meilen von Bromberg entfernt gelegen. Hier wohnen viel Tuchmacher, und sehr viele Juden, welchen starken Handel treiben. Die Herrschaft ist nach dem Ertrag zu rechnen gegenwärtig die größte im Netzedistrikt, und gehörte sonst dem Grafen Dzialinski, welcher sie vor einigen Jahren an den reichen Kriegsrat von Fahrenheit in Königsberg für 100.000 Dukaten verkauft haben. Von 301 Häusern, woraus die Stadt bestehet, werden 194 von Christlichen und 107 von Judenfamilien besessen und bewohnt, die Zahl der Christlichen und der Jüdischen ist beinah gleich.“ 2

 

Das Stadtbild wurde durch die aus Holz- oder Lehmfachwerk gebauten Häuser, die mit Stroh, Schilf, Schindeln oder Dielen überdacht waren, geprägt. Diese Bauweise, insbesondere die hölzernen Schornsteine, begünstigte immer wieder die Entstehung und Ausbreitung von Bränden. Da die Bevölkerung sehr arm war, konnten häufig nach solch einem Brand die Häuser nicht wieder aufgebaut werden; es entstanden 'wüste Plätze', so wurden die unbebauten Hofstätten genannt. In den Berichten des Magistrats an die Staatsbehörden wurde immer wieder auf diesen Übelstand hingewiesen. "Der Zustand der Häuser ist meist schlecht und reparaturbedürftig, werden aber aus Mangel an Holz nicht repariert: aus diesem Grunde werden auch die wüsten Stellen nicht bebaut." Im Jahre 1781 heißt es: "Die Häuser sind sehr schlecht, und finden sich hier 6, deren Einsturz sehr Nahe ist!” Noch 23 Jahre später (1804) klagte der Bürgermeister: "Es sind noch 144 wüste Baustellen vorhanden, die deshalb nicht bebaut werden können, weil die Baumaterialien hier in sehr hohem Preise, die Eigentümer zum Teil unvermögend sind, und schlechte Hoffnung haben Bauhilfsgelder zu erhalten."

 

 Sogar im Jahre 1832 gab es noch 90 wüste Plätze in Flatow. Aber nicht nur dadurch wurde das Stadtbild beeinträchtigt, Flatow machte auch nach der preußischen Besitzergreifung noch lange einen unsauberen Eindruck. Die Straßen waren ungepflastert, der Müll wurde einfach auf die Gasse geworfen. Schweine, Gänse und Enten bevölkerten Stege und Wege. Als die Behörden 1778 beim Bürgermeister Kelch anfragten, was für die Reinlichkeit der Stadt geschehe, antwortete der: "die Reinigung der Straßen wird alle Frühjahre von den Ackersleuten durch Mist auf ihr Land fahren kontinuiert." Im Jahre 1786 befahl der Magistrat dem 'Scharfrichter' (Abdecker) alle Schweine, die nicht ins Feld getrieben würden, sondern die Straßen aufwühlten, einzufangen und sich von den Eigentümern der Borstentiere ein Pfandgeld geben lassen. Am 7. Oktober  desselben Jahres schrieben Bürgermeister und Rat: "Es ist und bleibt immer eine Schande für die hiesige Stadt Flatow und ihre Synagoge (Judengemeinde), daß die Rinnstöcke (Rinnsteine) nicht in Ordnung und gereinigt sind, wodurch mancher Mann durch den vielen großen Moder (Schmutz) abgeschreckt wird, von den in der Haupt-, Jüden-, und in anderen Straßen wohnenden Kauf- und Handelsleuten etwas zu kaufen ...". Am 26. November verfügte die Grundherrschaft: "Es liegt soviel Gassenblott (Schmutz) in den Straßen, daß die Leute sich darüber aufhalten, welche Polizeiordnung in der Stadt gehalten wird. Um in der Folge andere Anstalten und reinere Gassen jederzeit zu haben, wird ein wohllöblicher Magistrat hiermit ersucht, darauf zu achten, daß die Christen wöchentlich Mittwochs und Sonnabends die Straßen reinigen und den Blott wegfahren, die Juden wöchentlich Montags und Donnerstags ebenfalls die Straße zusammenkehren, in hohen Haufen den Blott werfen, welchen letzteren das Dominium mit eignen Pferden wegführen lassen wird." Am 8. Mai 1803 hielt sich der Kriegs- und Steuerrat Schülke, dem die Stadt Flatow unterstellt war, in Flatow auf. Er war entsetzt über die Unsauberkeit in den Straßen und rügte, "daß in der Stewnitzer Straße von den Einwohnern derselben viele Schutt- und Misthaufen vor ihren Türen gelitten werden". Noch am 14. September 1824 monierte das Landratsamt, daß es gestattet wurde, "daß die Schweine sich beständig in den Straßen umhertreiben und den Schmutz in alle Häuser hineintragen und diese verunreinigen und durch den mitgebrachten Kot und Unrat mit Gestank verpesten, da so viel Hunde des Nachts freigelassen werden, welche durch ihr Gebell die Schlafenden und Kranken stören". 3

Über die jüdischen Einwohner  berichtete der Kriegs- und Domänenrat Ladewig, der die Städte des Netzedistrikts vom 9. November 1772 bis 6. Januar 1773 bereiste: "Die Judenschaft bewohne 106 Häuser und mache mit den zur Miete wohnenden 929 Seelen aus. Sie zahle der Grundherrschaft einen Hauszins von 8 und 4 Tympfen, je nachdem eine Familie im eignen Haus oder zur Miete wohne, 800 Tympfe Schlachtgeld, 75 Tympfe für die sonst in natura gelieferten  Schafsfüße und 200 Tympfe für Talg, welche drei letzteren Abgaben die ganze Judenschaft aufbringe, sie möge stark oder schwach sein. Ihr Erwerb bestehe in Handel und Wandel auch Handwerker seien unter ihnen." 4

Die Juden wurden registriert und der restriktiven Gesetzgebung der neuen Obrigkeit unterworfen. Die westpreußischen Magistrate mussten zunächst genaue Tabellen über die Juden einsenden. Man unterschied darin Schutzjuden und deren Familie, Publique Bediente nebst Familien, Privatbediente, tolerierte Juden, die vor der Okkupation schon im Lande geduldet gewesen und ein gewisses Vermögen nachweisen konnten, sowie fremde besonders unter dem Namen der Verwandtschaft eingeschlichene Juden. Die von Friedrich II. angeordnete sukzessive Abschiebung erstreckte sich vor allem auf die letztgenannten eingeschlichenen unvergleiteten (ohne Geleitbrief) Juden. Aber auch die tolerierten Juden hatten nach der Anwendung des preußischen Generaljudenreglements von 1750 auf die neue Provinz Westpreußen eine schwere Stellung. Sie wurden in ihren bisherigen Rechten beschnitten. So wurde etwa auf Beschwerde des Bäckereigewerks von Flatow im Jahre 1780 bestimmt, daß künftig nur zwei Juden, und die auch nur für Juden, backen durften. Noch im Jahre 1805 wurde einem Juden aus Zempelburg die Konzession für den Erwerb  eines Christenhauses verwehrt.

Der Hauserwerb blieb noch bis zum Erlass des Emanzipationsedikts von 1812 stark eingeschränkt, daß so viele Juden wie in Flatow - "von 301 Häusern, woraus die Stadt bestehet, werden 194 von Christlichen und 107 von Judenfamilien besessen und bewohnt, die Anzahl der Christlichen und der Jüdischen ist beinahe gleich" - ein Haus ihr eigen nennen konnten, war die Ausnahme. Was die Berufsstruktur anbelangte, so waren zahlreiche Tuchmacher und sehr viele Juden, welche starken Handel trieben, in der Stadt anzutreffen.

Aus der 'Generaldesignatio von denen sämtlich vorhandenen Juden so wohl in den Städten als auch auf dem platten Lande in dem District diesseits der Netze'  von 1774 können wir entnehmen, daß sich unter den zahlreichen Juden, die den Väternamen 'Levin' auch ein Hertz Levin, der 1774 ein halbes Haus und 200 Taler sein eigen nennen konnte, zu finden ist.  Sein Vermögen reichte zwar zur Erlangung eines Schutzbriefes nicht aus, dafür waren 1000 Taler erforderlich, aber auch dank der humanen Einstellung der höheren preußischen Beamten, die dem Befehl Friedrich II. die ärmeren Juden außer Landes zu schaffen, hinhaltenden Widerstand entgegensetzten, wurde ihm wenigstens die Duldung ermöglicht. Er  gehörte zu den zahlreichen Juden Flatows, die auswärts ihren Handel trieben.

Bei dem großen Kinderreichtum der damaligen Zeit im allgemeinen und dem der jüdischen Familien im besonderen werden sich unter den erwähnten Levins auch einige Brüder befunden haben. Zu denken wäre hier insbesondere an Gabriel aber auch an Leyser, Marcus (Mordechai) und Israel Levin.

Es findet  sich in der genannten Liste von 1774 auch ein Arend Hertz, möglicherweise ein  Bruder des Lewin Hertz, der sich später nach Zempelburg begibt, dort das Privileg eines Schutzjuden besitzt und sich 1792 in Roessel (Ostpreußen)  beim christliche Kaufmann Gutzeit als Seiden- und Tuchhändler niederlässt.

 

Hertz Levins Hausstand umfasste zu diesem Zeitpunkt nur zwei Personen, wahrscheinlich ihn und seine Frau. In der Generaltabelle von 1791 wird er allein unter den 'Abgelebten' (Alten) aufgeführt, vermutlich war seine Frau inzwischen verstorben. Sein Sohn Levin Hertz ist eigenartigerweise in dieser Tabelle  nicht verzeichnet, obwohl er in der Liste von 1812 als seit 31 Jahren  in Flatow ansässig geführt wurde. Er mag zu den Juden gehört haben, die ihre Handelsgeschäfte auswärts trieben.

Wenn wir der jüdischen Namensgebungstradition folgen (das Neugeborene erhält den Namen eines verstorbenen Verwandten oder Freundes der Familie), wird Levin Hertz den Namen seines Großvaters Levin  getragen haben; sollte das der Fall gewesen sein, können wir davon ausgehen, daß dieser vor 1756 gestorben ist. Zwanzig Jahre später, im Jahre 1774, werden auch etliche seiner bereits erwachsenen Enkel einen eignen Hausstand besessen haben, dazu dürfte auch David Hertz, wahrscheinlich ein Bruder  des Levin Hertz, gehört haben.

Die Eheschließung  von Levin Hertz im Jahre 1781, der Name der Frau ist uns leider nicht überliefert, mit der vermutlich die Gründung eines Hausstandes verbunden war, fiel schon unter die Gesetzgebung der neuen preußischen Herrschaft. Nur mit Erlaubnis der Regierung durfte geheiratet werden, wobei der Bräutigam das Mindestalter von 25 Jahren erreicht haben musste und ein gewisses Vermögen nachzuweisen hatte. Die unter den Juden üblichen Heiratsverträge mussten deshalb aus dem Hebräischen übersetzt  und der Regierung in Bromberg  unterbreitet werden.

Aus dieser Ehe entsprossen die Söhne Nachmann (*1783) und Feibusch (*1785). Acht Jahre darauf, möglicherweise hatte Levin Hertz ein weiteres Mal geheiratet, wurde im Jahre 1793 die Tochter Ester geboren. Ein Jahr später kam ihr Bruder Marcus (Mordechai) zur Welt.

Ester Herz(feld) sollte später Lewin, den Sohn des oben genannten Arend Herz, ehelichen; aus dieser Ehe ging Salomon Herz (*1820) hervor, er heiratete am 30.12.1845 Pauline (*1824), die Tochter des Marcus Cohn in Rastenburg (Ostpreußen).

 

Wie bereits erwähnt, hielt sich Levin Hertz zu dieser Zeit nicht in Flatow auf. Vielleicht war er dem Ruf des Grafen Dzialynski, des früheren Eigentümer Flatows, (er hatte die Stadt einige Jahre zuvor  an den reichen Kriegsrat von Fahrenheit in Königsberg für 100.000 Dukaten verkauft), gefolgt, der in Dobryzin an der Drewenz, 80 jüdische Familien neu angesiedelt hatte. Das gegenüber liegende westpreußische Gollub, wo Jacob Herzfeld, der Vater des  Ludwig, im Dezember 1789 geboren wurde, litt schwer unter der wirtschaftlichen Konkurrenz.

 

Aufgrund des Generaljudenreglements für Süd- und Neuostpreußen vom 17. April 1797, das nach der endgültigen Aufteilung Polens erlassen worden war, bekam  Levin Hertz das Niederlassungsrecht in Flatow eingeräumt, auch das spricht für seinen zeitweiligen Aufenthalt in Polen.

Die Familie mag sich bereits im Jahre 1796 in Flatow befunden haben, als Liebe, die Mutter des  Ludwig Herzfeld, das Licht der Welt erblickte, zwei Jahre später wurde ihr Bruder Leyser geboren.

Im Geburtsjahr Liebes ereignete sich in Flatow eine furchtbare Brandkatastrophe, 31 Häuser, die meist Juden gehörten, wurden in der Nacht vom 29. zum 30. Juni ein Raub der Flammen.

Manch einer der älteren Bürger mochte sich mit Schrecken an den 23. April 1743 dabei erinnert haben, als "41 christliche Ackerbürgerhäuser mit allen Feldfrüchten, allem Malz, allem Tuch, aller Wolle, allen Hausgerätschaften, allen Kellervorräten  und Spirituosen, die die Leute hatten; ferner 27 Scheunen und Ställen mit Getreide und Hornvieh  und Ackergeräten, die in ihnen waren; auch 112 jüdische Häuser samt der Synagoge, ihre Ställe ungerechnet, mit allen Waren, nur zwei jüdische  Häuser blieben stehen und drei demolierte“, 5 nieder  brannten. Dieses Ereignis hatte damals zu einer starken Abwanderung der jüdischen Bevölkerung geführt.

 

Im Jahre 1800 wurde die Familie des Levin Hertz ebenfalls von einem solchen Unglück betroffen, denn das Haus des Vaters Hertz Levin, der vermutlich seine Angehörigen darin aufgenommen hatte, brannte nieder. Das Haus aus 'geklebtem' Fachwerk mit seinem Strohdach war rasch ein Raub der Flammen geworden.6 Wohl in Anbetracht der bevorstehenden erneuten Vermählung des Levin Hertz, der  Name der Braut war Bräunchen, im nächsten Jahr (1801), wurde rasch mit dem Wiederaufbau begonnen.

Die Flitterwochen des nun 46jährigen mit seiner 10 Jahre jüngeren Frau wurden ebenso durch Feuersbrünste illuminiert. In der Nacht vom 29. zum 30. April brannten 26 Häuser in der Schwentschen Straße nieder. Noch größer war der Schaden, der durch den Brand vom 1. Oktober verursacht wurde: Während in  Krojanke Gänsemarkt abgehalten wurde, brach bei der Witwe Pincus Peiser in der Jüdenstraße Feuer aus, das sich schnell bei dem starken Südostwind verbreitete. Es sprang in die Kirchenstraße über, zerstörte die Häuser in der Nähe der katholischen Kirche und mehrere Häuser am Hauptmarkt. Die Leute schleppten noch brennende Balken, um sie zu bergen, in andere Straßen und vermehrten dadurch die Feuergefahr. Das Feuer war am 5. Oktober noch immer nicht gelöscht, insgesamt fielen 68 Häuser den Flammen zum Opfer. Der Grundherr verbot aufgrund dieser Ereignisse, die Gebäude wieder mit Strohdächern und hölzernen Schornsteinen zu errichten. Trotzdem kam es auch in den folgenden Jahren zu schweren Bränden. Am 8. August 1803 wurden ganze Straßenzüge in Asche gelegt; insgesamt 246 Häuser gingen in Flammen auf. Viele Bewohner, die meisten davon Juden kehrten der Stadt den Rücken.

Darunter kann sich auch Gabriel Levin, vermutlich ein Bruder des Hertz Levin, befunden haben. Gabriel hatte ein kleines strohgedecktes Haus bewohnt, von dem nur eine 'wüste Stelle' übrig geblieben war.

 

Im Jahre 1774 hatte sein Haushalt aus 7  Personen bestanden. In der Generaltabelle von 1791 sind noch 5 Personen aufgeführt: Gabriel Levin, seine Frau Rose und die Kinder Leib (*1766), Mindel (*1768) und Lea (*1771). In der Liste findet sich auch ein Meyer Gabriel, dem im Jahre 1771 schon ein Enkelkind namens Meyer geboren wurde. Meyer Gabriel kann nur bedingt ein Sohn des Gabriel Levin gewesen sein, wäre der dann doch im selben Jahr (1771) Vater und Urgroßvater geworden.

Dagegen spricht sehr viel dafür, daß Mendel (Menachem) Herzfeld, der mit Vogel, Tochter des Meir, verheiratet war und dessen Vater Gabriel hieß, ein Abkömmling dieses Gabriel Levin ist. Mendel starb am 4. August 1823 (7. Ab. 583), seine Frau sieben Jahre später am 2. Februar 1830 (9. Schebat 590). Die beiden sind auf dem jüdischen Friedhof in Lissa (Posen) bestattet. Ein Sohn dieses Mendel trug den Namen David Leib, er wäre, stimmt unsere Annahme, dann nach seinem Onkel benannt worden. Auch der Name David findet sich in der Verwandtschaft, wenn wir an David Hertz, wohl ein Bruder des Levin Hertz, denken. Dazu kommt, daß ebenfalls auf dem Friedhof in Lissa die Frau eines David Herzfeld, die am 5. April 1806 verstorbene  Gnendel, Tochter des Salman Mirels, ruht. 7

Die Familie des Levin Hertz war diesmal von den Bränden verschont geblieben, aber sie scheint von einem anderen Schicksalsschlag, dem Tod des Vaters, getroffen worden zu sein, denn in der Liste der Hausbesitzer im Jahre 1802 wird er nicht mehr erwähnt, statt dessen ist erstmalig sein Sohn Levin Hertz verzeichnet. 8

Ein aus der Verbindung zwischen Levin Hertz und Bräunchen hervorgegangener Sohn, der am 8. Juli 1812 zur Welt kam, erhielt den Namen seines Großvaters Hertz. Über die Herkunft Bräunchens, und ob sie mit Levin Hertz noch weitere Kinder hatte, können wir nichts sagen, denn es sind uns nur die Namen derjenigen bekannt, die sich im Jahre 1812 im Haushalt der Familie befanden.

Ebenso wenig wissen wir, welchen Berufen die Mitglieder der Familie nachgegangen sind. Vermutlich werden Kaufleute darunter gewesen sein, denn bis 1792 gab es in Flatow keinen einzigen christlichen Kaufmann. Aus einem Polizeibericht des Jahres 1790 ist zu entnehmen: "Der hiesige Handel besteht großenteils mit einländischen Waren, welche die hiesigen jüdischen Einwohner von Frankfurt a.O. einbringen, hier aber das wenigste davon bleibt“. 9  Die Flatower Handelsleute setzten meist ihre Waren in Gebieten ab, die rechts der Weichsel lagen.

Aus den Verhandlungen des Königsberger Kranken- und Sterbevereins (Chewra) im Jahre 1785 wissen wir, daß sich viele handeltreibende westpreußische Juden dort aufhielten. Die meisten der reisenden Händler scheinen der Gemeinde Flatow angehört zu haben, denn die Juden aus Flatow gründeten am 24. Oktober 1786 in Königsberg einen Wohltätigkeitsverein, dem schließlich 200 Mitglieder angehörten. 10

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß sich im westpreußischen Kulm-Michelauischen Kreise, in Rheden und Briesen, ebenfalls Träger des Namens Gabriel finden, die aber nicht Nachkommen des Levin sondern eines Leysers, der ebenfalls in Flatow beheimatet war, zu seien scheinen. Jedenfalls wird auch zu dieser Familie der bereits erwähnte Mendel Herzfeld verwandtschaftliche Beziehungen gehabt haben.

Neben dem Handel bildete das Gewerbe die wirtschaftlichen Grundlage Flatows. 1813 gab es in der Stadt zwanzig Schankstätten, einen Gasthof mit Ausspannung, vier Schnittwarenhändler und einen Höker. Ein blühender Gewerbezweig war am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Spitzen- und Kantenklöppelei. In der Zeit von 1792 bis 1807 waren nur jüdische Frauen und Mädchen, die für die Berliner Firma Nathan & Borchert und das Potsdamsche große Waisenhaus tätig waren, mit dieser Kunsthandarbeit beschäftigt; wir können annehmen, daß auch Ester und Liebchen solche Arbeiten anfertigten. Der Krieg gegen Napoleon und die damit verbundene Niederlage von 1806 machte dieser Hausindustrie ein Ende.

 

Im Jahre 1812 nahm Levin Hertz aufgrund des Emanzipationsedikts vom 23. März 1812 den  Namen Hertzfeldt  an. Außer ihm befindet sich kein Träger dieses Namens in den Teilen Westpreußens, die nicht zum Großherzogtum Warschau geschlagen worden waren.

Kurz darauf, wie bereits erwähnt, schenkte Bräunchen im Alter von 47 Jahren noch einem Sohn das Leben.

Im Jahre 1815 heiratete Liebchen in Flatow oder dem niederschlesischen Guhrau Jacob, den Vater Ludwig Herzfelds.

Levin Hertz Hertzfeldt scheint ebenfalls zu diesem Zeitpunkt oder wenig später mit seiner Familie Flatow verlassen zu haben, denn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sind keine mit der Familie Herzfeld im Zusammenhang stehenden Ereignisse wie Eheschließungen, die Geburt eines Kindes oder Todesfälle in den amtlichen Unterlagen der Stadt verzeichnet. Die Bevölkerung Flatows ging im Zeitraum von 1812 bis 1822 um rund ein Drittel zurück, die Abwanderung der Familie scheint im Trend der Zeit gelegen zu haben.

Falls Ludwig nach seinem Großvater Levi genannt wurde, muss dieser vor 1819 gestorben sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Von Gollub nach Guhrau

 

 

 

Unzählige Weidenbäume säumen in den Niederungen die in engen Windungen dahineilende Drewenz. Die Uferhöhen des Flusses sind mit dichten Wäldern bestanden, in denen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts noch Wölfe zu finden waren.1 Wenn am Abend vom Flusse die Nebel aufsteigen, beginnen die Konturen des Fachwerkfiligrans der jahrhundertealten Vorlaubenhäuser, die Holzhauben und Pfannendächer der Dorfkirchen zu verschwimmen.

Gollub, der Geburtsort von Ludwig Herzfelds Vater Jacob, auf einer Landzunge gelegen, die hier die Drewenz ausgebildet hat, wurde zur Zeit der Herrschaft des Deutschen Ordens "Golau" genannt. Aus dieser Zeit stammte der oberhalb der Stadtmauer gelegene eindrucksvolle Komplex des ehemaligen Ordensschlosses. Zwischen dem Fluss und der Stadtbefestigung befand sich ein Streifen Niemandslandes, der Insel Blonie genannt wurde, hier standen die Scheunen der Bürger. Eines der vier Stadttore führte zu der "Insel", die anderen öffneten den Weg  nach Strasburg, nach Thorn und durch die sogenannte Dobryziner Vorstadt, eine Häusergruppe zwischen Stadtmauer und Fluss, über die Drewenz, die hier die Grenze zu Polen, später Russisch-Polen bildete, nach Dobryzin und ins Dobrinerland. (Nur während der südpreußischen Periode und nach Bildung des  Großherzogtums Warschau durch Napoleon, sollte Gollub seine Funktion als Grenzstadt einbüßen.)

 

 

 

Die Stadt  besaß im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, als Ludwig Herzfelds Vater Jacob hier oder in  am gegenüberliegenden  Ufer der Drewenz gelegenen Dobryzin geboren wurde, noch immer ihren mittelalterlichen Charakter.

Nicht weit von dem mit zwei Brunnen geschmückten Marktplatz und dem Rathaus, erhob sich das städtische Brauhaus, etwas abseits davon die katholische Pfarrkirche St. Catharinen, die mit ihrem Kirchhof eine Ecke der Stadtmauer einnahm. Die Straßen trugen teilweise schon Namen wie Lissewer und Dobriner Straße, Breite-, Kirchen-, Ziegen-, Schloßstraße und Straße nach der Insel Blonie (ulica blonska) sowie Straße  Figaino.

Zu Beginn der preußischen Herrschaft, zur Zeit Friedrich des Großen, war mit dem Bau von Kolonistenhäusern begonnen, und es waren eine Schönfärberei, eine Lohgerberei und eine Walkmühle eingerichtet, sowie die Mittel zur Errichtung eines evangelischen Pfarrhauses zur Verfügung gestellt worden. Um dem Handel Thorns, die nach der ersten Teilung Polens 1772 noch nicht an Preußen gefallen war, Abbruch zu tun, wurden auch einige Juden in Gollub angesiedelt. Bisher hatte die Stadt, wie andere Städte magdeburgschen Rechts, die Ansiedlung von Juden in ihren Mauern untersagt und ihnen das Handeltreiben insgesamt erschwert, sie mussten zwei Gulden zahlen, wenn sie auf die Jahrmärkte ziehen wollten. Deshalb fanden sich Juden vor allem auf den Gütern polnischer Adliger, die häufig ihre Ländereien an sie verpachtet hatten. In Polwenz hielten sich 15 jüdische Familien, zusammen 128 Personen, auf, die einen jährlichen Zins von 145 Talern entrichteten, und der Besitzer von Wlewsk hatte in Pulko, dicht bei Lautenburg, 16 jüdische Familien angesiedelt, "diese Kolonie war zur Konkurrenz der Lautenburger angesetzt, von deren Abgaben sie frei blieb, und sie tat den Bürgern vielen Abbruch"2

Salomon Maimon schildert plastisch wie sich das Leben der Juden unter der Herrschaft des polnischen Adels gestalten konnte:

Der Fürst  R . . ., der als Hetmann in Polen und Wojwode in Litauen einer der größten Magnaten war, der als Besitzer dreier Erbschaften aus dieser Familie unermeßliche Güter hatte und dem man etwas Güte des Herzens und bon sens nicht ganz absprechen konnte, war durch eine vernachlässigte Erziehung und Mangel an Unterricht einer der ausschweifendsten Fürsten, die je in der Welt gelebt haben. Aus Mangel an hinlänglicher Beschäftigung, welcher eine notwendige Folge der vernachlässigten Ausbildung seines Geschmacks und Erweiterung seiner Kenntnisse war, ergab er sich dem Trunk, wodurch er zu den lächerlichsten und tollsten Handlungen verleitet wurde. Ohne sonderliche Neigung ergab er sich den schändlichsten sinnlichen Begierden, und ohne grausam zu sein, übte er gegen seine eignen Untertanen die größten Grausamkeiten aus. Wenn er durch eine Straße fuhr, welches gemeiniglich mit  seinem ganzen Hofstaat, Kapellen und Soldaten zu geschehen pflegte, so durfte sich bei Lebensgefahr niemand auf der Straße zeigen, ja selbst in den Häusern war man nicht sicher. Die schlechteste, schmutzigste Bauersfrau, die ihm in den Wurf kam, ließ er zu sich in den Wagen nehmen. Einst schickte er zu einem ansehnlichen Barbier jüdischer  Nation und ließ ihn zu sich holen. Dieser, der nichts anderes als eine verlangte chirurgische Operation vermutete, nahm seine Instrumente mit sich und erschien vor seinem Herrn. Dieser fragte ihn: “Hast du deine Instrumente mitgebracht?“ „Ja. allerdurchlauchtigster Fürst“ erwiderte jener. “Gut“, sagte der Fürst, gib mir deine Lanzette, ich will dich zur Ader lassen.“ Der arme Barbier mußte sich dieses gefallen lassen. Der Fürst ergriff die Lanzette, und da er damit nicht umzugehen wußte und seine Hand ohnehin von Betrunkenheit zitterte, so war es natürlich, daß er ihn auf eine erbärmliche Art verwundete, aber seine Hofleute lächelten ihm Beifall zu und rühmten seine große Geschicklichkeit in der Chirurgie.

 Einst fuhr er mit seinem ganzen Hofstaat nach der jüdischen Synagoge und richtete darin, ohne daß man noch bis jetzt die Veranlassung dazu weiß, die größte Verwüstung an; zerschlug Fenster und Öfen, zerbrach alle Gefäße, warf die in der Bundeslade befindlichen Abschriften der heil. Schrift zu Boden usw. Ein gelehrter frommer Jude, der zugegen war, wagte es, eine derselben von der Erde aufzuheben und hatte die Ehre von Sr. fürstlichen Durchlaucht eigenhändig mit einer Flintenkugel getroffen zu werden. Von hier ging der Zug nach der zweiten Synagoge, wo gleicherweise gewirtschaftet wurde, und von da nach dem jüdischen Begräbnisplatz, wo die Gebäude zerstört und die Denkmäler ins Feuer geworfen wurden.

 

 

Friedrich der Große, der sowieso das "polnische Zeug" los werden wollte, entzog dem Adel die meisten seiner Privilegien, darunter auch das Judenregal, womit er dessen wirtschaftliche Grundlage traf. Durch das Ansetzten privilegierter Juden in den Städten an der Grenze - die Betreffenden hatten 1000 mindestens jedoch 500 Taler nachzuweisen, das andere "Kroppzeug sollte außer Landes geschafft werden -, hoffte der König, den Handel von Polen nach Westpreußen ziehen zu können.

Im Zuge der Besitzergreifung Westpreußens im Jahre 1772 hatte Friedrich der Große gleich "einen Streifen Landes südlich von der Grenze der Kulmer Woiwodschaft in Besitz genommen". In den darauf folgenden diplomatischen Verhandlungen um dieses Gebiet musste er eine Niederlage hinnehmen, da Russland und Österreich die Ansprüche Polens unterstützten.3 Friedrich musste eine Reihe der besetzten Ortschaften zurückgeben, darunter auch Dobryzin, das, auf der linken Seite der Drewenz gelegen, inzwischen zu einer Vorstadt Gollubs geworden war. Der Flecken fiel an seinen alten Patrimonialherren, den Grafen Dzialynski zurück, also an dieselbe adlige Familie, der bis 1772 Flatow gehört hatte.

 

Dobryzin, das 1776 nur aus "31 elenden Katen" bestanden hatte, begann nach dem Bau 16 neuer Häuser und die Ansiedlung 80 jüdischer Familien, zu florieren. Bereits 1780 war die Einwohnerzahl auf 1300 gestiegen. "Gollub litt sehr unter der Konkurrenz des Nachbarorts, wo jeder das Recht zu backen, schlachten, schänken und handeln hatte.“4

Denkt man an die rigide preußische Ausweisungspolitik und die damit im Zusammenhang stehende erschwerte "Ansetzung" in Preußen, verbunden mit Berufszwang, Reglementierung des Heiratsalters und Beschränkungen der Kinderzahlen, so wird die Anziehungskraft Dobryzins auf das gegenüberliegende Gollub verständlich.

 Sollte der Vater von Jacob und Mendel Herzfeld, der, wie wir aus den Judenbürgerbüchern der Stadt Berlin wissen, Rabbiner war 5, ebenso wie Lewin Hertz Hertzfeldt, Ludwigs Großvater mütterlicherseits, aus Flatow stammen, könnte er unter dem Patronat der gräflichen Familie in Dobryzin das Rabbinat übernommen haben. Ebenso ist es möglich, daß sich Lewin Hertz Hertzfeldt, hier zeitweilig aus beruflichen Gründen aufgehalten hat und so die Beziehungen zu Jacobs Familie in Gollub geknüpft wurden. Im Jahre 1774 finden wir  in Gollub die jüdischen Familien Kiwal Leyser, Jacob Moses und Israel Abraham.

 Zur Familie des ersteren gehörten die Frau Frommel sowie die Kinder Anna (*1769), Abraham (*1772) und Beile (*1774), später kamen noch Isaac (*1778) und Ester (*1780) dazu, zur Familie des letzteren dessen Frau Rachel, und die Kinder Salomon (*1773) und später Marianne (*1777) sowie Merge (*1779).

 Auf die Familie des Jacob Moses werden wir noch zu sprechen kommen, könnte doch aus ihr der unbekannte Rabbiner, Jacob Herzfeld Vater, stammen.

 

Dessen soziale Stellung wird aufgrund des Zusammenhangs zwischen rabbinischer Gelehrsamkeit und jüdischem Leben unangefochten gewesen sein.

„Noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts blieb in Westpreußen die Achtung vor dem talmudischen Gesetz, die genaue Beobachtung des Zeremoniells, die bewußte Absonderung von der christlichen Umwelt und die Anhänglichkeit an die eigne Sprache erhalten. "Die polnischen Juden hangen an ihren Gebräuchen mehr als die Juden in anderen Ländern, welche sich dem Christentum mehr angenähert haben. Sie tragen alle lange Bärte, gehen  schwarz gekleidet, und verleugnen ihren Ursprung nicht, in dem sie alle deutsch sprechen.“ 6

Mit scharfzüngiger Ironie skizziert der jüdische Philosoph Salomon Maimon, auf den wir noch im Zusammenhang mit der Familie des Grafen v. Kalckreuth zu sprechen kommen werden, die soziale Schichtung innerhalb des Judentums.

Er unterteilt es  "in arbeitsame Ungelehrte, in Gelehrte, die von ihrer "Gelehrsamkeit Profession machen, und diejenigen, die sich bloß der Gelehrsamkeit widmen, ohne sich mit irgend einem Erwerbsmittel abzugeben, sondern von der arbeitsamen Klasse erhalten werden. Aus der zweiten Klasse sind die Oberrabbiner, Prediger, Richter, Schulmeister dgl. Die dritte Klasse besteht aus denjenigen Gelehrten, die wegen ihrer vorzüglichen Talente und Gelehrsamkeit die Aufmerksamkeit der Ungelehrten auf sich ziehen, von diesen in ihre Häuser genommen, mit ihren Töchtern verheiratet und einige Jahre auf eigne Unkosten mit Frau und Kindern unterhalten werden. Nachher aber muß diese Frau die Ernährung ihres heiligen Müßiggängers und ihrer Kinder (die gemeiniglich bei dieser Klasse sehr zahlreich sind) auf sich nehmen, worauf sie sich, wie billig, sehr viel einbildet.“7

A.E. Holsche, der im Jahre 1800 seine "Geographie und Statistik von West- Süd- und Neuostpreußen" herausgab, berichtete ergänzend: "Eine jede Synagoge hat ihren Rabbiner, welcher ein Schriftgelehrter sein muß, jedoch mehr einen Richter als einen Geistlichen vorstellt. In der Versammlung und bei ihren Religionsgebräuchen sind sie alle gleich, und sie haben eigentlich gar keinen Geistlichen, wenn man nicht den Vorleser, den Schulmeister und Synagogendiener oder Klepper dafür halten will. Die Beschneidung wird nicht von dem Rabbiner verrichtet, sondern kann durch jeden anderen geschehen. Der Rabbiner verwaltet eigentlich unter ihnen die Jurisdictionem voluntariam und contentiosam, wofür er gewisse Gebühren erhält, und sich von diesen bei großen Gemeinden vortrefflich verstand, so daß die Grundherrschaften die Stelle eines Rabbiners zu einigen hundert Dukaten verkauften, und sich noch alle Jahre eine bestimmte Abgabe von ihnen bezahlen ließen, wogegen er die Juden schinden konnte, wie er wollte.“8

Die jüdischen Gemeinden Westpreußens blieben auch unter der Herrschaft Friedrich des Großen autonom und konnten ihre Angelegenheiten selbst regeln. "Friedrich, der westpreußischen Judenschaft ebenso abgeneigt blieb wie dem westpreußischen Adel, machte nie den Versuch, in das innere Leben dieser eng miteinander verbundenen Körperschaft einzugreifen, die Jurisdiktion des Rabbiners einzuschränken, Landesälteste oder Oberlandesälteste von Staats wegen einzusetzen oder königliche Beamte zur Teilnahme an den Versammlungen der Judenschaften zu verpflichten. Während er mit allen Mitteln sich bemühte, eine Vermehrung der Juden Westpreußens zu verhindern und Tausende von ihnen zur Abwanderung zwang, schützte er sie 'bei denen ihnen eigentümlichen Besitzungen ihrer Synagogen, Kirchhöfe, der dazugehörigen Häuser' und der großen Zahl ihrer Vorsteher, Rabbiner und publiken Bedienten.“9

 

Nur über die Person des Rabbiners lässt sich, wie schon aus der obigen Ausführungen deutlich wurde, nicht allzu viel mit Bestimmtheit sagen.

Die Geburt Jacob Herzfelds fand, wie er im Jahre 1844 vor den Berliner Behörden zu Protokoll gab, am 3. Dezember 1789  im westpreußischen Gollub statt.10  Legen wir das Sterbeprotokoll aus dem Jahre 1850 zu Grunde11 dürfte er jedoch erst 1792/93 zur Welt gekommen sein. Aus anderen Quellen ist uns der Name eines älteren Bruders des bereits erwähnten "Mendel" bekannt.12 Gehen wir davon aus, daß diese Angaben stimmen, daß sie nicht, verursacht durch die rechtliche und politische Situation, die Juden der östlichen Provinzen Preußens nach dem Wiener Kongress 1815 befanden, 'korrigiert' wurden, Jacob Herzfeld also tatsächlich in Gollub an der Drewenz und nicht am gegenüberliegenden Ufer des Flusses, in Dobryzin beheimatet war, so kommt nur der Landesrabbiner Abraham Mendel als Vater Jacobs und damit  als Großvater Ludwig Herzfeld's in Betracht.

 Gollub besaß zum Zeitpunkt von Jacobs Geburt kein eignes Rabbinat. Im Jahre 1792 stellten die Landesältesten der Juden diesseits der Weichsel mit königlicher Erlaubnis einen Landesrabbiner, Abraham Mendel, an, dessen Amtssitz das neben Gollub gelegene Strasburg wurde. Die Wahl dieses Rabbiners war nicht unumstritten, denn für dessen Besoldung in Höhe von  138 Talern mussten die Juden von Löbau, Neumark, Bischofswerder, Lautenburg, Strasburg, Gollub, Kulmsee, Tolke, Christburg, Stuhm, Rosenberg und Deutsch-Eylau aufkommen. Der in Deutsch-Eylau ansässige Schutzjude "J. Abraham, der 6 Taler beisteuern sollte, weigerte sich und blieb auch, als sich die Ältesten über ihn bei der Kammer beschwerten, bei seiner Weigerung, mit der Begründung, daß ein Rabbiner für 30 Judenfamilien in den genannten Städten überflüssig sei und man nur den Platz geschaffen habe, weil er der arme Verwandte gewisser Juden sei. Er, Abraham, bekenne sich gerne zu den Juden diesseits der Weichsel, werde aber für einen Rabbiner, dessen Fähigkeiten er gar nicht prüfen könne, und den die Judenältesten ohne sein geringes Zutun genommen hätten, nie etwas beisteuern.“13

Die Altersangaben in Jacob Herzfelds Sterbeprotokoll, lassen sein Geburtsjahr zeitlich mit der Berufung dieses Rabbiners zusammenfallen, auch der Name seines Bruders Mendel spricht dafür, daß es sich bei Abraham Mendel tatsächlich um den Großvater des Ludwig Herzfeld handelt. Der Hinweis, daß der, "der arme Verwandte gewisser Juden sei", gibt zu der Vermutung Anlass, daß dessen Familie bekannt und auch im Culm-Michelauischen Kreise ansässig war. Als einziger Träger des Namens Mendel in der genannten Region findet sich ein Mendel Jacob, der seit 1778 in Neumark nachweisbar ist.

In seinem Haushalt befanden sich zu diesem Zeitpunkt neben seiner Frau Rosine Joseph, die Kinder Hirschel Mendel (*1758), Devora (*1763), Rachel (*1766) und Jacob (*1768) sowie als "Knechte" bzw. "Handlungsgehilfen" ein Alexander und ein Simon, ferner als Publ. Bediensteter Adel (Odel) Joachim als Schächter.14

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Jahr später (1789) wird Joseph Isaac, vermutlich der Schwiegervater des Mendel Jacob, mit seiner Frau Rachel Moses und den Kindern Marcus, Salomo, Isaac und Taube in Neumark ansässig. Sie bewohnen dort ein "Großbürgerhaus am Markt Nr.9. In seinem Haushalt befindet sich noch Abraham Moses, wohl der Bruder seiner Frau.15 Über Rachel Moses ist die Verbindung nach Gollub gegeben, denn dort lebte, wie bereits erwähnt, der ordentliche Schutzjude Jacob Moses mit seiner Frau Hindel. Die Namen ihrer Kinder (Sara *1764, Freide *1767, Marcus *1769,

Dwora *1763 und Jacob *1777) sind ein weiteres Indiz für das Bestehen einer verwandtschaftlichen Beziehung zwischen den vorgenannten Familien. Diesen Jacob Moses werden wir 25 Jahre später, vermutlich verarmt, im Haushalt des David Gabriel in Briesen finden. Bevor wir auf diesen Gabriel zu sprechen kommen, soll noch erwähnt werden, daß der im

                                                                                                               

 

 

 

 

 

 

Haushalt lebende Schächter Joachim Zadeck16 auch mit einer Moses (Hanna) verheiratet war. Der in Strasburg ansässige Schmerl Zadeck, der ebenfalls ein Großbürgerhaus am Markt bewohnte, scheint sein Bruder gewesen zu sein. Nach seinem Tode im Jahre 1798/99 erwarb Ascher Levin das Haus von den Erben. Ein David Ascher Levin (Totengräber), wohl der Sohn des Käufers, der unter den Publ. Bedientesten bei Moses Jacob in Gollub aufgeführt ist, nennt seinen Sohn ebenfalls Schmerl.

Bedauerlicherweise ist das zur Verfügung stehende Quellenmaterial sehr  lückenhaft.17  Im Jahre 1805 sind in den Steuer- bzw. Häuserlisten nur noch die Kinder bzw. Verwandten der verstorbenen oder abgewanderten Privilegieninhaber, die das Niederlassungsrecht in Anspruch nehmen, aufgeführt. Erst im posenschen-schlesischen Grenzgebiet, im Raum Lissa, lässt sich der Aufenthalt von Mendel und Jacob Herzfeld zweifelsfrei nachweisen.

Hier lebte auch ein anderer Menachem (Mendel) Herzfeld, der Sohn des Gabriel, den wir bereits weiter oben erwähnten, der mit Vogel, Tochter des Meir, verheiratet war.18 Schaut man sich die in seiner Familie vorkommenden Namen an, dann drängt sich zwangsläufig die Verbindung zu der 1805 im Culm-Michelauischen Kreis ansässigen Familie Gabriel auf.

Einmal findet sich da in Rheden der Leyser Gabriel, der mit Ratze, ebenfalls einer Meyer oder Meir, verheiratet ist zusammen mit den Kindern Gabriel (*1799) und Behrend (*1802). Unter den Knechten und Handlungsgehilfen werden genannt: Alexander Gabriel, Simon Salomon, Levi Hirsch und Marcus Salomon, Namen, die uns bereits aus dem Haushalt des Mendel Jacob bzw. Joseph Isaac bekannt sind. David Gabriel, wohl ein Bruder des Leyser, lebte zusammen mit seinen Kindern Chain, Gabriel, Levin, Sophie und Eva seit 1805 in Briesen. Bei ihm befindet sich auch, wie bereits erwähnt, Jacob Moses aus Gollub und ein Baer Joachim.

Schauen wir uns die nachfolgende Stammtafel an, wird der Zusammenhang zwischen den Familien in Flatow und denen im Culm-Michelauischen Kreis deutlich. Über Isaac Alexander Cohn ist zusätzlich die Verbindung nach Schlochau und Glogau gegeben. In der letztgenannten Stadt leben Träger des Namens Herzfeld, deren "Vor"- und "Väternamen" mit denen von Personen, die sich in Haushaltungen in Neumark bzw. Gollub befinden, übereinstimmen. Vermutlich liegt hier auch der Schlüssel zur Lösung der Frage, wieso Mendel und Jacob sich spätestens seit 1815 "Herzfeld" nennen.

 

Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, welche Gründe die Familie veranlassten, sich von Westpreußen in den posenschen-schlesischen Grenzraum zu begeben, wo sie seit 1810 nachweisbar ist. Zu einem werden es die politischen Ereignisse gewesen sein, die den ökonomischen Höhenflug des Fleckens Dobryzin beendeten und die Bedeutung Gollubs als Grenzstadt gegenstandslos machten.

Im Mai 1792 fielen russische Truppen, 32.000 Mann stark, unter General Kretschetnikoff von Norden und Osten her in Litauen ein, besetzten Wilna und verkündeten die von reaktionären

polnischen Adligen ins Leben gerufene "Conföderation", wie dies bereits Felix Potocki, als die russischen Truppen von Süden her eingerückt waren, unter dem Schutz des russischen Generals Kachowski in Tarjowice getan hatte. Am 17. Juli überschritt Kachowski den Bug bei Dubienka und schlug, trotz heldenmütigen Widerstandes, den polnischen General Kosciusko. Von allen Seiten näherten sich russische Regimenter der polnischen Hauptstadt, so daß dem König nichts weiter übrig blieb, als sich zu unterwerfen und der "Conföderation" beizutreten.

Preußen unter Friedrich Wilhelm II. von Furcht gepeinigt, die Russen könnten die Beute allein einheimsen, unterbrach den französischen Krieg, um, unter dem Vorwand auch in Polen den Jakobinismus bekämpfen zu müssen, zu intervenieren. Nun überschritten die Preußen am 4. Januar 1793 unter General Möllendorf die Grenze in fünf Kolonnen, "welche gleichzeitig von Schlesien, der Neumark und Ostpreußen hereinbrechend, den abzutretenden Landstrich gegen Polen absperrten. Am 23. Januar wurde der Teilungsvertrag zwischen Russland und Preußen geschlossen "19 "

Am 25. März wurde durch ein königliches Patent "die Besitznahme der Landschaften zwischen der bisherigen Grenze und einer Linie von Czenstochau über Rawa und Soldau, sowie der beiden Städte Danzig und Thorn, im Ganzen 1.016 Quadratmeilen mit anderthalb Millionen Einwohnern"20 , deklariert und die sofortige Huldigung der annektierten Gebiete verlangt.

 

Durch die zweite polnische Teilung kam auch Plosk an der Weichsel unter preußische Herrschaft, in dieser Stadt war am 6. Mai 1779 Magnus Herzfeld, der sich später in Mecklenburg niederließ, zur Welt gekommen. Ebenso gelangten Landschaft und Stadt Dobryzin wieder an Preußen, wodurch die für Gollub leidige Konkurrenz ein vorläufiges Ende fand.

Die veränderten Besitzverhältnisse werden zunächst für die Familie des Rabbiners keine einschneidenden Veränderungen mit sich gebracht haben. In einem Edikt vom 28. Mai 1794 wurde bestimmt, "daß die bisher im Lande üblich gewesenen und darinnen für giltig anerkannten Gesetze, Constitutionen und wohlhergebrachten Gewohnheiten, insofern solche gehörig bescheinigt werden, fernerhin und so lange beibehalten und nach solchen die unter den Parteien vorkommenden Rechtsstreitigkeiten entschieden werden sollen, bis dahin, daß ein förmliches Provinzial-Gesetzbuch für die Provinz, woran sogleich die Hand gelegt werden soll, zu Stande gebracht und bestätigt werden wird."21

Nachdem die Zarin Katharina sich mit Österreich, ohne Preußen davon in Kenntnis zu setzen, über die Aufteilung Restpolens verständigt hatte, sah sich Preußen veranlasst, um sich einen hinreichenden Anteil an der polnischen Beute zu sichern, mit Frankreich den Frieden zu Basel, 5. April 1795, zu schließen. Nach seinem Ausscheiden aus der Koalition gegen Frankreich meldete Preußen seine Ansprüche an. Die preußische Ostgrenze wurde 1795 über Warschau hinaus ausgedehnt, Polen von der Landkarte getilgt. Die neu "erworbenen" Gebiete" wurden in den Provinzen Süd- und Neuostpreußen zusammengefasst. Im Zusammenhang mit der Neuordnung der Lebensverhältnisse

wurde am 17. April 1797 das General-Juden-Reglement für Süd- und Neuostpreußen erlassen. es stellte von nun an die Rechtsgrundlage auch für die Mitglieder der Familie Herzfeld, sei es nun Lewin Hertz in Flatow, den Rabbiner in Gollub/Dobryzin oder seine Kinder in Lissa bis zum Erlass des Emanzipationsedikts von 1812 dar. Das Privatleben der Juden wurde darin, im Vergleich zur polnischen Zeit, streng reglementiert und ihrer wirtschaftlichen Betätigung Grenzen gesetzt. Es wurde bestimmt, daß nur Juden, die zum Zeitpunkt der Besitzergreifung im Lande ansässig waren und in geregelten wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, als Schutzsuchenden geduldet und nicht ausgewiesen werden sollten. Sie hatten sich Familiennamen beizulegen und durften nur mit Genehmigung der Kammer (Regierung) ihren Wohnort verändern oder ein Grundstück erwerben. Die auf dem Lande wohnenden Juden mussten in die Städte übersiedeln. Der Handel mit Waren wurde auf bestimmte Produkte beschränkt; so war ihnen untersagt, "mit Material-, seidenen, wollenen oder anderen Zeug- und Ellenwaren, Weinen und Luxussachen" zu handeln. Sie konnten - das war ein Fortschritt gegenüber den alten preußischen Bestimmungen - Künste und Handwerke betreiben, aber die Anstellung christlicher Gesellen und Lehrlinge musste ebenfalls durch die Kammer genehmigt werden. Den Juden war freigestellt, Brau- und Branntweinbrennereien und kleinere Ackerwirtschaften zu pachten; ein käuflicher Erwerb war nur möglich, wenn es sich um neu etablierte Stellen handelte.22

Die grundlegend veränderte politische und wirtschaftliche Situation, der Funktionsverlust Gollubs und Dobryzins als Grenzstädte - vermutlich hatten beide Städte, wie dann wider nach 1815, vom Schmuggel gelebt -, verbunden mit den negativen Auswirkungen auf Handel und Gewerbe23 , wird zur Abwanderung der Familie Herzfeld aus Gollub-Dobryzin geführt haben.

 

Handelsjuden in schwarzen Kaftanen wechselten oft über die Grenze, denn dich bei Gollub grenzte das Deutsche Reich bis 1914 an das Kaiserreich Russland. Am schwarz-weiß-roten Gitter halten die deutschen Zollbeamten Wacht.

 

 

Was mag nun für die Wahl Lissas als neuem Aufenthaltsort für zumindest einen Teil der Familie ausschlaggebend gewesen sein? Zum einem können verwandtschaftliche Beziehungen dorthin bestanden haben, denn hier lebte, wie bereits oben erwähnt, M

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Menachem (Mendel) Herzfeld, Sohn des Gabriel, der mit Vogel, Tochter des Meir, verheiratet war.  Menachem starb am 4. August 1823 (7.Ab.583), seine Frau sieben Jahre später am 2. Februar 1830 (9. Schebat 590). Am 17. März 1835 (16.Adar 5595) folgte ihnen ein Sohn, David Leib, der mit Beile, Tochter des Jakir (sie starb 1837) verheiratet war, in den Tod nach.24 Leider sind die Geburtsdaten dieser Herzfelds bisher nicht bekannt, so daß nicht gesagt werden kann, ob die am 5. April 1806 (17. Nissan 566) verstorbene Gnendel, Tochter des Salman Mirels, eine frühere Frau des David Leib oder eines anderen David Herzfeld gewesen ist.25

Dazu mag Lissa als jüdisches Handelszentrum, trotz der beiden verheerenden Brände von 1767 und 1790, die zu einer Dezimierung allein der jüdischen Einwohnerzahl von fünf- auf dreitausend, noch immer eine große Anziehungskraft besessen haben. Der Handel in Lissa lag, wie wir von A. E. Holsche wissen, größtenteils in den Händen von Juden, "welche große Wechselgeschäfte treiben und mit Tüchern, Pelzwerk, Materialwaren, Weinen von allerlei Gattung u.s.w. handeln"26 .  Unter ihnen befanden sich viele, die ein Vermögen von 30 -50.000 Talern besaßen. Der deutsche Einfluss in Lissa war unübersehbar: "In Lissa ist alles deutsch, und es herrschen Schlesiens Sitten. Die Einwohner, von denen nur wenige begütert sind, haben einen großen Hang zur häuslichen Bequemlichkeit, überhaupt zum Luxus und Vergnügen." Im Gegensatz dazu führten die Juden einen 'stillen Lebenswandel'."27

Bekannt war die Stadt für ihre Tücher, "deren hier jährlich viele tausend Stück fabriciert und verkauft werden. Die Zahl der Tuchmacher beläuft sich auf mehr als 250".

Über Tuchfabrikation bestanden enge Beziehungen zum schlesischen Guhrau, das für bald dreißig Jahre die Heimat der Familie Herzfeld werden sollte. Weiter war eine Verbindung zu diesem Raum durch die Familie des Grafen v. Kalckreuth gegeben. Sie kann aber auch über die Familie von dessen Frau, die Familie v. Unruh, hergestellt worden sein. Die Geschwister von Unruh besaßen in dem Flatow benachbarten Kreise Crone die Güter Fahlbeck, Büssen, Klein Hausfelde, Neugut und Domlang. Am 7. März 1800 hatte in Berlin Jeanette von Unruh (geb. 19.7.1772) den Grafen Ludwig v. Kalckreuth, einen Sohn des älteren Bruders des Feldmarschalls, geheiratet. Graf Ludwig war am 7. November 1771 in Nieder Siegersdorf (Schlesien) geboren worden und hatte 1792 die Güter Zapplau, Linz und Sackerau geerbt. Auf Zapplau werden wir einige Jahre später Mendel, den Sohn des Rabbiners Abraham Mendel Herzfeld, als Verwalter finden. - Über die äußerst judenfreundliche Einstellung der Familien v. Unruh und v. Kalckreuth wird noch weiter unten zu sprechen sein.

Zwei Jahre nach der Eheschließung zwischen Jeanette v. Unruh und dem Grafen Ludwig v. Kalckreuth wurde ihnen eine Tochter, Pauline Eusebia,28 geboren. Im Jahre 1804 begab sich die Familie ins Posensche, in das unweit von Lissa gelegene Schmiegel, wo der Graf als Rittmeister bei den Dragonern stand. In Schmiegel schenkte Jeanette am 4. Februar 1808 einem Sohn, Richard Edmund, und am 3. August 1810 noch einer Tochter, Clothilde Gabriele, das Leben. Diese Kalckreuth Kinder werden wir im Jahre 1826 in Berlin unter den Taufpaten der Söhne Mendel Herzfelds finden. Ob bereits zu diesem Zeitpunkt Kontakte zu den v. Kalkreuths bestanden hat, ist schwer zu sagen. Mendel Herzfeld selbst scheint nicht in Schmiegel ansässig gewesen zu sein, denn die Stadt besaß ein eignes Rabbinat, aber nicht hier, sondern in Lissa wurde die am 10. März 1810 stattgefundene Geburt seines Sohnes Marcus (Mordechai) in der Synagoge registriert. Es ist möglich, daß ein Kontakt zu dem in Lissa residierenden Kammerpräsidenten v. Unruh bestand oder, daß er bereits zu diesem Zeitpunkt Zapplau verwaltete, in diesem Fall wäre neben Rawitsch vor allem Lissa als zuständige Synagogengemeinde in Betracht gekommen. Vermutlich wird Mendel 1805 auch in Lissa geheiratet haben. Die Braut Philippine (Feibel), Tochter des Abraham Schlochow, stammte wohl aus dem zwischen Lissa und Glogau gelegenen Schlichtingsheim. Das Gut Zapplau lag nur wenige Kilometer von diesem Ort entfernt.29 Wie wir bereits weiter oben sahen, gehörte Philippine anscheinend zu dem Zweig der Familie Munk, der ursprünglich aus Glogau stammend, sich in Schlichtingsheim niedergelassen hatte und sich später nach seinem zeitweiligen Aufenthaltsort Schlochau in Westpreußen nannte.30

Auch unter der preußischen Herrschaft mit ihren neue Ehebestimmungen, die Eheschließung war von einer staatlichen Konzession abhängig, werden Mendel und Philippine, wie es der jüdischen Tradition entsprach, durch einen berufsmäßigen Heiratsvermittler, den Schadchen, zusammengebracht worden sein.

 

Rolle und ohne ihn gab es kein Vergnuegen. In der Residenz, wo er seinen Wohnsitz hatte wurde er nicht zu allen Hochzeiten eingeladen. Freilich erschien er auch uneingeladen…

Sobald die Verlobung perfekt war, hinterlegte eine der Familien eine Art Rücktrittsgeld im Hause des Rabbiners. Dabei wurde in Erinnerung an die Zerstörung Jerusalems ein Topf zerbrochen. Bräutigam und Braut wurden von ihren Freunden mit dem Wunsch "massel tow" gratuliert.

„Nach einem Jahr Verlobungszeit kam die Hochzeit heran. Sie zog sich über viele Tage hin. Ein Hochzeitsfest dauerte in der Regel drei Tage. Dass die ganze Khilloh von gross bis klein daran teilnahm, ist selbstredend. Der Possenmacher spielte dabei eine grosse wurde nicht immer angenommen.

Dagegen kam er zu Hochzeiten nach kleinen Städten stets uneingeladen und war gern gesehen. Zu bewundern ist es, daß er immer den Tag der Hochzeit genau wußte, um sich zur gehörigen Zeit einzufinden Es läßt sich vermuten, daß er hierüber vom Oberrabbiner Auskunft erhielt. Denn dieser hatte jedem, der an einem kleinen Orte eine Trauung mit gesetzlicher Wirkung vollziehen wollte immer erst eine besondere Autorisation zu erteilen. Wie gewöhnlich war der Possenmacher auch dieses  Mal schon einen Tag vor der Hochzeit im Orte. Heute amüsierte er besonders die Straßenjugend. Er setzte sich rücklings auf ein Pferd, welches ein anderer führen mußte, hatte ein Blatt Papier sowie den Schweif des Pferdes in der einen Hand, in der anderen eine Schreibfeder, und tat damit, als tauchte er diese in den Hintern des Pferdes ein und schriebe auf das Papier; so ritt er durch alle Straßen, von der lärmenden Jugend umringt.

Dieser Aufzug war um so nötiger, als—obgleich längst stadtkundig - vielleicht es einzelne doch noch nicht gewußt. daß morgen eine Hochzeit sei; sie mußten daher darauf aufmerksam gemacht werden, damit sie heute am Polterabend noch ihre Schuldigkeit tun konnten. Diese bestand darin, vor die Wohnung des Brautpaares so viel alte Töpfe und Scherben hinzuwerfen, als nur aufzutreiben waren. Im konkreten Falle geschah dies an drei verschiedenen Orten, bei der Wohnung der Braut, also bei Reb Nechemjoh, bei der künftigen Wohnung des jungen Paares und bei einem Fabrikanten, welcher honoris causa seine etwas größeren Räume für die Hochzeit öffnete. Da der Bürgermeister sich das Recht nicht streitig machen ließ, daß der Trauhimmel auf dem Hofe oder im Garten seines Hauses aufgestellt werde, so würde dies der vierte Ort zur Abladung von zerbrochenem T6pfererzeugnis gewesen sein; allein die Achtung —oder eigentlich die Furcht—vor hohen Obrigkeit, war ein Hemmschuh für ein solches Vorgehen.

Am anderen Morgen mußte das stark angehäufte, für ein Hochzeitsfest höchst störende unharmonische Tonzeug von allen drei Orten durch Wagen weggeschafft werden.

Bald darauf begannen auch die Hochzeitsfeierlichkeiten. Nachdem sich ein jeder sein Gala-Kleid angelegt, versammelte man sich in der Wohnung der Braut, nur der Bräutigam durfte nicht da sein. Jetzt ungefähr um 11 Uhr wurde die Braut vom Possenmacher besungen, wobei er sich ein ernstes Gesicht anschnallte.

Der Gesang wurde in Versen von gutem Deutsch und mit Musik-Begleitung vorgetragen, und bildete gewissermaßen eine Ansprache an die Braut über ihr künftiges Verhalten im ehelicher  und gesellschaftlichen Leben. So sehr wir hier auch zum Scherz geneigt sind, so müssen wir doch bemerken, daß, obgleich von einem Possenreißer vorgetragen, diese Ansprache weit gediegener und inhaltreicher war, als manche von einem modernen jüdischen Pfaffen oder quasi Prediger aus hohlen Phrasen zusammengestoppelte Rede, welche leicht einen Gähnkrampf nach sich zieht. Die Melodie zu dieser Ansprache klang jedoch so wehmütig, und deren Vorhall in den Ohren der Frauen so mächtig, daß diese schon fünf Minuten vor Beginn der Musik zu weinen anfingen. Anfangs flossen die Tränen nur tropfenweise, bald aber ergossen sie sich in Strömen und es hätte leicht eine Überflutung eintreten können, wenn nicht besonnene haushälterische Frauen noch zur rechten Zeit die Schleusen der Tränenquelle herabgelassen hätten, in richtiger Voraussicht, daß zu einer demnächst noch eintretenden Rührung noch eine Portion Tränen aufgespart werden mußten.

Nach Beendigung dieses Dramas begab sich der männliche Teil der Gäste nach dem Hause, wo der Bräutigam weilte. Er saß dort fest isoliert, wahrscheinlich, damit er Zeit habe nachzudenken.

Nun wurde auch er vom Possenmacher besungen: So wurde es zwar gemeinhin genannt, aber es war mehr die Rezitation einer Vermahnung in einem Gemisch von Hebräisch und Deutsch, denn ein Gesang. Darauf schritt nun der Bräutigam hervor aus der Kammer, freudig wie ein Held, zu durchlaufen die Bahn (Psalm 19). Mit dem Musikkorps an der Spitze, geleitete man ihn nach dem Hause in welchem die Braut mit der Damenwelt zurückgeblieben war; aber zur Braut selbst kam er noch lange nicht, er mußte in einem anderen Zimmer bleiben. Hierauf fand das Bedecken der Braut statt. Neue Rührung für die Damen und- Verbrauch des reservierten Tränerestes. Tanz eines Menuettes, und Erfrischung durch Kaffee und Kuchen, wobei aber das Brautpaar das Zusehen hatte, denn diese fasteten in der Regel bis nach der Chuppoh, d.h. bis nach der Trauung. Nach ein Uhr erhob sich die ganze Gesellschaft und unter Musikbegleitung wurde das Brautpaar nach dem Hause des Bürgermeisters geführt, wo wie bereits oben gesagt, der Trauhimmel aufgerichtet und die Trauung vollzogen wurde. Dem Zuge voran die Jugend mit brennenden, geflochtenen Wachslichtchen. Jetzt trat nun der Rebbe in seiner Eigenschaft als Chasan auf und sang Mi addir, in einer Melodie und mit einer Stimme, durch welche Ratten oder Mäuse verjagt wurden. Nun wurde die Braut dreimal um den Bräutigam herumgeführt,—wahrscheinlich—damit er sie sich noch einmal ordentlich ansehe, ehe er sich in den Abgrund ehelichen Lebens stürzt. Ein Franzose, der einmal einer Trauung hier zu Lande beiwohnte, und dem ein solcher Rundlauf etwas neues war, bemerkte ironisch: ,,Ich habe wohl gesehen, daß, wenn ein Hahn der Henne die Kur macht, er um sie herumlauft, aber niemals wie es hier geschieht, die Henne um den Hahn."

Nachdem der Rebbe in seiner Eigenschaft als Geistlicher die Trauung vollzogen hatte, begab sich die ganze Gesellschaft nach dem Festlokale, wo nun das junge Ehepaar ungestört gegenseitig anbeißen konnte, d. h. das Frühstück einnehmen. Jetzt spielten die Herren Karten und die Damen tanzten zum Teil, oder unterhielten sich ungefähr zwei Stunden lang, dann strömte alles von jung bis alt ein jeglicher nach seiner Wohnung und beiderlei Geschlechter kleideten sich um —für die Tafel—es war selbstverständlich, Frauen auch die Hauben wechselten, denn heute mußte man sich in den verschiedenen Staatskleidern sehen lassen. — Jeder Gast nahm auch Messer, Gabel und Löffel mit sich. Denn also hatte es auch der Rebbe gleich bei der Einladung im Auftrage des Gastgebers angeordnet Es blieb dabei auch einem jeden überlassen, für sich eine Serviette mitzubringen. Diese wurde aber als unnützer Ballast angesehen, und daher das Mitbringen unterlassen. Bei Tische amüsierte sich ein jeder nach Möglichkeit, d. h. er aß soviel, als er nur konnte, von den Baumölfischen, der Suppe, gelben Rüben, Rind- und Kalbfleisch, Gänsebraten, Apfel- und Mustorten; dies der stereotype Speisezettel. In den Zwischenpausen trug der Possenmacher, sprechen wir hier zum ersten Mal seinen Namen mit Ehrfurcht aus— Reb Leib Lenzen —etwas vor: 1. ,,Halt nur ein wenig stille, betrachtet meine Brille" usw. dann 2. ,,Den Schlossergesellen" und zuletzt 3. ,,Den Bauern". Dies war seine ganze Gelehrsamkeit, die er auf einer jeden Hochzeit, zum Besten gab, nicht mehr und nicht weniger. Zum Schlusse der Tafel mußte er die Hochzeitsgeschenke ausrufen und zwar speziell, was ein jeder dem jungen Paare zukommen ließ. Führwahr ein sehr undelikates Verfahren, aber man kannte es nicht anders, und es würde ein Verstoß gegen die gute Sitte gewesen sein, hatte man es unterlassen. Reb Leib Lenzen stellte sich also auf einen Stuhl und indem jeder einzeln nach und nach das betreffende Geschenk in die Hand gab, fing er an: ,,Do schenkt Reb A. e silbernen Eßlöffel. Do schenkt Reb B.-e Zuckerzang. Do schenkt Reb C e kuppernen

Kessel, usw.".

Gleich nach dem Segensspruch vor aufgehobener Tafel stürmte alles nach Hause, um sich jetzt wieder neue Kleider für den Tanz anzulegen. Natürlich durften bei den Damen ebensowenig eine neue Haube wie neue Tanzschuhe fehlen Es verdient die dies als besondere Merkwürdigkeit erwähnt zu werden, da in den Annalen

der Völkergeschichte es nirgends zu finden ist, daß an einem einzigen Tage eine Staatsform dreimal verändert worden wäre. Jetzt ging der Tanz los, für welchen auf manchen Hochzeiten die unverheirateten jungen Leute erst die Musik bezahlen mußten. Nachdem man um es richtig zu bezeichnen, viele Stunden herum gesprungen war, etwa um 2 Uhr des Nachts, da wurde in den Herzen der Frauen das Mitleid für die Braut rege und sie dachten daran, sie in ihrer Ruhe zu bringen. Der bestehenden Sitte gemäß machten sie, und zwar ausschließlich die Frauen, noch einen kleinen Tanz mit ihr und geleiteten sie dann nach ihrer neuen Wohnung; man nannte dieses Leigen (Legen) führt.  Und in der Tat wurde sie dort von den Frauen entkleidet und wie ein kleines Kind zu Bette gebracht, worauf jene nach dem Festlokal zurückkehrten. Da lag nun die Braut in ihrem Kämmerlein ganz isoliert und wartete der Dinge, die da kommen würden. Allein es kamen keine Dinge, und auch der Bräutigam kam nicht. Bald wurde sie ängstlich und jammerte: ,,Was säumt er und kommt noch nicht, was zaudern die Tritte seiner Füße?“ (Vergl. Richter 5,28 Gesang der Deborah.) — Aber sie zauderten länger, und da ging ihr mancher Gedanke durch den Kopf. Sie, welche lange Jahre geweilt in jenem Orte, welcher eine Unversteht, Stund-Enten und Profoß-Ohren hatte, sie konnte sehr wohl von einem Luftzuge intellektueller Bildung angehaucht worden sein; wenn ihr daher ein Gedanke vorschillerte, so konnte es sogar ein klassischer

sein, der sich dahin ausdrücken würde: ,,Zarte Sehnsucht, süßes Hoffen, der ersten Liebe goldne Zeit, hot er sich efscher (vielleicht) im Finstern verloffen, odder woos macht er sunst fer Narschkeit“ Indessen draußen wußte man den Grund seines Ausbleibens besser. Nachdem nämlich die Braut in Ruhe (?) gebracht worden war, war es Sache der verheirateten Männer nunmehr auch den Bräutigam, nach dem gedachten Ausdruck: ‚Leigen’ zu führen. Da wurde aber noch lange nicht daran gedacht Nachdem nun auch jene ausschließlich mit ihm herum getanzt, wurde er allerdings zu seiner Wohnung geführt; an der Tür angelangt aber wieder nach dem Festlokal förmlich zurückgeschleppt, und da ging nun der eigentliche Tanz mit ihm los. Dieser wurde genannt der Odom  rischauns Tanz (Tanz des Urmenschen Adam). Daran nahmen sämtliche männlichen Gäste teil. Sie machten eine große Ronde und sangen dabei: ,,Adam hatte sieben Söhne, sieben Söhne hatte Adam, sie aßen nicht, sie tranken nicht, sie waren alle liederlich, sie machten alle so, sie machten alle so", und da wurden denn allerlei Grimassen und Gestikulationen dabei gemacht, und alles dieses so lange wiederholt als oder eine neue komische Körperbewegung hervorzubringen. Als man nun nach langer Zeit endlich genug sein ließ des für den Bräutigam grausamen für die anderen aber lustigen Spiels, da wurde der Bräutigam wieder abgeführt und bis zu seiner Türe gebracht, aber ins Haus wurde er nicht hineingelassen. Der so Gequälte mußte sich jetzt wirklich für den Urmenschen Adam ansehen, dem durch die Cherubim und das flammende kreisende Schwert das Eindringen in das Paradies unmöglich gemacht wurde. War indessen der Bräutigam etwas freigebiger Natur, so fand er bald gegen das Delirium seiner Peiniger ein Mittel, ohne welches er unbarmherzig wieder zurückgeschleppt worden wäre. Es war ein homöopathisches Mittel und zwar der von dem Hygieniker Vater Noah erfundene Lebenssaft, Rebensaft. Unser Bräutigam ging auf die Anwendung dieser Kur ein, da es jedoch zu spät in der Nacht war, um solche sogleich zu gebrauchen, so verschrieb er eine Anzahl Flaschen dieses Lebenssaftes auf den anderen Tag, wo man doch wieder zusammenkam. Und nun war er von den Händen seiner Peiniger befreit. Die Braut war ganz verzweifelt in ihrer Einsamkeit und schäumten ihre; Lippen vor — Erwartung, als endlich ihr Längstersehnter eintrat. Er würde, durch langes Herumzerren ermüdet, sich sofort in Morpheus' Arme geworfen haben, allein er hatte seiner jungen Frau noch vieles zu erzählen, von dem, was ihm begegnet, und so zog er es vor, sich in ihre Arme zu werfen auf daß auch sie das Abenteuer dieser verhängnisvollen Brautnacht erfahre.—

In dem Festlokal tanzte man noch fort, nach und nach aber verloren sich aus demselben die Männer  mit ihren Frauen, zuletzt auch die Jugend. Häusliche  Szenen kamen in dieser Nacht noch da vor, wo der Ehemann seiner Frau erzahlte, wie man dem Bräutigam zugesetzt habe. Diese Mitteilung seiner Leidensgeschichte, worunter auch die Braut leiden musste, konnte bei einer tieffühlenden Frau nicht ohne einen gewissen Eindruck vorüber gehen. Der Ehemann bekam deshalb einen leisen Vorwurf über seine Beteiligung bei dieser Affäre, denn er hatte sich selbst in die Lage des so Gequälten denken müssen. er sah jetzt sein Unrecht ein.

Das Nachfest, das am folgenden Tage gefeiert wurde, nannte man hier und wahrscheinlich auch an anderen orten, das Schatzmahl oder auch Sz'udas dogim (Fischmahlzeit). Da gab es vorzügliche Fische zu essen, und es wurden dazu die größten Hechte, die nur aufzutreiben waren, verwendet. Auch wurde an solchen Tagen noch getanzt, wenn die Jugend Lust hatte, die Musik dazu zu bezahlen, und warum denn nicht, denn es vergingen immer viele Jahre, ehe es einmal eine Hochzeit gab.“31

 

Die Hochzeitsfeierlichkeiten werden in Lissa oder in Schlichtingsheim, dem Wohnsitz der Braut, stattgefunden haben. Philippines Schwangerschaft war von beunruhigenden politischen Nachrichten überschattet. Die preußische Macht war nach den Schlachten von Jena und Auerstädt in Trümmer gesunken, für deren Erhalt regte sich in Lissa kaum eine Hand, im Gegenteil war ein Teil der Bevölkerung bestrebt, die für sie drückende preußische Herrschaft so schnell wie möglich abzuschütteln.

Waren zwar die Aufrufe der Generäle Dombrowski und Wybicki vom 3. November 1806 zum Aufstand in Süd- und Westpreußen  noch ohne Resonanz geblieben, so änderte sich dies rasch, als verlautete, daß der legendäre Koscinszko die Bewegung unterstützte.

Als Philippine am 15. November 1806 ihren ersten Sohn Raphael zur Welt brachte, war Marschall Davoust in Posen eingerückt; und unter ungeheurem Jubel erschien am 27. November schließlich Napoleon, der die polnischen Großen dorthin beschieden hatte,

selbst in der Stadt. Sogleich wurden in den südpreußischen Städten die Beamten der bisherigen Administration verjagt. Am 19. Dezember wurde Napoleon in Warschau begeistert als Befreier begrüßt.

Nach dem Frieden von Tilsit wurde am 21. Juli 1807 aus den ehemaligen polnischen Landesteilen Preußens das Großherzogtum Warschau geschaffen, zu dessen Oberhaupt man den König von Sachsen auserkor. Gollub-Dobryzin und Lissa standen nun unter polnisch-französischer Herrschaft.

Die Verwaltung in diesem neuen Staatsgebilde wurde entsprechend dem französischen Vorbild gestaltet; auf Drängen Napoleons wurde der „Code civile“ eingeführt.

In dem am 22. Juni 1807 von Dresden aus erlassenem  „Constitutionellen Statut des Herzogtums Warschau“ wurde die katholische Religion zur Staatsreligion erklärt, man sicherte jedoch den anderen Konfessionen „freie und öffentliche Religionsausübung“ zu.

In Ergänzung dazu bestimmte das Dekret vom 19. November 1807 im einzelnen, welche Personen in den Genuss des allgemeinen Bürgerrechts kommen sollten.32

Einen tiefen Einschnitt in die Sozialstruktur brachte der Artikel 4 der Verfassungsurkunde, der die Aufhebung der Leibeigenschaft vorsah.

Aber auch „Die Einwohner jüdischer Konfession betreffend“ wurden eine Reihe wichtiger Bestimmungen erlassen. Neben der gesetzlichen Bestimmung, daß für das Schlachten von Koscherfleisch eine Abgabe zu entrichten sei, ging man davon aus, daß die Juden „zu dem edlen Berufe des Kriegers untauglich“ seien und ihnen „die wichtige Aufgabe der Landesverteidigung noch nicht uneingeschränkt anvertraut werden könne“. So sah der Erlaß vom 29. Januar 1812 die Befreiung der Juden von der Militär-Konskription vor. Dafür hatte jährlich eine Zahlung von 700.000 poln. Gulden zu erfolgen, „welche die alttestamentarischen Bewohner des Herzogtums Warschau an den Schatz desselben abführen wollen, sich freiwillig erklärt haben“.33

 

Die Verbreitung der Ideen der französischen Revolution, zu denen auch die staatsbürgerliche Emanzipation der Juden gehörte, durch Napoleon in Europa, die inneren Reformen Preußens nach der katastrophalen Niederlage, die Napoleon diesem Staat zugefügt hatte, beschleunigten auch als Reaktion virulente Strebungen, wie sie bereits in den Schriften Christian Wilhelm Dohms angedacht worden waren, den Juden in Preußen das volle Bürgerrecht zu gewähren.

In seiner Denkschrift vom 17. Juli 1809 forderte der Gelehrte und preußische Staatsminister Wilhelm von Humboldt die Gleichstellung von Christen und Juden:

„Meiner Überzeugung nach wird daher kleine Gesetzgebung über die Juden ihren Endzweck erreichen als nur diejenige, welche das Wort Jude in keiner anderen Beziehung mehr auszusprechen nötigt als in der religiösen, und ich würde daher allein dafür stimmen, Juden und Christen vollkommen gleichzustellen.

Was man einer völligen und plötzlichen Gleichstellung entgegensetzt, ist, daß dies ein Sprung von einem Extrem in ein anderes würde, und die Gefahr, die dann für den Staat entstünde.

In dem ersteren liegt offenbar ein Mißverständnis. Wenn ein widernatürlicher Zustand in einen naturgemäßen übergeht, so ist kein Sprung, wenigstens gewiß kein bedenklicher, vorhanden; diesen kann man nur da finden, wo ein widernatürlicher mit wirklicher Überspringung des natürlichen ein einen widernatürlichen entgegengesetzter Art überginge. Wer vom Knecht zum Herren wird, der macht einen Sprung; denn Herren und Knechte sind ungewöhnliche Erscheinungen. Aber wenn man bloß die Hände losbindet, die erst gefesselt waren, der kommt nur dahin, wo alle Menschen von selbst sind. (...)

Ich verstehe gern, daß ich die große Gefahr nicht einsehe. Was sie wenigstens in den Augen aller vermindern muß, sind folgende Betrachtungen:

1.   Der Staat übt eine genaue und strenge Polizeiaufsicht, und die nun gleichberechtigten Juden werden den Gesetzen, gerade wie die Christen, zu gehorsam gezwungen sein, und dann ist keine Gefahr zu besorgen.

2.   Der Staat bestimmte,  wo die Beschaffenheit der Sache erlaubt und erfordert, genau, unter welchen Bedingungen und innerhalb welcher Grenzen jedes Gewerbe getrieben werden soll, und der Jude wird wie der Christ gebunden sein, und kein Gewerbe wird, was doch der einzige Zweck ist, leiden können.

3.    Wo der Jude ein Gewerbe zweckwidrig betreibt, wie z.B. wenn er aus Ackerwirtschaft Handelswirtschaft macht, wird ihn sein eigner Vorteil bald eines Besseren belehren.

4.    Zu Staatsmännern kann ja an sich nicht jeder Berechtigte gelangen, sondern es bedarf einer eignen Berufung des Staats. Hier hat derselbe also die Sache beständig in der Hand.

5.    Die allgemeine Gefahr, daß die Juden die Christen verdrängen würden, ist an sich chimärisch, sie wird aber auch nur durch einen wahren Zirkel im Räsonnement zur Gefahr, indem man erst den Unterschied zwischen Juden und Christen politisch aufheben möchte und dann wieder annimmt, daß es auch politisch dennoch nicht gleichgültig sei, ob ein Gewerbe, auch gleich gut, von einem Juden oder Christen getrieben werde.“34

 

 Nicht zuletzt Dank der Bestrebungen der Reformer kam das „Edikt, betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“ vom 11. März 1812 zu Stande. In ihm wurde u.a. bestimmt:

§4. Nach erfolgter Erklärung und Bestimmung seines Familien-Namens erhält ein jeder von der Regierung der Provinz, in welcher er seinen Wohnsitz hat, ein Zeugniß, daß er ein Einländer und Staatsbürger sey, welches Zeugniß für ihn und seine Nachkommen künftig statt des Schutzbriefes dient.

§5. Nähere Anweisungen zu den Verfahren der Polizei-Behörden und Regierungen wegen der Bestimmungen der Familiennamen, der öffentlichen Bekanntmachung derselben durch die Amtsblätter und der Aufnahme und Fortführung der Hauptverzeichnisse aller in der Provinz vorhandenen jüdischen Familien bleiben einer besonderen Instruktion vorbehalten."

Wie im Einzelnen zu verfahren war, ist aus der nachfolgenden Verordnung der Kgl. Regierung Liegnitz zu entnehmen.

 

 

Ludwig Herzfelds Vater Jacob war 1812 im Hausstand seines Bruders Mendel polizeilich in Zapplau gemeldet; er wird als Hauslehrer bezeichnet, was sich vermutlich auf die Kinder seines Bruders bezog und ihm wohl überhaupt erst ein Bleiberecht in den preußischen Stammprovinzen ermöglicht hatte. Mendel Herzfeld hat vermutlich bereits zu diesem Zeitpunkt das Staatsbürgerzertifikat erhalten, das seinem Bruder Jacob dann drei Jahre später - nach Vollendung des 25. Lebensjahres - am 12. März 1815 in Guhrau verliehen werden sollte.

An dieser Stelle soll auf die entsprechende Darstellung in dem von Wolfgang Herzfeld im Jahre 1929 verfassten Familienbuch verwiesen werden. An keiner Stelle fällt der Begriff Jude, jedoch ist die Einbürgerungsprozedur genau beschrieben, so daß zu diesem Zeitpunkt die entsprechenden Dokumente sich noch in den Händen der Familie befunden haben müssen. ‘Der Vater von Ludwig Herzfeld, war Kaufmann in Guhrau. Er ist geboren in Gollub in Ostpreußen. Er wird 1815 im Hausstande seines Bruders als Hauslehrer aufgeführt.’ Die Frage, ob an dieser Stelle mit Absicht die falsche Angabe ’Ostpreußen’ gemacht wird, weil vielleicht Westpreußen zu anrüchig klingt, lässt sich nicht definitiv  beantworten.  An anderer Stelle wird die Ortsangabe dann stillschweigend korrigiert: ’Der Vater von Ludwig Herzfeld, ist um 1790 in Gollub bei Thorn geboren. Bereits 1815 wird er als in Guhrau wohnhaft bezeichnet. Am 12. März 1815 erhielt er das Staatsbürgerzertifikat als preußischer Untertan (gleichzeitig nimmt die Familie endgültig den Namen Herzfeld an), 1816 das Bürgerrecht in Guhrau...’ Albert Herzfeld weiß in seinen ‘Erinnerungen für Kinder und Enkel’ (1929) zu berichten: ‘Mein Großvater Herzfeld ist etwa 1790 geboren, die älteste amtliche Urkunde ist eine polizeiliche Meldung  aus dem Jahre 1812. Er war damals Hauslehrer in Zapplau bei Guhrau (Schles.).Sein älterer Bruder war als in demselben Orte Gutsverwalter beim Grafen Kalkreuth’. Wohlweislich nennt er den Vornamen (Jacob) seines Großvaters nicht, einige Jahre später (1934) wird der dann bei ihm nicht  Jacob, sondern Johann heißen, wie auch in den Lebenserinnerungen seines Schwiegersohnes  Franz Petz (1935). Bekannt war die jüdische Herkunft, sie wurde nur verschwiegen. Alberts Tochter Dore Schober fragt am 3. Aug. 1929 bei Ihrem Onkel Alberts Bruder Heinrich an : ‘Heute komme ich wieder mit einer Bitte. Elisabeth, die ich kürzlich in Halle sah u. die uns wieder Interessantes erzählen konnte, meinte in Deinem Besitz wäre noch der Taufschein von unserem Großvater Ludwig Herzfeld, Deinem Vater... Weißt Du in was für einem Verzeichnis (entsprechend den Kirchenbüchern) die Juden eingetragen werden mussten ? Ich habe schon nach Guhrau geschrieben, es kann mir aber niemand Auskunft geben. Vater meint, vielleicht wären sie auf dem Amtsgericht geführt worden.’ Am 6. Sept. 1934 schreibt Albert an seinen Neffen Ludwig: ‘Dein Bruder Enno wünscht  1. Erklärung  über Arisierung .. von Johann Herzfeld (Urgroßvater). Ich habe ihn auf meine 1929 geschriebenen Erinnerungen verwiesen. Er war doch zum ... sicher evangelisch. Die Erinnerungen sind doch (weil um 1929) unbedenklich wichtig. In einem fingierten Stammbaum, der in der Familie Walter Herzfelds kursierte, ist Jacob als evangelischer Christ in Gollub geboren (30. April 1790), ebenso wird der Geburtsort Ludwigs von Guhrau nach Gollub verlegt. Als Ehefrau und Mutter von Ludwig fungiert jetzt Wilhelmine geb. Plato (geb. 12. Mai 1793 ebenfalls in Gollub), wohl weil man dachte, daß der Name nicht jüdisch klänge. Das wird auch aus einer Eingabe des Wolfgang Herzfeld an die Anwaltskammer deutlich: ‘Die Urkunden über meinen Vater Geh. Justizrat Ludwig Herzfeld und dessen Vorfahren sind bei dessen Tode 1911 seinem ältesten Sohn Robert Herzfeld, Königl. Garnisonsrat in Metz, übergeben worden, der 1918 bei der Besetzung von Metz durch die Franzosen schwer krank von diesen verhaftet wurde, um die geheimen Pläne der von ihm erbauten Festungswerke aus ihm herauszuholen. Er ist an dieser Behandlung gestorben und sein ganzes Vermögen ist von den Franzosen sequestiert worden. Die Urkunden sind bei dieser Gelegenheit der Familie verloren gegangen.

Die bereits kurz darauf einsetzende Familienforschung zur Restaurierung dieser Urkunden hat lediglich feststellen können: Mein Vater Ludwig Herzfeld ist am 12. September 1819 geboren, hat 1845 das Assessorexamen bestanden, ist dann zunächst Assessor gewesen und seit 1849 Rechtsanwalt und Königl. Preuss. Notar in Sprottau, von wo er 1870 auf eignes Bemühen nach Halle versetzt wurde.

Seinen Trauschein mit Marie Clementine Wüsthoff füge ich in beglaubigter Abschrift bei.

Aus diesem ergibt sich, daß er Christ war.

Von meinem Großvater väterlicherseits weiß ich nur, daß er um 1780 geboren ist und Preuss. Staatsangehöriger, ferner daß er Hauslehrer bei einem Grafen Kalckreuth  gewesen ist. Seine Ehefrau hieß Wilhelmine geb. Plato, woraus ich auf arische Abstammung derselben schließe. Desgleichen ist nicht anzunehmen, daß Graf Kalckreuth einen mosaischen Hauslehrer gehabt hat. Weitere Nachforschungen nach Vorfahren sind ergebnislos gewesen. Wenn also eine nichtarische Stammlinie vorhanden gewesen ist, so muß diese bereits um 1800 oder früher ihre Stammesfremdheit aufgegeben haben.’ Um die Nachforschungen zu erschweren wurde auch der Geburtsort in Frage gestellt: ’Als Geburtsort des Großvaters Herzfeld wird Guhrau abgegeben. Da sich aber bei verschiedenen Rückfragen bei den zuständigen Behörden weder hat bestätigen lassen, daß der Großvater in Guhrau getauft ist, noch überhaupt, daß er in Guhrau geboren ist, erscheint nicht ausgeschlossen, daß ein anderer Geburtsort oder Taufort in Frage kommt. Vielleicht haben die Eltern des Großvaters  in der Nähe der Stadt Guhrau auf dem Lande gewohnt, als der Großvater geboren wurde. Die Urgroßmutter Wilhelmine Herzfeld soll eine Müllerstocher gewesen sein und der Urgroßvater  war zeitweilig Pächter oder Verwalter einer Mühle. Außerdem gab es in Schlesien drei Orte Guhrau: nämlich Guhrau Krs. Guhrau, Guhrau Kr. Pleß und Alt Guhrau. Ferner gibt es mehrere Orte Guhren. Welcher Ort ist nun der richtige ? Guhrau Kr. Pleß liegt jetzt in dem von den Polen geraubten Gebiet und hat wahrscheinlich einen anderen Namen.

Die schon vor ... sieben Jahren betriebenen Nachforschungen nach den Urgroßeltern Herzfeld sind gescheitert, weil weder Geburtsjahr noch Sterbejahr feststellbar sind. Man weiß - aus Erzählungen - nur, daß der Urgroßvater Herzfeld aus dem westpreußischen Korridor zwischen Culmsee und Gollub stammte und daß er - kurz nach Beginn des 19. Jahrhunderts - Hauslehrer bei einem Grafen Kalkreuth in Schlesien gewesen ist.’

Dabei war das  Reichssippenamt  längst in Guhrau (Kreis Guhrau) fündig geworden und hatte bereits einigen Familienmitgliedern bescheinigt, daß Jacob und seine Frau, Ludwig Herzfelds Mutter, Liebchen geb. Herzfeld Juden waren, und daß der am 12. September 1819 geborene Sohn Levi erst 1838 sich hatte taufen lassen und an hatte an anderer Stelle (so etwa gegenüber der Familie Alexander  Herzfelds) auch den Mädchennamen von Jacobs zweiter Frau ‘Munk’ erwähnt. Falls man sich die Mühe gemacht hat, die Glogauer Unterlagen durchzusehen, war auch die jüdische Herkunft der Platos dem Sippenamt nicht unbekannt geblieben..

 

 

 

 

 

Guhrau

Bürgerrechts war der Besitz eines Grundstücks oder die Ausübung eines Gewerbes.

Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Stadt lag zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf der Textilherstellung und dem Müllereigewerbe. Besonders auf diesen Sektoren waren bereits im 18. Jahrh                                                                                                                             Vermutlich der Erwerb des Staatsbürgerzertifikats am 12. März  1815 ermöglichte es Ludwig Herzfelds Vater Jacob, den Haushalt seines Bruders Mendel in Zapplau zu verlassen und in der benachbarten Kreisstadt Guhrau seinen Wohnsitz zu nehmen. Unabhängig von der Frage der Judenemanzipation und der damit verbundenen Erteilung eines Staatsbürgerbriefs waren auch nach der Steinschen Städteordnung nicht alle Bewohner Guhraus gleichberechtigt. Es wurde zwischen Bürgern und Schutzverwandten unterschieden. Vorbedingung für den Erwerb des städtischen undert Juden, die sich, aus dem benachbarten zu diesem Zeitpunkt noch polnischen Lissa kommend, in Guhrau niedergelassen hatten, tätig gewesen. Aber sie wurden von hier aufgrund des kaiserlichen Edikts vom 14. Juni 1738 vertrieben, obwohl die Ältesten des Tuchmachermittels in Guhrau und Köben sich für sie verwandten. „Die Guhrauer Juden werden sich in ihre Heimatgemeinde Lissa zurückbegeben haben und nahmen als Erinnerung den Familiennamen Guhrauer dorthin mit. Aber ihre Verbindung mit Guhrau und Schlesien überhaupt hielten sie auch weiterhin aufrecht; noch 1793 bezogen die Lissaer Juden jährlich einige tausend Stück Tuch von Tschirne, Guhrau und überhaupt aus Schlesien und vertrieben sie bis nach Petersburg."1 Als Jacob Herzfeld sich in Guhrau niederließ, waren die vorgenannten Wirtschaftszweige bereits vom Niedergang bedroht. Besaß Guhrau im Jahre 1802 noch 80 Tuchmachermeister, so waren es 1832 nur noch drei. Die Tuche fanden keinen Absatz mehr, weil Russland seine Grenzen für die Einfuhr gesperrt hatte. Ähnlich erging es - nur mit zeitlicher Verzögerung - auch dem Müllereigewerbe. Auf dem Stadtgebiet befanden sich 1830 noch 73 Windmühlen, nach 1848 erlitten die Müller schwere Verluste und der Absatz nach Berlin hörte 1870 schließlich ganz auf. In den beiden vorgenannten Branchen betätigte sich Jacob Herzfeld mit nur geringem Erfolg. Im Jahre 1819, dem Geburtsjahr seines Sohnes Levi (Ludwig), wird er als Schnittwarenhändler bezeichnet. Aber er hat sich auch in der Tuchfabrikation versucht: ein immer im Kreis herumgehendes Pferd, so wird berichtet, diente als Antriebskraft für die Webstühle. Der von ihm gegründeten Müllereigenossenschaft war nur ein kurzes Leben beschieden, da er die eingegangenen Wechselverbindlichkeiten nicht einhalten konnte.

Von seinen Geschäftspartnern ist uns aus den Briefen seiner Tochter Bertha nur Nehemia Schmiegielski bekannt, dessen Vater Kürschner und Getreidehändler in Lissa war. Mitglieder dieser Familie waren dann in Guhrau und in Berlin ansässig.

Vor allem das Staatbürgerzertifikat und die Ausübung eines der bereits erwähnten Gewerbe ermöglichten es Jacob Herzfeld, im Jahre 1816 das Guhrauer Bürgerrecht zu erwerben. In den Judenregistern der Stadt, die mit dem Jahre 1814 einsetzten, wurde er mit seiner Familie als fünfte aufgeführt.2 Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten sich wieder Juden in Guhrau angesiedelt. Zunächst ließ sich Markus Löbel Behrel (Beerel) um 1777 dort nieder, er gehörte jedoch der Glogauer Gemeinde an. 1812 zählte seine Familie sieben Personen.3

Die jüdische Gemeinde Guhraus sollte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts über keine eigne Synagoge und keinen eignen Begräbnisplatz verfügen. Nur eine Betstube war vorhanden, in der sich am Sabbat die Gemeindemitglieder versammelten. Es müssen mindestens zehn männliche Personen sein, die über dreizehn Jahre alt sind, um einen Minjan bilden zu können. Die Toten wurden im posenschen Lissa oder in Rawitsch beerdigt.4 Die verstorbenen Angehörigen von Jacob Herzfelds Familie sind nachweislich nicht in Lissa zur letzten Ruhe gebettet worden, so daß nur Rawitsch in Frage kommt. Dort wirkte seit 1814 bis zu seinem Tode im Jahre 1846 als Oberrabbiner Josua Elias Beer Herzfeld, ein Sohn des Glogauer Rabbiners Salomon Dov Beer , zu seinen Vorfahren zählten auch Zwi Aschkenasi und der berühmte Moses Isserles.

Vielleicht war es Josua Elias, der im Frühjahr 1815 die Trauung zwischen Jacob Herzfeld und Liebchen, der 18jährigen Tochter des Lewin Hertz Hertzfeldt, vollzog. Die Familie der Braut war seit langem im westpreußischen Flatow beheimatet und seit Beginn der preußischen Herrschaft im Jahre 1772 dort nachweisbar. Lewin Hertz, der Schwiegervater, war als Kaufmann meist auswärts tätig gewesen, so daß er sich möglicherweise auch zeitweilig in Dobryzin a.d. Drewenz, der Gollub, dem Geburtsort Jacobs, gegenübergelegenen Grenzstadt, aufgehalten hat. Die Stadt gehörte dem Grafen Dzylanski, also der Familie, die bis zur ersten polnischen Teilung im Jahre 1772 auch Flatow besessen hatte. Es kann deshalb, insbesondere, da sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts Mitglieder der Familie Gabriel Levins, die ebenfalls aus Flatow stammten und später den Namen Herzfeld annahmen, in den Nachbarorten niedergelassen hatten, eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen Liebchen oder Wilhelmine, wie sie später genannt wurde, und Jacob Herzfeld vermutet werden.

Sollte die Hochzeit nicht in Rawitsch stattgefunden haben, wird die Braut wie üblich, in ihrem Heimatort, also Flatow, unter die Chuppa, den Traubaldachin, getreten sein.

Unter den Gästen werden sich, neben dem Brautvater Levin Hertz und der Stiefmutter Bräunchen, Liebchens ältere Bruder Nachmann und Leyser sowie der inzwischen dreijährige Nachkömmling Hertz und die Schwester Esther befunden haben. Auf Seiten des Bräutigams, falls noch am Leben, dessen Vater, der Rabbiner Abraham Mendel, und der ältere Bruder Jacobs, Mendel, mit seiner Frau Feibel (Philippine), einer geborenen Schlochow-Munk, die aus dem unweit von Guhrau gelegenen Schlichtingsheim stammte, sowie deren Kindern, von denen uns die Söhne Raphael, der zu diesem Zeitpunkt fünfjährige Marcus und der vierjährige Friedrich Leopold, bekannt sind. Zu erwähnen wäre besonders Louise, die Schwester Feibels, die, was an diesem Tage noch nicht abzusehen war, die zweite Frau Jacob Herzfelds werden sollte.

Die Neuvermählten ließen sich in Guhrau nieder. Im Jahr darauf, am 23. Januar 1816, brachte Liebchen ihr erstes Kind, das den Namen Isaac (Karl) erhielt, zur Welt. Es folgten 1818 Bertha , und am 12. September 1819 Ludwig (Levi). Knapp zwei Jahre später, am 18. August 1821, schenkte sie noch einem Mädchen das Leben, das nach ihr, seiner Mutter, Wilhelmine (Liebchen) genannt wurde, als sie, vermutlich an den Folgen der Geburt, noch im Kindbett starb.

 Man kann davon ausgehen, daß Ludwig an seine leibliche Mutter kaum Erinnerungen bewahrte. Die Stiefmutter Louise, Jacob Herzfeld hatte bald nach dem Tode seiner Frau, die Schwester seiner Schwägerin, Louise Schlochow-Munk, geheiratet, dürfte für seine Kindheit in Guhrau wesentlich prägender gewesen sein. Welche Einflüsse auf den kindlichen Sozialisationsprozess eingewirkt haben, lässt sich nur vermuten. Sicher wird auch durch die Familie Mendels, die Anfang der 20er Jahre bereits in Guhrau ansässig war, mit den Kindern, Ludwigs älteren Vettern und Cousinen, eine gewisse Geborgenheit gegeben gewesen sein. über den Einfluss des Vaters Jacob lässt sich wenig sagen, er war anscheinend zeitgenössischen Erziehungsmethoden verhaftet, denn es wird berichtet, daß er seine Kinder für deren Vergehen zur Strafe auf Erbsen knien ließ.

 

 Schwer sind auch die geistigen Einflüsse auszumachen, die im Jacob waren als Söhne eines Rabbiners vermutlich in Talmud und Thora bewandert. Jedoch werden auch sie sich dem Einfluss der Aufklärung in ihrer jüdischen Form, der ha-lacha, die von Berlin und Königsberg ausgehend sich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung nun im schlesischen Landjudentum verbreitete oder in ihrer christlichen Ausprägung, vermittelt über die gräflichen Familien von Kalckreuth und von Unruh, nicht haben entziehen können.

 

 

Die beiden adligen Familien,- Graf Ludwig von Kalckreuth, auf dessen Gut Zapplau Mendel Herzfeld als Vogt fungierte, war mit Jeanette von Unruh verheiratet -, werden nicht nur aus ökonomischen Gründen sondern aus innerer sittlicher Überzeugung den Juden freundlich gesonnen gewesen sein.

Vor den Folgen der durch Friedrich d. Großen inaugurierten Politik, die armen Juden des Landes zu verweisen und die begüterten vom platten Lande in die Städte umzusiedeln, wo sie Handel treiben sollten, schützte die Familie v. Unruh ihre jüdischen Hintersassen, in dem sie dafür sorgte, daß dem Ort Karge, als Unruhstadt das Stadtprivileg verliehen wurde.

Ebenso versuchten die Kalckreuths mit dem Dorf Schermeisel während der südpreußischen Zeit zu verfahren. Ehe der Flecken zur Kalckreutstadt erhoben werden konnte, kam es in Folge der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstädt und dem damit verbundenen Tilsiter Frieden zur Bildung des Großherzogtums Warschau unter französischer Vorherrschaft. Neben ökonomischen Gründen wird bei dieser Vorgehensweise die in der Aufklärung wurzelnde geistige Einstellung eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben.

Friedrich Adolf Graf v. Kalckreuth, der spätere Generalfeldmarschall, der zunächst eine Erziehung bei den Herrenhutern genossen, dann auf Betreiben Friedrich des Großen durch einen Prediger der französischen Kolonie kalvinistisch erzogen worden war, dann im Garde du Corps, dem Regiment seines älteren Bruders war "durchaus französisch gesinnt; ein Kind der encyclopädischen Richtung des 18. Jahrhunderts, tadelte er die Coalition mit Österreich, den Versuch einer monarchischen Restauration in Frankreich und den Krieg von 1792- 1795". Er war es auch, der dem jüdischen Philosophen Salomon Maimon bis zu dessen Tode am 22. November 1800 auf seinem schlesischen Gut Siegersdorf als Hauslehrer Unterkunft, um nicht zu sagen Unterschlupf gewährte. Dafür, daß diese aufklärerische Haltung nicht nur auf seine Person beschränkt war, spricht, daß sein Neffe, der bereits erwähnte Graf Ludwig nach seiner Übersiedlung von Zapplau in Berlin Mitte der zwanziger Jahre, zu einem Zeitpunkt als sich bereits die romantische Reaktion verbunden mit Deutschtümmelei in Preußen bemerkbar machte, regelmäßig im Salon der Rachel Varnhagen verkehrte. Wir werden weiter unten noch darauf zu sprechen kommen.

Dazu bestand zwischen den Kindern des Grafen Kalckreuth, Richard und Clothilde, und den Söhnen Mendel Herzfelds nur ein geringer Altersunterschied, so daß auch durch den persönlichen Kontakt im Kinder- und Jugendalter ein assimilatorischer Einfluß ausgegangen seien wird, der sich dann insbesondere auf den außerfamiliären Bildungsgang der Herzfeld - Kinder ausgewirkt haben dürfte.

Innerhalb der Familie wurde vermutlich Jüdisch-Deutsch gesprochen. Jacob und Mendel sind im Hochdeutschen, wie aus ihren Briefen ersichtlich, was Ausdruck und Rechtschreibung anbelangt, unsicher. Das mag bei ihren Ehefrauen anders gewesen sein, denn von Ludwigs Stiefmüttern Louise Schlochow und Bertha Plato wird berichtet, daß sie kaum orthographische Fehler machten, wofür auch die Briefe von Jacobs Schwägerin Dorothea Plato sprechen. Was die schulische Bildung anbelangt, so besaß Guhrau zu diesem Zeitpunkt weder eine Synagoge noch eine jüdische Schule. Die Beschneidung der Knaben und die Vorbereitung auf die Bar Mizwa wird durch oder in Anwesenheit des Oberrabbiner J. B. Herzfeld in Rawitsch vorgenommen worden sein. Ob Josua Elias, ein religiös konservativer Mann, erzieherisch auf die Söhne Mendels und Jacobs einwirkte, muss dahingestellt bleiben.

 

 

Der Oberrabbiner Josua Beer Herzfeld in Rawitsch und seine Vorfahren

 

 

Josua Elia, der sich spätestens seit 1804 Josua Beer Herzfeld nannte, wurde am 22. Sept. 1760 als Sohn des Glogauer Rabbiners Dob Beer (Beerusch) und seiner Frau Vogel, Tochter des Baal Pnei Josua, geboren.

Zusammen mit seinem Bruder Salomon trat er 1786 in Rawicz, einer kleinen Stadt im Posenschen unweit der schlesischen Grenze und Guhraus gelegen, das Amt eines Rabbinatsassessors an.

Gut zwei Jahrzehnte zuvor, von 1753 - 1767, hatte Abraham, ein Bruder seines Vaters, dort idieselbe Funktion ausgeübt.

Ob verwandtschaftliche Beziehungen zu Ludwig Herzfelds Vater Jacob und dessen älterem Bruder Mendel bestanden, läßt sich nicht definitiv sagen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde vor Josua Beer im Jahre im Jahre 1815 die Ehe zwischen Jacob und Liebchen Herzfeld geschlossen, und er wird auch die Trauungen zwischen Louise Schlochow und später Bertha Plato mit Jacob Herzfeld vollzogen haben. Mit Sicherheit hat er die Frauen Jacobs zu Grabe geleitet, denn Guhrau besaß bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts keine eignen jüdischen  Friedhof, und da sie nachweislich nicht in Lissa beerdigt wurden, kommt nur der Rawitscher in Betracht. In seiner Gegenwart werden Carl (Isaac), Ludwig (Levi) und Albert beschnitten worden sein und die Söhne Jacobs werden auch in der Synagoge von Rawicz ihre Bar Mizwa gefeiert haben.

Die Rawitscher Gemeinde hatte sich nicht lange zuvor aus der Abhängigkeit von Lissa gelöst, hatte eine zentrale Synagoge gebaut und einen eignen Rabbiner, Menachem Mendel b. Josef Joske Gradenwitz, der aus Kurow stammte, berufen. Jedoch bedurfte es wohl einigen Drucks, auch von Selten der weltlichen Obrigkeit, ehe sich die neuen zentralen religiösen Institutionen durchsetzten,

 

"Da ich erlaubt habe meiner jüdischen Synagoge allhier in Rawicz ein Gotteshaus aufzubauen, darinnen ihren Gottesdienst zu verrichten, alsdann thue ich zu wissen, daß in keinem Wohnhause, es mag Namen haben, wie es will, ihren Gottesdienst zu verrichten oder Schule zu halten das alles nicht erlaubt ist, ausgenommen das  Beth-ha-Midrasch und die Krankenzeche, auch die zwei Glogauschen Judenrabbiner, die hergekommen sind, dieselben haben frey ihren Gottesdienst in ihren eignen Häusern zu verrichten. Außer dieselben hat niemand frei, keine Nebenschul oder Gottesdienst in Wohnhäusern zu verrichten, bei 20 Dukaten Strafe auf das Schloß. Die Aeltesten sollen darauf Acht haben, daß keine Nebenschulen nicht gelitten werden. So geschehen, mit meinem Geburtsinsiegel, daß alle Schul-Sachen von die Nebenschulen zu dem hiesigen erlaubten Gotteshaus gegeben werden sollen.

              Johann Mycielski"4

Bei den in der Mycielskischen Anordnung erwähnten Rabbinern handelte es sich um Salomo und Josua Elia.

Nach dem Ableben des Menachem Mendel, bedingt durch seine Altersschwäche hatte er schon in den letzten Jahren nicht mehr amtieren können und war durch den Rabbinatsassessor Israel Wreschner vertreten worden, übernahm 1793 Salomo das Rabbinat, das er bis 1813 innehaben sollte. - während der Amtszeit Salomos hatte die Gemeinde, Rawicz war in Folge der zweiten Teilung Polens preußisch geworden, mit ständig steigenden Schulden zu kämpfen.

Im Jahre 1798 wurde festgestellt, daß die Gemeinde 12 300 Gulden an ablösbaren Schulden hatte. Weitere 34 532 Gulden wurden an Kapitalien, deren Kündigung nicht vorgesehen war, geschuldet.

Für die letztgenannten Verbindlichkeiten musste jährlich eine beachtliche Zinssumme aufgebracht werden. Dazu traten eine Reihe von Steuern wie die Staats-, die Rekruten-, die Trauschein und die Koscherfleischsteuer.

Aber die neue preußische Herrschaft brachte nicht nur Nachteile, Es gingen Impulse für eine Reform der jüdischen Schul- und Erziehungsanstalten aus, So schlugen die Gemeindeältesten 1794 vor:

 

"In den jüdischen Schulen ist bist bisher nicht viel mehr als Hebräischlesen gelehrt worden, und der Lehrer, der öfters das Hebräische selbst nicht versteht, kann sich in diesem Falle auf keine Erklärung des Gelehrten einlassen. Versteht er aber auch das Hebräische, so ist die jüd.-teutsche Sprache so voller Unrichtigkeiten, daß immer eine fehlerhafte Erklärung herauskommt. Es würde demnach nicht undienlich sein, wenn jüdische Schulmeisterseminarien angelegt würden, worin die künftigen Schulmeister nicht nur die teutsche Sprache, sondern auch die hebr. richtig erlernten und in den Stand gesetzt würden, dieses ihren Lehrlingen wieder richtig beizubringen. Würde hiermit noch eine vernünftige Moral und etwas Physik verbunden, so würde dieses den wohltätigen Einfluß auf das ganze Leben verbreiten und die Juden zu vernünftigen und eigentlich religiösen Staatsbürgern gebildet werden.“5

 

 

Salomos Bruder, Ahron Josua Elia, übte in Rawicz bis Ende des 18. Jahrhunderts das Amt eines Rabbinatsassessors aus, dann folgte er einem Ruf nach Königsberg in Preußen

 

 

 

 

 Die Vorfahren des Rabbiners Josua Beer Herzfeld

 

 

Zu seinen Vorfahren gehört der berühmte Moses Ben Israel Isserles (geb. um 2520 - gest. 1572), er war der Sohn eines sehr reichen und angesehenen Mitgliedes der Krakauer jüdischen Gemeinde, in der er ein Vorstandsamt inne hatte, Bereits als Kind zeichnete sich Mosche durch Frühreife und eine umfassende Gelehrsamkeit aus. Frei von materiellen Sorgen konnte er sich in das Studium des Talmud vertiefen. "Er erlangte bald einen solchen Ruf, daß er noch halb im Jünglingsalter zum Rabbiner-Richter in Krakau ernannt wurde. Mit dreißig Jahren umfaßte er das ganze Gebiet der talmudischen und rabbinischen Literatur ebenso gründlich wie der noch einmal so alte Joseph Karo."6 Wie dieser fühlte auch Isserles das Bedürfnis, das zerstreute und vielfältige Material des rabbinischen Judentums zu sammeln und abzuschließen.

Mit der Abfassung eines Kodex ('Tafel') war ihm jedoch Joseph Karo zuvorkommen, so daß er nur Ergänzungen Anmerkungen und Berichtigungen) dazu anfügen konnte, was er in seiner 'Mappa' niederlegte. "Da die deutsche Judenheit von jeher skrupellöser als die übrige war, so fielen Isserles' aus dieser Quelle entnommenen Nachträge und Ergänzungen erschwerend aus."7

Seine Entscheidungen, die sogleich breite Anerkennung fanden, bildeten bis ins 20. Jahrhundert für deutsche und polnische Juden sowie für die dadurch beeinflußten 'die religiöse Norm', das offizielle Judentum.

Ober seine Talmudstudien hinaus beschäftigte sich Isserles mit Astronomie, so schrieb er einen Kommentar zu Frohbachs astronomischen Werk 'Theorica', mit Philosophie (wobei er sich insbesondere mit Moses Maimonides' 'Führer' auseinandersetzte) und mit Geschichte. Sein Interesse an diesen Gegenständen wirkte befruchtend auf seine Schüler wie etwa David Gans (geb. 1541 in Westfalen - gest. 1613 in Prag).

 

Ein Abkömmling des Moses Isserles war Naphtali Herz (R. Zewi Aschkenasi). Seine Frau stamme aus Altofen; sie wurde zusammen mit ihrer Tochter bei einer Belagerung der Stadt durch eine Kanonenkugel, die in ihre Wohnung einschlug, getötet (1686). R. Zewi Aschkenasi bekleidete danach kurze Zeit die Rabbinerstelle in Bosna-Serai und kam nach mancherlei Reisen nach Altona. Zwi Aschkenasi, der sich durch Geistesstärke und Gelehrsamkeit auszeichnete, wählte als amtierender Rabbiner für sich den sefardischen Titel 'Chacham'. Er gründete 1690 in Altona eine Klaus und lehrte dort als deren Rabbiner 20 Jahre. Hier in Altona heirate er erneut und zwar Sara, die Tochter des Meschullam Salomon Mirels des Oberrabbiners der Dreigemeinde (Altona, Hamburg und Wandsbek). Seine Gattin Sara, etwa 1678 geboren, schenkte ihm fünf Söhne und fünf Töchter, von denen der älteste Jacob Israel Emden, ein bedeutender Gelehrter, durch seine Gegnerschaft zu R. Jonatan Eibeschütz bekannt ist. Im Jahre 1707 wurde Zwi Aschkenasi als Nachfolger seines Schwiegervaters zum Oberrabbiner der Dreigemeinde bestellt. "Aufgrund von Zwistigkeiten innerhalb der Gemeinde legte er kurze Zeit später sein Amt nieder und wanderte nach Amsterdam aus. Von 1710 bis 1714 war er hier als Rabbiner der deutschen Gemeinde tätig. In der Auseinandersetzung mit dem Sabbatianer Nehemia Chajon fühlte er sich nicht genügend von der Gemeinde unterstützt und legte sein Amt nieder. 1714 wurde er nach Lemberg als Rabbiner berufen, ...".8

Dort starb er am 1. Jjar (1./2. Mai) 1718. Neun Monate später folgte ihm seine Gattin Sara, erst 41 Jahre alt, am 3. (23. Januar) 1719 in den Tod  nach.

 

                                                  Zwi Aschkenasi (1658-1718) (Zwi Hirsch Ben Jacob)

 

R. Hirsch Bialeh, 'Charif' (der Scharfsinnige) genannt, ein Sohn Zwi Aschkenasis aus erster Ehe war Vorsteher der Talmudhochschule in Lemberg. Nach einem Aufstand des Pöbels wanderte er aus. (Seine Nachfolger, das Brüderpaar R. Chajim und R. Jehoschua Reizim, wurden aufgrund falscher Anklage, sie hätten einen Renegaten wieder zum Judentum bekehren wollen, am Rüsttag des Schewuotfestes, Fest der Gesetzgebung, 1728 in Lemberg öffentlich gevierteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.)

Er wurde zum Oberrabbiner in der sehr bekannten polnischen Gemeinde Biala-Polaska, unweit von Brest-Litowsk (im hebräischen Schrifttum als Brisk bekannt) ernannt, doch mußte er diese Stadt sehr bald verlassen. Über seine Berufung nach Halberstadt im Jahre 1718 ist eine interessante, für diese Zeit bezeichnende Erzählung überliefert. Ein in der Gegend berüchtigter Gutsbesitzer (im Hebr[HW1] äischen „Poritz“, der Gewaltsame) hatte ein Auge auf R. Hirschs Tochter geworfen, so daß die Eltern sich genötigt sahen, diese so schnell wie möglich mit einem Schüler R. Hirschs, R. Meier Brisker zu verheiraten. Der Poritz versuchte jedoch, die Braut während der Trauung zu entführen, worauf ihn der Bräutigam niederschlug. Die Folge war die Verhaftung der ganzen Familie, was für viele von ihnen und vor allem dem Vater der Braut und ihrem Bräutigam mit der Todesstrafe hätte enden können. Von dieser Gefahr hörte (...) Berend Lehmann, der auf einer seiner vielen Geschäftsreisen nach Polen in der Nähe weilte. Es gelang ihm die Gefangenen gegen ein hohes Lösegeld zu befreien, und er schlug R. Hirsch vor. Ihn mit seiner Familie und einer Reise seiner Schüler nach Halberstadt zu begleiten, um dort als Leiter des Beth Hamidrasch zu fungieren. R. Hirsch nahm das Angebot an, obwohl er Aussichten hatte, in seinem Heimatland in einer viel größeren Gemeinde tätig zu sein.“9

„Er wurde von mehreren Schülern begleitet, darunter befand sich auch sein Schwiegersohn Mosche Brisk, ein Sohn des Israel Isserles, der für sein umfangreiches Wissen berühmt war. Die Gemeinde verpflichtete sich 18 bei ihm studierende "Jünglinge zu verköstigen, einen fixen Jahresgehalt von 300 Talern neben allen bisherigen geistlichen und richterlichen Emolumenten ihm zu entrichten und eine schöne Wohnung in Bereitschaft zu stellen'.10

Neben der Gelehrsamkeit bewunderten seine Schüler an R. Hirsch Charif "seine Milde, sein friedliebendes und demütiges Wesen, seine Herablassung gegen jeden, seine Dienstfertigkeit mit der höchsten Uneigennützigkeit gepaart, das Alles gab seinem Bilde eine unwiderstehliche Anziehungskraft, wodurch er sogleich Aller Herzen sich gewann und Jeden, der ihm nahe kam, eben so wohl mit Achtung und Ehrfurcht, als mit inniger Liebe erfüllte. Mit einem Wort: R. Hirsch galt seiner Gemeinde und seinen Schülern als das höchste Muster der Menschennatur und in ganz Deutschland als maßgebende Autorität. Seine halbjährigen Chilukim (Dissertationen) waren allerdings mit Pilpul verwebt, aber sein Schiur-Vortrag war markig, ideell und nur auf das Verständnis der Quellen-schriften gerichtet. Über 'lectiones variantes', welche Edeles und Loria verwarfen, pflegte er sich zu äußern: 'mechkenen (anstreichen und verwerfen) ist keine Kunst', und sein kritischer Blick wies dann scharfsinnig nach, daß gerade die alten schwierigen Lesarten die echtesten seien. Besonders haben wir hervorzuheben, daß er die damalige Ausartung der schwindelnden Pilpul-Chilukim mit den schärfsten Worten geißelte und kein Werk solchen Inhalts approbirte".11

Berühmt war Rabbi Hirsch auch für seinen strengen Rechtssinn: 'Ein Berliner Jude, bei welchem Rabbi Hirsch in früheren Jahren Gastfreundschaft genossen, der aber im Laufe der Zeit fast vermögenslos wurde, hatte einen Rechtsstreit mit einem Glaubensgenossen in Hannover. Beide kamen überein, den Streit durch R. Hirsch schlichten zu lassen. Der Berliner voll innerer Freude über die Zustimmung des Gegners, die Sache vor das Forum seines befreundeten ehemaligen Gastes zu bringen, eilte nach Halberstadt und setzte R. Hirsch von dem erwähnten Kompromiß in Kenntnis. Aber wie mußte er staunen, als R. Hirsch sich entschieden weigerte, den Rechtsstreit auch nur anzuhören. Auf des ersteren dringende Bitte, ihn nur anzuhören und zu bedenken, daß er und die andere Partei die große Reise gemacht hätten, um seinen Urteilsspruch zu vernehmen, erwiderte er: 'Gehe zu R. Mosche Brisk, der weiß ebenso gut Bescheid, als ich. Er wird freilich die Sache nicht annehmen, ohne meine Erlaubnis einzuholen, ich werde sie ihm erteilen, wenn Du mir zuvor mit Handgelöbnis erhärtest, daß Du vor Entscheidung des Prozesses es niemanden mitteilst, daß ich in früheren Jahren mit Dir befreundet, Deine Gastfreundschaft genossen habe.' Der Berliner versprach dies und hielt auch Wort. Aber R. Mosche entschied den Prozeß zu dessen Ungunsten. Kaum hörte dies R. Hirsch, so ließ er den Berliner rufen und erzeigte ihm in seinem Hause vierzehn Tage die aufmerksamste Gastfreundschaft und bewirkte inzwischen durch eigne und anderer Mildtätigkeit, daß er seinem Freunde durch den ungünstigen Ausgang des Prozesses entstandenen Verlust einigermaßen ersetzt wurde."12

Gepaart war dieses Gerechtigkeitssinn mit viel Menschlichkeit, was aus einer anderen Begebenheit deutlich wird: "Einen seiner vorzüglichsten Schüler, der sehr verschlafen war und häufig den Frühgottesdienst in der Jeschiba versäumte, stellte er darüber zur Rede, besonders hervorhebend, daß er auch montags und donnerstags, an welchen Tagen die Thora vorgelesen wird, nicht erscheine. Sarkastisch antwortete der Schüler: 'Montags und donnerstags komme ich nicht, weil ich nicht Gefahr laufen will, 40 Tage fasten zu müssen, wenn ein Schlumiel (ungeschickter Mensch) beim Hagbahna-Nehmen (die Thorarolle wird,

3 Seiten breit aufgerollt, frei in die Höhe gehoben), die Thorarolle fallen läßt'. 'Mein Sohn', antwortete Hirsch, 'so oft Du kommst, sollst Du Hagbaha nehmen.' Der schläfrige Student merkte sich diese Antwort, kam zur rechten Zeit, und R. Hirsch hielt Wort, verehrte ihm jedesmal die Hagbaha. Darob fühlten sich die anderen Studenten, welche nie den Frühgottesdienst versäumt hatten, sehr zurückgesetzt. Dieses merkend begann R. Hirsch seine nächste Vorlesung mit der Frage: 'Warum sagen unsere Weisen, 'die wahrhaft Bekehrten werden im jenseitigen Leben einen höheren Lohn erhalten, als diejenigen, welche die Sünde

nicht kennen?' 'Eine Parabel gibt uns die Antwort. Ein Fürst setzte über seinen Weinkeller einen sehr enthaltsamen und einem dem Trunke sehr ergebenen Diener. Als er den Lohn auszahlen wollte, gab er dem Enthaltsamen den einfachen, dem Trunkenbold aber doppelten Lohn. Jener fragte, habe ich nicht gleichmäßig gewacht, warum erhielt dieser das Doppelte ? Der Fürst erwiderte: Dieser ist das Trinken gewohnt, mußte sich große Gewalt antun, den Wein nicht zu berühren, du aber bist an Enthaltsamkeit gewöhnt, und es fiel dir nicht schwer, den Wein unberührt zu lassen, darum erhält jener größeren Lohn.'"13

 

Rabbi Hirsch hatte den Halberstädter Rabbinerstuhl 30 Jahre inne. Bis ins hohe Alter studierte und lehrte er wie ein Mann in den besten Jahren, fast ohne Unterbrechung vom Aufgang der Sonne bis zu deren Untergang. Es war für ihn immer eine Freude unter seinen Schülern zu weilen, um sie im Erforschen des Talmud einzuüben. Rabbi Hirsch starb im hohen Greisenalter am Festtage Gedalia 1748.

"Wer seine Tätigkeit im Lernen und Lehren noch an den vergangenen Tagen des Rosch 'Haschana gesehen, den soll die plötzlich eintretende Körperschwäche und der nach einigen Stunden erfolgte Tod sehr überrascht haben. Und nur das Aufhören des Atmens kündigte den Umstehenden des Sterbelagers seinen Tod an. Die gewöhnlichen Vorboten, tiefes Röcheln, heftige Zuckungen der Gliedmaßen, Verzerrung des Gesichtes u.s.w., nichts davon war sichtbar; seine gewöhnliche Freundlichkeit lag auf seinen Lippen wie immer und es schien, als wenn Gott selbst ihn von der Erde weggenommen hätte."14

 

Wie so häufig bei berühmten Rabbinern wird uns auch bei R. Hirsch nichts über seine Frau berichtet. Sie könnte eine Schwester des Pene Jehoschua, der noch größeren Ruhm als R. Hirsch Charif genoß, gewesen sein. Möglicherweise war aber auch eine Schwester des R. Hirsch mit Pene Jehoschua verheiratet.

 

Im Memorialbuch von Halberstadt werden uns fünf Söhne genannt, die an sittlicher Würde und Gelehrsamkeit ihrem Vater ähnlich gewesen sein sollen: R. Salomo Dob Berusch, Schwiegersohn des Pene Jehoschua, später Rabbiner in Glogau und Rabbi Naphtali Herz, Rabbiner in Dubno. Ferner sind noch aufgeführt: Abraham, Rabbiner in Rawicz, R. Samuel, Rabbinatsassessor in Halberstadt und R. Simcha, der Rabbiner in Dessau wurde. Zur Verwandtschaft des letzteren soll Moses Dessau, der Großvater Moses Mendelssohns, gehört haben.

 

Der erwähnte Salomo Dob Berusch, Rabbiner in Glogau, war der Vater des Josua Elia (Josua Beer Herzfeld). Glogau wurde Ende des 18. Jahrhunderts noch zu den jüdischen Gemeinden Polens gerechnet, so daß Salomo Dob Berusch von dem berühmten Mendelssohn-Schüler Wessely als 'Rabbiner aus Polen' bezeichnet werden konnte. Dies geschah im Zusammenhang mit der Kontroverse um die deutschsprachige Pentateuch-Uebersetzung Moses Mendelssohns, die von vielen konservativen Rabbinern abgelehnt wurde. Zu den Gegnern gehörte nachweislich auch Naphtali Herz, ein Bruder des Berusch. Herz, der das Rabbinat von Dubno in Wolynien bekleidete, drängte Salomo Dubno, den Verfasser des Kommentars und anderer Erläuterungen zur Pentateuchübersetzung, Moses Mendelssohn die Mitarbeit aufzukündigen; dies geschah im Sommer 1781. Dubno selbst berichtete darüber: "Ich habe meinen Jugendlehrer, Naphtali Herz von Dubno, zur Zeit als dieser durch Berlin kam und mir mit den Worten Vorwürfe machte,  daß ich im Bunde mit denen arbeite, die, wie ihm Rabbiner von Prag und Hamburg geschrieben, darauf ausgingen, unsere Thora aus der Wurzel zu reißen, daß Versprechen gegeben, mit dieser Gesellschaft zu brechen und mich von Berlin zu entfernen ... Einige zur Ausführung des Werkes herangezogene Helfer ... standen so sehr in Verdacht, das Joch der Thora abgeworfen zu haben, daß es wahrlich geboten war, sich von ihnen zu entfernen."15

 

Die Rolle, die in diesem Streit Salomo Dob Berusch spielte ist nicht eindeutig geklärt; Heinrich Graetz, der große Historiker des Judentums, rechnete ihn zu der Gegnern der Pentateuchübersetzung. Dabei stütze er sich auf die von Friedländer verfaßte Einleitung eines von Moses Mendelssohn an ihn gerichteten Briefes. "Der Brief war bestimmt ... um den alten Wessely gegen die Verfolgung des Ob. Land. Rabb. (Hirschel Levin) zu schützen, welcher besonders von den Rabbinern in Glogau und Lissa aufgereizt, willens war, dem Wessely das Drucken zu verbieten."16 Güdemann konnte aus einem erhaltenen handschriftlichen Sendschreiben Wesselys belegen, daß nicht Dob Berusch, sondern Elia Chassid aus Wilna der vierte Gegner im Bunde gewesen war, jedoch konnte man nicht daran zweifeln, "daß Dob Berusch, Rabbiner von Glogau, wenn auch nicht zu den drei polnischen gehörte, jedenfalls zugleich mit David Tewele einen Druck auf den Berliner Rabbiner Hirschel Levin ausgeübt hat, damit er Wessely das Schreiben und Drucken zu Gunsten der Humaniora verbieten möge". Bei dem genannten Berliner Rabbiner handelte sich um einen Cousin des Dob Berusch.17

Salomo Dob Bär (Berusch) verstarb am 3. Tam. 1784 in Glogau. Er war verheiratet mit Voegelchen, der Tochter des berühmten Talmudgelehrten Pene Jehoschua. Die Namen von vier Kindern, die aus dieser Ehe stammten, sind uns bekannt: Salomo, Joschua Elia, Sarah und Drossel.

Voegelchen folgte am 7. Juni 1791 ihrem Mann in den Tod nach. Sie hatte ihre letzten Lebensjahre vermutlich in Rawicz bei den Söhnen verbracht, jedenfalls wurde sie dort beerdigt.

Grabschrift der Gräber der Rabbiner R. Salomo und R.

 

 

 

 

 

 

      

 

 

 

 

 

 

 

 Aharon Josua Elia

 

 

   

 

 

                                    

                                          

 

                                      

              

                         

   Das Sterbejahr sr nach dem p"m  das Jahr mpn = 7. Suni 1795

 

 

 

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Um diese Zeit nahm er auch den deutschen Familiennamen J. B. Herzfeld an, wobei das 'B' für den Vaternamen 'Bär' stand.

Seit dem Jahre 1800 hielt sich Josua Elia in Königsberg auf und übte wohl dort bereits vor seiner offiziellen Bestallung am 7. Juni 1810 das Amt eines (Vize-} Rabbiners aus.

Seine Eheschließung mit Ester (geb. 1. Dez. 1766) und die Geburt seines Sohnes Saul (21. Febr. 1799) werden noch in Rawicz stattgefunden haben. Hier heiratete auch die Tochter Gertel den Itzig Benjamin Oberndorf aus Breslau im Jahre 1799. Zwei weitere Töchter, Golde (geb. 10. Juni 1802) und Marie (geb. 24. 0kt. 1807) kamen in Königsberg zur Welt.18

J.B. Herzfeld stand beruflich vor schier unlösbaren Problemen. Neben Berlin war Königsberg ein Zentrum der 'Halacha', der jüdischen Aufklärung. Insbesondere bei den Jüngeren in der jüdischen Gemeinde hatten die Gedanken Moses Mendelssohns Eingang gefunden. All jene, die sich der Aufklärung verpflichtet fühlten, scharten sich um die von Isaac Abraham Euchel, Samuel Wulff Friedländer und Simon Joachim Friedländer mitbegründete Zeitschrift 'Ha - Meassef' ('Der Sammler'), die erstmals am 21. Oktober 1783 in Königsberg erschien.19

Die veränderte Geisteshaltung fand auch ihren Ausdruck im Äußeren Erscheinungsbild des 'aufgeklärten' Juden. Der schwarze Kaftan wurde abgelegt, statt dessen trug man - der friderizianischen Mode entsprechend - ein Hemd mit Spitzenärmeln, einen bis zur Taille geknüpften Gehrock, unter dem die Kniehose aus Samt hervor sah, und Schnallenschuhe, Bart und Pajes waren verpönt, dafür bevorzugte man Haarbeutel und Zopf.20

Neben dem sich verstärkendem Einfluss Mendelssohnscher Ideen kamen die Gedanken der französischen Revolution, die zeitweilige Okkupation Königsbergs durch die Franzosen in Folge der Niederlage Preußens und schließlich in Reaktion darauf die Stein-Hardenbergischen-Reformen mit ihrem für die Juden bedeutenden Edikt vom 11. März 1812.

Die Gegensätze prallten also nicht nur im religiösen, sondern auch im privaten und öffentlichen Leben hart aufeinander.

Welche Haltung nahm nun Josua Beer Herzfeld zu den drängenden Fragen der Zeit ein ? Dem Gedanken Mendelssohns, dass die Juden den Anschluss an den Staat suchen sollten, stand er anscheinend nicht ablehnend gegenüber, wie wir aus den Feiern vom 18. Januar 1802 aus Anlass des hundertjährigen Krönungsfestes schließen dürfen, "In der Synagoge hielt Rabbiner Josua Beer Herzfeld eine Festrede, Cantor S, Mendel sang den 61, Psalm und 200 Taler wurden an die Armen verteilt".21  Diese Gesinnung wird auch aus einem Bericht der Hartungschen Zeitung vom 22.November 180422 deutlich:

 

 

,,Vorigen Mittwoch, als den 14ten November begieng die hier

unter dem Nahmen Chevras Gaumle Chasadim bestehende jüdische Gesell-schaft ihr  hundertjähriges  Jubiläum auf folgende Weise:

,,Des Morgens waren die Mitglieder dieser Gesellschaft und der grösste Teil der hiesigen jüdischen Kolonie in der Synagoge beim gewöhnlichen Morgengottesdienst gegenwärtig; und wurden einige auf den Tag und die feierliche Handlung Bezug habende Psalmen und Gebete abgesungen auch von der Gemeinde für das Wohl des Königs und des königlichen Hauses gebeten.

,,Mittags versammelte sich die ganze Gesellschaft auf dem Kneiphöfischen Junkerhofe wo der hiesige verdienstvolle Rabbiner Rabbi Josua Beer Hertzfeld eine kurze inhaltreiche deutsche Rede hielt, in der er zur Unterhaltung dieser edlen Stiftung mit einer ihm ganz eigenen Herzlichkeit aufmunterte, und die er mit diesen Worten beschloss: ,,Scheuet nicht, meine Brüder, das Eulengeschrei, welches sich jetzt so unwürdig wider Euch erhebet, sondern fahret fort gerecht und gut zu sein, denn noch lebt Gott und unser gerechte Landesfürst Friedrich Wilhelm III. Er lebe hoch!" Und nun erscholl es durch den ganzen Saal: Er lebe hoch! ,,Nur wenige Augen waren die Rührung zu verbergen in Stande, in welchen sie durch diese erbauliche Rede versetzt wurden.

        Die  Wirkung derselben zeigte sich, als die würdigen Vorsteher der Gesellschaft bald nachher eine Kollekte eröffneten; man drängte sich hinzu und gab mit vollen Händen.

,,Dann wurde zu Mittag gespeist und beim Schall der Pauken und Trompeten die Gesundheit unsers theuersten Königs Majestät wie auch unsrer hochverehrten Landesmutter, der Königin Majestät und des ganzen königlichen Hauses ausgebracht, wobei jedesmal ein allgemeines herzliches Vivat erscholl; das Ganze beschloss eine fröhliche Abendmahlzeit."

 

 

 

 

 

In seinem Schlusssatz "Scheuet nicht, meine Brüder, das Eulengeschrei, welches sich jetzt so unwürdig wider Euch erhebt", aus dem auch die konservative Grundhaltung J.B. Herzfelds in religiösen Fragen deutlich wird, spielt er auf die inneren Auseinandersetzungen in der Gemeinde an.

 

Der Königsberger Zweig der Gesellschaft der Freunde hatte sich aufgelöst, was für Unruhe bei den Liberalen sorgte. Auf der anderen Seite waren Forderungen laut geworden, daß jeder Jude, der mehr als einen Sohn und eine Tochter habe, zu verpflichten sei, wenigstens eines der Kinder mit einem Christen zu verheirateten daß man die Juden zwingen solle noch andere Geschäfte als den Handel zu wählen, etwa ein Handwerk bei einem Christen zu erlernen, wo die jüdischen Lehrlinge dann auch noch beköstigt werden sollten, Diese Forderungen liberaler Kreise innerhalb der jüdischen Gemeinde beunruhigten naturgemäß die Konservativen.23

J.B. Herzfeld sah wohl die Gefahr, daß eine gesellschaftliche Integration die Humboldtsche These vom zwangsläufigen Obergang der Juden zu einem humanisierten Christentum bewahrheiten konnte, So wandte er sich 1806 in einem an den Vorstand gerichteten Schreiben gegen die öffentliche Übertretung des Zeremonialgesetzes durch manche Gemeindemitglieder; seiner bitteren Klage schloss er Forderungen nach Maßregeln an, die Abhilfe bringen sollten, Freilich waren seine Bemühungen vergeblich,

Schließlich begannen 1812 die Verhandlungen und Kämpfe um die Neugestaltung des Unterrichtswesens, Einführung der deutschen Predigt und andere neuere Einrichtungen des Gottesdienstes".24 Dies alles mag dazu geführt haben, daß J.B. Herzfeld nach den Befreiungskriegen freiwillig sein Amt niederlegte, Als man ihn nach dem Grund fragte, antwortete er, weil dies die erste Frage sei, die man ihm während seiner Amtszeit vorgelegt habe.

Da zwischenzeitlich (1. Mai 1813) sein Bruder Salomo in Rawicz gestorben war, folgte er 1815 dem Ruf, den vakanten Rabbinatssitz zu übernehmen.

 

In Rawicz sollte sich J.B. Herzfeld jedoch mit ähnlichen Problemen wie in Königsberg konfrontiert sehen, "In seinem Anstellungskontrakt war ihm das Recht zugesprochen worden, stets 10 Talmudschüler zu halten, für deren Verpflegung größtenteils die Gemeindemitglieder zu sorgen hatten. Mit der Zeit hatte sich jedoch deren Anzahl so vermehrt, daß es schwer wurde, den Unterhalt für sie aufzubringen. 1836 sah sich der Gemeindevorstand genötigt, dem Rabbiner aufzugeben, die Zahl einzuschränken, es sollten fortan nur je 6 Talmudschüler geduldet und nur solchen der Aufenthalt gestattet werden, die vom Vorstand dazu die Erlaubnis erhalten hatten."25

Vergeblich war auch hier sein Bemühen, sich den Strömungen der Zeit entgegen zu stellen. Gegen die Anordnung seines Gemeindevorstandes nicht mehr namentlich zur Thora-Vorlesung aufzurufen, legte er im Jahre 1841 Beschwerde bei der Regierung ein:

 

    So sehr es mich schmerzen muß, gegen meine eigenen Glaubensgenossen, ja sogar meine Vorsteher, Beschwerde führend aufzutreten, so kann ich solches dennoch nicht unterlassen, nachdem jede gütige Ermahnung erfolglos geblieben.

 Es hat sich vor einiger Zeit ein Theil des hiesigen, Korporations-Vorstandes, an dessen Spitze der H. Isaac Caro, herausgenommen, einen Gebrauch, welcher schon langer als 500 Jahre in allen jüdischen Gemeinden besteht, beim öffentlichen Gottesdienst abzuschaffen ohne mich als jüdisches Oberhaupt der Corporation auch nur im mindesten hierüber zu befragen.

Als ich das Benehmen des Korporations-Vorstandes in dieser Angelegenheit ernstlich tadelte und ihm seine Handlungsweise als unseren religiösen Gesetzen zuwider verwies, wurde ich nicht einmal einer Antwort seitens desselben gewürdigt. Eine solche Anmaßung seitens des Vorstandes kann durchaus durch kein gesetzliches Motiv gerechtfertigt werden, und um so weniger, als das Allerhöchste Gesetz vom 1. Juni 1808 den Korporationsbeamten nur die Verwaltung des Vermögens der ersteren sowie die Sorge für den Unterricht der Jugend, keineswegs aber das Patronat der Synagoge oder auch nur die Anordnung des öffentlichen Gottesdienstes einräumt. Obgleich nach unseren Staatsgesetzen die vorgesetzten Behörden sich in unsere religiösen Angelegenheiten nicht zu mischen haben, so kann es dennoch der Allerhöchste Wille unseres Allergnädigsten Königs nicht sein, daß bei unseren religiösen Verfassungen es jedem Laien freistehen sollte, beim öffentliche Gottesdienste Gebräuche nach eigenem Gutdünken einzuführen oder abzuschaffen. Ich erlaube mir demzufolge an Ew. Hochw. die unterthänigste als dringende Bitte zu richten: Hochgeneigtest dem Korporations-Vorstande solche Anmaßungen ernstlich verweisen und demselben aufgeben zu wollen, sich in Betreff des Gottesdienstes ganz in meine Anordnungen als deren religiöses Oberhaupt zu fügen. Ich darf bei der bekannten Humanität Ev.-Hochw. der hochgeneigten Gewährung meiner gehorsamsten Bitte entgegensehend und verharre ich in tiefster Ehrerbietung ergebenster

                 Der Oberrabbiner Josua Beer Herzfeld.“

 

Der Gemeindevorstand setzte jedoch seine Bemühungen um eine Reform des Gottesdienstes mit Erfolg weiter fort.

Aus dem Privatleben J.B. Herzfelds ist uns wenig bekannt, er erblindete im Jahre 1827, konnte aber durch eine Operation als 70 jähriger sein Augenlicht zurückerhalten. - Ein Zeitgenosse26 ,

der ihn in dieser Zeit , im Jahre 1830, kennen lernte, bezeichnete  ihn als Mann "von einiger deutscher Bildung“.

Am 25. August 1846 starb Josua Beer Herzfeld. Nach dem Grabstein und dem Nekrolog zu urteilen, wurde er in Rawicz beerdigt. Soweit wir Leiser Landshuts Toldoth Ansche Haschem" (Berliner Rabbinergeschichte) vertrauen können, ist er jedoch in Berlin gestorben; vielleicht man ihn kurz darauf an die Stätte seines Wirkens überführt.

 Unsere Gemeinde hat am 25. d. M. durch das Hinscheiden  unseres Oberrabbiners Herrn J. B. Herzfeld  einen sehr großen Verlust erlitten. Dieser würdige, allgernein geachtete Mann, welcher 32 Jahre mit unermüdlicheren Eifer unserer Gemeinde als  Seelenhirte vorgestanden, hat ungeachtet vieler Leiden und mehrjähriger Krankheit dennoch das hohe Alter von 88 Jahren erreicht. Wir enthalten uns jeder Aeusserung über dessen Kenntnisse im Talmud und anderem Wissenschaften sowie über dessen musterhaften höchst rechtlichen Lebenswandel, indem dessen Ruf in allen Gemeinden Israels längst begründet ist.  Der Schmerz über dieses traurige Ereignis hat sich erst  bei der Beerdigung kundgegeben, wo alle Geschäftslokale geschlossen waren und fast alle Gemeinde-Mitglieder  sowie die Schuljugend in tiefer Trauer der theuren Leiche bis zum Friedhofe folgten, woselbst von mehreren Rabbinern auf eine herzergreifende Weise die Gemeinde auf ihren großen unersetzlichen Verlust  aufmerksam gemacht wurde. Jeder fromme Israelit wird gewiß unseren Schmerz theilen und in Wehmuth mit uns ausrufen: Friede seiner Asche

Rawicz,den 30.August 1846.

Die Verwaltungsbeamten der israelitischen Korporation.

 

              Das Lissaer Synagogenbuch widmet ihm folgenden Nachruf:27

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

            Grabinschrift des Rabbiners R. Ahron Josua Elia

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weh uns über unseren Verlust, denn die Krone unseres Hauptes ist gefallen ! Hier liegt begraben unser Lehrer und Meister, der hochw. Rabbi, der berühmte Weise, der die Zierde der Zeit und ihrer Pracht war.

Viele wandelten im Licht seiner Gerechtigkeit und Weisheit und im Glanz seiner Gerechtigkeit und Stimme, unser Lehrer und Leiter Aaren Joschua Elija -

das Andenken des Gerechten zum Segen und zum Leben der kommenden Welt -

 

Rabbiner und Oberhaupt unserer Gemeinde, Sohn des

hochw. Rabbi, des berühmten Lehrer und Meisters Salomo Dow -

das Andenken des Gerechten zum Segen und zum Leben der kommenden Welt -

 

Rabbiners und Oberhauptes der Gemeinde in Glogau, Enkels des hochw. Rabbi Baal Pnei Jehoschia

das Andenken des Gerechten zum Segen und zum Leben der kommenden Welt -

 

Er leitete hier in Weisheit und Treue die Gemeinde

31 Jahre lang. Er wurde zu seinem Volk versammelt, alt

und satt an Tagen, am 3, Elul und

begraben in großer Ehre am nächsten Tag, 4.4, im Jahre 560629  Möge seine Seele eingebunden sein in das Bündel der Lebendigen.28

 

 

Auch die Großväter werden kaum im Erziehungsprozess eine Rolle gespielt haben. Lewin Hertz Hertzfeldt, Ludwigs Großvater mütterlicherseits, war vermutlich , wenn die Annahme stimmt, daß Ludwig nach ihm genannt wurde, bereits vor dessen Geburt gestorben. Abraham Mendel, der Großvater väterlicherseits tritt nicht weiter in Erscheinung; seine Tätigkeit als Rabbiner mag nicht ohne Einfluss auf die Entscheidung von Isaac (Karl) und Levi (Ludwig), die juristische Laufbahn zu ergreifen, gewesen sein.

Im Jahre 1825/26 , als Ludwig in die Evangelische Volksschule in Guhrau eingeschult wurde30 , siedelten seine Vettern nach Berlin über, wo sie zum christlichen Glauben konvertierten und sich taufen ließen. Der Wechsel in die preußische Hauptstadt wird mit dem Verkauf des Gutes Zapplau durch die Familie von Kalckreuth, deren Mitglieder die Patenschaft für die Söhne Mendels übernahmen, in Beziehung gestanden haben. Die Wahl des Musikstudiums durch Raphael Herzfeld und die Bemerkung von Ludwigs Schwester Alwine aus dem Jahre 1892, daß alle Geschwister Klavierstunden genommen hätten, deuten, wenn auch der Zeitpunkt nicht auszumachen ist, auf eine Übernahme der Bildungsinhalte des deutschen Bürgertums hin.

Ludwig besuchte in Guhrau bis Michaelis 1832 die Evangelische Volksschule. Dort wirkte der Lehrer Weitze mit dem und dessen Familie Ludwig noch über Jahre freundschaftlich verbunden blieb.

Wesentlich schwieriger als der Schulbesuch sollte sich die gymnasiale Ausbildung der beiden Brüder gestalten. Das kümmerliche Einkommen Jacobs reichte kaum aus, die Familie materiell zu versorgen, geschweige denn die auswärtige Unterbringung der Söhne und das Schulgeld zu finanzieren. Erschwerend kam noch der Tod von Ludwigs Stiefmutter Louise hinzu, die am 24. Oktober 1831 starb: drei Jahre zuvor hatte sie noch einem  Mädchen, der bereits erwähnten Alwine, das Leben geschenkt. Ludwig und sein älterer Bruder Karl erhielten dann am Evangelischen Gymnasium eine Freistelle. Ludwig ging Michaelis 1832 an diese Bildungsanstalt über und trat in die 3. Klasse ein. In Glogau mussten die beiden Knaben im Alter von 13 bzw. 16 Jahren allein wirtschaften, was nicht ohne Probleme blieb. "Eine Pension im heutigen Sinne hatten die Brüder nicht; die Mutter, später die Stiefmutter, schickte regelmäßig durch den Fuhrmann einen Kasten mit frischer Butter, gelegentlich auch andere Lebensmittel und frische Wäsche."31 Trotz der häuslichen Zuwendungen und der Gewährung eines sogenannten Freitisches durch betuchte Glogauer Bürger war die materielle Versorgung dermaßen dürftig, daß die beiden im wahrsten Sinne des Wortes Hunger leiden mußten.32 "In den Briefen erinnert die Mutter und Schwester Bertha wiederholt an Einsendung der schmutzigen Wäsche, die reine müsste doch längst verbraucht sein, auch kommen dringende Mahnungen, sich immer recht sauber zu halten, da dies für das Fortkommen wichtig sei."33

Nur kurzfristig werden die Brüder einen Rückhalt bei den Eltern ihrer neuen Stiefmutter Bertha Plato in Glogau gefunden haben. Schon wegen der heranwachsenden Kinder hatte Jacob Herzfeld an eine neue Eheschließung denken müssen. Die 24jährige Bertha, geb. 9. August 1808, war eine Tochter des Lippmann Moses Plato, der, wie aus dem Namen ersichtlich ebenfalls aus Flatow stammte und der Edel geb. Feibel, die am 18. September 1788 in Lissa zu Welt gekommen war. Seit 1799 war der am 20. Januar 1773 geborene Lippmann Plato in Glogau ansässig und hatte dort am 27. November 1807 geheiratet. Aus seiner Ehe mit Feibel sind uns noch drei jüngere Schwestern Berthas - Johane, Hendel und Dorothea - bekannt. Lippmann Moses Plato hatte den Beruf eines Wechslers ausgeübt, war aber inzwischen völlig verarmt. Er bekam vielleicht noch seine Enkeltochter, die am 20. April 1833 geborene Louise Herzfeld, die den Namen der verstorbenen zweiten Frau Jacobs erhalten hatte, zu Gesicht, bevor er im darauf folgenden Jahr am 15. Februar 1834 in Glogau starb. Der am 23. April 1835 geborene Enkel Albert Leopold Herzfeld, wobei Leopold für Lippmann stehen dürfte, erhielt seinen Namen. Im Jahr darauf folgten Berthas Schwestern Hendel und Johane am 25. Juni 1836 ihrem Vater in den Tod. - Die jüngste Schwester Dorothea, obwohl gerade 22jährig, wird sich bereits damals, um ihre Neffen gekümmert haben, wie ihr auch später das Wohlergehen der Familie des Schwagers am Herzen lag.34

 

Das Evangelische Gymnasium in Glogau war auch von Ludwig Herzfelds entfernten Vettern Salomon und Edmund Munk besucht worden, die sich später in der Wissenschaft einen Namen machen sollten. Dank seiner überdurchschnittlichen Begabung und seiner Leistungsfähigkeit fand Ludwig bald die Anerkennung seiner Klassenkameraden. Er pflegte für "die ganze Klasse die mathematischen Aufgaben und den deutschen Aufsatz anzufertigen", wobei, so berichtete er später seinen Söhnen, "ihm die Einleitungen, die doch verschieden sein mussten, recht viel Mühe gemacht hätten". Diese Mühe ließ er sich, ähnlich wie Ferdinand Lassalle, dessen Mutter Rosalie, die ebenfalls den Namen Herzfeld trug und aus Glogau stammte, bezahlen. "Sein Preis war eine Tafel Schokolade für 1/2 Silbergroschen oder dasselbe in bar."35

Etliche seiner Freundschaften gehen auf die Glogauer Schulzeit zurück, die später, während seiner Referendarzeit in dieser Stadt, reaktiviert wurden. Zu nennen wären Qual, der  Kreisrichter in Sprottau werden sollte. Er freute sich noch als alter Mann darüber, daß er die Zeichnung seines Mitschülers Ludwig, den Kopf des Sokrates, kurz bevor der sie dem Lehrer abgab, mit einer Laus verunziert hatte. Sein intimster Freund war Kosmehl, später Superintendent in Görlitz. Was Ludwig an ihm fand, läßt sich nicht sagen, denn aus Kosmehls zahlreichen Briefen, tritt uns eher etwas oberflächlicher Charakter entgegen, was auch aus seinem Verhalten den Kindern seines Freundes, insbesondere seinem Patensohn Heinrich gegenüber deutlich wird, die er mit Talmigeschenken düpierte.

 

Zu nennen wären auch Robert Beil, der Sohn des Direktors des Niederschlesischen Eisenbahn, bei der Ludwig Herzfeld nach seinem Assessorexamen tätig war, und Lehfeld, der zur Verwandtschaft seiner Stiefmutter Louise Schlochow-Munk gehörte. Beil und Lehfeld waren ebenfalls jüdischer Herkunft. Nicht vergessen werden darf Max von Forckenbeck, der 1866 Präsident des Preußischen Abgeordnetenhauses und 1874 Präsident des Reichstags werden

sollte.

 

 

In der von dem Altphilologen Klopsch geleiteten Anstalt wurde besonderer Wert auf die Pflege der alten Sprachen gelegt. In der Prima war es nicht erlaubt, "ein deutsches Wort zu sprechen. Wer das tat, dem wurde eine Tessera (Täfelchen) überreicht, die er so lange behielt, bis er Gelegenheit hatte, sie einem anderen mit: 'Hic tessera' zu überreichen."36 Ludwig Herzfelds in Latein gehaltenen Lebensläufe, und seine in griechischer Sprache verfassten Gedichte, die sogar von Cotta verlegt wurden, sind ebenfalls eine Frucht dieser klassischen Bildung.

 

Zu Michaelis 1837 nahm nach bestandener Reifeprüfung Ludwig Herzfeld seine Studien an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin auf.

 

Wir bewegen uns bei der Analyse der Einflüsse auf den privaten und beruflichen Werdegang der Herzfeld Söhne auf dem dünnen Eis hypothetischer Konstruktionen. Wohl kein Zweifel besteht darüber, daß die Entscheidung vom Judentum zum Christentum überzutreten, und die dadurch eröffneten Berufsmöglichkeiten durch die Familie v. Kalckreuth beeinflusst wurden.

Ludwig Edmund v. Kalckreuth, auf dessen Gut Mendel Herzfeld Verwalter gewesen war, siedelte, nachdem die schlesischen Güter veräußert werden mussten, zusammen mit seiner Familie, mit Ausnahme der Tochter Pauline, die inzwischen Herrn v. Cnobloch auf Puschkeiten in Ostpreußen geheiratet hatte, nach Berlin über.

 

 

 

 

 Berlin

 

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt befanden sich auch die Söhne Mendel Herzfelds Raphael, Marcus und Friedrich Leopold in Berlin, die hier, wobei die Mitglieder der Familie Kalckreuth die Patenschaft übernahmen, zum Christentum übertraten und mit ihren Studien begannen. Als erster der Brüder ließ sich der 15jährige Friedrich Leopold am 5. April 1826 in der Dreifaltigkeitskirche taufen. Diesen Schritt vollzogen gleichfalls einige Wochen später im Dom Marcus (10. Juni 1826), der auf den Namen Heinrich getauft wurde und Raphael (13. Oktober 1826). Unter den Paten sind bei allen drei Kindern Mitglieder der Familie des Grafen Kalckreuth aufgeführt. Bei Marcus werden zusätzlich noch König Friedrich-Wilhelm III. und Generalmajor v. Witzleben genannt.[3] Nun darf man die Eintragung des königlichen Namens im Taufregister weder an dieser Stelle noch später bei Ludwig Herzfeld überbewerten, denn bis ins 19. Jahrhundert hinein "machte der König von Preußen jedem Juden, der ihn um seine Patenschaft bei der Taufe anging, ein Geschenk von zehn Dukaten. Getauften Judenmädchen ließ noch Friedrich Wilhelm IV. bei ihrer Verheiratung ein Hochzeitsgeschenk zukommen".[4]

Es waren wohl auch die Kalckreuths, die Marcus (Heinrich) Herzfeld den Besuch des bekannten Joachimsthalischen Gymnasiums und seinem älteren Bruder, der in den Taufbüchern als "studiosus musicae" bezeichnet wird, das Studium an der von Friedrich Zelter geleiteten Singakademie ermöglichten. Unter Raphaels Taufpaten befanden sich Rungenhagen und Hellwig, die Musikdirektoren oder zu diesem Zeitpunkt erst Vizedirektoren dieser Einrichtung waren.[5] Zu dem Kreis der vorgenannten gehörten auch die Geschwister Fanny und Mendelssohn-Bartholdy. Eine von Mendelssohn-Bartholdy geleitete Aufführung der Matthäus- Passion von Bach in dem neuen hinter Schinkels neuer Wache gelegenen Gebäude der Singakademie, zu der sich die Creme der Berliner Gesellschaft eingefunden hatte, soll an dieser Stelle erwähnt werden: "Für die

Aufführung am 11. März 1829 reichte der Saal mit seinen 800-900 Plätzen nicht aus, die geräumigen Vorsäle und ein Raum hinter dem Orchester mussten zusätzlich geöffnet werden. Trotzdem konnten über 1000 Meldungen nicht berücksichtigt werden. Auch der König war in seiner Loge zugegen.   Im Publikum saßen u.a. Schleiermacher, Hegel, Droysen, Heine und Rachel Varnhagen. Der Chor bestand aus 158 Sängern, das Orchester vorwiegend aus Musikliebhabern, meist Mitgliedern der Philharmonischen Gesellschaft. Als Gesangsolisten waren Mitglieder der Königlichen Oper gewonnen worden - Anna Mildner-Hauptmann, Pauline von Schätzel, Auguste Türrschmidt, Heinrich Stümer, Carl Adam Bader, Eduard Devrient und andere. Mendelssohn leitete die Aufführung vom Flügel aus. Fast alle Musiker verzichteten auf ihre Gagen. Der Eintritt kostete 20 Silbergroschen; die Einnahmen waren zum Wohl sittlich verwahrloster Kinder bestimmt. Eine zweite Aufführung fand, wieder vor überfüllten Saal, am 21. März 1829 statt." [6]

Wie aus den Tagebüchern Varnhagen von Enses und dem Briefwechsel seiner Frau, der berühmten Rachel, zu entnehmen ist, waren die Kalckreuths in ihrem Salon regelmäßige und gern gesehene Gäste.

In Varnhagens im ersten Stock des Hauses Mauerstraße 6 gelegenen Sechszimmerwohnung trafen sich hohe Offiziere, Gelehrte, Diplomaten, Künstler, alle um die vierzig und liberal eingestellt. Im Gegensatz zu den bewusst schlicht gehaltenen großen Räumen mit den hohen Decken, die sparsam mit Bücherschränken, alten Fichtenholzmöbeln und einfachen

Sesseln möbliert waren, wurde im Salon großer Aufwand getrieben. Bei den Soupers wurde nach genau festgelegter Sitzordnung und Menuefolge gespeist. "Als Vorgerichte abwechselnd kalter Fisch, Salate, Suppen, Makkaroni, manchmal auch Kaviar

mit Champagner. Als Hauptgericht serviert der Lohndiener Wild, Kapaun, Geflügel; Dore legt in der Küche Rinderbraten mit Rosinen auf die angewärmten Platten; der für das Abendessen extra engagierte Koch ist für seinen Fasan mit Ananas bekannt. 'Alles in Perfektion' darauf legt die Hausfrau wert." [7]

Anschließend begab man sich in das Nebenzimmer, wo geplaudert und musiziert wurde. "'Madame Mildner war inzwischen zum Fortepiano getreten, und bereitete sich zu singen', erinnerte sich ein Gast. 'Bald war alles still und harrte der mächtigen Töne dieser Silberglocken ... Lieder von Kreutzer, von Schubert und Beethoven rissen uns alle zum Entzücken hin. Eine zauberische Einfalt wirkte in diesen Tönen, rührte das innerste Herz, das Gemüt fühlte sich durchschauert und emporgehoben. Frau Varnhagen lächelte mit feuchtem Auge...'"6

Aus der Reihe der Freunde der Varnhagens ragten drei Namen hervor: Heinrich Heine, Eduard Gans und Ludwig Börne. Äußerlich und vom Wesen unterscheiden sich zwar die drei Männer, "neben dem großen korpulenten Gans mit seinem auffallend schönen Kopf, dem modischen Backenbart und dem schwarzen wollenen Haar wirkte Börne wie ein Zwerg, zierlich und gebrechlich"7 , gemeinsam war ihnen jedoch die Herkunft aus dem weltaufgeschlossenem Bürgertum. Im Gegensatz zu ihren Vätern, die vermögenden Kaufleute und Bankiers waren, standen ihnen bereits die Universitäten offen und durch einen respektablen akademischen Beruf sollten sie bürgerliche Anerkennung erwerben und beweisen: "Juden können mehr als Handel treiben; 'die Juden sind ein Volk des Geistes' (Heine)".8

Börne, Gans und Heine studierten Rechtswissenschaften, promovierten, und Gans der Hegelschüler und spätere Professor an der Universität, gewann als Begründer der vergleichenden Rechtsgeschichte einen bedeutenden wissenschaftlichen Ruf. Aber, nur weil Börne Jude war, wurde er als Frankfurter Polizeiaktuar entlassen. Gans verweigerte man ohne Konversion die Professur, trotz Konversion bemühte Heine sich vergeblich um ein öffentliches Amt. Wie Rachel und ihre Brüder hatten auch Börne, Gans und Heine dem gesellschaftlichen Druck nachgegeben und waren zum Christentum übergetreten. Sie verdrängten jedoch nicht, sondern sie begehrten auf. "Der zwanzigjährige Börne will 'die angeborene Majestät der Menscheit' für sich und andere Juden erkämpfen, Heine enthusiastisch für ihr aller Bürgerrecht eintreten, 'schonungslos für sich und für Andere Vergeltung' üben. Und während in Preußen die Gleichstellungsgesetze von 1812 eines nach dem anderen wieder aufgehoben werden, gründet Gans in Berlin den 'Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden', in dem auch Heine Mitglied wird."9

Wir werden weiter unten etwas näher auf Eduard Gans eingehen, hörten doch zeitgleich Karl Marx und Ludwig Herzfeld bei ihm an der Friedrich-Wilhelm-Universität vergleichende Rechtsgeschichte und wurden beide vermutlich durch den Saint-Simonismus ihres Lehrers beeinflußt, zunächst aber wollen wir einen Blick auf die Universität werfen, an der Ludwig Herzfeld seit Beginn des Wintersemester  1837/38 studierte.

Der Plan zur Gründung einer Universität in Berlin ging auf den Chef des königlichen Zivilkabinetts Beyme zurück (1802). Jedoch erst nach dem Zusammenbruch Preußens im Jahre 1806 war an seine Realisierung zu denken. Preußen hatte seine Provinzen jenseits der Elbe verloren und damit einen großen Teil seiner mehr oder minder bedeutenden Universitäten.

Nachdem Wilhelm von Humboldt im Februar 1809 die Sektion für Kultus und Unterricht übernommen hatte, gewann das Projekt weitere Gestalt. In seiner Königsberger Denkschrift sprach er sich eindeutig für den Standort Berlin aus: "Wie brauchbare Landesuniversitäten Königsberg und Frankfurt theils schon jetzt sind, theils gewiss noch in der Folge werden sollen, so können sie doch, auch mit größten Aufwande, einen bedeutenden Einfluss auf das Ausland gewinnen; die Wahl eines neuen Ortes bietet noch mehr Schwierigkeiten dar, und es bleibt nur eins von beiden übrig: man muß die Universität in Berlin errichten, oder überhaupt auf eine glänzende, auch Ausländer anziehende Universität Verzicht thun." 10

Gut ein Jahr später konnte der Lehrbetrieb im ehemaligen Prinz Heinrich Palais, das im "Zentrum der Residenz ... zwischen Akademie und Zeughaus, gegenüber die Bibliothek, das Opernhaus und die Hedwigskirche" gelegen, seinen Lehrbetrieb aufnehmen.

Berühmte Gelehrte waren dem Ruf an die Universität gefolgt: Schleiermacher, Fichte, Wolf, Niebuhr, K.F. Eichhorn, Reil, Hufeland und Savigny. Humboldt, im Grunde unpolitisch, vertraute auf den Geist. Er war der Ansicht, wie aus seiner Schrift "Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen" ersichtlich, das, "was im Menschen gedeihen soll, muß aus seinem Inneren entspringen, nicht von außen ihm gegeben werden ... Der höchste und letzte Zweck jedes Menschen ist die höchste und proportionierlichste Ausbildung seiner Kräfte in ihrer individuellen Eigentümlichkeit. Die notwendige Bedingung der Erreichung derselben: Freiheit des Handelns und der Mannigfaltigkeit der Situationen"11

Lehr- und Lernfreiheit sollten herrschen. "Neu war der Gedanke der dynamischen Weiterentwickung, der Produktion der Wissenschaft, nicht der aufsammelnden und aneinanderreihenden Tradition des Wissens. Daraus entstand der bekannte Grundsatz von Forschung und Lehre. Daher auch das veränderte Verhältnis von Lehrer und Schüler: Sie sind Mitarbeiter derselben Aufgabe."12 So klang es denn auch in Brentanos Gründungskantate: "Heran, heran ihr mutigen Gesellen, nicht Schüler seid ihr, ihr seid uns Gefährten" und in Anspielung auf die von Wilhelm v. Humboldt verfaßte Inschrift über dem Portal des früheren Schlosses hieß es:

 

 Der Ganzheit, Allheit, Einheit

 Der Allgemeinheit

 Gelehrte Weisheit

 Des Wissens Freiheit

 Gehört das Königliche Haus!

 So leg ich euch die goldenen Worte aus:

 Universitati Litterariae

 

Aber es klangen auch bereits unüberhörbar nationalistische Töne an, den "Erhalter und Gründer" als "deutschen" König feierten. Die Deutschtümmelei und die damit verbundene Neubelebung des Judenhasses sollte vor der Berliner Universität nicht Halt machen. Der Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte, Friedrich Rühs, forderte in seiner 1815 erschienen Schrift "Ansprüche der Juden an das Bürgerrecht", die Juden in ihrem Wachstum zu hemmen, eine Judensteuer einzuführen und sie ein Kennzeichen tragen zu lassen. Das erinnerte an die alten Vorschläge Grattenauers, der nicht nur die Juden in Ghettos sperren und durch einen Fleck am Rockärmel hatte kennzeichnen wollen, sondern zusätzlich gefordert hatte, um ihre Vermehrung zu verhindern, jeden zweiten Judenjungen kastrieren zu lassen.

Unter dem Eindruck der von der Würzburger Universität aus- gehenden Hep-Hep-Bewegung konstatierte Rachel Varnhagen: "Ich bin gränzenlos traurig, wie ich noch gar nicht war. Wegen der Juden. Behalten wollen sie sie; aber zum Peinigen, zum Verachten, zum Fußstoßen und Treppenhinunterwerfen ... die gleisnerische Neu-Liebe zur christlichen Religion (Gott verzeih mir meine Sünde), zum Mittelalter mit seiner Kunst, Dichtung und Gräuel, zu dem es sich noch, an alte Erlebnisse erinnert, aufhetzen läßt."13

 

Im Jahre 1817 wurde der Freiherr von Stein zum Altenstein an die Spitze des neuen Ministeriums für die Geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten berufen. "In seiner Stellung als unabhängiger Reichsfreiherr konnte er sich sicher fühlen, dem König gegenüber, aber auch den Professoren. Er holte Hegel im nächsten Jahr nach Berlin, wo Hegels Dialektik geprägt und weiterentwickelt wurde. Später setzte Altenstein auch die 'Hegelante' durch und damit den aufgeklärten Beamten, aufgeklärt auch gegenüber der schon erstarrten Aufklärung ... Hegel stand in der Reihe der Reformer, der 'Jacobiner', die man wirken ließ. Das schwache, noch in allen Gliedern zitternde Preußen ließ ihn dozieren, das starke Preußen verzichtete auf Kathedergrößen zu seiner Rechtfertigung."14 Bis zu seiner Entlassung im Jahre 1838 bestimmte Altenstein die Geschicke der Universität. Ihm war die Berufung einer Reihe namhafter Gelehrter wie des Philologen August Boeckh, des Geographen Karl Ritter, des Psychologen Benek und nicht zuletzt auch die von Eduard Gans zu danken.

 

Eduard Gans (1797-1839) war ein Schüler Thibauts und Hegels, der unter dem Einfluß des letzteren ein entschiedener Gegner der von Savigny begründeten Rechtsschule wurde und den Vorrang des Vernunftrechts betonte. Seit 1825 an der Berliner Universität versuchte er in seinem Hauptwerk "das Erbrecht in seiner weltgeschichtlichen Entwick-lung" (4 Bde. 1824-1835), durch das er die vergleichende Rechtsge-schichte begründete, der Rechtswis-senschaft eine philosophische Grund-lage zu geben.

Während sich am 3. August 1830 in der Aula der Berliner Universität sich Professoren und Studenten, Beamte und Militärs versammelten, um den Geburtstag des Königs zu feiern, kursierten im illustren Plenum Varnhagens an Gans gerichtete Brief aus Paris, die vom Ausbruch der Revolution berichteten. "Der Kanonendonner zwischen Barrikaden von Paris dröhnte bis  zur Aula nach" (Karl Gutzkow)15 , und wenig später kann Gans frohlockend schreiben: "Auch Brüssel hat seine Begeisterung für die Revolution und seine drei Farben." Obwohl Gans die Revolution und das belgische Modell eines liberalen Verfassungsstaats bewunderte, Belgien wurde auch für seine Zeitgenossen zum Musterland der Freiheit, hinderte den Kultusminister Altenstein nicht Gans 1831 auf einen ordentlichen Lehrstuhl an der Universität zu berufen.

Als Gans in die juristische Fakultät eintrat, verlangte der Kronprinz, Friedrich Wilhelm, daß der gegenüber seinem Freund Savigny eine öffentliche Ehrenerklärung abgeben müsse: "Der Name Historische Schule (welcher so bezeichnend dasjenige Streben ehren sollte, was unserer Zeit und unserem Lande in Kirche, Staat und Jurisprudenz so vorzüglich nottut,) ist von Gans der Verachtung preisgegeben, insoweit solch Beginn möglich ist - und vieles ist möglich in einer Zeit, wo man nur unverschämt zu brüllen braucht, um Gesellen zu finden."16

Für das Wintersemester 1830/31 kündigte Gans an:

1. Universalgeschichte oder Rechtsgeschichte der Orientalen, Griechen, Römer, des Mittel-                                                                                                                                                                         alters und der neueren Zeit

2. Institutionen des Römischen Rechts, mit kurzer Einleitung  in das Rechtsstudium

3. Preußisches Landrecht

4. Über das Zeitalter Ludwig XIV., vorzüglich in staatsrechtlicher Beziehung 17

 

Gans wirkte weit über die Universität hinaus durch seinen geistvollen Vortrag und war zusammen mit Varnhagen der Herausgeber der 1827 von ihm gegründeten "Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik", in denen bis 1839 ein Großteil von Varnhagens Rezensionen erschienen, und der "Hegelschen Jahrbücher", in denen er auch neben Varnhagen eine Reihe kritischer Aufsätze publizierte.

Nach dem Tode seines Meisters Hegel, der am 14. November 1831 im Alter von einundsechzig Jahren an der Cholera starb, gab er im "Verein der Freunde des Verewigten" eine "Vollständige Ausgabe" der Werke Hegels heraus. Gans übernahm die beiden Bände "Grundlinie der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundriß" und die "Grundlinien über die Philosophie der Geschichte". Als Grundlage für das letzt- genannte Werk dienten Kolleghefte aus fünf Semestern, in denen diese Vorlesungen gehalten, und die von den Hegelschülern Hotho, v. Griesheim. Hegels Sohn Karl, Dr. Johannes Schulze, Dr. Heimann von Dr. Werner niedergeschrieben worden waren.

Nach Ablegung des Abiturs, schrieb Carl Isaac Herzfeld sich, ein Jahr vor seinem Bruder Ludwig, am 22. Oktober 1836 an der juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin ein.

Dort hörte er im Wintersemester 1836/37 „Logik und Metaphysik“ bei Henning, „Institutionen u.  Altertümer des Römischen Rechtes“ sowie „Juristische Enzyklopädie“ bei Klenze, ferner „altdeutsche Mythologie“ bei Hagen. Im Sommersemester 1837 belegt er „Römische Rechtsgeschichte“ bei Klenze, Pandekten und Erbrecht bei Rudorff und Völkerrecht bei Gans. Im folgenden Wintersemester „Kirchen- und Bauernrecht“ bei Röstell, „Deutsches Privatrecht“ bei Hohmeyer, „Gemeines Strafrecht“, bei Klenze und Kriminalprozeßrecht bei Heffter.

 

 In diese Zeit fällt auch sein Übertritt zum Christentum. Zusammen mit seinem Bruder Ludwig, der sich zu Beginn des Wintersemester ebenfalls in der juristischen Fakultät hatte einschreiben lassen, ließ er sich am 14. Februar 1838 in der Jerusalemer Kirche taufen. Unter den Taufpaten finden wir neben seinem Kommilitonen Carl Adolph Müller und dem Spediteur Erbsch auch einen seiner Professoren, den Strafrechtler Clemens August  Klenze.18

Nun folgte im Sommersemester 1938 „Gemeines- und Preußisches Civilrecht“ bei Heffter sowie bei Gans Staatsrecht. Das darauf folgende Semester bestritt er bei Homeyer mit „Preußisches Landrecht“, „Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte“ und „Altdeutsches Gerichtswesen“. Im Abschlußsemester im Sommer 1839 sah man ihn noch einmal bei Hohmeyer Deutsches Privatrecht hören. Er wird von seinen Professoren durchgehend mit „sehr fleißig“ und „ausgezeichnet fleißig“ beurteilt.

 

 

 

Sein Bruder Ludwig Herzfeld belegte zum Wintersemester 1837/38 an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin bei dem obengenannten Privatdozenten Werder "Logik und Metaphysik" sowie "Geschichte der Philosophie seit Cartesius", hörte bei Klenn "Institutionen und Altertümer des römischen Rechts", bei Rudorst römische Rechtsgeschichte und schließlich bei Eduard Gans "Naturrecht".

Die Wahl der Studienrichtung mag darauf zurückzuführen gewesen sein, dass das Rechtsstudium gerade in jüdischen Kreisen mit großem Sozialprestige verbunden war, das nicht zuletzt von dem früheren hohen Ansehen talmudischer Rechtsgelehrsamkeit herrührte. Der "stark juristische Charakter der traditionellen jüdischen Gesetzesexegese"19 brachte es mit sich, daß ein säkularisiertes Interesse an Gesetz und Recht weiterbestand. So finden wir in der ersten Generation jüdischer Juristen Deutschlands Söhne aus Rabbinerfamilien wie Heinrich Marx und Gabriel Rießer, aber auch deren Kinder, denken wir an Karl Marx, an Carl und Ludwig Herzfeld, die Enkel von Rabbinern waren, werden noch in dieser Tradition gestanden haben.

Unter Carl und Ludwig Herzfelds jüdischen Kommilitonen fanden sich jedoch nur wenige Juristen, sondern meist Mediziner, in diesem Bereich waren die Juden traditionell stark vertreten, da das Medizinstudium das einzige für sie zugängliche profane Studium gewesen war, und etliche Philologen. Die Berliner Universität lehnte es grundsätzlich ab, Juden zu Doktoren beider Rechte zu promovieren, deshalb weckte bereits die Aufnahme des Rechtsstudiums bei der Umwelt die Annahme, daß der Student sich taufen lassen werde, um in den Staatsdienst eintreten zu können. "In keiner anderen Berufsgruppe war deshalb der Taufdruck so stark und die Zahl der Proselyten so hoch" wie bei den Juristen.20

Dazu kam, daß Ludwig Herzfeld und sein Bruder Carl, ebenso wie viele der immatrikulierten jüdischen Studenten, das Studium nicht aus den Mitteln der Eltern bestreiten konnten, und die Stipendienfonds der Universitäten christlichen Studenten vorbehalten blieben. "Juden, die sich vor oder während des Studiums zur Taufe entschlossen" konnten jedoch "fest mit der finanziellen Hilfe von Missionsvereinen und hochgestellten Paten rechnen"21 . Die Gewährung eines königlichen Stipendiums von 60 Thalern für Carl und Ludwig Herzfeld werden wir in diesem Zusammenhang sehen müssen.

Die oben genannten Gründe, die Nivellierung der religiösen Inhalte unter Einfluss des Rationalismus und der Betonung eines allgemeinen Humanismus, das Streben nach uneingeschränkter Entfaltung in der Gesellschaft, nach dem im Zuge der Romantik und Restauration, die Emanzipationsbestrebungen einen bleibenden Rückschlag erlitten hatten, das angestrebte Berufsziel sowie die hautnahen Probleme der Existenzsicherung werden zur  Entscheidung, sich taufen zu lassen, beigetragen haben.

 Uns sind einige Aktenkonvolute aus dem Archiv des Evangelischen Oberkirchenrat bekannt, in denen die an das Ministerium für Geistliche- Unterrichts- und Medizinangelegenheiten oder  direkt an den König gerichtete Schreiben von Bittstellern, die sich auf dem Wege befanden oder gerade zum Christentum konvertiert waren 22 . Stellvertretend sollen einige Briefpassagen hier wiedergegeben werden:

„Allermächtigster durchlauchtigster großmächtiger König, allergnädigster Herr,

der gegenwärtig der Handlung beflissene Israelit Isidor Sachs, Neu Cölln, am Markt No. 2, ...

aus inniger Überzeugung zu der christlichen evangelischen Religion überzutreten und bei dem dringenden Wunsche sich dereinst der Rechtswissenschaft zu widmen, bittet alleruntertänigst ihm die Mittel zur Erlangung der noch benötigten Schulkenntnisse auf einem der höheren Gymnasien und danach zu den erforderlichen Universitätskursus allergnädigst erteilen zu wollen.

Von israelitischen Eltern in den Glauben ihrer Religion geboren und erzogen, genoß ich nur den Unterricht in denjenigen Wissenschaften, welche für den Stand eines Kaufmanns, dem ich mich widmen mußte, unumgänglich nötig sind. Jedoch habe ich schon früh aus der besonderen Neigung zu dem ehrbaren Studi der Wissenschaften, welche bei reiferen Jahren in mir den innigen Wunsch erzeugte, mein dereinstiges Brot in der Ausübung der Rechtspraxis zu gewinnen, und mir zugleich mir meine Abneigung gegen das Handlungsgeschäft einflößte.

Arm und ohne je einiges Vermögen erwarten zu dürfen, fehlt es mir nun zwar wohl nicht an Aussicht, durch Unterstützung meiner israelitischen Glaubensgenossen den beabsichtigten Zweck .. Erwerbung der mir noch fehlenden Vorkenntnisse und dem einer folgenden Beziehung einer Universität zu erreichen, allein noch lebendiger als dieser Wunsch nach Erlernung der Rechtswissenschaft, steht in mir fest der unerschütterliche Vorsatz: durch Übertritt zu der evangelischen christlichen Gemeinde des Heils teilhaftig zu werden, diesem Glauben dem den aus wahrer Überzeugung sich zu ihm Wendenden gebührt.

Und sicher werde ich dann auf die fernere Hilfe meiner gegenwärtigen Glaubensgenossen keine Festung mehr bauen dürfen. Wenn dies nun gleich dann einmal nach reiflicher Prüfung in mir starken ... Willen: dem Drange meiner Seele nach dem inneren Wohlergehen, das der Erlöser der Christenheit dem Gläubigen erteilt, nachzukommen, nicht erschüttern können, so zwingt es mich doch wenigstens einen ersten Blick auf die Zukunft für meine irdische Laufbahn zu werfen. In dieser Bedrängnis beruhigt mich nun das unerschütterliche Vertrauen zu der allgepriesenen Huld und Gnade Eurer königlichen Majestät, der Reinheit meiner Wünsche vertrauend und der Erreichung meines inneren und äußeren Heils eine milde helfende Hand mir aller gnädigst reichen zu wollen, indem ich zu den Füßen allerhöchstderselben erhabenen Throns wieder finde und aller- untertänigst bitte:

Eure königliche Majestät wollen in Gnade gewähren, mir nach erlangter Aufnahme in die Gemeinde der evangelischen Christenheit die Mittel, behufs der Erlangung der mir noch nötigen Vorkenntnisse auf einem der höheren Gymnasien und danach zu dem erforderlichen Universitäts-Kursus allermildest zu erteilen.

Ich ersterbe in der tiefsten Ehrfurcht

Euer königlichen Majestät alleruntertänigster gehorsamer Diener

Isidor Sachs

Aufgrund dieses Schreibens vom 18. Juli 1829 fordert das Ministerium Isidor Sachs am 6. August 1829 auf, ein Zeugnis des Predigers, der ihn in das Christentum einführe vorzulegen. Darauf antwortet Sachs am 15. August:

„Ich habe mich nun zwar dieserhalben dem Herrn Prediger Moliere, Französische Straße No. 47 bereits gemeldet, bin ja, doch von demselben dahin verwiesen worden, daß ich zur Erzielung des Unterrichts im Christentum ... dieserhalb die Erlaubnis von betreffenden Konsistorium einholen müsse.

Obwohl mich nun auch mein inneres Verlangen antreibt, nichts zu versäumen, was den sehnlichst erwünschten Übertritt zur evangelisch-christlichen Gemeinde herbeiführt, so“ fordert  „doch von der anderen Seite meine äußerst ärmliche Lage, die bis jetzt mir die Unterstützung meiner gegenwärtigen Glaubensgenossen gewann, jeden öffentlichen, die Abschwörung meines gegenwärtigen Glaubens beurkundenden Schritt, den unfehlbar die Genossen der israelitischen Gemeinde von mir entfernen würde, so lange zu verschieben, bis mir ... eine großmütige Zusicherung über den Inhalt meiner untertänigsten Bitte erteilt wird, wie ich dies bereits in meiner Immeditvorstellung vom 18. v. Mts. Seiner Majestät dem König mit Ehrfurcht vorzutragen wagte.

Indem ich nun Gott den Allmächtigen zum Zeugen anrufe, daß bei meinem Vorhaben kein irdischer Zweck ich leitet, sondern ich nur aus dem Drang zu den Wohltaten des christlichen Glaubens, und dem Triebe zu den Christen (überzutreten) angeführt fühle, so mag ich es im vollen Vertrauen zu der Weisheit und Milde Euer königliches Ministerium es Hochderselben Ermessen anheim zu stellen, ob ich in meiner Lage mich nicht der größten Gefahr für meine künftige Existenz Preis gäbe, wenn ich sollte einen öffentlichen Schritt zur Ablegung meines bisherigen Glaubens tun, bevor ich nicht des Schutzes und großmütigen Unterstützung während der Dauer meiner wissenschaftlichen Ausbildung einigermaßen versichert bin.“

 

„Das Ministerium lehnt eine „fortdauernde Unterstützung“ ab. „Nur im falle, wenn Sie der Verfügung vom 6. D. Mts. Folge leisten, haben Sie nach Befinden der Umstände von Zeit zu Zeit eine Beihilfe zu erwarten“

 Eduard Bloch, wohnhaft in Berlin, Klosterstr. 71 studierte am der Friedrich-Wilhelm- Universität Philologie, der „dreijährige Besuch“ der Universität war ihm „durch die Unterstützung eines nahen Verwandten möglich gemacht“ worden. „Israelit von Geburt“, so schreibt am 20. März 1835 an das Kultusministerium, „wurde ich verhältnismäßig früh mit dem Geiste und der Lehre des Christentums durch christliche Lehrer und Freunde bekannt, ohne daß ich wegen meiner unselbständigen Lage zu einem öffentlichen Bekenntnis schreiten konnte. Durch mancherlei Fügungen und Mahnungen in meinen jüngsten Lebensereignissen endlich zur größeren Entschiedenheit angetrieben, entschloß ich mich den Unterricht eines christlichen Predigers aufzusuchen, und der Erfolg von vier monatlichen Gesprächen und Belehrungen über die Schrift, war die vollkommene Überzeugung von der erlösenden Kraft Christi; und der beseeligenden des Evangelii. Abermals erlaubten mir die Verhältnisse nicht das Bekenntnis der Religion Jesu, u. die Entfernung von Berlin, die allein mir meinem Wunsche näher führen kann, hat doch die bloße Erwähnung die bereits faktisch eingetreten Entziehung mir bisher zu Teil gewordenen Unterstützung bewirkt, zunächst für mich, was ich nicht glaube auf mich laden zu können, auch für sehr nahe Personen, falls ich unvorsichtig, zum Anstoß meiner Familie dem Judentum entsagte.“ Er richtet also an das Ministerium, wegen „der eingetretenen Entziehung aller bisherigen Substenz Mittel“ die gehorsame Bitte: „Aus dem Fränkelischen Fonds für Proselyten bis auf bestandene Prüfung pro facult. Docendi vor einer Königl. ... Prüfungskommission in Berlin, die ich jedenfalls vor Abschluß dieses Jahres absolviert zu haben hoffen darf, wenn nicht die Sorge um meine Subsitenz störend in den Gang meiner Studien eingreifen sollte, meiner beschränkten Lage Abhülfe leisten zu wollen. Als Beweis der Wünsche, die ich selbst habe, zugleich der Hemmungen, die einem augenblicklichen Übertritte entgegenstehen, und erst nach einiger Zeit und bei gehöriger Vorsicht, ohne die Störung für die Wohlfahrt anderer gehoben werden können, füge ich das Zeugnis des christliche Mannes bei, der mit Aufopferung von Zeit und Kräften, mir das Verständnis der Schrift zu eröffnen gestrebt hat, und dann nachsichtig gegen die obwaltenden Umstände, nicht auf einem augenblicklichen Übertritte“ bestand und „meine einstweilige Entfernung aus Berlin vollkommen billigte.“

„Das Ministerium beantworte seine am 15. April 1835 abschlägig, da kein entsprechender Fonds in seinem Falle vorhanden wäre. Jedoch, „inzwischen ist das Ministerium nicht abgeneigt, Ihnen gleichwohl eine angemessene Unterstützung zu bewilligen, sobald Sie zum Christentum über getreten sind, und solches durch Vorlegung des Taufscheines näher nachgewiesen haben.“

 

Um auf die Taufe von Carl und Ludwig zurückzukommen, wir wissen nicht aus welchem Fond die Brüder ihr Stipendium erhielten. Von Seiten des Vaters Jacob Herzfeld gab es keine Widerstände,

bereits am 12. Dezember 1837 gab er, vor dem Magistrat in Guhrau zu Protokoll, daß er "seinerseits ... gegen den Übertritt dieser seiner Söhne zur christlichen Religion nichts zu erinnern", also keine Einwände habe.

Die Brüder wurden, wie vorgeschrieben, zunächst im christlichen Glauben unterwiesen, was durch den evangelischen Geistlichen Buttmann, der an der Jerusalemer Kirche die Frühpredigerstelle bekleidete, geschah. Am 14. Februar 1838 wurde durch ihn in der vorgenannten Kirche die Taufe vollzogen. Buttmann übernahm auch bei Ludwig Herzfeld, neben dem bereits erwähnten Privatdozenten Werder und dem König von Preußen, eine Patenstelle. Die Wahl der Paten zeigt, daß er nicht wie seine Vettern zwölf Jahre zuvor, auf enge Freunde und Bekannte zurückgreifen konnte. Diese Isolierung wird auch in einem Brief deutlich, den er im April 1838 an seinen Jugendfreund Heinrich in Glogau richtete: „Ich muß gestehen, daß ich mich nicht allzu schweren Herzens vom Vaterhause trennte. Dazu mochte aber beitragen, daß Vater und Mutter mit uns fuhren. Abenteuer haben wir auf der Reise nicht erlebt, weil ich auf keine ausgegangen bin, denn eigentlich erlebt der Reisende auch eben nur Abenteuer, wenn er welche erleben will." Jedoch heißt es dann weiter: "Ich habe bis jetzt ein Geisterleben geführt. Du weißt, wie sehr ich mich auf Berlin gefreut habe, mit welchen hochgespannten Erwartungen ich herüber gegangen bin. Ach, mein guter Heinrich, ich habe mich arg, sehr arg getäuscht. Wenn ich bedenke, wie glücklich ich eigentlich in Glogau gelebt habe, und wie indeß ich jetzt meine Zeit verbringe, so möchte ich rein verzweifeln."

Ludwig Herzfeld wird zunächst zusammen mit seinem Bruder in der Zimmerstraße 89 gewohnt haben, dann zog er in das unweit des Berliner Schlosses gelegene Eckhaus Unterwasserstraße 9/ Alte Leipziger Straße No. 1, in dem auch Karl Marx, der vom Winter 1836/37 bis zum Winter 1840/41 in Berlin studierte, und der im ersten Semester bei Gans Kriminalrecht und im Sommersemester 1838 zusammen mit Carl Herzfeld Preußisches Landrecht hörte, sein Domizil hatte. Eine persönliche Bekanntschaft der Brüder mit Karl Marx, denkt man an die jüdische Herkunft und die gemeinsame Studienrichtung ist anzunehmen.

 

 Im Gegensatz zu den beiden Herzfelds verfügte Karl Marx, trotz seiner ständigen Klagen, mit 480 Talern im Jahr über eine komfortable "materielle Basis". Wieweit die Beziehungen zwischen Ludwig und Carl Herzfeld und der Hegelschen Linken, die sich unter Berufung auf Gans unter dem Banner der "Anti-Historischen-Rechtsschule" herausbildete, gingen, muß dahingestellt bleiben. Sie werden aber vermutlich zusammen mit Marx unter den 600 Studenten, die zu Ehren ihres Lehrers Gans am 22. März 1838, dem Vorabend seines Geburtstags, einen Fackelzug zu seiner Wohnung Charlottenstraße 36 veranstalteten, um ihm ein Ständchen zu bringen, zu finden gewesen sein.

 

 "Die Musik eines Garde-Regiments spielte. Die Polizei hatte zwar zu einem öffentlichen Aufzug und zur Musik keine Genehmigung erteilt; da die Haustür aber offen stand, füllten sich Hausflur und Hof. Die Studenten brachten ihrem Professor ein donnerndes Lebehoch, in welches die Gardemusik mit dem üblichen Tusch einfiel. Gans dankte für die Ovation. Damit hätte die Veranstaltung eigentlich beendigt sein sollen. Statt dessen aber brachten Studenten noch ein zweites Vivat den Göttingern, in das die Gardemusik abermals einfallen mußte. Das Groteske der Situation wurde dadurch erhöht, daß im ersten Obergeschoß Kabinettsminister von Stägemann wohnte und im zweiten Geheimrat von Tzschoppe vom Polizeiministerium und Mitglied des Oberzensurkollegiums. Letzterer stand am Fenster und sah die Demonstration mit an."23

 

Der Protest der "Göttinger Sieben" - zu den Professoren gehörten der Staatsrechtler Dahlmann, die Brüder Grimm, der Jurist Wilhelm Eduard Albrecht, der Historiker Georg Gottfried Gervinius, der Semist Heinrich Ewald und der Physiker Wilhelm Weber - im November 1837 gegen die Aufhebung des Hannoverschen Staatsgrundgesetzes von 1833 durch Wilhelm IV., König von Großbritannien und Hannover, war eine Wegmarke hin zur Frankfurter Paulskirche, zu der vom "Professorentum" inspirierten Nationalversammlung von 1848.

In Berlin stand Gans dem "Göttinger Verein" vor, einem Komitee zu dem Zweck, den Sieben bis zur anderweitigen Wiederanstellung ihre Bezüge zu gewährleiste. Auch anläßlich der Beerdigung von Eduard Gans, der im darauffolgenden Jahr zweiundvierzigjährig starb, am 8. Mai 1839 werden Karl und Ludwig Herzfeld unter den Teilnehmern zu finden gewesen sein.

Unter Führung von Marschällen der Studentenschaft folgten dem Sarg zu Fuß "die Professoren und Studierenden der Universität, Beamte, Kaufleute, Künstler, Literaten ... 95 Wagen

schlossen den Zug".24

 

Anders als bei Marx, der nach dem Tode des Vaters das Brotstudium der Jurisprudenz kurzerhand aufgegeben hatte und außer bei dem jungen Dozenten Geppert und eines Kollegs bei seinem Freunde Bauer an der Universität nichts mehr hörte25, wird Ludwig Herzfelds Mitarbeit in den Kollegs ausnahmslos als 'unausgesetzt fleißig' bezeichnet. Auch aus Ludwigs Studienschwerpunkten wird im Vergleich mit Marx ein wesentlich pragmatischer Zug sichtbar, wobei er jedoch die philosophischen Studien nicht vernachlässigte. Neben den bereits erwähnten Vorlesungen hörte er bei Homeyer und Heffter - glänzenden Wissenschaftlern, die neben C.F. Eichborn, Puchta, Stahl und Bethman-Hollweg von Friedrich Wilhelm IV. 1845 berufen werden sollten, an der lange vorbereiteten Justizreform mitzuarbeiten26 - Altdeutsches Gerichtswesen und Preußisches Landrecht, bzw. bei letzterem Völker- und Kriminalrecht sowie Civil- und Kriminalrecht. Es schlossen sich an Römische Rechtsgeschichte, Pandekten und Erbrecht bei Rudhorst und Kanonisches Recht bei Röstatt. Daneben, und das mag verwundern, wandte er sich den gerade im Entstehen begriffenen Naturwissenschaften zu. Es war eine Gruppe von jungen aufstrebenden Wissenschaftlern Dove, Mitscherlich und Magnus -, die, bereits seit den zwanziger Jahren in herzlicher Freundschaft verbunden, an der Berliner Universität lehrte. Dank ihres Einsatzes, hatte die Naturwissenschaft jährlich Erfolge zu verzeichnen, so daß sie bereits zu diesem Zeitpunkt eine gleichberechtigte Stellung neben den Geisteswissenschaften erlangte. Zwar gab es noch kein öffentliches physikalisches Laboratorium, aber Gustav Magnus 27 , bei dem Ludwig Herzfeld "Technologie" hörte, stellte die von ihm errichtete Anstalt zur Verfügung.

 

Dove, wie Ludwig ein Schlesier, ein heiterer geistreicher Mann, hatte durch seine lebensvollen Vorträge eine angesehene Stellung an der Universität errungen und war in allen Kreisen der Berliner Gesellschaft zu Hause. Ursprüngliche Hegel nahestehend, er hatte auch in den Wissenschaftlichen Jahrbüchern publiziert, erntete bei dessen Epigonen, wie dem Berliner Michelet, nur Hohn und Spott, wegen seiner empirischen Vorgehensweise. Dove trat für das Experiment ein und wurde unter dem Einflusss Alexander von Humboldts ein Verfechter empirischer Forschungsmethoden. Dove war es auch, der neben seinen grundlegenden Untersuchungen zur Farbenlehre, das Gesetz der Winde fand, wodurch der Ideenkreis der Physik erweitert wurde. Dank der Fürsprache v. Humboldts wurden dann in Berlin das meteorologische Institut und in Norddeutschland zahlreiche Beobachtungsstationen errichtet. 28 Ludwig Herzfeld hörte bei Dove "sehr fleißig" Experimentalphysik und bei Mitscherlich 29 "Experimentalchemie".

 

Bereits aus den erwähnten Studienschwerpunkten Ludwig Herzfelds wird deutlich, daß er kaum den Linkshegelianern zuzurechnen ist; auch in seinen staatsrechtlichen Vorstellungen stand er seinem verstorbenen Lehrer Edmund Gans näher, als das sein später so berühmter Kommilitone Karl Marx tat. Der von Gans vertretene Saint Simonismus wird aber auch bei ihm nicht ohne Einfluss geblieben sein, wir werden später Ludwig Herzfeld in Halle als Verteidiger in Sozialistenprozessen wiederfinden -, aber doch zu anderen Anschauungen geführt haben als bei Marx, der, wie die Saint Simonisten, durch eine Reform der Eigentumsrechte und durch gleiche Bildungschancen für alle zur vollen Entfaltung der Produktivkräfte kommen wollte, also den Grundsatz vertrat: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinem Werk". Die Forderung nach freier Korporation und Vergesellschaftung übernahm der junge Marx ebenfalls in der von Gans übermittelten Form. Im Gegensatz dazu nahm Rachel Varnhagen Anfang der dreißiger Jahre als sie Gans, dem Freund, zuhörte, den Saint Simonismus ganz anders wahr; für sie bot er eine neue Moral, eine Religion der Liebe und des brüderlichen Zusammenlebens der Menschen, angewandtes Christentum. Rachel schreibt in diesem Zusammenhang: „Ich bin tiefste Simonistin, ..., mein ganzer Glaube ist die Überzeugung des Fortschreitens der Perfektibilität, der Ausbildung des Universums, zu immer mehr Verständniß, und Wohlstand im höchsten Sinn; Glük, und Glüksbereitung".30

 

Ludwig Herzfeld teilte wohl diese dem Liberalismus innewohnende Fortschrittsgläubigkeit und wird dem Satz Rachels: "Ich freue mich jetzt zu leben; weil wirklich reell die Welt schreitet; weil Ideen, gute Träume in's Leben treten. Technik, Gewerbe, Erfindungen, Associationen sie ausführen", zugestimmt haben. Die praktische Veränderung der Welt im überschaubaren Rahmen strebte er an, zum einem durch die Technik, - sein naturwissenschaftliches Interesse, das sich bereits während seines Studiums zeigt, manifestiert sich später in seiner Tätigkeit bei der Niederschlesischen Zweigbahn, also im sich rasant entwickelnden Eisenbahnwesen, das stellvertretend für den neuen Fortschrittsglauben steht, und in seiner Freundschaft zum jungen Emil Rathenau, dem Begründer der AEG 31 -, zum anderen durch die Kommunalpolitik in Gemeinden mittlerer Größe wie Sprottau und Halle.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Herzfelds juristische Ausbildung am Stadtgericht Görlitz und beim Oberlandesgericht in Glogau.

  Bürovorsteher bei der Niederschlesischen Eisenbahn.

 

 

Während seiner Studien- und Militärdienstzeit - in den Jahren von 1837 bis 1840 - wohnte Ludwig unweit des Berliner Schlosses in dem Eckhaus Unterwasserstraße No. 9 / Alte Leipziger Str. 1, dort hatte auch Karl Marx, wie bereits erwähnt, sein Domizil.

 

 

 

 

 

Karl Marx

als Student um 1836                       Friedrich Engels als

                                                         Einjährig-Freiwilliger, Berlin1841

 

 

Das Haus gehörte Dr. Michaelis, der mit dem Hofmedicus Dr. Michaels (es findet sich in jenen Jahren nur ein "Michaelis" In den Berliner Adressbüchern), der bei jedem der Kinder von Ludwigs Bruder Carl Taufpate werden sollte, identisch sein dürfte.

Ähnlich wie Karl Marx beschäftigte sich Ludwig in dieser Zeit mit poetischen Versuchen. Durch Übersetzung griechischer Lieder und Verse versuchte er> sich einen Nebenverdienst zu schaffen; jedoch ohne großen Erfolg:

 

Euer Wohlgeboren

 

Verehrtes vom 10ten d. Mts. erwidernd, sagen wir unseren verbindlichsten Dank für die uns gütigst angebotene Übersetzung von                      Gern hätten wir den Verlag derselben übernommen, wenn nicht überhaupt Übersetzungen gegen die Richtung unserer Tätigkeit wären, und wir nicht zu sehr mit sonstigen Unternehmungen beschäftigt alle unsere Preß kräfte auf diese verwenden müssen Unter Wiederholung unseres besten Dankes für Ihr gütiges Anerbieten sind wir mit aller Hochachtung

 

Stuttgart, 12. Sept. 1839 Euer Wohlgeboren ergebenst                                                Cottasche Buchhandlung

 

 

Einiges wurde aber sogar in Literaturzeitschriften abgedruckt:

 

 

 

 

Euer Wohlgeboren

sage ich meinen Dank für die neue Zusendung von neugriechische Pressionen, welche Sie in der letzten Nummer des Literaturblattes zum Ausland abgedruckt gefunden haben werden. Die Abrechnung der Buchhandlung erfolgt erst nach dem Jahresschluß, u. ich habe die Buchhandlung ersucht, Ihnen neben dem Betrag für das vorige Jahr auch den für das neue berechnen ... zu wollen.

 

Stuttgart, d. 16. Febr. 1840

                                                                              Hochachtungsvoll

                                                                                                    Dr.G.Pfizner

 

 

 

Von Ostern 1839 bis 1840 leistete Ludwig seinen Militärdienst beim Kgl.Garde-Schützen-Bataillon in Berlin ab. Die von Boumann ursprünglich für das Pfuelhsche Regiment erbaute Kaserne befand sich in der Köpenicker Straße. Daneben befand sich die Kaserne der Garde-Pioniere, die ebenfalls von Boumann stammte. Die in der Luisenstadt gelegene Köpenicker Straße wurde wegen ihrer besonderen Schönheit gerühmt: "Außer mehreren Holzmärkten, großen Gärten, Kalkbrennereien, einem Salzhause für schlesische Salzschiffahrt befand sich in der Köpenicker Straße, der Kaserne und dem Montirungsmagazine beinahe gegenüber, der große und schöne Garten des jüdischen Bankiers Daniel Itzig, No. 165 bis 68, sonst Luisenhof genannt ...".1 

 

Militär Reitschule und Kaserne des Kaiser Franz Grenadier-Regiments um 1830, 1753 von Boumann dem Älteren erbaut.

 

Ludwig gehörte später als ‘Halbinvalide’, wie er sich selbst bezeichnete, dem 2. Aufgebot der Landwehr in Glogau an.

 

Im Sommer 1840 meldete er sich zum Auscultationsexamen beim Kammergericht. Die Prüfung fand am 9. September 1840 um 8.00 Uhr statt. Unter dem Datum vom 14. September wurde ihm mitgeteilt:

 

Das Sie bei den am 9ten September cur. mit Ihnen vorgenommenen Prüfung zur Auscultatur qualificirt erachtet wurden, so sind Ihre Personalakten an das Königliche Oberlandesgericht zu Glogau zur weiteren Verfügung auf Ihr Bestellungsgesuch gesandt worden, und Sie haben sich daher an das Chef- Präsidium dieses Gerichtshofs mit Ihren weiteren Anträgen zu wenden.

Berlin, den 14ten September 1840 Königliches Preußisches Kammergericht

 

 

Darauf bewarb sich Ludwig mit Erfolg, um eine Anstellung als Auscultator beim Stadtgericht Görlitz, wo er in der Zeit vom 27. Oktober 1840 bis zum 1. März 1842 tätig war.

 

 

 

 

 

 

Glogau-Sagan-Sprottau

 

 

 

Dann wurde er an das Oberlandesgericht Glogau berufen, wo er am 10. August 1842 seine Referendarsprüfung mit gutem Erfolg ablegte, wie wir aus dem Brief eines guten Bekannten in Postoldendorf (Schlesien), der wohl beim Oberlandesgericht Glogau beschäftigt war, vom 19.Aug.42 entnehmen können:

 

Werter Freund !

 

Nehmen Sie neben dem besten Dank für Ihren lieben Brief v. 12ten meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrem so gut bestandenen Examen. Wenn ich auch nicht persönlich so vielen Anteil an Ihrem Wohlergehen nähme, als es der Fall ist, so würde ich mich schon um unseres Gerichts willen freuen, daß zwei Junge bei uns ihre Laufbahn begonnen haben, die denselben so sehr zur Ehre gereichen, und dem Richterstande künftig zwei tüchtige Beamte sein werden.

Wenn Sie nun in Glogau recht rasch zum dritten Examen befördert werden, so gleicht es sich aus, daß Sie bisher durch zweckliche Arbeiten, durch welche Sie doch unstrittig auch großen Nachteil genommen haben, länger aufgehalten wurden. Mein Sohn hat sein Examen ebenfalls glücklich bestanden, doch wird er unter mehreren Wochen die Akte zur Probe-Relation noch nicht erhalten, wie es überhaupt in Berlin kaum möglich sein soll, in 2 Jahren zum dritten Examen zu gelangen. Ihrem hiesigen Coaetaneis wird Ihr Examen ein Sporn der Nacheiferung sein, wie ich denn mit diesen, so wie mit den jüngeren Auscultatoren recht zufrieden zu sein erklären kann.

Auch meine Familie hat mit vieler Teilnahme meiner Mitteilung aus Ihrem Berichte vernommen, u. stattet Ihnen den aufrichtigsten Glückwunsch ab. Leider ist meine Frau seit bereits 14 Tagen durch ein ...fieber an das Bett gefesselt; doch ist dasselbe sehr gutartig. Mit unserem Rat Bünisch geht es schon gut; doch wird er auch sogleich noch nicht sein Amt wieder übernehmen können.

Leben Sie wohl, bleiben Sie ... u. gut, sonst gereichen auch Kenntnisse wenig zur Zierde, öfters zum Schaden. Ich werde immer von Herzen an Ihrem Geschick teilnehmen. Ihr ergebenster Freund

König

 

 

 

 

Die finanziellen Forderungen der Familie haben wohl mit dazu geführt, daß Ludwig während seiner Tätigkeit als Referendar in Glogau bei einem Justizrat eine Nebenbeschäftigung ausübte. Sei es bedingt durch die zusätzliche berufliche Belastung oder die nächtlichen Vergnügungen von solcher Art, ein geschlachtetes Schwein als kranke Großmutter auszugeben, um die Schlacht- und Mahlsteuer in Glogau zu umgehen2 , jedenfalls vernachlässigte Ludwig seine Dienstobliegenheiten, dazu kam, daß ihm Vorhaltungen wegen nicht bezahlter Schulden gemacht wurden.

Nachdem ihm mit dem Entzug der Genehmigung zur Nebenbeschäftigung gedroht, Disziplinarstrafen (Bußgelder) über ihn verhängt worden waren, wurde er auch durch das Justizministerium gerügt

 

Justiz-Ministerium                       Berlin, den 24ten August 1844

Journal Mo. II d 1821 An den königl. Oberlandesgerichts Referendarius Herrn Ludwig Herzfeld

zu Glogau

 

Aus einem Berichte des Präsidiums des Königl. Oberlandesgerichts zu Glogau vom 13ten d. M. hat der Justizminister zu seinem Mißfallen ersehen, daß Sie einer indolenten  Vernachlässigung Ihrer Dienstpflichten sich schuldig machen, wiewohl Sie dieserhalb mündlich, schriftlich und protokollarisch vom Präsidenten verwarnt sind. Nach Ausweis Ihrer Dienstakten haben Sie sogar ohne Urlaub sich entfernt.

Es wir Ihnen deshalb zu Gemüte geführt, daß, wenn ähnliche Dienstvernachlässigungen oder Pflichtwidrigkeiten wiederum zur Sprache kommen sollten, Sie unfehlbar sofort des Dienstes entlassen werden.

Das Präsidium ist übrigens angewiesen, Ihre dienstliche Führung strenger zu überwachen und von der ersten Verletzung Ihrer Dienstpflichten sofort Anzeige zu machen.

 

                      In Abwesenheit des Justiz-Ministers

Der Wirkliche Geheime Ober Justiz-Rat u. Direktor

 

 

 

 

 

Wie wir aus dem Brief eines ehemaligen Schulkameraden entnehmen können, ging Ludwig bereits während dieser Zeit einer Beschäftigung bei der Niederschlesischen Eisenbahn nach.

Ein im Jahre 1840 lancierter Eisenbahnplan zur Verbindung der Städte Breslau und Berlin, der eine Streckenführung über Frankfurt/Oder, Guben, Sorau, Sagan, Sprottau, Primkenau, Haynau, Liegnitz und Neumarkt auch die Stadt Glogau angeschlossen werden sollte, stieß auf den entschiedenen Widerstand der Städte Krossen, Grünberg, Freystadt, Neusalz und Beuthen. Die Stadt Glogau wurde aufgefordert, sich dieser Gruppe anzuschließen, um sich für einen Verlauf nahe der Oder und der Poststraße Berlin-Breslau einzusetzen. Nach einer Reihe von Konferenzen, an denen sich auch Vertreter der Stadt Glogau beteiligten, fiel in Berlin im Januar 1842 die Entscheidung zu Gunsten der bereits 1841 gegründeten „Niederschlesischen-Märkischen Eisenbahngesellschaft“, die die erstgenannte Linie auszuführen beauftragt wurde. Nach diesem erfolglosen Versuch trat Glogau von dem Städtebund zurück  und entwickelte eigne Pläne, um die Stadt über eine Privatbahn an die neue Hauptstrecke anzubinden, was durch eine Kabinettsordre ausdrücklich zugestanden worden war.  Auf Betreiben des Glogauer Arztes Bail kam es im September 1843 zur Gründung eines „Glogauer Komitees“, das die notwendigen Schritte für eine eigne Eisenbahngesellschaft unternehmen sollte. Am 3. Februar 1844 wurde schließlich unter de Beteiligung der Stadt Glogau die „Niederschlesische-Zweigbahn-Gesellschaft“ gegründet und die Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Bahn beantragt. Die Städte Sagan und Sprottau wurden eingeladen, der neugegründeten Gesellschaft beizutreten. Nach den Verhandlungen mit dem Kriegsministerium über die Streckenführung, über die Einführung der Bahn in den Festungsbereich sowie über die Anlage eines Bahnhofs konnte man im Frühjahr 1844 mit dem Bau der Strecke beginnen, die schließlich am 1.November für das Publikum eröffnet wurde.

Die Länge der neuen Bahn, die von Glogau über Klopschen, Quaritz, Waltersdorf, Sprottau, Buchwald, Sagan nach Hansdorf führte, betrug 71 Kilometer und es verkehrten täglich zunächst nur zwei Züge in derselben Richtung. Trotz ungünstiger finanzieller Verhältnisse konnte die als Aktiengesellschaft gegründete Privatbahn bis zu ihren Übergang an die „Oberschlesische Eisenbahn“ im Jahre 1873 selbständig bleiben. Mit dem Bau eines ersten Bahnhofes in Glogau wurde auch eine regelmäßige Droschkenverbindung in der Stadt eingerichtet. Aber erst die Eröffnung der langersehnten Erweiterungsbahn von Glogau über Lissa nach Posen am 30. Dezember 1857, die den Bau zweier Brücken über die Stromoder und über die alte Oder erforderten, machte die Stadt zu einem wichtigen Kreuzungspunkt zwischen Sachsen und dem Verkehr nach Posen, West- und Ostpreußen. Zugleich wurde die Stadt damit an die über Lissa verlaufende Verbindung zwischen Breslau und Posen angeschlossen. Bis zur Eröffnung der Oderbrücken im Mai 1858 konnte die Bahn allerdings erst jenseits des Flusses in Lerchenberg bestiegen werden.3

 

 

Posen den 21. Oktober 1844

 

Werther Freund und Landsmann !

 

Die Unterschrift unter diesem Briefe wird deine Erinnerung in Deine früheste Jugendzeit zurückführen und es werden Dir diese Zeilen von einem Deiner gewesenen treusten Gespielen und Schulkameraden gewiß nicht unwillkommen sein.

Mein Bruder Julius in Berlin, der jetzt vom Militair mit dem Civil-Versorgungs-Schein abgegangen ist und eine Königl. Anstellung bei der Schuld-Gefangenen-Anstalt daselbst erhalten hat, schrieb mir gestern, daß er Deinen Vater gesprochen und dieser ihm nach Erzählung  meiner Lage anrieth, mich zu benachrichtigen, daß ich mich an Dich, der Du als Syndikus bei der Glogauer Eisenbahn beschäftigt bist und bei dem Direktor Herrn Doktor Bail wohnst, wegen einer Anstellung bei der Eisenbahn, wenden sollte. Ich mache nun von dieser guten Weisung Gebrauch und es freut mich doppelt, bei dieser Gelegenheit auch einmal an Dich zu schreiben und als alten trauten Schul-Kameraden zu begrüßen. Hier vor müßte ich Dir jetzt meinen Lebenslauf von unseren Schul-Jahren  bis heute erzählen, ich will Dich aber jetzt nicht mit einem zu langen Briefe beschäftigen, und mir diese Erzählung lieber auf eine günstigere Gelegenheit auf...

Mein Bruder wird Dir , wo Du noch in Berlin warst, erzählt haben, daß ich in verschiedenen Orten der hiesigen Provinz, theils als  ..., theils als Bureau-Gehilfe im Polizei-Bureau seit dem Jahre 1839 aber bei dem hiesigen Ober-Landes-Gericht beschäftigt worden bin. Wie glücklich ich mich auch fühlte, als ich bei dem Oberlandesgericht  als ... aufgenommen wurde, so bin ich doch in meinen Hoffnungen sehr getäuscht worden, und die Aussichten zu einer definitiven Anstellung sind doch sehr weit aussehend, die Diäten aber allgemein fast auf eines Tage-Arbeiters Lohn geschraubt worden.

Ich habe mich bei meiner früheren Beschäftigung in der Kreis- und combinierten  indirekten Steuerkasse, bei welcher ich die Rechnungen und Abschlüsse selbständig fertigte und die Rendenten oft Monate lang vertrat, so wie währender Zeit dass ich in der Calculation des Königl. OL. Gerichts verbrachte und wo mir größere Rechnungs-Arbeiten mit günstigem Erfolg anvertraut wurden, sowohl im Rechnungs- und Kontenwesen gut ausbilden können und glaube, daß ich bei einer Eisenbahn, als Retendend, Kalkulator oder  Buchhalter die nötige Qualification besitze. Ich bitte Dich daher freundschaftlich, Dich zu erkundigen, ob bei der projektierten Eisenbahn nicht noch ein für mich geeignete Stelle offen ist, eventl. kannst Du mich in dieser  Beziehung vielleicht empfehlen. Fallen Deine Bemühungen günstig aus, so bin ich bereit sogleich ein Attest von einer vorgesetzten Behörde, das für mich nur vorteilhaft ausfallen kann zu extraturiren auch mich nach Deinem Gutdünken schriftlich oder persönlich zu melden. Sollte zu meiner Anstellung eine Cautions-Bestellung nothwendig sein, so kann ich solche bis auf Höhe von 1000tlr beschaffen, doch müßte ich dies 6 - 8 Wochen vorher wissen.

Ist Dein Herz noch freundschaftlich, wie in unserer Jugendzeit für mich eingenommen, so darf ich hoffen, daß Du etwas für mich thun und mir recht bald Nachricht geben wirst.

Bei der Posener-Glogauer-Eisenbahn habe ich mich zuerst auch gemeldet, glaube aber daß diejenigen, die auch der polnischen Schriftsprache mehr als ich gewachsen sind, werden bevorzugt werden. Bei der Ober-Landes-Gerichts-Kalkulatur habe ich schon durch vier Jahre gearbeitet und bin auch gegenwärtig daselbst beschäftigt.

Ich lebe in der Hoffnung recht bald von dir einen Brief zu erhalten, der uns auch persönlich bald näher zusammenführt, wo wir dann unsere Freuden und Leiden erzählen können und ich Dich versichern kann, was ich immer war und bleiben werde

Dein  alter Freund Emil Stier

in der OLG Calculatur zu erfragen

 

Trotz der nebenberuflichen Belastung konnte er sich jedoch bereits ein Jahr später, am 22. Juli 1845, zur Ablegung der dritten juristischen Prüfung bewerben. Die Unterlagen für den schriftlichen Teil des Examens (Proberelationen) wurden ihm am 27. August 1845 in Berlin zugestellt. Für die Anfertigung der Arbeit hielt er sich von August bis Ende November des Jahres in Berlin auf. Er wohnte zu dieser Zeit in der Taubenstraße Nummer 11. Der Vermieter war der Theatergardrobier Donath. Die Unterkunft war anscheinend begehrt, denn im September meldeten sich Mitglieder der Familie des Grafen Kalckreuth bei ihm und baten um einen Zimmertausch innerhalb des Hauses. Die Taufpaten von Mendel Herzfelds Söhnen, Ludwigs Vettern, sind in dem Brief namentlich fast vollständig vertreten.

Euer Wohlgeboren,

 

wollte ich gelegentlich meine Aufwartung machen, bedaure sehr ,Sie nicht zu Hause gefunden zu haben.

Es besteht die Bitte, ob Sie nicht die Gewogenheit und Gefälligkeit für den Verwandten von mir, Herrn Grafen Kalckreuth, haben wollten und seiner Tochter der Frau v. Knobloch, welche auf kurze Zeit zum Besuch hier bei den Eltern ist, Ihr Zimmer, was neben dem der Frau v. Knobloch ist, abzutreten gegen das Hinterzimmer, da Sie wenig zu Hause sind, und sich die Familie Kalckreuth tunlichst verpflichten würde, welche früher Zapplau besaß und mit Ihrem II. Vater u. dem alten Mendel Herzfeld sehr bekannt ist. Auch mir würden Sie dadurch eine Gefälligkeit erzeigen.

Vergeben Sie, wie ich mir die Freiheit nehme, Sie im Namen des Generals darum zu bitten.

Eine gütige Antwort würden Sie wohl an mich durch Kalckreuths an mich absenden.

 

Hochachtungsvoll habe ich die Ihre zu sein.

 

Frau Witzleben

                                                                                                                                ergebenst diese
Berlin, d.18/9. 45                                                                                                                v. Unruh

 

aus Guhrau, jetzt Angermünde

                                                                                    im Mainhardt, Hotel zur Linde                                                             

 

 

 

Aber aus seinem Geburtsort erreichten ihn weitere Nachrichten. Er musste sich nach dem überraschen Tod seines Cousins Heinrich Herzfeld mit dessen Nachlass beschäftigen. In dieser Angelegenheit wandte sich auch Mendel, der Bruder seines Vaters an ihn:

 

Lieber Louis!

Dein Wertes vom d. M. habe ich erhalten. Daraus ersehe ich Deinen Wunsch, in Angelegenheit der Johanni; nur sehe ich mich genötigt Dir das nötige von dem zugeschickten Infenta rium mitzuteilen, damit Du ersehen kannst, daß weder Pfandbriefe noch mein Geld, welches ich ihm mitgab und bestand in 50 gl. lr und 12g laur. noch da war, denn er konnte bei seiner Krankheit in den 8 Tagen, wo er fort war, nicht 1 g verzehrt haben. Der Justizrat Schwarz in Trachenberg schickte mir noch eine Rechnung zu, wo ich dabei noch zehn Taler 4g Spf ein— schicken mußte. Wenn Du wirst herkommen, kannst Du Dich noch gründlicher von den Schreibens überzeugen und urteilen. Da ich nicht erben will, so sage ich mich los von dem Hinterlaß des Heinrich.

 

Der Brief, der teilweise in Hebräisch gehalten ist, scheint von Mendel zu stammen. In dem beigefügten Inventarverzeichnis ist auch ein Paß auf den Namen Herzfeld und eine Rechnung des Arztes Dr. Guttwein, der im Jahre 1819 die Pockenepidemie im Kreise Guhrau erfolgreich bekämpfte, aufgeführt.

 

Nach Ablegung der schriftlichen Prüfung zeichnete sich für ihn indessen - neben einer Verbesserung den langfristigen positiven beruflichen Aussichten - auch die der finanziellen Verhältnisse ab. Im Sommer war ihm neben dem Referendariat eine Stelle als Bürovorsteher und stellvertretender Syndikus bei der Niederschlesischen Zweigbahn, deren Direktor der Vater seines Freundes Rudolph Bail war, angeboten worden.

 

Niederschlesische Zweigbahn

 

Lieber Freund,

Auf Ihrer sonst heiteren Stirn sehe ich im Geiste bedeutende Falten. Es ist der Ausdruck des höchsten Zorns und dieser gilt mir, weil ich so lange auf Antwort habe warten lassen.

Aber mein lieber Freund, wir haben hier sehr viel zu thun gehabt und zum Theil sind wir noch äußerst geschäftig. Es soll und muß jetzt die Eisenbahn gebaut werden, sie muß zum 1th Juli d. J. befahren werden, also will es der Ausschuß nun auch. Der letztere hatte sich wie sie wissen, am Mittwoch vergangener Woche versammelt, die Mitglieder hatten sich nur spärlich eingefunden. Unter den Anwesenden  aber war Tamm und dieser hat fürchterlich raisoniert, ja er ist gegen Hoeppe, den Vorsitzenden so persönlich geworden, daß dieser die Berathung  über verschiedene Punkt hat absetzen müssen. Am Schluß der Conferenz fand man erst, daß die meisten Mitglieder zu stark bei Bauch gefrühstückt hatten und daß sie streng genommen besoffen waren.

Am anderen Tage war gewünschte Conferenz. Der Dr. hielt sie frühzeitig ab und da ging es dann besser.

Jetzt muß ich Ihnen, wie Sie es auch wünschen, von unserer Saganer Reise etwas erzählen. Allerdings wir kamen dort sehr unerwartet an. Logan konnte die ganze Nacht hindurch kein Auge zu thun vor Freude, Cords in Verzweiflung zu stürzen, so sind diese Menschen, schadenfroh und boshaft. Als das gesammte Chor der Rache in der Nähe der Saganer Brücke war, mußte ich den Adjutanten spielen (der Dr. sagte mir, Sie hätten ihm viel von meiner ... in der vergangenen Nacht erzählt) und in Sagan General-Marsch schlagen zu lassen. Zuerst trommelte ich bei Klindt: ich darf wohl behaupten, daß dieser ein Gesicht fast 1 Elle lang zog. Es wurde sofort ein Courier zu Cordt abgefertigt und Klindt selbst eilte ins Bureau. Bald war die ganze Armee auf den Beinen, und zwar brach diese verstärkt so plötzlich auf, daß Metzke und ich kaum, der Übermacht weichend, vorauseilen konnten. Das folgten  in verschiedenen Colonnen, Cords, Klindt, Dubian, Pavian, Rieger, Murks, Mops und Gott weiß wie die Kerle alle heißen; Gewich war nämlich überhaupt nicht da; sonst wäre er auch in Sagan überfallen worden. Voraus ließ Cordts die Artillerie fahren. Sie bestand aus Cervelatwurst (24 Pfünder), Käse, 100 Pfünder, ( stank aber noch viel mehr) genug Würste und Schinken von allen den Schweinen, deren schon im Programm zur Einleitung unseres Eisenbahn-Unternehmens hoffnungsvoll als Passagieren gedacht wird. Aber so fürchterlich auch der Effort war, welcher Eindruck bewirkt wurde, so konnten doch alle diese Veranstaltungen unseren Napoleon nicht zum Weichen bringen. Es wurde tüchtig reingehauen, bis ich in den Augen des Doctors, welche auch den Schauplatz der Boberbrücke sahen, die Worte las: ich sehe nichts.

Groß und feierlich war der Empfang bei der Boberbrücke (d. h. wo sie gebaut werden soll) kein Unwille that sich kund; aber am fernen Horizont sah man bereits düstere Wolken zusammen ziehen und in Sprottau entladete sich das Ungewitter. Hier wurden über zwei Stunden lang von der gesammten Direction Donnerkeile gesendet.

Während des Gewitters war ich aber für Sie geschäftig. Zürnen Sie nicht mehr auf die Direction, sie hat mehr gethan, als ich bei sämmtlichen Mitgliedern, einzeln, für Sie beantragt hatte. Sie wissen, der Doctor muß seinen Willen haben. 100 tlr Gratification hielt man für zuviel und so wurde beschlossen, die Stelle, welche Sie inne gehabt haben und ferner behalten werden, mit 600 tlr zu ... Rudoph soll während Ihrer Abwesenheit 30 tlr beziehen, Sie aber die übrigen 20 tlr; das Mandat soll hiernach auf Ihren Namen ausgefertigt werden, und Sie sollen monatl. über 50 tlr quittieren. Darauf ist zugleich Ihr Wiedereintritt unbedingt festgesetzt u Sie wissen, was Sie von uns für die Zukunft zu erwarten haben.

Da Sie aber pro August Ihr Gehalt bezogen haben, Rudolph aber auch saliert werden muß, so muß diese Angelegenheit im künftigen Monat ausgeglichen werden, u da ich nach Berlin komme, so sprechen wir darüber noch.

Die Familie Bail ist gesund, Robert mit Knorr u Reg. R. Krause in Liegnitz. Frau Dr. u die Töchter lassen Sie grüßen ebenso Ihre Collegen u Trenk. Gestern war große Illumination in der Plantage. Heute wiederum. Töpfer, welcher sich illuminieren wird, will nicht länger warten u ich muß daher schließen. Leben Sie daher wohl und behalten Sie lieb

Ihren aufrichtigen Freund Meyer

Übrigens wohnt Helene Hochhans Taubenstr. 10. 01. Ich wüßte wohl, daß Sie wieder vereint werden wird.

Gl d 27/8 45

 

 

Lieber Louis !

Hier in Sprottau, wo ich mich gegenwärtig mit Cords und Krause befinde, um den Bahnhof unserer und der Neusalzer Eisenbahn festzustellen, - bleibt mir so viel Zeit, Dir auf deinen Brief zu antworten. - Du wirst Dich nun bereits in Deine neue Lage gefunden haben, mir aber kanns in meinem Wittwenstande noch nicht behagen, mir fehlt abends und morgens und namentlich zur Frühstückszeit jemand; denn mit Bock gebe ich mich nicht sehr ab; und Rudolph läuft  gerade um diese Zeit oftmals aufs Gericht. Rudolph scheint sich übrigens seiner Stellung sehr zu amüsieren, denn er ist der Eifer selbst; wenn wir auch abends noch sehr lange bei Heider gekneipt haben; um 6 Uhr treibt er uns doch schon aus den Betten, und Punkt 2 Uhr harrt er schon wieder auf den Alten, der aber kann sich in seinen Stil nicht recht finden, er meinte neulich: weiß Gott die Referendarien können alle keine Geschäftsbriefe mehr schreiben ! Was meinst Du ?

Unsere Sache schreitet übrigens auch jetzt noch vorwärts; Du mußt wohl in Berlin viel an Sie denken, die Liegnitzer Brücke wächst; und am Sonnabend habe ich die erste Schiene auf dem Bahnkörper festgenagelt, der Oberbau hat langsam begonnen.

Mit Zweifeln über die edle Gesinnung der Directoren ... fahrt von mir jetzt kann ich Dir zu  ...Aller Freude  mitteilen, daß sich doch noch geändert worden sind und für Deinen Posten 600 tlr Gehalt  festgesetzt haben, so daß Du vom Sept. monatlich 20 tlr in Berlin bekommen sollst. Meyer glaubt zwar das edle Bewußtsein zu haben, daß er diese That hervorgerufen und ich laß ihm den Ruhm; hab aber schon eher gewußt, daß Du in dieser Art belohnt werden solltest; gegen eine bare Remaneration von 100 tlr wie die anderen wollten hat mein Alter allerdings gestimmt; und am Ende hat er doch recht, daß Du auf diese Weise mehr davon hast. Wir haben uns Alle herzlich darüber gefreut und Dir Glück zum Examen gewünscht, damit Du bei Zeiten die 600 tlr genießen kannst.

Rudolph hat sich mit Knorrs, und begleitet uns manchmal statt Deiner auf die Bahn; auch war er vorigen Sonntag mit Knorrsw ... in Reinberg, wo wir recht fidel zusammen waren. Nächsten Sonntag Nachts ½ 1 reist Louise Knorr u. Emilie von Glogau ab so daß sie Montag ... in Frankf. ankommen. Albert wünscht sie bei sich zu haben; sie aber wollen lieber in Berlin bleiben, damit Du sie nun ganz bestimmt triffst, mußt Du Dich wohl nach Frkf. verfügen müssen. Ich werde Louise Geld mitgeben, daß

sie etwas für meinen Alten z. Geburtstage kauft; Du erinnere sie doch dann; ...

Berta ist mittlerweile ebenfalls krank oder noch kränker aus Langenau zurückgekommen, und der Alte ist über ihren Zustand besorgt. -

Wenn Knorrs in Berlin sind reise ich mit Knorr nach Görlitz, um den Viaduct zu besuchen. Logan hat als Oeconom Knorrn gegenüber die Unfruchtbarkeit seines Werkes einen ...wechsel vorgeschlagen der in dergleichen Fällen sehr gute Dienste thun soll; Du könntest Dich verdient machen, die Gelegenheit ist günstig. -

Zum 12th September kommt Meyer mit ... Allen und möglicherweise dem Alten nach Berlin, da kannst Du mit ihm nach Magdeburg fahren und Ulrike abholen. Ob Du für Knorrs Wohnung besorgen sollst will Carl Dir noch selbst schreiben, mit Louise erhältst Du noch Nachrichten von

Deinem Robert Bail

(Sprottau, d. 29.8. -45- Poststempel)

 

Mein lieber Freund !

 

Meine Abreise von hier wird am Sonntage oder Montage erfolgen - jedenfalls schreibe ich Ihnen aber ganz bestimmt, wann ich in Berlin eintreffen werde. Der Dr. ist sehr mit Geschäften überhäuft, daß er noch gar nicht seine Abreise bestimmen kann; ich werde daher wohl zuerst kommen. Es ist das auch besser, weil ich dann alles vorbereiten kann; Allerdings wird auf Ihre Hülfe stark gerechnet, und wäre es gut, wenn Sie schon immer damit beginnen könnten, Ihren Namen auf die Quitt. zusetzen  und dabei die Nummer mit dem Verzeichnissen zu vergleichen. Damit Sie bei Veit zu diesem Zwecke Zutritt erhalten, werde ich morgen an dieselben amtlich schreiben.

Es sind noch 25 Quitt. L zur 5th Einzahlung nicht angemeldet worden, auf dieselben wird daher vigilirt werden müssen. Sie machen wohl die Gebr. Veit hierauf aufmerksam.

Ludwig ist noch nicht in Glogau angekommen. Das Mandat über Ihre Gehaltszahlung ist noch nicht erlassen worden u  soll die Ausfertigung bis nach meiner Rückkehr unterbleiben.

Ich muß heute schließen, weil mich Töpfer nicht länger schreiben lassen will. Nächstens mehr. Bleiben Sie gesund und behalten Sie ferner lieb

Ihren Meyer

Gl d 9/9 45.

 

Lieber Freund !

Meine herzlichen Glückwünsche zu Ihrem morgenden Geburtstage; vor allen Dingen wünsche ich Ihnen, daß Sie denselben fernerhin nur als Assessor, und im nächsten Jahre als glücklich Verlobter feiern können.

Mit wenigen Worten melde ich Ihnen meine Ankunft auf dem Sonntag Abend. Der Doctor kommt später nach; er reist über Sprottau nach Sagan, wohin mich dringend Geschäfte rufen, schon morgen Abend ab. Da nun unsere Wiedersehen so nah bevorsteht, so spare ich alles der mündlichen Unterredung auf.

Zu Veit gehen Sie wohl u geben Sie folgendes Schreiben ab,  wobei  ich Sie noch bitte, dieselben zu veranlassen, die Quittungsbogen ausfüllen zu lassen u falls Volleinzahlungen gemacht sind, in die 6th Colonne die Worte Fünf und Funfzig Thaler Glogau d 10th September 45 eintragen, die übrigen Colonnen durchstreichen zu lassen.

Nun bleiben Sie gesund. Auf  Wiedersehen

Ihr aufrichtige Freund Meyer

Glogau den 11th Septbr 45

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                           Aschersleben den 18. September 1845

 

Werter Herr Referendarius,

 

An den Onkel Bail habe ich soeben geschrieben, daß wir den Sonntag den  21. in Berlin eintreffen werden; da er mir schrieb, daß er von Freitag an in Berlin sein würde. Nun nehme ich Ihre große Güte  wieder in Anspruch und bitte Sie herzlich uns doch am Abend gedachten Tages vom Bahnhof abzuholen. Wir werden vielleicht um ½ 7 Uhr  eintreffen. Hoffentlich wird doch Sonntag Oper in Berlin sein, die wir doch  nicht gern versäumen möchten. Halten Sie es nun für nötig, daß man sich schon früher mit Billets versorgt, so bitte 3 Billets für uns zu rechnen, oder ob man Sie noch an der Kasse  bekommt. Wenn möglich möchte ich gern den Montag noch nach Frankfurt und in der Nacht weiter nach Glogau. Ich denke mir aber, man kann von Berlin aus noch einen Zettel  an Albert Bail schreiben, daß er uns die ersten Plätze im Postwagen sichert. Fragen Sie doch mal den Onkel danach. Damit Sie auch sehen, daß wir Ihre Adresse nicht vergessen haben, dieser Brief und die Bitte uns ferner in Berlin zu beschützen. Auf baldiges Wiedersehen leben Sie recht wohl.

Ihre ergebene Louise Knorr

 

Mein lieber Herr Herzfeld

 

Morgen mit dem ersten Zuge  treffe ich mit Graf Logan und meiner Frau in Berlin ein, ich bitte daß Sie uns auf dem Bahnhofe erwarten und uns nach dem bestellten Quartier führen. v. Rheden habe ich zwischen Krossen und Frankfurt gesprochen.

Frankfurt d. 19.9. 45                                                                                                                                                                                                                       Ihr Bail

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Glogau d 29/9 45

 

Lieber Herzfeld !

Nur kurz u. ohne zu stören, will ich eine Frage an Dich richten, die theilweise die Eisenbahnsache berührt. Erlaube, daß ich einige Prämilarien mache. Knorr steht gegenwärtig mit der Direktion wegen des mit ihm abgeschlossenen Kontraktes im heftigen Diskurs. Es ist möglich, daß er sich an ein Schiedsgericht wendet u. ehrlich gestanden, ich würde ihm dies nicht verdenken. In den Gesprächen mit mir über diese Angelegenheit erwähnte er der Beantwortung eines Rüffels von Bail, in der er sich scharf aber wahr gerechtfertigt haben will und von der mit Verwunderung gesehen, daß sie nicht bei den Personalakten ist; falls daher die Sache  eine schiedsrichterliche Dazwischenkunft erfordere, würde er diese Antwort müssen vom Doktor, der sie wahrscheinlich retiniert habe, einfordern. Kurz darauf fand ich  par depus in Deiner Stube einige herumliegende Stücke des qu: Promemoria u. suchte, um das etwaige Gelangen derselben in unbefugte Hände zu vermeiden, dieselben zusammen u. nahm sie in Asservation. Die Herausforderung der Viere (od. des Viece) würde daher  scheinbar unangenehm sein. Wie war denn die Geschichte der Präsentation  und Vernichtung derselben. Hat der Doctor oder Du privatissime dies gewollt. Ich bitte um baldige Nachricht um vorsichtige Maaßregeln treffen zu können.

Dein treuer Rudolph

 

Mein verehrter Herr Referendarius.

 

Ihnen den besten Fortgang Ihrer Studien wünschend, wäre es mir viel lieber Sie hätten Ihr Examen bereits gemacht, oder noch nicht begonnen, denn seit Ihrem Abgange fehlt mir jede Unterstützung, da Ihr Nachfolger zu wenig mit den Geschäftsgange vertraut, auch noch weniger Zeit zu haben scheint, da ich ihn nur selten auch eine halbe Stunde sehe, wozu der Umstand beitragen soll, daß man ihn seitens des Gerichtes mehr beschäftigt. Aus diesem Grunde und weil die Geschäfte sich häufen, dieselben auch in eine feste, zuverlässige Hand kommen müssen, habe ich auf definitive Besetzung der Bureau-Vorsteher Stelle angetragen, um so mehr als ich einsehe, daß zwei Herrn zu dienen nicht möglich ist.

Ich richte nun mehr an Sie die Frage ob Sie mein verehrter Herr Referendarius, sich entschließen wollen diesen Posten definitiv zu bekleiden, den wir nach dem letzten Conferenz Beschluß mit jährlich 400 tlr dotieren wollen und ob Sie noch im Laufe dieses Jahres mit Ihrem Examen soweit kommen, daß Sie denselben zuverlässig mit dem 1. Januar 46 antreten können. Ist dies der Fall, so will ich mich bis dahin quälen, länger aber halte ich es nicht mehr aus, da ich täglich auf meinen Beistand wartend mir bei seinen unvollständigen Arbeiten mehr Zeit mehr zu verwenden muß.

Glogau d. 15.10.45                                                                                                                    Ihr aufrichtiger Freund Bail

 

Mit dem besten Dank sende ich Ihnen das Geld und bitte von dem Uebrigen den Betrag für meinen Mantel zu bezahlen, der in der Färberei des Herrn Wolfenstein sich befindet.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Emilie Bail

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Glogau 22/10 45

 

Indem ich dir, lieber Herzfeld, für deinen freundlichen Gruß danke, beeile ich mich, Deinem so freundlich ausgesprochenen Wunsche, Dir einmal zu schreiben, nachzukommen, zumal da eine Auseinandersetzung läuft die Mißhelligkeit, in der ich jetzt das Verhältnis  zwischen uns klar sehe, zu vernichten im Stande seien dürfte. Ich werde eben so offen zu Dir sprechen, wie Du heimlich gegen mich gesprochen hast; - nur so hoffe ich Dich zu überzeugen, daß Du geurtheilt hast, ohne geprüft zu haben. Wenn Dir auch, wie Du geäußert, der Gedanke nicht angenehm ist, mich ebenso freundlich wie Dich bei Knorr aufgenommen zu wissen, so mußt Du schon diese Unannehmlichkeit ertragen, denn es ist so, ich der ich ferne von denen an denen mein ganzes ... hängt, leben muß, fühle mich angenehm berührt, durch die natürliche Heiterkeit u. Gemüthlichkeit des Knorrschen Familienlebens von meiner tief in mir nagenden Sehnsucht zerstreut werden

 

 

Ludwigs Freund Meyer konnte nun Ende  Oktober nach Berlin berichten:

 

Lieber Freund,

Erst heute hat der Doktor mit mir über ihre Angelegenheit gesprochen. Ich vermied es selbst davon anzufangen und es war ja auch zu erwarten, daß er mir Ihr Schreiben mitteilen würde das letztere hatte ich bereits durch Frau Doktor zur Einsicht erhalten. Ich kann Ihnen zu meiner und Ihrer Freude mittheilen, daß Ihnen der Dr. Alles bewilligt, was Sie wünschen, nur sollen Sie sobald als möglich kommen, d.h. nicht früher, als ich von Berlin zurückkehren. Ja der Dr. geht in seiner überschwenglichen Güte soweit, daß er auch für die Regulierung Ihrer Schulden Angel. Sorgen will. Sie sollen aus der Hauptkasse einen Vorschuß erhalten, um die Sie am nächsten drückenden unverzüglich tilgen zu können. Sind Sie nun mit uns zufrieden ?

Am Sonntag ist Konferenz und wenn Sie mir keine Counter Ordere geben, so sorge ich für die Fassung eines Conferenz Beschlusses, damit Sie wissen woran Sie sind. Der Contract wird jedoch wohl erst abgeschlossen werden, wenn Sie wieder in Glogau sich befinden. Ich fragte den Dr. wegen der Höhe des Gehalts und sagte ihm, daß Sie mir von 400 geschrieben hätten, daß dies jedoch zu wenig sei, worauf er erwiderte, daß diese Summe nur für einen anderen, nicht aber für Sie bestimmt worden wäre. Die Dauer des Engagements, wie Sie solches vorbedingen wird nicht allein genehmigt, sondern gewährt. Nun denke ich  wird Alles gut werden. Ihre frühe Rückkehr kann und wird nicht auffallen, da man weiß, daß sie nur zurückkommen, weil die Umstände es gebieten. Am Ende können auch Sie hier ebenso gut als in Berlin studieren. Ob Sie wieder bei Bail wohnen sollen, darüber kann ich Ihnen heute keinen Rath geben, wenn Sie mich danach fragen. Wir sprechen darüber während meiner Anwesenheit in Berlin. Aber soweit kann ich Ihnen mittheilen, daß der Dr. darauf rechnet, sie wieder in seinem Hause zu haben: denn er redet davon, daß man, um Ihnen aus Ihrer drückenden  Schuldenlast zu helfen, auch noch mit Freier Wohnung  und Heitzung unterstützen könne. Damit kann er nur gemeint haben, daß Sie Ihr altes Quartier wieder beziehen. Doch darüber muß ich mir erst noch eine Aufklärung vorbehalten und bis dahin bleibt es dabei, daß Sie der Bailschen Familie einverleibt werden.

Gestern sind die Freistaedter zurückgekehrt.

Am Donnerstag ist die Einweihung der Loge - Ganz Glogau wird dort speisen u tanzen, nachher wird alles vermauert. Le Pritre ist gestern hier angekommen.

Übrigens bin ich mit Ihnen sehr unzufrieden. Rudolph scheint, wie ich jetzt merke, in seinen Erzählungen über Robert u Emilie etwas zu weit gegangen u von der Wahrheit abgewichen zu sein, überhaupt Vermutungen  ... ausgegeben zu haben. Mir aber hat er  unumwunden die Erzählung so gemacht, wie ich Sie Ihnen mitgetheilt habe, u daß ich dies letztere that, darüber mache ich mir heute noch meine Vorwürfe, denn ich halte das nicht für ein Geklatsch, wenn ich von Nahstehenden einem demselben noch näher stehenden Vertrauten über so ernste u gefährliche Dinge Mittheilung mache. Nur  daß Sie dem Dr., der Emilie u Robert durch die Blume Vorhaltungen machen, das gefällt mir nicht und Sie haben dadurch zu großen Mißverständnissen Veranlassung gegeben. Ich scheue mich nicht, das zu vertheidigen, was ich gethan habe. Rudolph wird aber ins Gedränge kommen, so sehr er sehr er sich auch jetzt Mühe gibt, sich herauszuwinden.

Leider bin ich beim besten Willen nicht im Stande, Ihre ...Angelegenheit mit Heitemeyer zu ordnen. Am 9ten d. Ms. schickte Lehfeld zu mir (Sie wissen, daß er mein Gläubiger ist) u ließ mich wegen der Rückzahlung der ihm noch schuldigen 200 mahnen. Die Sache ärgerte mich nicht wenig u ich nahm mein Gehalt zur Tilgung dieser Summe, nachdem ich den Dr. gebeten hatte, die mir vorschußweise zur Reise nach Berlin gegebenen  100 Gold bis nach der nächsten Reise zu belassen; ich besitze also gegenwärtig kaum so viel, als ich gebrauche, u kann unmöglich einen Thaler missen. Außerdem will ich ..werden u soeben habe ich schon von Neumann die Aufforderung erhalten, nächstens  37 zu zahlen. Sie sehen also, daselbst in der Klemme stecke, u das sollte wohl eigentlich  ein Redent nicht.

Hübner kehrt so eben von der Post mit dem  Bescheid zurück, daß der anwesende Postsecretair Ihm rückständige Gesetzes u A-b. nicht extradiren könne, weil der Beamte, welchem dieser Zeig der  Geschäftsverwaltung angehöre, nicht anwesend sei. Ich werde H. morgen noch einmal absenden

Von Kosmehl höre ich, daß er nicht nach Berlin kommt. Vielleicht reist Trenk mit. Jedenfalls aber wird mich Neumann begleiten. der die Stelle des dir. vertreten soll. Die Antragschrift wird durch ein Faksimile des Dr. bewerkstelligt werden.

Ich schließe mit dem Wunsche, daß sie mir nicht böse sind, erwarte bald von Ihnen Antwort. Grüßen Sie Töpfer u alle übrigen Freunde und behalten Sie ferner lieb

Ihren aufrichtigen Freund

Gl. den 28/10 45.                                     Meyer

 

Mein lieber Freund I

 

In der gestern beendeten 3tägigen Konferenz wurde beschlossen:

      1. der Referendarius Herzfeld soll mit einem jährlichen Gehalt von 600 tlr als Bürovorsteher engagiert werden und zwar vorläufig auf zwei Jahre.

Der Kuriosität wegen, nur zu Ihren Studium teile ich Ihnen aus dem Konferenzprotokoll ferner wörtlich mit:

      5. Der Vorsitzende Direktor ist befugt, alle Maßregeln namens der Direktion vorläufig zu treffen, welche die Umstände nötig machen und sind die Beamten verpflichtet, seinen Anordnungen Folge zu leisten, was insbesondere den technischen Beamten bekannt gemacht werden soll. Ein höchst wichtiger Beschluß. Neumann hat 3 Tage lang über die Fassung gegrübelt und hat, Gott sei es gedankt, am 3ten Tage endlich zur allgemeinen Zufriedenheit seine Aufgabe gelöst. Nun aber noch ein Beschluß ernsterer Art.

      16) Die Direktion hat die heute in Seperato zu Protokoll erklärte Kündigung des Baumeisters Knorr akzeptiert.

Zur Sache ad 1) Die Fassung gefällt mir nicht, da nicht gesagt ist von wann ab Ihr Gehalt lauft. Ich kann Ihnen daher heute noch kein Geld schicken; der Dr. ist nämlich nach der Konferenz über Hainau nach Liegnitz gereist, und noch nicht zurück. Sie müssen sich also noch ein paar Tage gedulden. Mündlich hat die Direktion in pleno genehmigt, daß Ihnen ein Vorschuß gegeben werde. Über den Geldpart also in den nächsten Tagen mehr - doch verspreche ich Ihnen Hülfe.

Knorr ist bereits gestern Abend von hier über Berlin nach Stettin gereist. Wahrscheinlich hat er Sie besucht u. dann wird er Ihnen das Nähere mitgetheilt haben. Er soll Hoffnung haben  bei der Stargart Posener Eisenbahn dieselbe Stellung einzunehmen welche er bei uns verläßt. Ich begnüge mich , Ihnen das nackte Faktum mitzutheilen und muß auf alles übrige der mündlichen Unterhaltung vorbehalten. In 4 Wochen heißt es, wird die Familie Knorr jedenfalls Glogau gänzlich verlassen.

Langrieder geht, nachdem er schon seit dem 15th Mts factisch aus dem Dienste geschieden ist, heute nach Breslau zur Breslau - Posener Eisenbahn. Brueckner ist schon längst in Posen bei Posen - Stargarts.

Metzke wird mich nach Berlin begleiten, der Direktor ist dem Syndicus vorgezogen worden. Ich treffe am 14ten mit dem Mittagszuge in Berlin ein. Früher kann ich nicht. Auch den Inhalt Ihres letzten Schreibens, soweit dasselbe eine unangenehme Angelegenheit berührt, komme ich heute nicht zurück, hebe vielmehr alles der mündlichen Unterredung auf.

Grüßen Sie alle Bekannten und bleiben Sie nur gesund. Stets

Glogau 4/11.45                                       Ihr

Die ganze Familie Bock                          aufrichtiger Freund

aber auch alle lassen                                Meyer

 

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Glogau d. 5. Novbr 1845

 

Lieber Herzfeld,

 

Seit 10  Wochen also erhältst Du heute die ersten Mittheilungen über mich  u. mein Treiben; aber mögen mich bisher, Nachlässigkeit, Eigensinn, Arbeit oder Zeitverhältnisse  abgehalten haben, meine Trägheit im Briefschreiben zu überwinden; unter den jetzigen Verhältnissen, soll mich nichts mehr davon abhalten, damit mir nicht der Vorwurf der Theilnahmslosigkeit an Ereignissen gemacht werden kann, die diesmal nicht bloß Dein und mein Privatinteresse, sondern so ganz das fernere Glück und Wohlergehen zweier Familien betreffen. Du hast heute einen langen Brief zu erwarten; und ich werde, um nichts zu vergessen, chronologisch von vorn erzählen: Da muß ich denn schon mit dem lieben Ich anfangen und zwar, weil man sich doch immer gern von aller Schuld weißbrennen will, entschuldigend, in dem ich Dir versichere, daß nur Schicksalstücke meine Geburtstagsgratulation nicht gelangen ließ, denn sie war schönstens verfaßt, und sollte Dir durch Meyern überbracht werden,  daß diese Abreise sich damals hinzog, weil bei uns noch Uneinigkeit war, ob und wann der Vater und nicht auch die Mutter nach Berlin reisen würden. So kams, daß sie verspätet wurde. Das Bewußtsein, daß Knorrs und die Meinigen Dir Unterhaltung genug gewährt und die Hoffnung, daß sie auch von Meiner Wenigkeit Einiges geklatscht haben würden, beschwichtigte mein Gewissen, ...ich mir Nachlässigkeit vorwerfen wollte. -

Nun aber, als Knorrs nach Glogau zurückkehrten, ließest Du aufgebracht theils wegen meiner Faulheit im Schreiben, theils weil Du Dir einbildest ich habe Rudolph in die Verhältnisse zw. Knorr u. d. Dir. aus Schwatzhaftigkeit eingeweiht, mir durch ein leicht erregbares Frauenzimmer sagen: ich möge mich  vor gewissen neuen, übereilten Freundschaften hüten, mein Vertrauen nicht leichtsinnig verschenken und gebrauchst selbst den Ausdruck ‘warnen’ und das Weibern gegenüber, die nur zu leicht mißtrauisch gemacht sind, gegen einen Freund, dem Du es in den derbsten Worten schreiben durftest, ohne, daß Du zu fürchten hattest, daß er es übel deuten würde; von einem Freunde noch dazu der Dir den Gefallen that, Dir durch Uebernahme von Dir selbst als schwierig anerkannten Arbeit, die Mittel zu Deiner weiteren sorglosen Existenz zu sichern. Louet, magst Du nun nicht  so gesprochen haben, wie mir berichtet wurde (beiläufig gesagt  glaube ich E. D. vollkommen und ihre Aussage wurde durch Louise bestätigt) magst Du Dich übereilt haben äußern recht gehandelt war das nicht. War Dirs Ernst damit, so blieben Dir noch andere Wege übrig, Dein lobenswerthes Ziel zu erreichen, als grade durch und mit Frauen, Durch deren Macht und Einfluß Du siegen wolltest, weil Du das Recht nicht auf Deiner Seite wußtest. Du hast durch jene unüberlegte Warnung Mißtrauen gegen mich erregt, hast Rudolphs Ehrenhaftigkeit verdächtigt, und Dir am meisten geschadet; denn der Zweifel an dem Edelmüthigen Deiner Gesinnung gegen Rudolph, ist selbst in den Weibern denen Du den Hof machtest, und die Deine Vertrauten seien sollten, rege geworden. - Ich will Dir nun auch den Schlüssel zu diesem Deinem Benehmen geben; denn ich habe mich wohl in Deine Lage gedacht und kenne Dich zu gut, als daß ich mich irren sollte. Du Bist mit schweren Herzen von Glogau weggegangen, wo Du viele Dich liebende Gemüther zurückließest; bist dort in unangenehme, wenigstens ungewohnte Verhältnisse gekommen; hast sogar  Nahrungssorgen gehabt und nichts war natürlicher, als daß Dich das Heimweh ergriff, in dieser zeit kommen Knorrs nach Berlin, zwei hübsche  für Dich interessante Frauenzimmer, die Dir nicht gleichgültig geblieben seien konnten; beide halten ... in Berlin und so waren sie natürlich  einige Stunden Deiner Hilfe anvertraut ... nun kommen die Erinnerungen an Glogau rsp. Deine Einbildungskraft und Schwärmerei u waren Schuld daß Du mehr plauderst als nöthig war, u. als Du verantworten kannst. Das Bewußtsein einer gewissen Schuld von der Du Dich reinigen wolltest gab den Ausschlag. Ich spiele auf jenen Brief v. Knorr hin den Du zerrissen hast. Ich weiß nicht zu beurtheilen, in wie fern Du recht daran gehandelt hast, und wieso Du recht daran gehandelt hast, kann Dir auch versichern, daß mir die Sache höchst gleichgültig gewesen ist und noch ist, u daß ich nicht im Entferntesten mehr daran gedacht habe, aber so viel steht fest, daß durch das Wiederauffinden des Briefes, zu einer Zeit  wo dieser nachgefragt worden war, sehr unangenehm gewesen ist. Du glaubst ich habe nichts Eiligeres zu thun gehabt, als Rudolphen die Sache zu klatschen und den Brief zu zeigen; da irrst Du Dich aber gewaltig, da... war bis zu jener Zeit gegen R. noch kein Wort über meine Lippen gekommen. Ich habe bloß den Fehler begangen, daß ich gedacht habe, ich dürfe einen Menschen, der Dich vertritt, und den ich nebenbei liebgewonnen habe, ohne Weiteres in Deine Stube führen, wo Du ohne mein Wissen dergleichen böse indicia in offenen Schüben liegen läßt. Doch es ist geschehen, und nicht zu ändern, und ich mache mir kein Gewissen daraus; R. hat zufällig in einem offenen Schube die Rudra gefunden, und wie bekannt damit verfahren. Siehst Du u. ich habe mich nicht einmal darum bekümmert was er damit gethan. Jetzt also schäme Dich vor mir, daß Du mich nur im Geringsten hast in einem Verdachte haben können. Eifersucht und  ... sind die Hauptursachen Deines tadelhaften Benehmens gewesen. Du bist neidisch auf Rud. gewesen, daß er sich ebenso wie Du bei Knorrs  amüsieren sollte und dort gern gesehen war, während Du in Berlin Dich...

die unrechten Mittel ergriffen und so statt Dir allein ihre ... zu sichern, die selbe von  Dir ...

Du kennst Knorr und weißt sehr wohl wie leicht Er so wohl auch Sie von einem Extrem zum Anderen springen; kurz sie sind grade wegen der angeführten  ... u. Äußerungen , die alle noch in Folge Deines letzten Briefes an mich zur Sprache kommen, wo Du mich ... aufforderst Knorrs nochmals zu fragen, was Du mir ... sagen lassen; - und Du wirst nicht mehr viel freundliche Gesichte von ihnen zu erwarten haben; so verscherzt man sich durch eine übel angebrachte Empfindsamkeit u.s.w. das Vertrauen und die Liebe theurer Personen; laß dieses für fernere Zeiten zu einer Lehre dienen. Ich habe Deine Parthei noch stets ihnen gegenüber genommen, und will es ferner thun, wenn ich mir auch dadurch den Vorwurf der Schwäche zuziehe, wie es schon geschehen ist.. Du wiederholst in Deinem letzten Brief  nicht nur die mündlich gemachten Vorwürfe sondern häufst auf sie noch Beleidigungen. Ich frage Dich hiermit: welcher That hast Du mich nicht  ... gehalten; was in deinen Augen  Schlechtes habe ich gethan? und erwarte darauf eine vernünftige  und deutliche Antwort. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich denken soll; bist Du verdreht geworden oder haben  dritte Personen so widerwärthig von mir gesprochen als Du zweideutig geschrieben hast. Kannst Du Dich in so großen Zweideutigkeiten, mit solcher Geheimniskrämerei vorgehen, so kannst Du auch gleich die reine Wahrheit schreiben, das wird, wenn unberufene Personen ihre Nase in den Brief  stecken sollten, weniger schaden als eben diese verdrehten  Redensarten. Ich habe Deinen Brief  Meyer, Rud. u. Knorrs vorgelesen und kann nach dem wir Alles mögliche überlegt haben, nur  auf die Gedanken kommen, die Dir das Gehirn verdreht haben. Entweder bist Du in Folge von Schwätzereien mit meinem Alten, der Meinung ich habe in der Person meines Alten  den guten Ruf  einer  ... Person Knorr gegenüber außer Augen gelassen, denn meine Alte ist wütend auf mich, oder Du bildest Dir ein ich habe die Korr’n gepudert. Einen dritten Gedanken kann ich nicht fassen. Beide sind falsch, der eine beruht auf Leichtgläubigkeit, und der andere auf ... und Eifersucht; in diesem Falle einer so schlimm wie der andere. Doch genug; ich erwarte Deine Antwort! -

Was die Besorgung von Geldern betrifft,   

 

Lieber Herzfeld !                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Glog. 14/11 45 R

 

Um den Nebel, der sich zwischen uns beide, die wir hoffentlich bald klar sehen werden, drängen könnten, gänzlich zu zerstreuen, damit die Einigung eine vollkommene werde, will ich sehr eilig Deine lieben Zeilen, für die ich herzlich danke, beantworten.

Es ist die Mystik, mit der Du Robert schiltst, welche ich, der Grund dazu ver ... will. Robert konnte aus deinem Brief nur den Schluß ziehen, daß Du durch Meyer, welcher mich als Autor angegeben, erfahren hättest, Emilie hätte sich ihm hingegeben. Robert ausser sich, geht zu Meyer, befragt ihn deshalb - der sagt ihm: Ja Rudolph hat eines Morgens gegen mich ausgesprochen, daß Robert in solchem Verhältnis steht. Robert kommt zu mir u. stellt mich in der aufgebrachtesten Stimmung zur Rede. Ich sagte ihm, daß sei nicht wahr, denn ich müßte die Behauptung erfunden haben, ich würde ihm die Sache auseinandersetzen. Robert erzählte mir nämlich eines Sonntags Morgens, ein paar Tage vor Meyers Abreise nach Berlin, eine unangenehme mit Knorr vorgefallene Geschichte u. sagte mir dabei: Emilie wäre außer sich darüber, wollte die Sache beilegen  u. da bin ich heut Morgen um 5 Uhr da gewesen, um mit ihr zu sprechen. Sie lag noch zu Bett, ich setzte mich zu ihr. Im Verlauf des Gesprächs schilderte Robert die Schönheit Em. sprach davon, daß es ihm  ungeheuer  schwer würde, sich zu bekämpfen, aber brachte in abgebrochenen Reflexionen vor, aber gräßlich würde sein, wenn Emilie einmal sollte die Folgen verspüren - Du weißt, daß in solchen Gesprächen, die Phantasie  zu ihren Trugbildern kaum unsere ..Worte gebraucht, u. Du nur die gewagtesten. Aufgeregt durch die Geschäfte mit Knorr u. zum ersten Male von dem Gedanken durchzuckt: Mein Gott, wenn so etwas geschähe, was sollte man dann zur Rettung des Freundes thun !äußerte ich, ... ich bald darauf  mit Meyer plauderte ... bei der Aufregung zu entschuldigende Vermuthung, mag sein, in Ausdrücken, die Meyer zu der Idee brachten u. diese in seinen  .. als spräche ich eine von Robert selbst gestandene Wahrheit aus. Bei Gott ! .. bin ich schuld, wenn die blitzgleiche Schnelligkeit mit der mich damals die Gedanken durchzuckten meinen Worten diesen Schein gaben. Ich achte Meyer zu hoch, als daß ich nur einen Vorwurf mache, ihm dem Freunde - Da eine in mir aufsteigende Vermuthung gesagt zu haben aber so wie es durch ... gekommen ist, habe ich auch veranlaßt

 

 

 

 

Euer Wohlgeboren,

 

danke ich ergebenst für die gefällige Übersendung der Geschäftsberichte der Niederschlesischen Zweigbahngesellschaft, bei dessen Durchlesung mache angenehmen, aber auch recht viel unangenehme Erinnerungen in mir erwacht sind. Der so reiche Styl läßt Ihre Autorenschaft nicht verkennen, nur könnte ich der Niederschlesischen Zweigbahn wünschen, daß Sie ihr nicht zu sehr geschmeichelt haben möchten.

Ich grüße Sie zum neuen Jahre bestens und empfehle mich Ihnen Hochachtungsvoll und ergebenst

 

Stargard in Pom vom 5ten Januar 1846                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Knorr

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Glogau den 15th Novbr 1845

 

Lieber Herzfeld !

 

Morgen Nachmittag um 5 Uhr reise ich von hier ab u. treffe am Montage den 17th mit dem Güterzuge in Berlin ein - ich bringe Trenk mit, welcher bei Ihnen sein Quartier aufschlagen wird. Es gibt für mich hier noch sehr viel zu thun, deshalb schreibe ich nicht mehr, u spare vieles der mündlichen Unterhaltung auf.

Soeben Mittags  2 ½ Uhr hat die Knorrsche Familie Glogau verlassen. Die Damen gehen nach Aschersleben, Knorr nach einem 2tägigen  Verweilen in Berlin nach Stargard über Stettin.

Leben Sie wohl, bis auf Wiedersehen

Ihr

ergebenster Freund Meyer

 

Im Frühjahr 1846 standen die mündlichen Prüfungen an.

Ludwig hatte inzwischen über seine Schwester durch einen Studienfreund, Leonhard, Ende Januar vergebens den Termin für die mündliche Assessorenprüfung in Berlin in Erfahrung zu bringen gesucht. Ebenso schrieb ihm ein anderer, Grolig, "meine wiederholten Bemühungen sind erfolglos geblieben. Ich habe weder erfahren wann Y noch von wem ? noch mit wem ? Beides ist überhaupt nicht eher als einen oder zwei Tage vor dem Termin herauszubekommen. Der alte Busse ist grätig geworden. Er nimmt auf keine Bitte für eine bestimmt Zeit mehr Rücksicht, sondern ladet nach Gefallen vor. Ob Du noch vor oder erst nach Ostern daran kommst, ob ich desgl. das ist im Dunkeln."

 

 

 

Berlin, den 3 Februar 1846

 

Euer Wohlgeboren !

wertes Schreiben vom 31. Jan. 46 habe erhalten, u. beantworte die in demselben  an mich gerichteten Fragen wegen eines meiner Zimmer dahin, das bis zu Ihrer für den 9. d. Ms. bevorstehenden Ankunft ein solches, aber  nur das nach dem Hof gehende leer wird. Ein Literat (Baron v. Rosen) nämlich der in den unruhigen Tagen zu Leipzig war, ist, wie mehrere seines Standes von dort ausgewiesen worden, u. kam hierher nach Berlin. Hier hält man nun auch gerade nicht viel von solchen Leuten u. die Polizei will ihn, dem seine ökonomischen Verhältnisse wohl; auch nicht zum Besten stehen, keinen längeren Aufenthalt gestatten. Der eben erwähnte Baron von Rosen hat das in Rede stehende Zimmer zwar noch im Besitz, er hatte mir zum 15. c. dasselbe auch schon gekündigt, u. ich hatte ihm auch bestimmt, das er, wenn Sie ankommen würden, er ... einige Tage alsdann bei seinen Bekannten wohnen würde, dies ... aber Alles überflüssig sein, da die Bestimmung des Polizeipräsidiums dahin geht, daß er binnen 24 Stunden Berlin verlassen muß. Mir thut der arme Mann ordentlich leid, ob ich gleich am schlechtesten dabei fahren werde, denn mit der Bezahlung sieht es übel aus. Wenn Sie nun mit dem Zimmer, von dem ich eben gesprochen, vorlieb nehmen wollen, (Sie kennen es ja), so steht es zu Ihren Diensten u. würde es sich auch wohl arrangieren lassen, daß ihr Freund mit darin wohnen könnte. Lieb würde es mir jedoch sein, wenn Sie mir Ihre Willensmeinung durch ein paar Zeilen mitteilen möchten, damit auch ich meine Maßregeln  ... könnte.

Der ich mich Ihnen bestens zu empfehlen die Ehre habe als

Ihr ganz Ergebenster

G. Donath

Garderobier am Koenigl. Theater

 

Am 9. Februar traf Ludwig in Berlin ein und bezog - wie geplant - wieder Quartier in der Taubenstraße 11, beim Theatergarderobier G. Donath.

 

Seine Examensvorbereitungen wurden  von Angeboten der Art :

 „Berlin d. 16. th  Februar 46

Wenn Sie, Herr Kollege, geneigt sind, den Versuch einer Repetition zu wagen, so bitte ich Sie um Ihren gefälligen Besuch. Ich bin von 3 Uhr ab jedenfalls zu Hause

Kieschke, Charlottenstr. Nro 73, 3 tr. l.“ und von den besten Wünschen der Freunde begleitet. "Wir alle“ , schrieb Meyer am 23. Febr., wünschen noch mal viel Glück zum Examen, und in dem ich hiermit den Referendarius Herzfeld auf ewig ein Lebewohl sage, breite ich meine Arme schon aus, um den Herrn Assessor zu empfangen."

Aber in dem genannten Schreiben ging Meyer auch auf geschäftliche Dinge ein:

 

‘Graf hat mir mitgeteilt, daß Deine 2 Instruktionen bereits seit einigen Tagen abgegangen sind; die eventuell bestimmte dritte ist hier geblieben. In den dazu gehörigen Manual Akten ist nichts weiter enthalten, als ein paar von Dir expedierte Schreiben, ohne deine Unterschrift. Die Sache war also in Ordnung.

Mit dem Geld incl. Metzke bin ich glücklich angekommen. Schon war mir bange, daß ersteres am  Thor mir abgenommen werden könnte. Wir trafen die Direction noch beisammen, die ihre Berathungen noch bis zum anderen Tage fortsetzte. Der wichtigste Beschluß ist offenbar der, daß sofort ein befugter Inspector hier angestellt werden soll. Clausewitz ist zurück. ... mit umfassenden Kenntnissen und praktischen Erfahrungen zurückgekehrt und ein viel gereister Mann. Neues Leben zeigt sich schon überall. Künftig Woche soll die Locomotive geheizt werden und die Sache wird  nunmehr ernstlich betrieben.

Korziollerz ist zu den Polen übergegangen. Von den Unruhen in Polen merkt man hier nichts. Deine Vögelei hat sehr gefallen. Ein Ding daran hat beim Grafen Reder, der vor einigen Tagen einen Ball gab, die Runde gemacht. Die Mädels sind sehr großartig beschenkt worden. Emma aber ist böse, weil sie kein Gedicht erhalten hat, daß sie von Rechtswegen zu fordern habe, wie sie sagt. Ich habe indessen die Bestellung ... ausgerichtet wie Du mir es gesagt hast.

Bevor Du abreist, besuchst Du wohl meinen Vater noch, welcher Dir  Briefe mitgeben will.

Der  Doctor wird in 14 Tagen nach Berlin kommen. Er konnte sich noch nicht darüber beruhigen, daß Du nicht mitgekommen warst, indessen haben wir ihm guten Muth gemacht. Die Familie Bail in ihrer ganzen Ausdehnung läßt grüßen (bald wird es sich noch mehr dehnen.) ...

Nun lebe wohl! Grüße mir die Glogau-Berliner, von denen ich keinen Einzigen sah

Stets mit Liebe.

Gl d 23/2 46                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Dein Freund Meyer

 

Ebenso meldete sich Bock am 5. März zu Wort: "Zu Deinem Examen 1000 Glück, von allen und mir 1000 Grüße."

Am 10. März 1846 war es dann soweit: "In dem ich diese Zeilen schreibe, hat Busse Dir die letzten Fragen vorgelegt, Die Du wie alle übrigen gut beantwortet haben wirst, und ich hoffe, daß meine Adresse die richtige sein wird, ich sehe Deiner Nachricht gespannt entgegen. Lehfeld, der eben hier ist, läßt Dich grüßen und Dir sagen, daß er des guten Ausgangs überzeugt sei."

Die guten Meinungen fanden ihre Bestätigung zwei Tage später, am 12. März, konnte Meyer gratulieren:

"Auf Deine heute eingegangene erfreuliche Nachricht unseren allseitigen Glückwunsch. Dein bestandenes Examen hat allseitig Freude erregt u. die Bailsche Familie Iäßt sich Dir ebenso Lehfeld insbesondere empfehlen."

 

Am 22. März d. J. erhielt dann Ludwig seine Ernennungsurkunde zum Ober-Landesgerichts-Assessor.

 

Gleich nach seiner Rückkunft aus Berlin stellte Ludwig beim Chefpräsidium des Oberlandesgerichts in Glogau den Antrag, ihn für seine Tätigkeit bei der Niederschlesischen Eisenbahngesellschaft freizustellen.

"Da ich eignes Vermögen nicht besitze, auch für die nächste Zukunft auf ein zu meinem Unterhalt ausreichendes Einkommen im Kgl. Justizdienst bei den vorhandenen Aussichten nicht rechnen darf, so ist für mich die Notwendigkeit vorhanden, durch Nebenbeschäftigung mir die erforderlichen Subsistenzmittel zu gewinnen.

Hierzu bietet sich mir gegenwärtig eine Gelegenheit durch Übernahme der Funktionen des ersten Verwaltungsbeamten der Niederschlesischen-Zweigbahn-Gesellschaf am hiesigen Orte, deren Benutzung mich jeder Nahrungssorge überheben wurde.

Ich habe indeß nicht die Absicht aus dem Kgl. Staatsdienst auszuscheiden, will demselben vielmehr auch fernerhin meine Kräfte widmen und die daraus entstehenden Ansprüche mir erhalten. An Euer Hohes Chefpräsidium wende ich mich deshalb mit der gehorsamsten Bitte, die Übernahme der erwähnten Funktionen der NZL mir zu gestatten und bei dem Herrn Justizminister Excellenz zu befürworten, daß ich zu diesem behuf auf ein Jahr aus dem Kgl. Justizdienste beurlaubt werde.

Hierbei erlaube ich mir noch die ... Bemerkung, daß ich sobald als möglich und vielleicht noch vor Ablauf der erbetenen Urlaubszeit meine amtliche Tätigkeit im Dienste des Staats würde zu beginnen beabsichtigen.

Euer Hohen Chefpräsidium

 

Glogau, gehorsamster den 3. April 1846                                Herzfeld O.L.G. Assessor

 

 

Dem Urlaubsgesuch Ludwigs wurde vom Justizminister Uhden bereits am 16. April stattgegeben und ihm dies am 24. April durch das Oberlandesgerichtspräsidium mitgeteilt.

 

Niederschlesische Zweigbahn                                                                                                                                                                                                                                                                                                              pr. d 9/6 46 Nachm 6 Uhr

 

 

Nachdem Euer Wohlgeboren vom Tage Ihres Eintretens bei der hiesigen Eisenbahn und namentlich Ihrer langen, schon störenden Abwesenheit in Berlin, seitens der Direction  alle nur möglichen Rücksichten genossen, durften wir wohl erwarten, daß Sie sich nach Ihrem Examen mit Eifer und Liebe den übernommenen Geschäften unterziehen und die kleinen Unbequemlichkeiten, welche sich daraus für Sie ergeben, daß die Directoren auch anderen Obliegenheiten genügen müssen, überwinden würden. Nichts desto weniger hat der Unterzeichnete sich jeder Willkür in den Ihnen anberaumten Geschäftsstunden unterwerfen müssen, indem Sie sich durchgehend darauf beschränkt haben nur bis anderthalb Stunden ... die abgemachten Sachen und zwar immer zu einer solchen Zeit entgegen zu nehmen, wo die Anwesenheit anderer Personen jede Besprechung  verhinderte, während Sie sich des nachmittags damit begnügt, einige Vorstandssachen hinzulegen. Nicht selten ist der Fall vorgekommen, daß die rasch zu expedierenden Sachen, nicht zur gehörigen Zeit abgeschrieben waren, während die Schreibgehülfen des Morgens stundenlang unbeschäftigt sitzen.

Sie haben ferner die Ihnen seit Wochen aufgetragenen und... drei Tagen in Erinnerung gebrachte Bearbeitung der Betriebsangelegenheiten gänzlich  und auch ein jedes Verhältnis verkennenden Weise ignoriert und sich über diesen Gegenstand schriftlich und mündlich ...erlaubt, der man bei der bestehenden Stellung wenigstens nicht machen durfte, der Direction selbst aber den größten Verantwortlichkeit ausgesetzt und die Erklärung darüber  mit der Erklärung  Ihres Mutwillens  begleitet, welche ich unter solchen Umständen im Namen der Direction  hiermit ...

Nichts desto weniger aber werde ich auch Abstellung der gerügten Mängel für den noch übrigen Theil Ihrer Dienstzeit halten.

Glogau d. 9 Juny 1846                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Bail

 

Glogau den 9. Juni 1846

Herrn Direktor Metzke

Die heute stattgefundene Erörterung zweier gegen mich von dem Herrn Vorsitzenden erhobenen Beschuldigungen, des ungebührlichen Verhaltens gegen ihn selbst und der Unordnung und Nachlässigkeit in der Verwaltung der mir übertragenen Geschäfte, habe dem Herrn Vorsitzenden  Veranlassung gegeben, mir anzudeuten, daß die Auflösung des zwischen der Eisenbahn Gesellschaft, welche durch eine hochgeehrte Direktion  vertreten wird, und mir bestehenden, Vortragsverhältnisses nur von der Erklärung  meines Entschlusses abhängig sei. Ich kann nach mehrfacher Erwägung, diese Äußerung mir nicht anders auslegen, als daß Eine hochgeehrte Direktion schon jetzt die Auflösung des gedachten, vorläufig eigentlich keinerseits kündbaren Vertrags Verhältnisses wünscht. Der Realisierung dieses Wunsches will ich nicht hinderlich sein und erkläre daher hiermit aus eignem Antriebe,

daß mein Austritt aus dem Dienste der Gesellschaft zu jeder Stunde erfolgen kann und eine hochgeehrte Direktion nur den Termin zu bestimmen hat, bis zu welchem ich noch die mir bisher übertragenen Funktionen zu versehen habe.

Nichtsdestoweniger ist es mir jedoch darum zu thun, die obigen Beschuldigungen zu widerlegen. Was die erstere betrifft, so kann der mir gemachte Vorwurf bloß in der Anschauungsweise des Herrn Vorsitzenden seinen Grund haben, eine absichtliche Verletzung der dem Herrn Vorsitzenden gebührlichen Achtung habe ich mir niemals, wie ich hiermit versichere, zu Schulden kommen lassen. Ein Beweis oder Gegenbeweis läßt sich  ... natürlich in dieser Beziehung nicht führen, und ich kann daher nur bedauern, daß mir überhaupt solch ein falscher Vorwurf hat gemacht werden können.

Die zweite Beschuldigung anlangend, so beantrage ich, bald geneigtes eine Geschäftsrevision der mir zur Bearbeitung resp. Überwachung übertragenen Verwaltungszweige vornehmen zu lassen

Eine solche Revision dürfte unzweifelhaft ergeben, inwieweit jene Beschuldigung gegen mich begründet ist oder nicht.

Herzfeld

 

An eine hochgeehrte Direktion der Niederschlesischen

Zweigbahngesellschaft

 

Lieber Herzfeld,

Deinen Brief habe ich gestern erhalten, auch in Folge desselben dem Doktor bereits mitgeteilt, daß Du mich noch in Berlin erwarten willst, womit er einverstanden ist. Am Sonnabend treffe ich mit dem Frühzuge in Berlin ein. Du sorgst wohl dafür, daß wir einen großen Wagen zum Transport der Actien

... oder ein Paar Droschken bestimmt vorfinden. Neumann und Steiger bringe ich mit. Da eben kommt noch ein Paket mit 3000 Stück Actien an, die ich vorher vorarbeiten werde. Mehr aber will ich nicht haben, was ich auch Hachel heute geschrieben habe. Namentlich bedarf es der Sendung von Prioritäts Obl nicht.

Robert läßt Dich bitten, Ristor zu veranlassen, daß er das Instrument direct nach Sprottau schickt, ...

an Aschermann.

Sonst nichts neues. Deine Grüße werden erwidert. Das Übrige bleibt der mündlichen Unterhaltung  bei meiner Ankunft, welche bestimmt am Sonnabend Vormittag erfolgen wird, mir vorbehalten. Es grüßt Dich herzlich

 

Gl.g. 8/7 46                                                                    Dein F. Meyer

Ich bringe über 7000 Stück zur Ausgabe fertige Actien mit, was Du allenthalben weiter sagen kannst

 

 

23/3. 47

 

Während meines Aufenthaltes in Berlin im Februar d. J. habe ich von einer geschätzten Direktion einen Vorschuß von 100 tlr erhalten, welchen ich bei meinem bevorstehenden Ausscheiden aus dem Dienste der Niederschles-ischen Zweigbahn Gesel-lschaft erstatten müsste. Dies wird mir indeß sehr schwer fallen, da ich vorläufig aus dem für meine Dienstleistungen bei der Eisenbahn noch zu bezie-henden Gehalt den zu meiner Existenz erforder-

lichen Aufwand bestreiten muß.

In Betracht dessen, daß ich während meiner dreijährigen Dienstzeit niemals das , anderen Beamten zu Theil gewordene, Glück gehabt habe, von einer gerechten Direktion mit bei einer besonderen Gratifikation bedacht zu werden, auf eine solche Berücksichtigung aber nicht minder Anspruch haben dürfte, da ich in dieser Zeit meinerseits Arbeiten übernommen und ausgeführt habe, welche nicht eigentlich zu der Funktion eines Bureau-Vorstehers gehören, erlaube ich mir ganz ergebenst die Bitte,

den gedachten Vorschuß mir jetzt als eine besondere, nicht auf das Gehalt anzurechende Reaumeration zu belassen.

 

Herzfeld

 

Glogau, am 25. März 1847

 

Herrn Vorsteher Herzfeld mit dem Bemerken, daß die Direktion nicht abgeneigt ist, durch Bewilligung einer Reaumeration, die in Belang gebrachte Niederschlagung des erhaltenen Vorschusses zu bewirken. Sie jedoch hierzu erst nach ... des Berichts an die General Versammlung eine Veranlassung finden kann und sie dieserhalb die Üebergabe desselben binnen 14 Tagen entgegen sieht, und ihrerseits die erforderliche Prüfung und dem Drucke desselben vorzunehmen im Stande ist.

Glogau d. 1./4. 47   Bail

 

Für das im Brief angesprochene Ausscheiden  aus der Niederschlesischen Eisenbahngesell-schaft mögen zum einem die Unstimmigkeiten mit der Geschäftsleitung im Sommer 1846 mit beigetragen haben zum anderen wurde ihm aber in Sagan die Verwaltung einer vakant gewor-dene Justizratsstelle angeboten. Obwohl er anfangs auch hier mit beruflichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, gelang es ihm jedoch rasch gesellschaftlich Fuß zu fassen.

Bereits im Spätsommer, am 9. September 1847, gelang es ihm der Herzogin vorgestellt zu werden.    Euer Wohlgeboren,

                   wünschen der Frau Herzogin vorgestellt zu sein, dem Zufolge ersuche ich Sie

                    morgen Mittag 1 Uhr auf dem Herzoglichen Schlosse einzufinden, woselbst

                    ich das Vergnügen haben werde, Sie zu treffen.

 

                    Euer Wohlgeboren ergebener v. Hensig

 

Am Hofe war er dann anscheinend,.. als Gelegenheitsdichter beliebt, denn damals hat er auch zum Geburtstag der einen Prinzessin ein Theaterstück in Versen verfasst nach damaligen Brauch mit Bobernymphen und -nixen, die Schönheit und Tugend der Prinzessin verkündeten.4

Die Verbindung zur Herzogin und den im Umkreis ansässigen adligen Familien war für Ludwig, wie wir sehen werden, kein Hinderungsgrund, sich konstitutionellen bis hin zu radikal-demokratischen Ideen zu öffnen, was insbesondere später auch auf Ablehnung des Stiefvaters seiner Braut, Baron v. Camurry, stoßen sollte.5  Ein Indiz für sein in der Aufklärung wurzelndes Denken war auch sein Eintritt in die in Glogau ansässige Freimaurer- "Loge zur biederen Vereinigung", in die er am 20. September 1847 als 50. Meister berufen wurde.6

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Familie in Berlin

 

Ludwigs Geschwister und sein Vater Jacob

 

Gut vier Jahre nach seiner Taufe trat am 22. Mai 1842 Carl Adolph Herzfeld wiederum in der Jerusalemer Kirche vor den Altar, diesmal um sich mit  Auguste Amalie Lemke, die am 27. Juli 1822 in Berlin als älteste Tochter des Friedrich Wilhelm Lemke und seiner Ehefrau Dorothea Charlotte Friderike, geb. Wernicke zur Welt gekommen war, trauen zu lassen.

Zum Zeitpunkt der Eheschließung war Idas Vater, der den Beruf eines Pelz- und Kleidermachers ausgeübt hatte, bereits verstorben. - Uns sind drei jüngere Schwestern der Ehefrau Carls bekannt: Emilie Friederike Mathilde (geb. 14.12.1823), Albertine Maria (geb. 7.6.1827) und Maria Alberten (geb. 3.6.1828).

 

Carl war inzwischen als Referendar am Königlichen Kammergericht, das in Sichtweite der Jerusalemer Kirche an der Lindenstraße lag, tätig.

 

 

 Noch im selben Jahr, am 14. September 1842, wurde Carl und Idas erstes Kind geboren, das am 26. Oktober 1842 in der Jerusalemer Kirche auf die Namen Alwine Emilie Friderike Hedwig getauft wurde.1

Ebenfalls im September des Jahres 1842 nahm nach fast 40jähriger Unterbrechung auch Samuel Josephson zusammen mit seiner Frau und den Kindern aus erster und zweiter Ehe wieder in Berlin seinen Wohnsitz.  Im September 1803 Henriette (Jitel), die Tochter des Loeb Beer (Leib Segall) geheiratet. Aus dieser Ehe stammten die Kinder Elle, Jacob und Jüttel. Am 12. Januar 1812 starb seine Frau, vermutlich im Kindbett.

Er heiratete darauf am 20. März 1813 deren 18jährige Schwester Scheindel, die ihm die Kinder Henriette, Philippine, Joseph, Bernhard, Moritz und Hertz gebar.

Bevor er sich wieder in Berlin niederließ, war er in Schlesien, 1830 erhielt er den Bürgerbrief der Stadt Breslau, ansässig gewesen.2

Bereits wenige Monate nach seiner Ankunft in der Hauptstadt Preußens heiratete am 18. Februar 1843 seine älteste Tochter aus zweiter Ehe, die 26jährige Henriette, den 51jährigen Kaufmann Samuel London, Sohn des Emanuel, aus Lissa. Bei der Hochzeit war anscheinend auch Ludwig Herzfeld, wie wir aus einem späteren Brief Henriettes an ihn entnehmen können, anwesend.

 "Bei unserer Berliner Reise vor 2 1/2 Jahren versprachen Sie, mich einmal zu besuchen, bis jetzt sind Sie aber Ihren Versprechungen noch nicht nachgekommen, suchen Sie es doch recht bald einmal möglich zu machen. Leben Sie recht wohl, und wenn Sie nach Berlin schreiben, grüßen Sie bestens von Ihrer Sie achtenden Schwägerin H. London. Mein Mann u. Kindchen empfehlen sich bestens.

Lissa. d 10.4.47

 

Samuel Josephson lebte bis zu seinem Tode am 30. Dezember 1855 mit seiner Frau in der Neuen Friedrichstraße 78, wo auch zunächst die Kinder wohnten.3 Sein Sohn Joseph, der am 2.10. 1848 4 den Bürgerbrief der Stadt Berlin erhielt, ließ sich als Mehl- und Vorkosthändler in der Dragonerstr. 22 nieder. Auch er trug sich mit Heiratsabsichten: Ludwigs ältere Schwester Bertha war ihm versprochen. So siedelte auch Bertha zusammen mit den übrigen Geschwistern Ende 1843 von Guhrau nach Berlin über.5

Bertha schreibt Anfang 1844 an ihren Vater Jacob, der sich anscheinend zu diesem Zeitpunkt bei seinem Sohn Ludwig, dessen Bestätigung als Referendar durch den Kultusminister v. Mühler im Juni 1843 erfolgt worden war, in Glogau aufhielt.

 

 

Lieber Vater

 

mir 33 tlr eingeschickt und eine Quittung darüber verlangt. Ich bitte Dich sehr endlich den Brief an ihn bald nach Guhrau besorgen, auch den an Heytemeier von Josephson bald abzugeben, derselbe hat an Josephson geschrieben daß er ihn wenn er ihm nicht in 14 Tagen das Geld einschickt verklagt Josephson hat deshalb an ihn geschrieben Lieber Vater Ich wollte Dich bitten Dich doch einmal bei der Frau Dr. Weitze zu erkundigen, ob sie das Geld für den Lotteriegewinn ungefähr 20 tlr, nicht erhalten hat Ich hatte denselben an sie angewiesen und denselben gebeten das Geld in Geld Anweisung hierher zu schicken, damit ich mir das Postporto schicken Es ist nun schon lange her, ich wundere mich daß ich es noch nicht erhalten habe. Ich spiele das Los mit H. Gottfried weiter und habe sie gebeten, bei jeder Ziehung das Geld für mich zu bezahlen Erkundige Dich doch einmal bei ihr, ob alles in Richtigkeit ist, von hier aus macht es mir zu viel Porto.

Schreibe uns recht bald.                                 Bertha

 

Es wird also die Heirat Berthas neben der schlechten wirtschaftlichen Situation in der sich Jacob befand, und sein angegriffener Gesundheitszustand die Ursache dafür gewesen sein, daß Jacob Guhrau verließ und seinen Wohnsitz in Berlin nahm. Die Familie wartete aber auch noch aus einem anderen Grund auf die Ankunft des Vaters: Am 18. März 1844 hatte Ida, die Frau Karls, einen Sohn zur Welt gebracht der nun im Dabeisein des Großvaters am 1. Mai getauft werden sollte. Robert Bail, der Freund Ludwigs, berichtete darüber: "In Berlin haben wir bis dato recht wenig mitgemacht, denn man muß wirklich zu sehr arbeiten, aber wir sind doch wöchentlich einmal bei Ihren Schwestern gewesen und haben jetzt öfters Carl besucht, namentlich seit der kleine Junge da ist, der eine besondere Gunst hat, weil er Gambrinus getauft werden soll was die Mutter doch nicht zugeben will. Schade daß Sie nicht mit Ihrem Alten kommen, um den Jungen taufen zu helfen, desto fideler wollen wir aber an der bevorstehenden Hochzeit sein. Ihren Alten grüßen Sie vielmals von mir, es werden schon die Stunden bis zu seiner Ankunft gezählt; und ich hoffe nicht der letzte zu sein, der ihn in Berlin begrüßen wird."

In der Taufe, die wiederum in der Jerusalemer Kirche stattfand, erhielt der Knabe nicht den Namen des Schutzpatrons der  Bierbrauer Gambrinus sondern die Namen Emil Ludwig Georg Herzfeld.6 Unter den Taufpaten befand sich ein Referendar Limann, der zusammen mit Carl beim Kammergericht tätig war - er sollte sich später besonders für Jacob verwenden - und Ludwig Herzfeld, der, falls er sich nicht nur als Pate ins Taufbuch hatte eintragen lassen, von Glogau angereist war; Pfingsten jedenfalls hielt er sich in Berlin auf.

So wird er auch zusammen mit den Familienmitgliedern und seinem Freunde Bail an der Hochzeit seiner Schwester Bertha mit Joseph Josephson teilgenommen haben. Die Trauung wurde am 28. Juli 1844 durch den Rabbinatsassessor Oettinger vollzogen, dessen Persönlichkeit von J.B. Heymann wie folgt geschildert wird:

 

Endlich begrüßen wir das ehrwürdige Rabbinat, damals ver­treten durch den Rabbinatsverwalter Oettinger (Reb Jaakauw Jaußeif) und den Rabbinats-Assessor E. Rosenstein (Reb Elchonon). Oettinger war einer der bravsten und würdigsten Männer und ein. großer Talmud-Gelehrter, ebenso wenig selbst- als gewinnsüchtig. Er hatte keine Kinder, sorgte aber für seine und seiner Frau Nichten, die bei ihm erzogen wurden, gleichsam wie für seine eigenen, und er wurde darin von seiner sehr würdigen Frau unterstützt. Es war eine besondere Freude zu scheu, wie das Ehepaar noch in ihrem hohen Alter sie feierten sogar ihre goldene Hochzeit sich gegenseitig mit Liebe und Zärtlichkeit begegneten. Bei allen guten Eigenschaften, die der Mann besaß, war er aber am aller­wenigsten geeignet, dem Amte eines Rabbinats-Verwalters vorzu­stehen und man nannte ihn ironisch: Rabbinatsverweser, d. h. einer, der das Rabbinat verwesen läßt. Er war ein schwacher ängst­licher Mann, der sich leicht ins Bockshorn jagen und von jedem, der es darauf anlegte, überrumpeln ließ. Machten ihm Freunde hierüber Vorstellungen, so antwortete er: „Ich werre mich: mit die Leut nischt zänken.“ Er ließ daher alles gehen, wie es ging und verlor bald seine ganze Autorität. Zweimal im Jahre hielt er in der großen Synagoge nachmittags einen Kanzelvortrag (Deroschoh) und zwar an Schabbath haggadol und an Schabbath Schuwah in seinem ungezwungenen jüdisch-deutschen Jargon. Der größte Teil der Synagogenbesucher kam hin, um sich zu amüsieren. Denn nachdem der Rhetor ungefähr 1/2 Stunde lang über die Bedeutung des Tages gesprochen hatte, teils vernehmbar, teils in den Bart murmelnd, hielt er plötzlich ein und sagte: „Nu losen wer schmuußen a Bissel Schmaatesch,“ d. im. ungefähr: Jetzt wollen wir uns einmal ein wenig mit einem gelehrten Vortrage beschäftigen. Hier begann nun eigentlich das Amüsement. Kaum war das gelehrte Thema begonnen, und die Explikation gefolgt, als schon ein polnischer Waul-Lerner mit langem Bart und dito Peiaus hervorsprang und einen Einwurf machte, wodurch‘ sich sofort ein großer Pilpul (eine Dialektik) entspann, indem sich noch ein halbes Dutzend solcher polnischen Jüden daran beteiligten. Oettingers Vorgänger im Amte, der vorher erwähnte Meyer Simon Weyl war klüger und ließ sich auf einen gelehrten Streit nicht ein, sondern erwiderte demjenigen, der damit anfangen wollte: „Lieber Freund, wollt Ihr mit mir disputieren, so kommt in meine Wohnung oder in (las Beth hamidrasch, hier habe ich keine Lust dazu.“ Oettinger ließ sich aber immer auf die Beantwortung der Kontradiktion ein, und wenn mehrere Waul-­Lerner ihn zu gleicher Zeit anfielen, da hatte er oft Mühe, sich aus dem rabulistischen Chaos herauszuwinden. Mit einem einzelnen wurde er leichter fertig, denn einem solchen sagte er immer, indem er hinter dem Katheder hervorsprang mit etwas heftigen Worten:

„Redt kaane Narrschkeit!“ Der Mann ließ sich aber nicht belehren und widersprach aufs neue. Da ward ihm mit etwas milderen Worten gesagt: „Geit (Gehet) Ihr seindt a Narr“ (Ihr seid ein Narr). Gab er sich aber dann noch nicht zufrieden, so wendete sich der Kanzelredner lachend an das Publikum mit dem Bemerken:

„Der Jüd konn nischt lernen!“  Während nun ein solcher Kontra­diktor mit dein Rhetor stritt, hatte sich von den Waullernern eine Gruppe gebildet, in welcher sich wieder ein Streit entspann, wer von den beiden Männern recht habe, und dieser Streit wurde zuletzt so laut, daß der Kanzelredner nicht mehr zu Worte kommen konnte. Er hielt daher eine Weile ein, holte aus der Tasche eine silberne Dose, nahm ganz gemütlich eine Prise, strich sich recht behaglich den Bauch und sagte lachend zum Publikum: „Konn ich mich derweil e bischen oobruhen!“ Wer solche Szene nicht selbst gesehen hat, der glaubt es nicht, und der Gelehrte Bensew in seinem hebräischen Wörterbuch Ozar Haschoraschim bezeichnet einen solchen nicht immer an richtigem Orte angebrachten Pilpul sehr treffend als Bilbul (Wirrwarr). Zum Schlusse knüpfte Oettinger seine Worte wieder an die vorher abgebrochene Rede an.7

 

 

 

Die Beziehungen  zwischen den Familien  Josephson und Herzfeld scheinen bereits zuvor sehr eng gewesen zu sein und noch auf Guhrauer, wenn nicht sogar Golluber Tage zurückzureichen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß außer Bertha auch ein anderes Herzfeld-Mädchen, vielleicht die jüngere Schwester Wilhelmine, mit einem Josephson verheiratet war, denn im Jahre 1851 findet sich im Berliner Wohnungsanzeiger die Eintragung: Josephson, geb. Herzfeld, verw. Assessor, Oranienstr. 146.8 Aber auch aus der Verwandtschaft des oben erwähnten Freundes Rudolph Bail, ein Sohn des Direktors der Niederschlesischen Eisenbahn, hat jemand eine Josephson, vielleicht Philippine, die Schwester des Joseph, geheiratet, denn auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee ist das Kind Laura Josephson, gest. 8.12.1854, außereheliche Tochter der Witwe Bail, geb. Josephson, begraben.

 

An der prekären wirtschaftlichen Lage Jacobs sollte sich auch in Berlin nichts ändern, das wird zunächst aus seinen Briefen an Ludwigs Freund Kosmehl deutlich:

 

 

Hochwürden

 

        Geerter Herr!

In dem ich in Geldverlegenheiten bin, so ersuche ich Sie hiermit umgehend, solches zu besorgen. Dr. Trautler grüßt Sie vielmal.

In Erwartung, daß Sie meiner Bitte nachkommen werden, zeichnet sich mit aller Achtung                            Euer Hochwohlwürden

                                             ganz ergebenster

Berlin, d. 20/10. 44                         Jacob Herzfeld

 

Herrn

 

   Kosmehl Beuthen

Nach vielen Glückwünsche zu dem jüngst angetretenen neuen Jahre bin ich so frei, Sie hiermit höflichst zu ersuchen, mir umgehend, wenn es Ihnen möglich zu machen ist, Geld zukommen zu lassen. In Erwartung dessen, zeichnet sich mit aller Ihr ergebenster Freund

Berlin, d. 14/1. 45                          Jacob Herzfeld 9

 

Aber auch  das Viertel, in dem er sich ebenso wie   Joseph Josephson nieder-gelassen hatte, verweisen auf seine schlechten finan-ziellen Verhältnisse.

Zunächst wohnte Jacob in der Großen Hamburger Str. 41, direkt neben der Sophien- kirche, unweit des alten von dem Wiener Exulanten Moses Riess im Jahre 1671 begründeten jüdischen Friedhofs.

 

 Der wurde flankiert von dem um die Jahrhundertwende errichteten Gebäude der jüdischen Knabenschule, das heute wieder der Ausbildung einer kleinen Zahl jüdische Gymnasiasten dient und dem nicht mehr erhaltenen jüdische Altersheim, das während der Naziherrschaft die Sammelstelle fungierte, von der aus die Deportation von 80 000 Berliner Juden in die Gaskammern erfolgte, begrenzte das Areal. Dementsprechend machte auch vor den Toten nicht halt: ihre Gebeine wurden beim Anlegen eines Splittergrabens herausgerissen, die Grabsteine zertrümmerte oder zum Abstützen der Seitenwände benutzt.

Heute eine öffentliche Grünanlage, rechteckig, begrenzt durch eine hohe Mauer, vor der einzelne Bruchstücke,  der ursprünglich 3000 Grabsteine liegen, kümmerliche Reste, die uns Kunde von der einst blühenden jüdischen Gemeinde geben.

Die Rasenflächen werden von einem Pfad aus Bruchsteinplatten unterbrochen, der auf einen verloren dastehenden, schlichten weißen Grabstein hin läuft, der auf die vermutete Ruhestätte des Begründers der jüdischen Aufklärung und Urhebers der Emanzipation, des

Philosophen Moses Mendelssohn, verweist.10

Die Große Hamburger Straße wurde als Tor zum Scheunenviertel bezeichnet, das seinen Namen den rund um vor die Stadttore verlegten Scheunen, Ställe und Lagerschuppen verdankte, und die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein manchen Straßen und  Gassen, in deren Höfen Vieh gehalten wurde,  das schäbige Aussehen eine überlebten Dorfes gaben.

Hier wohnten, als Jacob Herzfeld sich niederließ, neben  Juden aus den östlichen Provinzen, arme Leute Holzhauer, Torfträger und ‘Unratweiber’, deren wichtige Tätigkeit erst mit der Einführung der Kanalisation ein Ende fand.

Dazu kamen Dirnen und alles mögliche andere Gesindel, das sich hier schreiend herumzankte und -prügelte. Im Jahre 1846 wies Berlin nach einer statistischen Aufstellung ja schon 2000 Verbrecher, ebensoviel Obdachlose sowie etwa 8000 Bettler und andere fragwürdige Existenzen auf ..." 11

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts zwängten sich in diesem Viertel die noch halbbäuerliche Massen, die für den Industrialisierungsprozess habituell geformt, gedrillt werden mussten, wofür die militärischen Namen der Dragoner-, Artillerie-, Linien-, und Grenadierstraße bedeutungsschwanger standen.

In diesen Straßen, die   um die Jahrhundertwende und besonders nach dem Ersten Weltkrieg die Hauptschlagadern  des vorherrschenden ost -(europäischen) - jüdischen Lebens bilden sollten, lebte Jakob mit seinen minderjährigen Kindern und die Familie Joseph Josephsons. Jacob war wohl zeitweilig bei seinem Schwiegersohn untergekommen,  so finden wir ihn in der Linienstraße 106, wo auch ein weiterer Josephson, bei dem es sich,  falls Joseph Josephson zu diesem Zeitpunkt bereits in die U.S.A. ausgewandert seien sollte, um den Kommisair Isaac Josephson, ein Sohn des Abraham in Prenzlau, der zusammen mit seiner Frau Betty und den Kindern seit 1827 in Berlin ansässig war und dort 1834 das Bürgerrecht erhielt 12 , handeln dürfte, sein Domizil hatte. Es mag sein, daß Jacob in dieser Wohnung auch im Februar 1850 starb.

Aber wir haben etwas vorgegriffen. Zunächst meldete sich Jacob im Oktober 1844 bei den Berliner Behörden, dort legte er das Staatsbürger Attest des Magistrats von Guhraus vor, das vom 26. April des Jahres datiert war.13

Am 19. Februar 1845 erhielt er dann das Berliner Bürgerrecht 14 , wie es bereits Samuel Josephson am 21. Juni 1844 erhalten hatte15 und es dessen Sohn Bernhard Baer am 16. Juni 1846 noch bekommen sollte.16

In der alten Synagoge in der Heidereuthergasse musste Jacob aus diesem Anlass seinen Bürgereid leisten, danach wurde ihm im Berliner Rathaus der Bürgerbrief der Stadt überreicht.

Einige Wochen zuvor hatte Bertha einem Knaben das Leben geschenkt, der den Namen seines Urgroßvaters bzw. seines Onkels 'Ludwig' erhielt.

Aber auch bei Carl und Ida hatte sich Nachwuchs eingestellt, im Juli 1845 wurde ihr zweiter Sohn geboren, der in der Taufe, die am 27. Juli 1845 in der Jerusalemerkirche stattfand, die Namen Albert Eigard Wilhelm Conrad17 erhielt. Taufpaten waren: der Kammergerichtsassessor Limann, Graf Einsiedel und die Tante des Täuflings, die 17jährige Schwester Idas.

 

Jacob war von der Großen Hamburger Straße in das Haus seines Schwiegersohnes in die Dragonerstrasse 22 gezogen. Trotz der Erteilung des Bürgerbriefs am 19. Februar 1845 war sein Aufenthalt in der Stadt nicht gesichert, denn im Falle einer Verfehlung oder etwaiger Verschuldung konnte die Aufenthaltsgenehmigung für Berlin entzogen werden.

Im Dezember 1845 kam es zu Jacobs Verhaftung, er wurde in das Schuldgefängnis verbracht, eine Einrichtung, die in Preußen bzw. dem Norddeutschen Bunde erst 1868 abgeschafft wurde. Anscheinend handelte es sich bei De la Barre, anscheinend eine Gläubiger, hatte gegen Jacob Personalarrest beantragt .

Die Tochter Bertha berichtet an ihren Bruder:

 

 

Lieber Ludwig !

 

Schon längst hätten wir an Dich geschrieben, aber wir hofften immer Dir gleichzeitig anzeigen zu können, daß der Vater wieder frei sei, Du wirst wohl durch Madame Hallstein, und welche es die Dorchchen geschrieben hat18 , erfahren haben, daß de la Barre19 aus Stettin wieder auf Personalarrest angetragen hat, und der Vater befindet sich bereits 14 Tage in Haft. Du kannst Dir unsere Bestürzung und Trostlosigkeit denken. Es war abends 10 Uhr, der Vater wollte gerade zu Bett gehen, da kamen zwei Excutors, und er mußte bald mit ihnen gehen. Die Atteste von Guhrau aus, die der Vater vorgezeigt hat, haben ihm nichts genützt. Unsere Hoffnung beruht jetzt darauf, daß der Vater von dem hiesigen Kreisphysikus Dr., Caspar ein Attest erhalten wird, G. Limann, der ein Verwandte von demselben ist, hat mit ihm gesprochen, doch wissen wir noch nicht, wie es ausfallen wird.

Sollte dieses auch nicht helfen, so haben wir schon gedacht, ob wir uns an Ludwig Michaelis wenden sollen, daß er sich bei de la Barre, der ihm, da er oft in Stettin ist, gewiß bekannt ist, für den Vater verwenden soll. Was meinst Du dazu ? Schreibe uns recht bald, ob Du vielleicht irgend einen Rat weißt.

 

Es grüßen Dich alle vielmals.

Berlin, d. 19. Dezember 1845             Deine Dich liebende                                                      Schwester

                                                     Bertha Josephson

Dem Brief ist ein Postskriptum der Schwester Wilhelmine beigefügt:

Lieber Ludwig

 

Was Deine Wäsche anbetrifft, so findet sich die Serviette hier noch vor, auch habe ich Dir gar keine von den neuen Socken geschickt. Nächstens schicke ich Dir alles, was fertig ist. Bis jetzt war es mir nicht möglich sie fertig zu machen, da eine solche Störung wieder bei uns vorgefallen ist. Sobald ich wieder in Ruhe sein werde, besorge ich Dir gleich alles hier. Lebe wohl u. erfreue recht bald mit einem Schreiben Deine

Dich liebende Schwester  W. Herzfeld

Die Kinder grüßen Dich alle herzlich.

 

Die Klärung der Angelegenheit zog sich bis ins neue Jahr 1846 hin:

 

 

Lieber Ludwig !

 

Du wirst Dich wundern, wieder so lange ohne Antwort geblieben zu sein, doch hätte ich Dir gern bestimmte Auskunft gegeben und wartete deshalb immer noch einen Tag. Das Gericht hat so lange mit der Aufforderung an den Kreisphysikus Kaspar gezögert und nun sind es schon wieder 8 Tage, daß derselbe beim Vater war, und es ist noch immer keine Entscheidung da; doch haben wir gestern durch G. Limann die tröstliche Nachricht erhalten, daß sein Onkel ihm gesagt hätte, er habe den Vater freigesprochen. Wir hoffen also jetzt, daß der Vater in diesen Tagen nach Hause kommen wird, sobald es geschieht, werden wir Dir schreiben. Sollte der Vater dennoch durch das Gericht nicht freigesprochen werden, so müßten wir dann sehen, ob es auf andere Art möglich ist.

Das Geld, lieber Ludwig, bestehend in 55 tlr haben wir erhalten und haben dann, wie Du's bestimmt, ;7 tlr an Carl und 3 tlr an die ... gegeben. Ich habe ... vom Gericht eine Zuschreibung erhalten in der Sache von Schmigelsky nämlich, d. 19. Dezember, einen Termin, wo ich die Richtigkeit der Forderung beschwören soll. Der Schwur ist so gestellt, daß er nicht weniger Geld erhalten habe, daß die 40 tlr von Sarsiles Plato auf eine frühere Rechnung waren und da8 nicht für 87 tlr Ware mit dabei sein.

Die ersten beiden Punkte haben ganz ihre Richtigkeit, doch glaube ich, daß damals etwas Ware zu der Forderung gerechnet wurde, wie viel, weiß ich nicht. Könnte ich nicht nur die ersten beiden Sachen beschwören und erklären, daß ich mich nicht mehr genau erinnerte, ob nicht Ware dazu geliefert worden sei; so wolle ich diesen letzten Punkt nicht beschwören, und es könnten damit 87 tlr von dieser Forderung abgerechnet, und wir könnten auf diese 87 tlr eine neue Klage einreichen, wenn auch die Kosten, die aus dieser Klage von 87 tlr entstehen würden. Oder meinst Du, daß ich ohne Einwendungen beschwören soll, wenn etwa sonst die ganze Klage nicht gültig wäre. Schreibe mir nur recht bald darüber Antwort, es ist sehr unangenehm, daß Schmigelsky erst solche Winkelzüge macht.

Josephson ist schon mehrere Tage verreist, und ich weiß nicht, ob er vor dem Termin zurückkommt.

Der Vater und all die unsrigen grüßen Dich vielmal. Ich hoffe, Dir bald anzeigen zu können, daß der Vater frei ist; wenn er auf diese Weise frei käme, wäre es freilich am besten da er doch dann für die Zukunft gesichert wäre.

 

Schreibe recht bald

 Deiner Dich liebenden Schwester  Bertha Josephson

Berlin d. 8ten Januar 1846                    

Mein kleiner Ludwig, der, beiläufig gesagt, schon ein prächtiger Junge ist, hat mich sehr viel gestört, darum sind so viele Klexe.

Schmigelsky gab mir doch, als ich von Guhrau wegging 30 tlr und schickte nach Berlin 50 tlr auf den Schein von 250 tlr, ohne dabei zu bemerken, daß es nicht das bare Geld sein sollte. Könnte ich nicht dann aber so gut angeben, daß ich dieses Geld auf die Ware rechnen wollte, 80 wäre doch der Rest von 170 tlr bares Geld, Doch schreib mir, ob Du meinst, daß ich gar nichts bemerken soll und den Eid in der vorgeschriebenen Formel leisten.

 

Vermutlich wurde Jacob noch im Januar aus der Haft entlassen.

 

Aus einem Brief von ihm erfahren, in die Grenadierstraße gezogen und hatte den jüngsten Sohn Albert an dem renommierten Gymnasium zum Grauen Kloster eingeschult.

 

Berlin d. 4. April 1846

 

Lieber Ludwig !

 

Dein mir sehr Wertes von 31. v.M. nebst Inhalt ist mir am 2ten M geworden; ich habe sogleich Deine Briefe an Carl und Samon besorgt, vom letzten erhältst Du hier einliegend eine Quittung über die gesandten 10 tlr. Von Bernhard Josephson werde ich nichts erhalten.

Bei Josephson ist es noch als wie Du uns verlassen hast. Sie sind sämtlich alle noch wohl. Gestern sind wir nach Grandirstraße No. 20 gezogen. Sehr lieb würde es mir sein, wenn Du von Stock den Rest einziehen könntest, da ich sehr beschäftigt bin.

Unseren Albert habe ich nach den Grauen Kloster, wo er nach 6a gekommen ist, gebracht.

Sechs Oberhemden werde ich Dir gelegentlich anfertigen lassen. An Eduard Bock habe ich mit der heutigen Post geschrieben. Noch viele Begrüßung an Fraule Dorothea Plato nebst Familie Hallstein, von unseren Sämmtlichen bin ich wie immer

Dein Dich herzlich liebender Vater

Jacob Herzfeld

 

 

 

Im darauf folgenden Jahr wurde Jacob wieder Großvater. Am 8. Januar 47 bekamen Carl und Ida ihr viertes Kind, diesmal wieder ein Mädchen, das in der Taufe, die am 23. Januar d.J. in der Jerusalemer Kirche stattfand, die Namen Adolphine Bertha Maria erhielt. Taufpate war wieder der Assessor Limann, sowie der Hofmedicus Dr. Michaelis und ein Dr. Schweitzer.

Aber auch bei den Josephsons stellte sich in diesem Jahr Nachwuchs ein. Bertha brachte einen Knaben zur Welt, der den Namen Albert erhielt.

 

 

 

 

 

 

 

Carl und Ludwig Herzfeld

 im

Revolutionsjahr 1848/49

 

 

 

Prolog

Das verlängerte Wochenende über Christi Himmelfahrt bietet die Möglichkeit einen Abstecher nach Berlin zu machen. Übernachtung im Hotel Delta an der Potsdamer Straße, nicht allzu weit entfernt von der Preußischen Staatsbibliothek und der imposanten Baustelle am Potsdamer Platz , dessen zukünftige Gestalt bereits markant hervortritt, entfernt. Mein Blick gleitet über die Baumsilhouette des Tiergartens , hinter der, vom Abendhimmel abgehoben,  die Konturen der neue Kuppel des Reichstages sichtbar wird.

Ein Jahr bevor am 23. Mai 1999 die Bundesversammlung im Reichstag zur Wahl des Bundespräsidenten zusammentritt, hat das mächtige Gebäude seine endgültige Gestalt gefunden. Die Bundesrepublik Deutschland wird dann ihr fünfzigjähriges Bestehen feiern und wenn auch  mit zeitlicher Verspätung hoffentlich der 1848er Revolution gedenken, auf deren Tagesordnung vor 150 Jahren die Freiheit und Einheit des deutschen Volkes auf demokratischer Grundlage standen, Ideen die erst jetzt voll realisiert werden konnten, in einem gesellschaftlich und was die Gebietsstruktur anbelangt relativ homogenen Bundesstaat, nach dem das alles dominierende Preußen in seine Provinzen aufgelöst worden war.

Nach meiner Meinung wurde fahrlässig versäumt, diesen Jahrestag zur Identitätsstiftung mit der neuen „Berliner Republik“ zu nutzen.

Vor meiner Reise vertiefte ich mich wieder einmal in Robert Springers „Berlins Straßen, Kneipen und Clubs im Jahre 1848“,[8] die zwei Jahre nach den revolutionären Ereignissen erschien und sicher das Studium etlicher Publikationen, die aus Anlaß dieses Ereignisse in diesem Jubiläumsjahr auf den Markt geworfen werden, überflüssig macht.

Vor einigen Wochen fiel mir zusätzlich eine kleine Schrift „Der Spruch des Berliner Kriegsgerichts gegen die am 22. und 24. Mai 1849 Verhafteten: Lehrer Gercke und Koch, Assessor Gubitz und Herzfeld, Dr. Waldeck, Dr. Weiß, Buchdruckereibesitzer Berends, Partikulier Schönemann, Justizrath Pfeiffer und Thierarzt Mecklenburg“ [9] in die Hände. Sie rief mir  wieder Carl Herzfelds  aktive Beteiligung an der 1848 er Revolution in Erinnerung.

Ich nutzte also einen meiner Berlinaufenthalte, um zahlreiche Stätten des Geschehens abzugehen und einen Abriß der Ereignisse an denen Carl Herzfeld in Berlin und sein Bruder Ludwig im schlesischen Sagan beteiligt waren, in einer erweiterten Fassung niederzuschreiben.

 

Personalien

 

Carl Herzfeld, der ältere Bruder des Ludwig, wurde am 23. Januar 1816 als Isaac,  Sohn der jüdischen Eheleute Jacob und Liebchen Herzfeld [10], im schlesischen  Guhrau unweit der Grenze zum Herzogtum Posen geboren. Carl besuchte zusammen mit seinem jüngeren Bruder Ludwig das Evangelische Gymnasium in Glogau.  Nach Ablegung des Abiturs, schrieb er sich am 22. Oktober 1836 an der juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin ein.

Dort hörte er im Wintersemester 1836/37 Logik und Metaphysik bei Henning, Institutionen u.  Altrecht des Römischen Rechtes sowie Juristische Enzyklopädie bei Klenze, ferner altdeutsche Mythologie bei Hagen. Im Sommersemester 1837 belegt er Römische Rechtsgeschichte bei Klenze, Pandekten und Erbrecht bei Rudorff und Völkerrecht bei Gans. Im folgenden Wintersemester Kirchen- und Bauernrecht bei Röstell, Deutsches Privatrecht bei Hohmeyer, Gemeines Strafrecht bei Klenze und Kriminalprozeßrecht bei Heffter. In diese Zeit fällt auch sein Übertritt zum Christentum zusammen mit seinem Bruder Ludwig, der sich zu Beginn des Wintersemester ebenfalls in der juristischen Fakultät hatte einschreiben lassen, ließ er sich am 14. Februar 1838 in der Jerusalmer Kirche taufen. Unter den Taufpaten befand sich neben seinem Kommilitonen Carl Adoph Müller und dem Spediteur Erbsch einer seiner Professoren, der Strafrechtler Clemens August  Klenze.

Im Sommersemester 1938 setzte er seine Studien mit dem Gemeinen- und Preußischen Civilrecht bei Heffter sowie bei Gans mit Staatsrecht fort. Das darauf folgende Semester bestritt er bei Homeyer mit Preußischen Landrecht, Deutscher Reichs- und Rechtsgeschichte und Altdeutschen Gerichtswesen. Im Abschlußsemester im Sommer 1839 sah man ihn - noch einmal bei Hohmeyer - Deutsches Privatrecht hören. Carls Leistungen wurden von seinen Professoren durchgehend mit „sehr fleißig“ und „ausgezeichnet fleißig“ beurteilt.

Nach dem Abschluß seines Studiums ließ sich Carl Adolph Herzfeld am 22. Mai 1842 mit Ida Amalie Lemke, die am 27. Juli 1822 als älteste Tochter des Friedrich Wilhelm Lemke und seiner Ehefrau Dorothea Charlotte Friderike, geb. Wernicke das Licht der Welt erblickt hatte, trauen. Die Hochzeit fand wie bereits die Taufe in der Jerusalemer Kirche statt.

Als Carl mit Ida die Ehe schloß, war sein Schwiegervater , der den Beruf eines Pelz- und Kleidermachers ausgeübt hatte, bereits verstorben.

Uns sind drei jüngere Schwestern der Ehefrau Carls namentlich bekannt: Emilie Friederike Mathilde (geb. 14. 12.1823), Albertine Maria (geb. 7.6.1827) und Maria Albertine (geb. 23.6.1828). Carl war nun, nach dem er seine Auskultatur abgeschlossen hatte, als Referendar am Kammergericht in der Lindenstraße unweit der Jerusalemer Kirche tätig. Das Gebäude beherbergt heute das Berlin Museum.

 Noch im selben Jahr, am 14. September 1842, wurde Carl und Idas erstes Kind geboren, das am 26. Oktober 1842 in der Jerusalemer Kirche auf die Namen Alwine Emilie Friderike Hedwig getauft wurde.

Am 18. März 1844 brachte Ida, die Frau Carls, einen Sohn zur Welt, der in der Taufe, die in der Jerusalemer Kirche vollzogen wurde, die Namen Emil Ludwig Georg Herzfeld erhielt. Unter den Taufpaten befand sich ein Referendar Limann, der zusammen mit Carl beim Kammergericht tätig war  und Ludwig Herzfeld, der kurz vor Pfingsten aus Glogau angereist war.

Im Juli 1845 wurde der zweite Sohn geboren, der am 27. Juli 1845 auf die Namen Albert Eigard Wilhelm Conrad  getauft wurde. Taufpaten waren: der Kammergerichtsassessor Limann, Graf Einsiedel und die Tante des Täuflings Maria Albertine, die 17jährige Schwester Idas. Am 8. Januar 47 bekamen Carl und Ida ihr viertes Kind, diesmal wieder ein Mädchen. Die Taufe der kleinen Adolphine Bertha Maria fand am 23. Januar d.J. in der Jerusalemer Kirche statt. Paten waren  der Assessor Limann, sowie der Hofmedicus Dr. Michaelis und ein Dr. Schweitzer.

 

Im Jahr darauf, 1848, vor einhundertundfünfzig Jahren, gingen am 18. März  die Berliner auf die Barrikaden, um für demokratische Rechte, um für eine Verfassung zu kämpfen. Die Ereignisse in den verschiedenen Teilen Deutschlands, sei es nun in Wien, Frankfurt, Dresden oder Berlin, ließen wohl kaum einen Menschen gleichgültig.

Aber beschränken wir uns bei unseren Betrachtungen auf die Ereignisse in Preußen, insbesondere auf Berlin, wo Carl seinen Wohnsitz hatte und auf das schlesischen Sagan, wo Ludwigs Lebensschwerpunkt lag.[11] Dabei soll versucht werden, einige Schlaglichter auf das Verhältnis der Herzfeld-Brüder Carl und Ludwig zu den revolutionären Ereignissen zu werfen.

 

Das revolutionäre Geschehen in Berlin

 

In Preußen regierte Friedrich Wilhelm IV., der Romantiker auf dem Thron, der bereits in der ersten Märzhälfte des Jahres 1848 unter dem Druck der Ereignisse in Deutschland sich bereit gefunden, hatte der Verfassungspartei wichtige Zugeständnisse zu machen. „Ein königliches Patent vom 18. März vollzog den Übergang Preußens zum konstitutionellen System und übernahm zugleich die wesentlichen Forderungen der Einheitsbewegung: deutsche Nationalversammlung, deutsche Wehrverfassung, Bundesflotte und Handelseinheit. Eine Massenkundgebung vor dem Schloß jubelte dem König zu. Als man im Schlosshof Soldaten erblickte, wurde man misstrauisch und rief: Fort mit dem Militär. Als dieses den Schlossplatz räumen wollte und dabei auf noch heute ungeklärte Art zwei Schüsse losgingen, fühlte man sich verraten. Jetzt kam es zum Barrikadenbau und zum bewaffneten Widerstand.“ [12]

. Bereits vor den blutigen Ereignissen des 18. März 1848, war es wie etwa bei der „Zelten“-Versammlung am 16. März  zu bewaffneten Einsatz des Militärs, zu Steinwürfen und Barrikadenbau von Seiten der Bevölkerung und  sich anschließenden Demonstrationen Unter den Linden gekommen. Ob Carl Herzfelds sich bereits hier oder unter den Versammelten auf dem Schlosshof  befand, wo am 18. März, als die beiden wohl ungezielter Schüsse fielen, die die Barrikadenkämpfe auslösten, wissen wir nicht.

„Die am frühen Nachmittag einsetzenden Kämpfe mobilisierten einer großen Teil der Berliner Bevölkerung. Angehörige aller bürgerlichen Berufe, Arbeiter und auch Studenten, vorwiegend jedoch Handwerker waren daran beteiligt. Die Zahl der aktiven Barrikadenkämpfer wird auf etwa 3-4000 geschätzt, die der Helfer und Sympathisanten auf „viele Zehntausend“. ‘Man kann sich nicht verbergen’, so berichtete der russische Gesandte nach Petersburg, ‘daß der allergrößte Teil der

 

 

Bürger an dem Aufstand teilgenommen hat; sogar die Hausbesitzer begünstigten, bevor die Truppen vordrangen, den Barrikadenbau und das Aufreißen des Straßenpflasters; Pflastersteine wurden von Frauen und kleinen Kindern auf das Dach der Häuser getragen... Jeder von uns meint das wilde Geschrei in dieser Nacht noch zu hören. Alle Bürger glaubten an Verrat und verwünschten den König.’“ [13]

 

Der später als Bibliograph und Orientalist berühmt gewordene Moritz Steinschneider (1816-1907) schrieb seiner Braut am 20. März 1848 nach Prag über die Vorgängen in Berlin.[14]

 

„Meine teure Auguste!

 

Ich glaube nicht, daß es an diesem Tage in Susa anders ausgesehen habe als

hier wenn das Buch Esther mehr als ein persisch jüdischer Roman ist. Berlin hat 6 Tage bedurft, um an den Tag zu bringen, was bereits unter der Hülle längst vorbereitet lag. Verlange keine Schilderung von Einzelheiten bis aufs Mündliche, ich kann hier nur die Hautzüge hinwerfen.

Sonnabend um 2 hiess es: Constitution, Ministerwechsel u.s.w.; die Bürgerdeputation zog vor das Schloss, dem König ein Lebehoch zu bringen ich selbst mit Deinem Briefe und wiener gleichen Nachrichten von Zunz (die Prager Petition hatte ich schon Donnerstag in der schlesischen Zeit. gelesen) zu

Schöneberg zu Tische eilend, trank eben ,,Freiheit, Verbrüderung". Da heisst es um 3 1/2 Uhr: die Läden sind geschlossen, das Militär schiesst auf die Bürger u.s.w.!

Ich renne den kleinen Weg nach Hause, und um 4 Uhr hatte Berlin mehrere 100 Barrikaden! Auch mich hättest Du Steine tragen und Blocke wälzen sehen können. Indess hiess es, es sei das zufällige Losgehen 2er Gewehre auf dem Schlossplatze Grund des Missverständnisses. Augenzeugen behaupten, dass man auf die Bürger eingehauen habe. -

Die Sache ist noch nicht erklärt. Genug, die Erbitterung hatte den höchsten Grad erreicht, und als um 41/2 Uhr das Militär anfing, sich in die verbarricadirten Strassen zu begeben, fand es an vielen Punkten eine unerwartet heldenmässige Verteidigung der Bürger, namentlich Schützen, und Studenten. Man glaubt allgemein, dass der Prinz von Preussen auf Vorschreiten des Militärs mit Kartätschen und Granaten gedrungen. Die Verteidiger mussten sich grossenteils selbst die Waffen erobern . Um 12 Uhr hörte das Schiessen in meiner Nähe ein wenig auf, und gegen I Uhr schlief ich ein.

Gestern früh war in meiner Umgebung das Militär Meister des Platzes hingegen bald darauf der commandirende General Möllendorf in Händen der Schützen, die ihn zu erschiessen drohten. Gegen 11 Uhr rückte das Militär zurück. Heute ist kein Mann hier zu sehen . Schloss und alle Wachen sind von Bürgern besetzt, einem Manne, der einige Studenten durch Verrat ans  Militär ums Leben brachte, wurden alle Möbel, Geld etc. auf öffentlicher Strasse verbrannt,, einem anderen der Laden gestürmt, - von Diebstahl und Raub nirgends die Rede! Heute vormittag konnte nur die Überschrift ,,Nationaleigentum" und das Zureden der Gebildeten das Hotel des Prinzen von Preussen vom Demolieren retten; eine Tricolorfahne (Deutsch) weht herab. Gestern Abend Illumination und fortwährendes Freudenschiessen, singende Banden.

Schwerin und Auerswald, bekannt durch Opposition in der Kammer, sind bereits Minister; alle alten werden durch liberalere ersetzt. Aber diese Umwandlung Berlins kostet manchen Märtyrer Leben und Gesundheit. Hunderte, Militär und Civil, sind gefallen oder verwundet. Man bereitet ein allgemeines Leichenbegängnis und Denkmal vor, und von ,,Jud" oder ,,Christ" ist gottlob nicht mehr die Rede.  In 4 Wochen müssen Preussens Juden emanzipirt sein, denn das Volk emanzpirt sie bereits. Wer hat jetzt Gedanken an sich? Der Berliner Pöbel hat in diesen Tagen einen gewaltigen Culturfortschritt gemacht, die Folgen der letzten Vorgange in aller Welt sind unübersehbar!  Wohlan mein Kind, lass uns wieder zum Leben erwachen, nun kann unsrer Zusammenkunft wohl kaum noch etwas hinderlich sein. Hoffentlich werden wir jetzt eher Hütten bauen. Schon am 2. April kommen die Stände hier zusammen, ich aber möchte Dich am 8.in Prossnitz sehen .Ob ich mich jetzt noch sträube, eine Stelle - natürlich keine blosse Rabbinerstelle oder dgl. in Oesterreich anzunehmen, hängt von Umständen ab; dgl. diesmal sind die Wiener so schon vorangegangen, dass ,,die preussische Landwehr kaum nachkommen kann"! Ich schrieb es Freitag nach Prossnitz. Ich wünschte, Du schriebst ihnen sogleich den Hauptinhalt dieses Briefes, ehe beunruhigende Nachrichten hinkommen.

 

Schreibe mir rasch Deinen Entschluss, die Zeit geht jetzt rasch darum auch

Adieu.

 

Nach dem 18. März, dem Tag der Barrikadenkämpfe, traf man sich im Hotel de Russie, " Aufregung, Gereiztheit, Rathlosigkeit und wirres Durcheinanderlaufen, ein verworrenes Getöse hallte in dem engen Raum. Es roch nach Cigarren und Aufregung... Die Debatte drehte sich um das Begräbnis der gefallenen Barrikadenkämpfer, welche am nächsten Tage bestattet werden sollte." Neben einer Reihe von Persönlichkeiten unter denen sich auch Carl Herzfeld befand, trat insbesondere Georg Jung hervor, der wie Carl Gerichtsassessor war, er verkündete die Absicht, am Grabe der Gefallenen zu sprechen. Am 22. März wurde die 183 Barrikadentoten im Friedrichshain bestattet.

 

 

 Die politische Rede am Grabe hielt Georg Jung, er forderte Gleichheit vor Recht und Gesetz denn "der Reiche hat neben dem Armen auf der Barrikade gestanden“. Noch waren die politischen Differenzen innerhalb der "revolutionären Bewegung" durch den gemeinsamen Demonstrationszug, an dem etwa 20.000 Menschen teilnahmen, am Tage zuvor hatte König Friedrich Wilhelm IV, den Toten seine Reverenz erwiesen, verdeckt worden.

 

 

 

Das politische und insbesondere auch das revolutionäre Geschehen wurden auch von einer Reihe von Klubs getragen.

„Die politischen Hauptrichtungen des Berliner Nachmärz wurden von den gemäßigten Liberalen und ihren Gegnern, den radikalen Demokraten bestimmt. Letztere eröffneten das politische Vereinsleben durch die Gründung des "Politischen Klubs", der anfangs noch als Sammelpunkt der gesamten Märzbewegung gedacht war. Die Liberalen antworteten mit der Gegengründung eines "Konstitutionellen Klubs" und zwangen damit ihre Rivalen, den eindeutigen Parteinamen "Demokratischer Klub" anzunehmen. Die beiden Vereine beherrschten weitgehend die politische Öffentlichkeit in der ersten Phase nach der Revolution.“

Die Konservativen antworteten Mitte Mai mit der Gründung des "Preußenverein", der unter „der Devise "Mit Gott für König und Vaterland" die Vertreter der sich formierenden Konterrevolution umsich sammelte. Auch die Arbeiterschaft begann sehr bald ein eignes Vereinsleben zu entwickeln, umworben von den Demokraten, die sich anfangs noch als Schirmherren und politische Vormünder der Arbeiter verstanden."

Von nun an standen sich jedoch die Vertreter der konstitutionellen Richtung , die am 21. März 1848 bei Milentz den Konstitutionellen Klub gegründet hatten, der die Mehrheit des Bürgertums hinter sich wußte, den Vertretern einer radikal-demokratische Richtung, den "Jacobinern", zu denen auch Carl Herzfeld zählte, die sich im Demokratischen Klub zusammengefunden hatte, gegenüber.

Über die Gründungsversammlung im Zusammenhang mit der Reorganisation und Umbenennung des Politischen in "Demokratischen Klub", die in der Reiterbude am Dönhoffplatz stattfand, berichtet Robert Springer : "Der weite Raum der Reitbahn mit den roh gearbeiteten amphitheatrischen Sitzen, der mehrere Tausend Menschen fassen konnte, war so gedrängt voll, daß im wahren Sinne des Wortes kein Apfel zur Erde fallen konnte. Ab und zu ging die Rotte Monike", sie bestand aus einigen radikalen Studenten unter denen sich auch einige befanden, die am 18. März 1848 die Maschinenbauer unter die Waffen gerufen und auch auf den Barrikaden gekämpft hatten -"um das äußere Terrain zu rekognosticieren" und von der Reaktion angeheuerten Schlägertrupps wie "den etwa eindringenden Pferdeschlächtern oder anderen Söldlingen den Eingang zu wehren".  An die Spitze des Präsidiums wurde  Georg Jung gewählt, der, wie bereits erwähnt die politische Rede an den Gräbern der Barrikadentoten gehalten hatte. Sein Stellvertreter war Eichler, "der durch seine derbe populäre Sprache und durch leidlichen Takt wohl dazu" geeignet war. Neben Carl Herzfeld, "der seine Erholung von den juridischen Repositorien in der Politik suchte, aber den Rechtsboden des Landrechts nie ganz verlieren konnte" sind eine Reihe mehr oder minder bekannter Persönlichkeiten zu nennen, die zum politischen Freundeskreis gehörten. Robert Springer hat sie aus eigner Kenntnis mit wenigen Worten jeweils prägnant charakterisiert: "Ottensoser, der immer nur sprach, wenn er wie ein Quäker begeistert war, was aber keineswegs selten eintraf. Hätte seine Beredsamkeit nicht zu viel von seiner Phantasie und der aufgeblasenen Übertreibung eines Handlungsdieners an sich gehabt und wäre seine Bedeutentheit von den übrigen Demagogen, die einem unstudirten Kaufmannsdiener unmöglich Berühmtheit zugestehen konnten, nicht bei jeder Gelegenheit ins Lächerliche gezogen worden, so hätte Ottensosser durch unverkennbares Talent eine wichtige Rolle spielen können... Wyß, der allmählich in's Feuer gerieth, wie seine Zunge geschmeidiger wurde; der lange, hellblonde Saß; Reich, der Kleine, der eine Armee von Rehbergern hinter sich träumte. Er hatte eine Boxernatur und suchte mit Jedem Händel. Karbe, der Greis, der den lieben Gott zum Barrikadenkämpfer machte", Linden-Müller, "dessen reden populär wie Knoblauchwürste und berauschend wie feiner Kümmelschnaps waren", Monike, "der wie ein Keil etwas schwerfällig, aber doch spaltend traf“, Berner, "der jung, frisch und roth politisierte", Lange, "mit dem Uckermärker Dialekt und der entschiedenen republikanischen Sehnsucht", Hoppe, "der konfus sprach, aber richtig fühlte. Er sah aus wie ein Neger, der eifrig Theologie studirt hat", Buhl mit der Jungfernstimme und den satyrischen Ausfällen... Stein, der dicke Aktuarius im rothbraunen Paletot und weißem Filz, der parlamentarische Reden zur Beförderung der Verdauung zu halten schien; Schramm der spätere Präsident, dem die Worte für die schnellen Gedanken zu langsam waren; Bergenroth, ein großer, hübscher Mann, von entschiedener Gesinnung, der sich nie vordrängte. Seine Redefertigkeit war unbedeutend, größer seine Wirksamkeit für die demokratischen Wahlen in den Provinzen; Salis ein derber Schweizer;Förster, äußerlich still, besonders thätig in den Commissionen; Dr. Voigtländer, ein kleines schmächtiges Männchen, dessen Gesicht von der Schulklassenluft gebleicht war. Er trat immer schüchtern auf, und als er einst die Stärke der Armee, welche Berlin cernirte, im ängstlichen Flüsterton mittheilte, reif er wahre Heiterkeit hervor... Van Arken, den man, wie die Venus `a belles fesses, von hinten sehen mußte. Er hatte eine originelle Art, die Rockschöße über einander zu

 

 

 

 

 

 

 

 

schlagen, wenn er sich zum Sprechen erhob. Zuweilen trat Graf Pfeil auf, eine hohe Gestalt mit scharf geprägtem Gesicht. Als die Verfassungsklage geprüft wurde, schleuderte er einige Kraftworte, hantierte dabei wie ein Held in einem Klingerschen Schauspiele und verließ dann unter rauschendem Beifall die Tribüne." Später erweiterte sich der Kreis um Hexamer, einen Mediziner, Oppenheim, "eine kleine feine Gestalt, mit hübschem rothwangigen Gesicht und schwarzem Backenbarte." Die beiden letzt genannten waren "zwei reine Demokraten, die den Unterthanenverstand, woran ihr Altmeister Hegel als Hofphilosoph wirklich geglaubt hatte, zur politischen Kritik an und für sich herausgebildet hatten; der vollwangige Edgar Bauer, dem die Magdeburger Kasemattenluft merkwürdig gut bekommen war; er hielt die Republik so nothwendig wie Bairisch Bier; Arnold Ruge mit dem erdfarbigen Seume-Gesicht, der in Halle die Keule geführt, in Paris die Lärmtrompete geblasen hatte und nun in mit Berliner Pflastersteinen warf. Die philosophischen Doctrinäre konnten ihm nicht verzeihen, daß er, der Heros der Hallischen Jahrbücher, sich auf die Tribüne neben Ottenosser stellte. Er paßte auch nicht dorthin, denn seine Rede war nichts weniger als populär.   Die Thätigkeit des Clubs wurde fortwährend in Anspruch genommen; die Reaction sorgte dafür. Was gab es nicht Alles zu überwachen, zu protestiren, zu demonstriren und zu verwünschen. Die Wahlkandidaten mußten vorgeschlagen und das Programm verfasst und berathen werden. Das Ministerium wollte die Revolution verleugnen, dagegen mußte man empörte Reden halten. Die Polen wurden geschrappnelt und gebrandmarkt, das gab allein zu sechs aufgeregten Abendsitzungen Stoff. Die armen Polen, die noch aus den Gefängnissen einen Klageschrei an die Berliner Studenten richteten, sie fanden eben leider nur die größte Sympathie im democratischen Club! Eine große Volksdemonstration gegen das rechtsbodenstabile Ministerium mußte nach der Stätte der erschlagenen Märzhelden geführt werden. Die Regierung legte einen Verfassungsentwurf vor, um den es sich nicht gelohnt hätte, eine Märzrevolution zu machen; das gab Veranlassung zu famoser Aufregung, zu volkssouveräner Entrüstung.“ 8

Die meisten Volksversammlungen, auch Ausgangspunkt für Demonstrationen wurden, in den sich die "volkssouveräne Entrüstung" manifestierte, fanden im Tiergarten auf einem freien Platz vor den Kaffeehäusern, die die Zelte genannt wurden, statt. An dem Ort, wo ein einzelnes Orchester freitags für die musikalische Unterhaltung der Gäste sorgte, tummelten sich Tag aus Tag ein, die Vertreter der verschiedenen politischen Clubs. "Die verdeckten Orchestersitze in der Mitte wurden zur Tribüne benutzt, der freie runde Platz war mit Tausenden von Zuhörern angefüllt und von Marketenderbuden umgrenzt, in den Zeltenräumen saßen Diejenigen, welche die Volksreden lieber von fern und Bier und Kaffee in der Nähe prüften, vom Brandenburger Thore her rollten zahlreiche Droschken, auf der nahen Spree glitten die lustigen Gondeln nach Moabit, dessen Auen man jenseits erblickte, die Fenster des Schlosses Bellevue blinkten im Sonnenschein durch die schattigen Alleen des Thiergartens, von ferne gewahrte man die grüne Schloßkuppel und die Kirchthurmspitze von Charlottenburg." [15]

Aber nicht nur auf der "Rednertribühne oder in den Zelten war Carl Herzfeld zu finden, sondern auch bei Hippel, in einer jener Weinstuben, die bereits im Vormärz zum Treffpunkt der politischen "Avantgarde" wurden, ohne die eine Politisierung und Radikalisierung der Öffentlichkeit nicht denkbar gewesen wäre. Mitte der 30er Jahre zählte man ungefähr hundert Konditoreien in Berlin, dazu kamen noch zwanzig bis dreißig Weinstuben, unter denen" neben der genannten, insbesondere Lutter (& Wegner), Mitscher & Caspari, Kirchof, Gerold und Habel zu nennen wären. Die bekanntesten Linkshegelianer, die sich bereits vor der Revolution in der Hippelschen Weinstube trafen, waren Bruno Bauer, Max Stirner und Ludwig Buhl. Robert Springer hat in seiner aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts stammenden Charakterisierung der Urväter doktrinär-sozialistischer Herrschaft, das Menschenverachtende dieser Verfechter einer von dem Kopf auf die Füße gestellten Hegelschen Philosophie, die den Satz "Alles Bestehende ist vernünftig" in den Grundsatz "Alles Bestehende ist Sch-" umwandelten, erfaßt. "Diese Leute, welche vorgeben, für die Menschheit wirken zu wollen, erkennen doch weder Menschheit noch Menschlichkeit an; Persönlichkeiten respectiren sie grundsätzlich gar nicht, aber nicht, weil sie dieselben der Idee unterordnen, sondern weil sie ihre eigne Person über alle anderen erheben wollen. Von solchen Volksbeglückern ist kein Heil zu erwarten. Die Kämpfer für die Menschenrechte können Atheisten sein, aber sie müssen an die Wahrheit und Tugend glauben; sie müssen Geistesgröße und Seelenadel haben. Sprecht aber mit Jenen von Wahrheit, so fragen sie 'Was heißt das ?' sprecht ihnen von Tugend, so nennen sie euch, verächtlich lächelnd, 'blödsinnig,' Seelenadel erklären sie für Sch- und Geistesgröße schreiben sie sich selber nur zu. Es gibt einen Standpunkt, von dem die Weltwirren so großartig erscheinen, daß die einzelnen Menschen zu Milben werden, aber dann erkennt auch der Betrachtenden seine eigne Nichtigkeit; so lange aber man sich selber noch für eine Größe hält, ist eben so unlogisch, wie arrogant, keinen Anderen neben sich anerkennen zu wollen." Nach dem 18. März 1848 erweiterte sich der Kreis immer mehr, so fanden sich auch die "Koryphäen" des Demokratischen Klubs hier ein: Meyen, Bergenroth, Ottensosser, Hoppe, Jung, "der wegen der schnell gewonnen Popularität besonders der Gegenstand des Neides wurde", Stein, "der gegen die Demokratie der Rehberger immer eine halb schmerbäuchige, halb büreaukratische Opposition bildete; wenn er seinen weißen Quäker und den Paletot von zweideutig brauner Farbe abgelegt hatte, und beide Arme auf den Tisch stemmte, sah Hippel kläglich nach der Wand, als würde er noch irgendwo müssen durchbrechen lassen. Massaloup, Eichler, der jeden Abend ein Opfer der Grobheit forderte; er suchte sich bald einen, den er verschlang, war aber dann das gemüthlichste Haus, wie die Riesenschlange, wenn sie verdaut." [16]

Edgar Bauer und die Rotte Monicke, die inzwischen auch bei Hippel ein und aus gingen, haben wir bereits erwähnt. Es fehlten auch nicht die früheren Zeltenredner, "darunter der Greis Karbe, der in der Kneipe selten viel von sich hören ließ; , Lindenmüller, seine Gefängnisleiden naiv-humoristisch erzählend; Herzfeld, Schaßler; in der letzten Zeit noch Mey; der Communist Weitling; der Schriftsetzer Born; die Mitglieder des demokratischen Congresses, darunter Hexamer, Ruge und Oppenheim." [17] Von den anwesenden Zeitungskorrespondenten und Redakteuren wären zu nennen: "Kalisch, Dohm, Treuherz, Röttger, Bisky, Todt", Steinthal, Heilberg und Wetzel.

Hier bei Hippel wurden demokratische Beschlüsse gefaßt, man "debattierte, warf Spione heraus, rapportierte Straßenkrawalle, feierte die wichtigsten Momente der 'Anarchie' durch honette Bowlen;

sich selber nur zu. Es gibt einen Standpunkt, von dem die Weltwirren so großartig erscheinen, daß die einzelnen Menschen zu Milben werden, aber dann erkennt auch der Betrachtenden seine eigne Nichtigkeit; so lange aber man sich selber noch für eine Größe hält, ist eben so unlogisch, wie arrogant, keinen Anderen neben sich anerkennen zu wollen." Nach dem 18. März 1848 erweiterte sich der Kreis immer mehr, so fanden sich auch die "Koryphäen" des Demokratischen Klubs hier ein: Meyen, Bergenroth, Ottensosser, Hoppe, Jung, "der wegen der schnell gewonnen Popularität besonders der Gegenstand des Neides wurde", Stein, "der gegen die Demokratie der Rehberger immer eine halb schmerbäuchige, halb büreaukratische Opposition bildete; wenn er seinen weißen Quäker und den Paletot von zweideutig brauner Farbe abgelegt hatte, und beide Arme auf den Tisch stemmte, sah Hippel kläglich nach der Wand, als würde er noch irgendwo müssen durchbrechen lassen. Massaloup, Eichler, der jeden Abend ein Opfer der Grobheit forderte; er suchte sich bald einen, den er verschlang, war aber dann das gemüthlichste Haus, wie die Riesenschlange, wenn sie verdaut." [18]

Edgar Bauer und die Rotte Monicke, die inzwischen auch bei Hippel ein und aus gingen, haben wir bereits erwähnt. Es fehlten auch nicht die früheren Zeltenredner, "darunter der Greis Karbe, der in der Kneipe selten viel von sich hören ließ; , Lindenmüller, seine Gefängnisleiden naiv-humoristisch erzählend; Herzfeld, Schaßler; in der letzten Zeit noch Mey; der Communist Weitling; der Schriftsetzer Born; die Mitglieder des demokratischen Congresses, darunter Hexamer, Ruge und Oppenheim." [19] Von den anwesenden Zeitungskorrespondenten und Redakteuren wären zu nennen: "Kalisch, Dohm, Treuherz, Röttger, Bisky, Todt", Steinthal, Heilberg und Wetzel.

Hier bei Hippel wurden demokratische Beschlüsse gefaßt, man "debattierte, warf Spione heraus, rapportierte Straßenkrawalle, feierte die wichtigsten Momente der 'Anarchie' durch honette Bowlen; dazu die enge des Raumes, das abwechselnde Erscheinen der Colporteure - die alles konnte einen unschuldigen Provinzialen, der einmal aus Neugierde dorthin gegangen war, Kolik und Haarsträuben verursachen." [20]

Ende April 1848 waren der Nationalversammlung gegen Zahlung einer angemessenen Miete die Räume der Singakademie für ihre Sitzungen überlassen worden. [21]

Anfang Oktober siedelten die Abgeordneten der Nationalversammlung von der Singakademie in das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt über. Zu den entschiedensten Mitgliedern der äußersten Linken gehörten Waldeck, Temme, Jung, d’Ester, Reichenbach, Berends und Reuter, politische Gesinnungsgenossen Carl Herzfelds. Waldeck und Berends werden wir im Jahr darauf zusammen mit Carl auf der Anklagebank vor dem Kriegsgericht finden, auf einen an Carl Herzfeld gerichteten Brief d’Esters wird sich der Ankläger stützen.

In den nächsten Wochen sollten die Wiener Ereignisse den Tenor der politischen Verhandlungen bilden. Am 23. Oktober traten die kaiserlichen Truppen gegen die revolutionäre Hauptstadt an und eroberten Wien nach einwöchigen blutigen Kampf. Die Konservativen ausgenommen war man sich über alle Parteigrenzen hinweg in Berlin einig, den Freiheitskampf der Wiener zu unterstützen. Da militärisch jede Hilfe zu spät kam, blieb als einzige Alternative der Versuch auf die preußische Regierung Druck auszuüben, zu intervenieren oder die Frankfurter Zentralgewalt aufzufordern, einzugreifen. Entsprechende Anträge wurden am 31. Oktober in der Nationalversammlung beraten. "Wie schon im Juni war die Versammlung von Menschenmassen umlagert. Die Bürgerwehr marschierte zum Schutz der Abgeordneten auf, konnte aber Angriffe auf einige Volksvertreter nicht verhindern. Wieder kam es zu blutigen Kämpfen zwischen Bürgerwehr und Demonstranten." [22]

 

Die Reaktion

 

Friedrich Wilhelm IV. nutzte die Gelegenheit, um die "Eiterbeule Berlin", so seine Worten, aufzustechen. Entsprechend dem bereits am 11. September im Kreise der "Kamarilla" entworfenen Kampfprogramms zur Einleitung der Gegenrevolution wurde mit der Berufung eines neuen Ministeriums unter Leitung des Kavalleriegenerals Brandenburg in die Tat umgesetzt , die protestierende Nationalversammlung vertagt und, angeblich zu ihrer eignen Sicherheit nach Brandenburg verlegt. Mit dem Argument des Sicherheitsrisikos war zugleich "das Prinzip der Bürgerbewaffnung offiziell diskreditiert worden. Der Einmarsch der seit Wochen um Berlin konzentrierten Armeeinheiten stand unmittelbar bevor. Die Nationalversammlung rief zum passiven Widerstand auf, da der Kommandant der Bürgerwehr Rimpler einräumen mußte, daß er mit den ihm zur Verfügung stehenden schwachen Kräften, die Stadt nicht verteidigen könne. So konnte also am 10. November die Armee ungehindert durch das Brandenburger Tor einrücken: "13.000 Soldaten mit 60 Geschützen. Abgesehen von lebhaften Unmutsäußerungen des Straßenpublikums blieb die Stadt ruhig".

Die Bürgerwehr löste sich auf, Rimpler legte sein Amt nieder und die Listen wurden verbrannt. „Diese Maßregel sollte die Entwaffnung hindern, welcher man sich nicht freiwillig unterziehen wollte. In der Nacht kamen die Bürgerwehrofficiere in der Jägerstraße zusammen und beriethen unter dem Vorsitze des Actuarius Thiele die nächst zu thuenden Schritte, von der Linken waren Waldeck, Berends, d’Ester und Bauer zugegen. Die Meinungen waren sehr getheilt, fast alle stimmten aber in dem Punkte überein, daß die Waffen nicht abgegeben werden sollten.“ [23]

Am 12. November wurde der Belagerungszustand über Berlin verhängt, und die vollziehende Gewalt in die Hände Wrangels, des kommandierenden Generals, gelegt. Alle politischen Vereine wurden geschlossen, das Versammlungsrecht drastisch eingeschränkt, die Polizeistunde auf 22 Uhr festgesetzt. Gleichfalls wurde nicht nur gegen die Revolutionäre sondern auch gegen die gemäßigte Presse vorgegangen, alle Zeitungen und Druckschriften unterlagen einer besonderen Genehmigungspflicht. Die Berliner Bürgerwehr wurde für aufgelöst erklärt und die Häuser nach Waffen durchsucht. "Die Truppen besetzten, mit geladenen Gewehren versehen, den Hahn in der Mittelruh, die Straßen und holten die Waffen aus den Häusern. Die Sergeanten der Polizei-Commissarien dienten fast überall als Anweiser; am Thätigsten jedoch waren die Weiber, welche die Gewehre der Männer selber überbrachten oder in den Hausthüren standen, und die Soldaten an einzelne Bewohner wiesen, bei denen sie Waffen vorhanden wußten; eine solche Anweisung hatte dann eine gewaltsame Durchsuchung der Zimmer zur Folge, dazu wirbelten die Trommeln für die Demokratie." 16 20.000 Gewehre wurden insgesamt beschlagnahmt. Stadtfremde wurden sorgfältigen Kontrollen unterzogen und mit Ausweisung bedroht. Ein Freund Ludwig Herzfelds berichtet am 15. November aus der preußischen Hauptstadt nach Sagan:

 

"Ihres Auftrages habe ich mich zwar sofort erledigt, aber bis jetzt noch keine weitere Nachricht von mir geben können, weil ich verreist war; und wahrscheinlich hätten sie auch noch ein Weilchen warten müssen, wenn ich nicht wegen der Belagerung von Berlin zurückgeeilt wäre. Denn sämtliche Bahnhöfe sind gesperrt gewesen bis vor kurzer Zeit, deshalb wurde auch mir mein Eintritt verwehrt. Bis nach Potsdam kam ich zwar glücklich, dort kam mir aber ein donnerndes 'Halt' entgegen und nach kurzer Visitation wurde ich ohne Aufenthalt nach Berlin befördert. So bin ich glücklich wieder hier, wo der Absolutismus durch Bajonette wieder zu herrschen angefangen hat, und Personen an der Staatsregierung stehen, die durch die Nationalversammlung bereits des Hochverrats angeklagt sind. Eine furchtbare Erbitterung bricht aus der Seele eines jeden, eine dumpfe Schwüle liegt über der ganzen Stadt, die durch die zahlreichen Trabanten total geknechtet wird. Heute früh sind aus dem Hause einfach die Waffen abgeholt worden, doch nicht alle, sondern eine bedeutsame Anzahl ist zurückgeblieben, da die Soldaten nie die Treppen hinaufgestiegen sind, sondern stets auf den Hausfluren blieben. Zahlreiche starke Patrouillen durchziehen zu allen Tageszeiten die Straßen, die Kugel im Lauf und stören jede kleine Versammlung auf der Straße, die sich doch wegen der Cirkulation so leicht bildet. So etwas habe ich nicht erwartet, als ich Berlin am 3ten October verließ. Die Reaktion ist furchtbar noch einmal aufgetreten, ich glaube, um einen Kampf auf Leben und Tod zu beginnen. In Berlin liegt die Entscheidung momentan nicht so sehr als in der Provinz, denn die Stadt ist ganz strategisch besetzt und eine furchtbare Anzahl von Feuerschleudern ist nicht vergebens mitgebracht worden. Das Verhalten dagegen der ganzen Berliner Bürgerschaft ist würdevoll, ernst, ignorierend. Die Camerilla hat durch ihre willkürlichen, frechen Anordnungen und Vorgriffe einen Konflikt gesucht, die Bürgerschaft hat ihn vermieden durch ruhige, ernste Haltung. Wir müssen den Kelch bis zur Hefe leeren, bis die Entscheidung kommt. Alle Tage erwartet man dieselbe und bei jedem Lärm auf der Straße, glaube ich schon die Kanonen spielen zu hören. Die Bauschüler sind aus der Bauschule plötzlich vertrieben worden, die Zeichentische, Modelle etc. umgeworfen und besetzt worden. Aber unter den Truppen selbst rühren sich einige und ich glaube, daß nur die Erhebung eines Bataillons nötig ist, um ganze Regimenter zu einer beistimmten Erklärung, nicht am Kampf teilnehmen zu wollen, zu bringen. So stehen die Verhältnisse jetzt, aber vielleicht schon, ehe Sie den Brief bekommen, kann anders entschieden sein.

Den übrigen Raum benutze ich, um Erkundigungen von Ihnen über Sagan einzuziehen, weniger über politische als vielmehr häusliche Angelegenheiten. Wonach ich mich zuerst erkundige, werden Sie wohl wissen, und bei der nächsten Gelegenheit, die sich darbietet, bitte ich Sie, mich ein wenig zu bedenken. Die übrigen Personen kümmern mich wenig und das unpolitische wie weibliche Leben in Sagan noch weniger, besonders da ich in dem Ort bin, wo so wichtige, so große Entscheidungen vor sich gehen sollen."

 

Die einzige bedeutsame Widerstandsaktion ging von der Berliner Nationalversammlung aus. Vom Militär verfolgt, wechselte sie ihre Sitzungslokale täglich. "General Wrangel wollte ihre Ohnmacht deutlich hervortreten lassen, sie der Lächerlichkeit preisgeben und somit zur Aufgabe zwingen. Unter dem Druck dieser provozierenden Taktik beschloss die Versammlung am 15.11. unmittelbar vor ihrer gewaltsamen Aufhebung durch das Militär, das Land zu einer allgemeinen Steuerverweigerung aufzurufen: das Ministerium sei nicht berechtigt, 'über Staatsgelder zu verfügen und Steuern zu erheben, solange die Nationalversammlung nicht ungestört in Berlin ihre Beratungen fortzusetzen vermag.’“ 17 Ein Versuch sich in Brandenburg neu zu konstituieren, misslang unter anderem auch, weil Abgeordnete der Linken die Nationalversammlung beschlussunfähig machten. Ursprünglich war mit dem Gedanken gespielt worden, von dort die Republik auszurufen. Wie aus einem Brief des Freundes Meyer vom 23. November an Ludwig Herzfeld zu entnehmen ist, hatten beide sich in Berlin treffen und von dort aus nach Brandenburg fahren wollen, um an diesem "Staatsakt" teilzunehmen.

 

Lieber Herzfeld

 

Meinem Dir neulich gegebenen Versprechen gemäß,  zeige ich Dir hiermit an, daß ich morgen Freitagabend nach Berlin reise und dort einige Tage verbleiben will, ich rechne bestimmt auf Deine Begleitung. Solltest Du aber nicht sofort abkommen können, so wirst Du mir doch bald folgen. Ich denke wir reisen auch dann nach Brandenburg, und wohnen am Montag der Erklärung der Republik bei. Jedenfalls spreche ich Dich noch morgen Abend in Sagan auf dem Bahnhof. Die Familie Bail läßt Dich grüßen. Auf Wiedersehen

 

Sagan 23/11. 48                 Dein

                                       Freund Meyer

 

 

Am 6. Dezember 1848 oktroyierte Friedrich Wilhelm IV. eine Verfassung. Preußen war jetzt konstitutionelle Monarchie. Der Artikel 67 gewährte das allgemeine Wahlrecht.

 

Ludwig Herzfelds staatsrechtliche Vorstellungen

 

Die Verbindung zu den Berliner politischen Kreisen wird, da Ludwig Herzfelds Lebensmittelpunkt inzwischen wieder in Schlesien lag, nur locker gewesen sein. Zwar lebten seit 1844 seine Geschwister zusammen mit dem Vater in der Hauptstadt, auch blieb er über seine Tätigkeit bei der Niederschlesischen Eisenbahn und die Freundschaft mit Robert Beil, dem Sohn, des Inhabers der Gesellschaft, mit Berlin verbunden. Dazu mußte er zwischenzeitlich auch in Berlin aufhalten, um am Kammergericht seine Assessorprüfung abzulegen. Jedoch hielten ihn neben den vielen Freundschaften in Glogau und Sagan inzwischen auch zärtliche Bande im niederschlesischen Raum. Im Revolutionsjahr 1848 hatte er Marie Clementine Wüsthoff kennengelernt und sich alsbald mit ihr verlobt. Dazu kam, daß er im Spätsommer 1847 in Sagan eine vakant gewordene Justizratsstelle, die  zu besetzten gewesen war, hatte übernehmen können.

 

 

Die neue Tätigkeit ließ ihm auch genügend Zeit, sich nebenher politisch zu betätigen. Seine politischen Ambitionen in Sagan nach Ausbruch der bürgerlichen Revolution im März 1848 lassen sich im späten Frühjahr nachweisen. Am 1. Mai 1848 richtete er ein Schreiben an den Kgl. Landrat des Kreises, den Grafen Dohna, in dem er wegen "verschiedener Verstöße" gegen die Vorschriften des Wahlgesetzes vom 8. April 1848 bei den Urwahlen für die Versammlung zur Vorbereitung der preußischen Verfassung protestierte. Auch scheint er in Sagan den Demokratischen Klub mit begründet zu haben.

 Im Spätherbst 1848 zog Ludwig Herzfeld in Sagan die Konsequenzen aus der oben geschilderten politischen Entwicklung. Er machte sich für eine Reorganisation des in Sagan bestehenden "Demokratischen Vereins" stark. Zu diesem Zweck lud er als Vorsitzender des interimistischen Vorstandes  zusammen mit Kleiber am 30. November 1848 zur  Mitgliederversammlung ein:

"Am Sonnabend, den 2. Dezember d. J., abends 7 Uhr findet im Morgensternschen Gartensaal eine Versammlung der Mitglieder des hiesigen demokratischen Vereins statt, in welcher nächst den wichtigsten Tagesfragen, hauptsächlich die Reorganisation des Vereins, das anzunehmende Programm zur Besprechung gebracht werden soll. Dringend wünschenswert ist es, daß die jetzigen Mitglieder des Vereins sich recht zahlreich einfinden, es wird aber auch gern gesehen, wenn aufrichtige Freunde einer wahren unbeschränkten, durch redliche Mittel zur erstrebenden Volksfreiheit, denen an einer ruhigen Verständigung über das, was jetzt aller Herzen bewegt, gelegen ist, die Versammlung zu besuchen."

Aus dem neuen Grundsatzprogramm, das aus  Ludwig Herzfeld's Feder stammte, treten uns dessen rechtsphilosophische Anschauungen deutlich entgegen. „Der am hiesigen Orte unter dem Namen des demokratischen bisher bestandenen Verein, hat sich nicht der Sympathien der gutgesinnten Einwohner zu erfreuen gehabt. Die Ursache darf ich als bekannt voraussetzen.- Überschreitungen einzelner, die von keinem Vernünftigen gebilligt werden können, zwecklose und mutwillige Störungen der gesetzlichen Ordnung, der hin und wieder auch unlautere Motive zum Grunde gelegen haben mögen, kommunistische Bestrebungen sind hier wie anderwärts, auf Rechnung der Demokratie geschrieben, dazu benutzt worden, ihre Anhänger zu verdächtigen. Die wahre, echte Demokratie will die Freiheit aller, die Gleichheit aller vor dem Gesetz; und das Gesetz erkennt sie als Schranke der Freiheit an. Nicht die Willkür; der bloßen rohen Gewalt, komme sie von oben oder von unten, wird sie immer entgegentreten müssen, am allerwenigsten aber dulden können, daß der Name der Demokratie gemißbraucht werde zu Attentaten auf das Recht; wir wollen gern der Despotie dieses Mittel überlassen. Heftige Gärung bringt zunächst die Hefe oben auf; man darf daher auch im politischen Leben nicht über Erscheinungen, wie die angedeuteten, sich nicht wundern, und wer eine bessere Zukunft erstrebt, nicht verzweifeln. Es will fast den Anschein gewinnen, als auch jetzt in unserem Vaterlande die Parteien auf beiden Seiten von ihrer bisherigen Leidenschaftlichkeit zu einer vernünftigen Mäßigung zurückkehren wollen. Dieser günstige Augenblick muß benutzt werden, um eine Verständigung zum Heile Aller herbeizuführen, und es kann dies zweckmäßig in politischen Vereinen geschehen.

Die bisherige Wirksamkeit des hiesigen demokratischen Vereins ist keine solche gewesen, welche einem solchen Zwecke entsprechen könnte; aus diesen und anderen nachher noch besonders zu erwähnenden formellen Gründen, muß er jetzt vollständig neu konstituiert werden. Ich habe es übernommen dieses Werk zu leiten und halte es deshalb vor allem für notwendig, von meinen persönlichen Ansichten Rechenschaft zu geben: Die Freiheit des Menschen ist ein natürlicher Zustand, sobald mehrere Menschen nebeneinander leben, müssen sie den Gebrauch ihrer natürlichen Freiheit regeln durch bestimmte Gesetze; diese Gesetze dürfen ihnen aber nicht durch andere aufgezwungen werden, sie selbst müssen sich ihre Gesetze geben.

Die Völker sind zwar meist, wie uns die bisherige Geschichte lehrt, durch einzelne Regenten geschützt worden, und andere sogenannte republikanische Staatsformen haben nur ausnahmsweise Bestand gehabt; überall aber finden wir das Streben des Volkes nach einer Teilnahme an der Gesetzgebung und Regierung, und diese ist notwendig zu seinem Glücke, weil sie sonst nicht frei sind. Da, wo sie eine solche Teilnahme nicht im genügenden Maße gehabt haben, ist dieses Verhältnis benutzt worden, um die natürliche Freiheit unter der Form von Gesetzen ohne Not zu beschränken; so oft diese Beschränkungen fühlbar und drückend wurden, ist deren Beseitigung erstrebt worden, durch friedliche Vereinbarungen, wie durch Revolutionen...

Die menschlichen Dinge sind unvollkommen, unvollkommen sind die Gesetze, welche das Privatrecht regeln, unvollkommen wird auch jede Verfassung sein, welche die politischen Rechte des Volkes sichert. - Die Form in der dies geschieht, gestaltet sich notwendig anders nach den äußeren Zufälligkeiten und dem inneren Bedürfnis; die Nationalität der Völker, das Klima, unter dem sie wohnen, die Beschäftigung, der sie sich widmen, die jedesmalige Zeit haben Einfluß darauf; unter jeder Form also kann ein befriedigender Zustand erreicht werden.

Diese Ideen haben mich geleitet, als ich für den neu zu begründenden demokratischen Verein in Übereinstimmung mit den übrigen Mitgliedern des einstweiligen Vorstandes das folgende

Programm aufgestellt habe:

Der demokratische Verein zu Sagan stellt sich die Aufgabe, die politischen Verhältnisse der Gegenwart behufs der allgemeinen Belehrung und Verständigung zur Erörterung zu bringen und durch Verbreitung seiner Ansichten für Wahrung der Rechte des Volkes zu sorgen; er hofft die geistige und materielle Wohlfahrt des Volkes durch Vereinbarung einer freien Verfassung auf besonderer Grundlage zwischen dessen regierendem Fürstenhause und den Vertretern des Volkes und wird diesem besonders seine Weiterarbeit in der bezeichneten Weise widmen, ebenso aber auch allen Verletzungen des Privatrechts entgegentreten, in dem er gegen alle kommunistischen Bestrebungen als gänzlich unvertretbar und diesen Zwecken widersprechend, sich verwahrt und hierbei von der Überzeugung ausgeht, daß die Wohlfahrt aller Volksklassen nur durch ... politische Freiheit und Sicherung des Privatrechts herbeigeführt und erhalten werden kann. Ich wiederhole, daß wir einen vollkommenen Zustand auf dieser Erde niemals erreichen werden; menschliche Irrtümer werden uns immer gefangen halten, und die Schranken, welche allem menschlichen Glück beschert sind, werden auch unsere Freiheit begrenzen; aber das Streben nach Vollkommenheit, nach der

erkannten Wahrheit ist es, welches die innere Befriedigung gewährt, und schon in diesem Streben liegt die Freiheit. -

Ewig wahr bleibt eben daraus der Ausspruch unseres Dichters:

Der Mensch ist frei

geschaffen

ist frei

und wär er

in Ketten geboren!

 

Deutlich stehen diese Ausführungen im Gegensatz zur konservativen Staatsauffassung; der Staat wird nicht organisch aufgefaßt, auch wenn die historischen Bedingtheiten bei der Ausbildung der jeweiligen Staatsform gewürdigt werden, sondern der Staat ist eine menschliche Einrichtung, die nicht nach absolutistischen, sondern nach konstitutionellen Grundsätzen zu ordnen ist, in der der einzelne politische Rechte hat. Der Staat baut sich auf einer Vertragsgemeinschaft des Einzelnen auf. Der Staatsgedanke ruht auf dem Vertrage, den die Individuen geschlossen haben. Über die Motive, die zur Bildung dieser Einrichtung führen, gibt es unterschiedliche Ansichten, Ludwig Herzfeld scheint in der Tradition Immanuel Kants zu stehen, für ihn stehen Recht und Vernunft im Mittelpunkt.

Etwas unklar bleibt die Stellung des Monarchen. Mit der Auffassung des Staats als einer von Menschen geschlossenen Vertragsgemeinschaft kollidiert der Gedanke, daß der Träger der Staatsgewalt sein Amt Gott verdankt. Seine Gewalt hätte nach liberaler Auffassung in letzter Linie in dem Willen des Volkes seinen Ursprung, der König wäre der Mandatar, der Beauftragte des Volkes. Es findet sich jedoch in dem Programmentwurf die Passage, " daß die geistige und materielle Wohlfahrt des Volkes durch Vereinbarung einer freien Verfassung auf besonderer Grundlage zwischen dessen regierendem Fürstenhause und den Vertretern des Volkes " zu sichern sei. Es treten hier die eigenständigen Rechte des Volkes , den eigenständigen Rechten der Krone gegenüber. Eine Verfassungskonstruktion, die zwischen dem liberalen und dem Denken des konservativen Staatstheoretikers Friedrich Julius Stahl 18 die Waage hält. Im Unterschied zum parlamentarischen Prinzip bestand das monarchische Prinzip für Stahl darin, "daß die fürstliche Gewalt dem Rechte nach undurchdrungen über der Volksvertretung stehe, und daß der Fürst thatsächlich der Schwerpunkt der Verfassung, die positiv gestaltende Macht im Staate, der Führer der Entwicklung bleibe". Von einer Überordnung des monarchischen Prinzips kann bei Ludwig Herzfeld keine Rede sein. Eher kommen Ideen des deutschen Naturrechtsdenkens , dem die politische Spitze fehlte, die in der Forderung hätte gipfeln müssen: Weg mit diesen Obrigkeiten, sondern das sagte: Es ist anzunehmen, daß die Menschen durch einen stillschweigenden Vertrag in diese bestehende Obrigkeit der Fürsten, in diese Gesetze gewilligt haben und darum sind sie rechtmäßig, bei ihm zum tragen.

Die im Programm niedergelegten gemäßigten konstitutionellen  Vorstellungen, rühren sicherlich auch aus der Einsicht in das Scheitern der weitgespannten demokratischen Blütenträume.

Gerüchten er wolle sich selbst zur Wahl stellen, tritt er am 28. Dezember 1848 in einer "Erklärung" entgegen: "Es ist die Art und Weise, wie ich in neuster Zeit meine politischen Ansichten öffentlich ausgesprochen und zur Geltung zu bringen mich bemüht habe, mehrfach das Motiv unterlegt worden, daß ich mich um die Stelle eines Abgeordneten für die nächste Volksvertretung bewerben wollte. Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn mir meine Verhältnisse künftig einmal gestatteten, nach einer hohen Ehre, der höchsten, welche überhaupt ein wahrer Patriot erreichen kann, zu streben und wenn mir solche durch das Vertrauen meiner Mitbürger zu Teil würde, dürfte dies auch kein unedler und tadelnswerter Ehrgeiz sein, für jetzt liegt mir aber jene Absicht ganz fern und dürfte schon deshalb nicht die Triebfeder meiner Handlungen sein, weil ich noch gar nicht einmal das gesetzliche Alter von dreißig Jahren habe, ohne welches kein Preuße Abgeordneter werden kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

Wahlen unter dem Kriegsrecht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Auflösung der Nationalversammlung, die Friedrich Wilhelm am 5. Dezember vornahm entsprach den Wünschen der Rechten, insbesondere der Kamarilla um die Gebrüder Gerlach und den jungen Bismarck. Weniger sagte ihnen jedoch zu, daß die oktroyierte Verfassung so liberal ausfiel. „Die Gesandten der kleinen deutschen Höfe fürchteten ernsthaft, das ‘demokratische’ Vorpreschen Preußens setzte ihre eignen Verfassungen stärksten Zweifeln aus. In Wien begriff man gar nichts mehr: ‘Wie ist es mögliche, fragte man, „daß die Regierung im Vollbesitz ihrer Macht

eine Verfassung gibt, die bis auf wenige Bestimmungen kaum von der aufgelösten Versammlung hatte liberaler gegeben werden können, mit der man auf die Dauer jede Regierung für unmöglich hielt?’“

Seit dem Herbst 1848 hatte sich Friedrich Wilhelm IV. Innerlich damit abgefunden in „der Stunde der Not“ Gewalt anzuwenden. Die Oktroyierung einer Verfassung stellte einen Akt der Gewalt dar. „Die oktroyierte Verfassung ist als jene ‘rettende Tat’ bezeichnet worden, dank deren die schmucke preußische Fregatte wieder Kurs aufgenommen habe und dabei ‘auf jener großen Grundströmung’ dahin gefahren sei, die ‘seit den Tagen des Großen Kurfürsten und Friedrich des Großen getragen habe. Der Entschluß, die Verfassung - so wie sie war - zu diesem Zeitpunkt zu oktroyieren, ist wie die Verfassung selbst ‘das Resultat eines Kompromisses gleicherweise zwischen König und Ministerium wie zwischen Ministerium und Kamarilla, aber auch ein Kompromiß innerhalb des Ministeriums selbst’ gewesen.“ Bereits am 5. Dezember hatte der König die Auflösung der Nationalversammlung angeordnet. Das Vereinbarungsprinzip wird in der Verordnung als obsolet erklärt und das Gottesgnadentum bekräftigt: „Wir, Friedrich Wilhelm u.s.w. haben aus dem beifolgenden Berichte Unseres Staatsministeriums über die letzten Sitzungen der zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Versammlung zu Unserem tiefen Schmerz die Überzeugung gewonnen, daß das große Werk, zu welchem diese Versammlung berufen ist, mit derselben, ohne Verletzung der Würde unserer Krone und ohne Beeinträchtigung des  davon unzertrennlichen Wohles des Landes, nicht länger fortgeführt werden kann.“

Trotz der oben zum Ausdruck gebrachten Befürchtungen, über die oktroyierte liberale ‘Charte Waldeck’ waren aus konservativer Sicht zum Teil unbegründet, denn es wurden doch erhebliche Änderungen vorgenommen. Dabei fielen insbesondere „jene Bestimmungen ins Gewicht, die von einer deutlichen Distanz zu den Märzverheißungen und Errungenschaften geprägt sind: die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Wiederherstellung des absoluten Vetorechts, die Verschiebung des Verfassungseides des Königs, des Beamtentums und der Armee bis nach der Revision der Verfassung, die Beseitigung der Volkswehr, die Beseitigung der Offizierswahl bei der Landwehr und vor allem das Notverordnungsrecht, nach dem Gesetze und Verordnungen nur verbindlich waren, ‘wenn sie zuvor in der vom Gesetz vorgeschrieben Form bekannt gemacht worden sind. Wenn die Kammern nicht versammelt sind können in dringenden Fällen, unter Verantwortlichkeit des ganzen Staatsministeriums, Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen werden, dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.’“ Dieser Notverordnungsartikel  sollte später bei  der Oktroyierung des Dreiklassenwahlrechts noch eine große Rolle spielen. Bereits bei der Kriegsgerichsverhandlung gegen Waldeck, Herzfeld u.a. kam er zur Anwendung und stand im Zentrum bei der Diskussion des Urteils. 19

 

Zunächst war es jedoch den liberalen demokratischen Kräften, insbesondere auch aufgrund des beibehaltenen Allgemeinen Wahlrechts,  möglich, sich bei den Wahlen zur zweiten Kammer, die im Januar 1849 stattfanden, weitgehend durchzusetzen. Carl Herzfeld berichtet über die Entwicklung in Berlin am 15. Januar an seinen Bruder: "Alles intrigiert auf die Wahl, nichts als Wahlen, Verfassung, Revision, Vereinbarung und Gott weiß nur für Unsinn mehr. Ich denke das nächste Jahr wird über Frankreich und uns neue welterschütternde Ereignisse bringen, und dem ganzen Treiben eine neue Richtung geben. Ich glaube nicht an Ruhe . - Ich habe heute zum ersten Mal meine öffentliche Funktion ausgeübt." Was also nur noch blieb, war die Hoffnung auf eine neue Revolution in Frankreich, diese Hoffnung wurde von vielen überzeugten Demokraten geteilt, oder vielleicht die Weltrevolution wie Karl Marx und seine Freunde meinten.

Bei den Wahlen konnten die Liberalen große Erfolge verzeichnen und Carl Herzfeld schreibt am 24. Januar 1849: "In politicis hat bei den Wahlen der Wahlmänner die Demokratie gesiegt. Die Wahlen sind zum großen Teil radikal ausgefallen. In meinem und dem Nachbarbezirk habe ich der radikalen Partei vorgestanden und sie organisiert. In Folge dessen ich selbst nebst 6 meiner Gefolgschaft zu Wahlmännern gewählt sind. Der 8. ist ein Mann der Mitte und durch ein Versagen meiner Partei durchgekommen."

Aber wie aus einem zwei Tage später datierten Brief zu entnehmen ist, schätzt er die Lage, trotz des Erfolgs, realistisch ein: "Deswegen sieht übrigens die Sache der Demokratie nicht so glänzend aus. Antiministriell sind die Wahlen durchweg ausgefallen, aber demokratisch nur zum kleinen Teile. Alle Welt verwechselt die antiministrielle mit der demokratischen Partei... Ich muß schließen und bemerken, daß auch ich der Meinung bin, daß nur eine neue Revolution uns helfen kann. Wann dies eintreten wird, werden kleine Zufälligkeiten bestimmen, nicht aber das Bewußtsein des Volkes, denn das hat keines." In der Nachschrift fügt er hinzu: "Die deutschen Grundrechte werden in Preußen nicht publiziert, und Camphausen hat seinen Posten in Frankfurt als Bevollmächtigter niedergelegt."

Berlin hatte also oppositionell gewählt, und es fanden sich in der neuen Kammer fast alle Abgeordneten der "Linken" aus der Nationalversammlung. „Die Kontinuität zum Revolutionsjahr war also nicht völlig unterbrochen, sie schien sogar beim Zusammentreten der Kammer neu aufzuleben und kam vor allem am 3. April zum Ausdruck, als neben dem Parlament auch der Berliner Magistrat und die Stadtverordneten unter dem Jubel der Bevölkerung die aus Frankfurt angereiste Kaiserdeputation begrüßten, die dem preußischen König die Würde eines deutschen Erbkaisers antragen sollte. Der König lehnte die ihm angetragene Kaiserwürde ab, auch löste er die zweite preußische Kammer auf, als die am 21. April die Reichsverfassung annahm und die Aufhebung des Belagerungszustandes forderte. Im Gegensatz zu den durch diese Ereignisse ausgelösten blutigen Aufständen in großen Teilen Deutschlands blieb es in Berlin relativ ruhig, nur am 27. April fielen bei einer Demonstration, die im Zusammenhang mit der Reichsverfassungskampagne stand, am Dönhoffplatz Schüsse. Die Presse berichtete von 4 Toten und 14 Verwundeten. Der Belagerungszustand wurde verschärft, was wohl auch mit den bevorstehenden Neuwahlen im Zusammenhang stand.

Carl Herzfeld versuchte zusammen mit etlichen Gesinnungsgenossen die demokratischen Kräfte neu zu formieren, um effizienter, nach einer vorhersehbaren Kammerauflösung in den Wahlen agieren zu können. Zu den Reorganisationsmaßnahmen gehörte, daß „an die Stelle des Lokal-Komitee’s, das nach vollendeter Wahl der Wahlmänner sich auflöste, traten aus den vier größeren Wahlbezirken der Stadt die Komitee’s zusammen, welche von den zur volksthümlichen Partei gehörenden Wahlmännern für die Dauer der Wahlmanns-Versammlungen erwählt worden waren. Diese vier vereinigten Komitee’s , welche übrigens zum großen Theil aus denselben Personen bestanden, die das Lokal-Komitee für volksthümliche Wahlen gebildet hatten, und eine Aenderung des Namens nicht für nöthig hielten, entwarfen auf den in den Wahlmanns-Versammlungen ausgesprochenen Wunsch einen Plan zur Organisation der Volkspartei für die Zeit  nach Aufhebung des Belagerungszustandes, um von vorn herein neben einer festen Verbindung unter den Männern freier Gesinnung zugleich einen Damm gegen das im Sommer v. J. hervorgetretene Treiben einzelner sogenannter Demokraten anzubahnen.“ 20

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Kriegsgericht

 

 

 

Etliche Bezirksvertreter hatten sich am 21. Mai, wegen des herrschenden Belagerungszustandes in der Wohnung des Stadtrates Runge getroffen, um einen Vorstand zu wählen. Es wurden der Gymnasiallehrer Gercke, der Stadtrat Runge, Dr. Waldeck, Justizrath Pfeiffer und der Buchdruckereibesitzer Berends in den Vorstand berufen, ferner war die Wahl auch auf Carl Herzfeld und einen Abwesenden gefallen, „aber noch nicht vollständig proklamirt, als ein Polizeibeamter eintrat und trotz des Protestes des Stadtraths Runge alle Anwesenden zwang, dessen Wohnung zu verlassen.“21

 

Darauf lud der Gymnasiallehrer Gehrcke mehrere Personen zu einem Treffen am Abend des 22. Mai in der Konversationshalle am Döhnhoffplatz ein. „In dem umhergesandten Zettel hatte der Gymnasiallehrer Gercke die unter den Eingeladenen befindlichen sogenannten Vorsitzenden der Volksvereine ... ersucht, im Verhinderungsfalle Stellvertreter zu schicken, da es sich um eine wichtige Besprechung handele, ohne jedoch etwas über einen bestimmten Zweck hinzuzufügen“. Neben den Lehrern Koch und Gerüche, Carl Herzfeld, Dr. Waldeck, Dr. Weiß, Berends, dem Partikulier Schönemann, Pfeiffer und dem Tierarzt Mecklenburg hatten sich der Lehrer der Apotheker Bernard, der Lehrer Steide, der Fabrikant Schildknecht, der Baumeister Petersen und „ein nur Letzterem bekannter Herr“ eingefunden.

Die Unterhandlungen wurden durch das Eindringen von Polizisten in Zivil unterbrochen. Auf deren Verlangen händigte Gercke ein vor ihm liegendes Notizbuch aus, zerriß aber einen Brief, dessen Fetzen von einem herbeigerufenen Konstabler aus der Hand gewunden wurden. Wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt wurde daraufhin Gercke verhaftet. In der Anklageschrift nahm sich der Vorfall wie folgt dargestellt: „Bei ihrem Eintritt in das erwähnte Zimmer der Conversations-Halle vernahmen die Beamten ein lautes Gespräch und ihre Aufmerksamkeit wurde auf den zuerst genannten Lehrer Gercke gerichtet, indem dieser ein Notizbuch und ein Papier, welcher vor ihm auf dem Tisch gelegen, schleunig an sich nahm.

Aufgefordert, beides auszuliefern, leistete er, hinsichts des Notizbuchs, Folge, die Herausgabe des Schreibens aber verweigerte er, unter dem Vorwande, daß dies ein Privatbrief sei. Als die Aufforderung erneuert wurde, zerriß er den Brief, und als endlich die Beamten einschritten, um sich die Stücke, welcher er in der Hand hielt, zu bemächtigen, leistete er dermaßen Widerstand, daß Jene Gewalt anwenden mußten. Die Stücke des Briefes kamen indessen sämmtlich in ihre Hände, und durch deren Zusammensetzung war der ganze Inhalt des Schreibens ermittelt.

Dasselbe lautet:

  Geehrter Herr!

 

Sie haben während Ihres Aufenthaltes in Berlin die hiesige Stimmung hinlänglich kennen gelernt, um zu begreifen, daß Berlin im gegenwärtigen Augenblicke sich nicht an die Spitze der Bewegung, wenn auch nur der Mark Brandenburg, stellen wird. Die Stimmung ist gedrückt; noch  liegt uns der passive Widerstand entnervend in den Gliedern. Das Panier, um das sich die Bewegung jetzt schaaren muß, ist die deutsche Sache, und - trotz aller Mängel - die Reichsverfassung; was dazu beiträgt, daß Berlin diesmal nicht die Initiative ergreifen wird, da, wie Sie wissen, hier ursprünglich gar keine Sympathien für Frankfurt und die Reichsverfassung vorhanden waren.

Auch hier begreift man indessen jetzt, daß mit der Reichsverfassung auch die Freiheit fällt, und wird deshalb im Kampfe für dieselbe nicht zurückstehen, wenn nur von Außen her ein energischer Vorstoß erfolgt.

Die Volkspartei ist, soweit es der Belagerungszustand möglich macht, organisirt und handelt in Uebereinstimmung; doch würden alle energischen Maßregeln, die man ergreifen möchte, um der Sache eine entscheidenden Wendung zu geben, theils am Belagerungszustande, theils aber und besonders an der gedrückten Stimmung der Bevölkerung selbst scheitern, wie alle Versuch, die angestellt sind, hinlänglich beweisen, und namentlich der Umstand, daß die letzten Maßregeln der Regierung keine größere Aufregung, hervorgebracht haben. Eine Erhebung ist gegenwärtig unmöglich, und dennoch müssen die östlichen Provinzen Preußens, und namentlich das bisher ganz unthätige Brandenburg ein Lebenszeichen von sich geben, soll die deutsche Sache nicht verloren gehen, indem es sonst den Anschein gewinnt, als wären die alten Provinzen wenigstens soweit mit der Regierung einverstanden, daß sie dieselbe ohne kräftigen Widerstand gewähren lassen. Ist eine siegreiche Erhebung unwahrscheinlich und unmöglich, so müssen wir wenigstens bemüht sein, die Unterdrückungsmittel der Erhebung in anderen Gegenden in Schach zu halten.

Ein Brandenburgischer Städtetag scheint unausführbar, und - Wir fordern Sie daher auf, von Frankfurt aus einen Congreß sämmtlicher Vereine der Provinz, die an der Reichsverfassung festhalten wollen, sobald als möglich zu berufen, um über die zu ergreifenden Maßregeln Beschluß zu fassen. Ist freilich nicht zu erwarten, daß der Congreß ungehindert stattfinden wird; ist selbst im Falle, daß er stattfindet, von seinen Beschlüssen kein unmittelbares Resultat zu hoffen: so wird doch einiges mit Sicherheit erreicht. Die bis jetzt in der Mark zersplitterte Bewegung bekommt eine einheitliche Richtung, die Aufregung wird sowohl durch das Verbot, als durch das Zusammenkommen des Congresses vermehrt, die Regierung wird beschäftigt, und ihr Einschreiten an anderen Orten gelähmt, die Stimmung im Südwesten Deutschlands, die gegen Berlin und Preußen sehr erbittert ist, wird gehoben.

Sollten Sie mit uns einverstanden sein, so schlagen wir die Pfingstwoche als die geeignetste Zeit für den Congreß vor.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer aufrichtigen Hochachtung.

Berlin, den 19. Mai 1849.

Der Vorstand des Gesammt-Auschusses der berliner Volkspartei.

Der Lehrer Gercke wurde sofort verhaftet; seine Papiere sowie 59 scharfe Patronen und ein Zündhütchen, die man in seiner Wohnung gefunden hatte, beschlagnahmt.

Von dem Oberbefehlshaber der Marken wurde die Verhaftung der vierzehn anderen Personen veranlaßt, die am 24. Mai erfolgte. Auch hier wurden einige Waffen gefunden und Papier beschlagnahmt. Die Verhafteten wurden in das Gefängnis der Stadtvogtei gebracht. „Von hier aus wurden die Verhafteten an demselben Abend in das Militär-Arresthaus transportiert und dort, zum Theil im Finstern, in kleine enge Zellen gebracht, in denen die Meisten wegen Mangels eigner Betten auf einem Strohsack die Nacht zubringen mußten.“ 22

Die Zustände in den Gefängnissen  schildert Robert Springer eindrucksvoll: „Nach einem unerquicklichen Schlummer gehst du am anderen Morgen, ..., in jenes ehrwürdige Haus am Molkenmarkte. Man weist dich in eines der kleinen gemüthlichen Zimmer, die nach dem Krögel hinaus liegen; ein Criminalgerichtsrath theilt dir mit, indem er  mit argloser Miene so obenhin einen Aktenstoß überblättert, das wegen eines von dir verfaßten Artikels eine Voruntersuchung gegen dich eingeleitet sei, die Anklage lautet auf Majestätsbeleidigung. Du wirst vernommen und da bei einer Verurtheilung der $. 199. Th. II. Tit. 20 in Anwendung kommen, das Strafmaß also weit über ein Jahr reichen würde, wirst du gleich verhaftet und in eines der älteren Criminalgefängnisse gebracht, --

Wohnung, Kost und Kleidung; recht schöne Wohnungen, sehen sich an wie Paläste, nur daß die Portcullis und Eichenthüren und Gitter vor den Fenstern haben, mit einigen hundert Zimmerchen, 6 Fuß lang, 6 Fuß breit und 5 Fuß hoch, -- wohl dem, der nur 4 ¾ mißt. – Ei man muß sie gewöhnen, sich niedriger zu tragen. Und Vorhänge recht solide Vorhänge haben diese Kabinchen; sie sind von Eisen, und die Fußboden von Stein, recht kühl im Sommer. Wir haben Köpfe gesehen, die vom Norden herabkamen, die vom Süden heraufkamen; so kalt, so sprudelheiß, so ungestüm; aber nach zwei Mal vier und zwanzig Stunden waren sie so stille, so mäuschenstille!“—

Die Hausvogteigefängnisse für die politischen „Verbrecher“ sind eingegangen, seitdem die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze ausgesprochen ist. Mit dieser Gleichheit, wie sie gehandhabt wird, züchtigt man die Demokraten, denen man sie zu verdanken hat. Anstatt die Gefängnisse zu verbessern, und den gemeinen Verbrecher derselben Behandlung theilhaft zu machen, welche früher der politische genoß, lässt man Letzteren in gleicher Qual mit Jenem. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß dem Wegelagerer ein Strohsack eine Wohlthat, dem Manne von feinerer Lebensart aber ein Marterlager ist; daß demjenigen, welcher sich in den Kloaken des Lasters gewälzt hat, der Dunst der menschlichen Exkremente, welche sich neben ihm befinden, gar keine Beschwerden verursacht, während er dem gebildeten Manne Ekel und Schwindel erregt. – Man gestattet dir zwar einige Vergünstigungen: ein eignes Bett, eigene Beköstigung, Taback und Lectüre, aber erst, nachdem das Gericht nach langen Zögern seine Einwilligung dazu gegeben hat; und wenn du diese Vergünstigungen nicht wieder verlieren willst, so rathen wir dir, deinen Kopf nicht an der doppelt vergitterten Luke blicken zu lassen, wozu du vielleicht veranlaßt werden könntest durch die Absicht, etwas weniger stinkende Luft (stinkend ist sie überall).“ 23

Das erste Verhör erfolgte am Abend des dritten bei einigen erst am Morgen des vierten Tages. Über dem entstandenen Kompetenzkonflikt, ob das Kriminalgericht oder das Kriegsgericht zuständig sei, verzögerte sich die weiteren Verhöre um fast 14 Tage. Schließlich wurde Anklage erhoben.

Die Anklage berief sich auf die Bekanntmachung des Militärbefehlshabers Wrangel vom 12. November 1848, in der es u.a. hieß: „Alle Klubs und Vereine zu politischen Zwecken sind geschlossen“. Der Oberauditeur Schlitte, der die Anklage vortrug legte als Beweis zwei Brief vor, die an Carl Herzfeld gerichtet, sich beim Mitangeklagten Schönemann gefunden worden waren. Die Briefe waren unterzeichnet vom Central-Ausschuß d’Ester, Reichenbach und Hexamer, im ersten hieß es 24 : „Bürger! Wenn die Ereignisse der letzten Monate für die Demokratie Deutschlands einen unwidersprechlichen Beweis geliefert haben, so ist es für die Nothwendigkeit einer strengen Organisation unsrer Partei, gegenüber der wohl organisierten, mit Geld und Thatkraft und Disciplin ausgestatteten Reaction. Das Bedürfnis einer solchen Organisation der Deutschen Demokratie hat den zweiten demokratischen Congress in Berlin hervorgerufen.

Es versammeln sich 240 Abgeordnete der demokratischen Partei; von ihnen wurde eine Organisationsplan beschlossen, und wir als Centralausschuß mit der Ausführung und Leitung dieses Planes betraut. Die Bewegungen, welche darauf in Preußen begannen, und in Belagerungszustand, Ueberziehung des Landes durch mobile Kolonnen, in massenhafte Verfolgung und Einkerkerung der Demokraten ausgingen, waren zur Ausführung jener Partei-Organisation wenig geeignet.

Der Centralausschuß ist indeß in der nachfolgenden Zeit und bis jetzt bemüht gewesen, die durch die ungünstigen Verhältnisse zerrissene Organisation wieder anzuknüpfen und glaubt nun dahin gelangt zu sein, daß wir mit Aussicht auf Erfolg einen allgemeinen Ruf an die Deutsche Demokratie, einen Mahnruf zu Organisation ergehen lassen können. Wir thun dies hiermit, indem wir die gedruckten Beschlüsse des 2. Demokratischen Congresses, welcher das demokratische Organisationsgesetz enthält, überschicken und Euch zur Ausführung desselben auffordern. Wir thun dies mit der Zuversicht, daß Ihr mit uns erkannt habt: die Zeit der kleinen Bedenken ist vorüber; es gilt jetzt rasche und entschiedene Entschlüsse, und daß Ihr dies Organisations-Gesetz zu dem Eurigen macht.

Wenn es um den Sieg der Demokratie und nicht um Phrasen und Diskussionen zu thun ist, wird nicht Anstand nehmen dies Gesetz ausführen. Es muß aber diese Ausführung streng und genau geschehen. Wer sich dazu nicht fähig glaubt, wird der Organisation einen großen Dienst erweisen, wenn er sich ihr nicht anschließt; denn eine Schein-Organisation ist verderblicher und gefahrvoller als keine. Ja wir nehmen keinen Anstand, es auszusprechen: es muß zu einer Entschiedenheit in der demokratischen Partei kommen. Wer nicht Selbstverleugnung, die Energie und Entschiedenheit besitzt, der ist überhaupt nicht fähig, einer organisirten Partei zu dienen, der wird eher den Sieg erschweren und ihre Zwecke vereiteln... Und so fordern wir noch einmal Euch auf, thätig zu sein und nach Euren Kräften in dem gemeinsamen Kampfe für die Partei Euren Pflichten streng nachzukommen, und vor Allem mit Muth voranzugehen. Wer an seinem Siege verzweifelt, der hat den Sieg im Voraus verwirkt. Bringt die demokratischen Heuler zum Schweigen, und ruft mit uns: es lebe die Demokratie.“

Der zweite Brief lautete:

Bürger! Wir haben heut eine Zuschrift an die demokratischen Vereine der Mark erlassen, in Begleitung einer Anzahl Durchschriften. Die Lücken der Lithographien werdet Ihr mit dem Namen der Vereine ausfüllen. Es betrifft die Durchführung der demokratischen Organisation. Die Ereignisse dieses Jahres müssen uns organisirt und gerüstet finden. Wir empfehlen Euch daher die volle Entwicklung aller Thätigkeiten, zu denen Euch Eure Stellung in der Organisation verpflichtet.

Wir werden nun einzelne Maßregeln, die zu ergreifen sind, vorschlagen. Die für die Kreiskassen einlaufenden Mittel werden Euch in den Stand setzen, durch geeignete Emmissäre die demokratische Organisation auf denjenigen Stand zu bringen, den die Wichtigkeit der Nähe der Hauptstadt erfordert.

Wir empfehlen Euch für diese Emmissäre namentlich folgende Gesichtspunkte: 1) die Abfassung eines Verzeichnisses der namhaften Demokraten mit genauer Angabe der Adressen. 2) Beschaffung zuverlässiger Adressen derjenigen Demokraten, deren Namen bekannt sind, um Brieferbrechung auf der Post zu vermeiden. 3) Anfertigung von Listen derjenigen Gast- und Wirthshäuser, welche sich zur Verbreitung von Flugschriften eignen. 4) Anfertigung eines Verzeichnisses der constitutionellen Vereine, die eine mehr oder weniger demokratische Färbung haben. 5) Aufstellung eines Verzeichnisses der demokratischen Blätter der Mark.

Über diese Punkte wünschen wir nun baldige Auskunft, und ersuchen Euch nach dem gegenwärtigen Stande Eurer Kenntnisse, alsbald einen Bericht abzufassen und uns zu überschicken. Abdrücke der Rundschreiben an Eure Vereine, welche Ihr nach $ 9 allen Kreisausschüssen mitzutheilen habt, erbitten wir in 20 Exemplaren. Wir empfehlen Euch dringend die baldige Berufung eines Kreis-Congresses, damit die Parteien consolidirt werden. Die Erfolge, welche die Partei jetzt bei den Wahlen errungen hat, werden das Bedürfnis einer Organisation rege gemacht haben. Die Zeit ist also jetzt günstig. In der Ueberzeugung, daß Ihr nicht ermangeln werdet, diesen Anforderungen zu genügen, und in Erwartung baldiger Nachrichten, grüßen Euch brüderlich

                                  D’Ester, Reichenbach, Hexamer.

 

Der Oberauditeur Schlitte beantragte „gegen Gercke auf zwei Jahr, gegen die Vorstands-Mitglieder Pfeiffer, Herzfeld, Waldeck und Berends auf neun Monat’ und gegen die übrigen Angeklagten auf sechs Monat Gefängnis zu erkennen“

 

 

Das Urteil des Kriegsgerichts erging nach mehrstündiger Beratung, man hatte sich um 21.30 Uhr zurückgezogen und kam gegen 2.00 Uhr früh zur Urteilsverkündung. Einleitend begründet des Gericht im einzelnen seine Zuständigkeit um dann fortzufahren: „in Erwägung, daß die Angeschuldigten Steide, Schildknecht und Petersen nicht erwiesen, in einem Verein zu politischen Zwecken gestanden zu haben, und darin noch nach dem 16. Mai thätig gewesen zu sein, wogegen bei den übrigen Angeschuldigten, nach genauer Prüfung aller Beweise für die Anklage und für die Vertheidigung, von den Richtern die Ueberzeugung geschöpft worden ist, daß sie noch nach dem 16. Mai , und namentlich am 22. Mai sich in der Konversationshalle am Dönhofsplatz zu politischen Zwecken versammelt haben, daß der Angeschuldigte Gercke noch besonders durch den von ihm entworfenen und zur Berathung bestimmten Brief von landesverrätherischer Tendenz, welcher noch nicht zur Berathung gekommen war, vor den übrigen Angeschuldigten beschwert wird, wogegen ihm eine thätliche Widersetzlichkeit gegen Abgeordnete der Obrigkeit nicht zur Last fällt;

in Erwägung endlich, daß bei Anwendung der Strafe den übrigen Angeklagten außer Gercke der erlittene Untersuchungs-Arrest in Anrechnung zu bringen ist; aus diesen Gründen erkennt das Kriegsgericht für Recht:

daß erstens der Lehrer Gercke wegen Uebertretung eines im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenen Verbots mit einjähriger Gefängnisstrafe zu belegen, der Anschuldigung der thätlichen Widersetzlichkeit jedoch nicht für schuldig zu erklären sei,

Zweitens die Angeschuldigten Schönemann, Herzfeld, Gubitz, Berends, Weiß, Dr. Waldeck, Pfeiffer, Koch, Mecklenburg wegen Uebertretung eines im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenen Verbots mit dreimonatlicher Gefängnisstrafe zu belegen, ihnen jedoch der erlittene Untersuchungs-Arrest anzurechnen sei.

Drittens die Angeschuldigten Steide, Schildknecht und Petersen der Uebertretung eines im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenen Verbots für nicht schuldig zu erklären seien.25

 

Von Seiten der Angeklagten wurden die Zuständigkeit des Gerichts und das ergangenen Urteil in Frage gestellt. Die Kritik an der Zuständigkeit des Gerichts umfaßte im Wesentlichen drei Ebenen.

Zum einem wurde die Grundlagen für den Erlaß der Martial-Verordnung vom 10. Mai 1849, mit der die Kriegsgerichte ihre Legitimation ableiteten bestritten. „Die Geschichte kannte bisher keine Zeit, in der man Kriegs- und Aufruhr-Zustände fingiert hätte, um die politische Gesinnung Einzelner zu verfolgen.“ 26 Zum andren wird die Gültigkeit der oktroyierten Verfassungsurkunde, aus der u.a. das Gericht seine Zuständigkeit deduzierte, in Zweifel gezogen, so lange „die zu berufenen Kammern“ nicht wie vorgesehen, sie einer Revision unterzogen hätten. Ebenso wird die Suspendierung der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Artikel 7) verworfen, da weder Krieg- noch Aufruhr herrschten. Kritisiert wird auch die Handhabung des bereits weiter oben erwähnte Artikel 105, der der Regierung die Möglichkeit  bot ihren Verordnungen Gesetzeskraft zu verleihen: „Daß das Staatsministerium auf Grund dieses Artikels die Befugnissein Anspruch nimmt, alle Gesetze, die Verfassung selbst abzuändern, hat es mehrfach und namentlich durch die Abänderung des in der Verfassung garantirten Wahlgesetzes gezeigt. Dies muß im Allgemeinen, so insbesondere hinsichtlich der Verordnung vom 10. Mai verneint werden.“ 27

Vermißt wird auch eine inhaltliche Konkretisierung, welche Straftatbestände unter die Kompetenz des Kriegsgericht fielen. Lediglich die Bestimmung, daß die diejenigen, welche ein im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenen verbot übertreten, könne herangezogen werden. „Nur der Nachweis, daß es sich um einen solchen Fall handele, konnte das Kriegsgericht - wenn man von seinem gesetzlichen Bestehen absehen will - seine Kompetenz darthun. Dieser Nachweis war aber auf einleuchtende  Weise nicht zu führen  und das Kriegsgericht ergriff den leichtesten Ausweg, für seine Kompetenz gar keine Gründe anzuführen, dagegen durch Anführung einiger anscheinender Gründe sein rechtliches Bestehen darzuthun, statt dieses Ausdrucks aber sofort den der ‘Kompetenz’ zu substituieren. Trotzdem war die Inkompetenz auch nach der Verordnung vom 10. Mai klar.“

Nachdem nochmals auf die Geringfügigkeit des Delikts (die Zusammenkunft in der Konservationshalle habe mit beabsichtigten Partei-Organisation in keinem Zusammenhang gestanden) verwiesen wurde, kommen die Angeklagten zu dem Schluß:

„1) das Kriegsgericht bestand nicht zu Recht.

2)  Dasselbe war jedenfalls inkompetent, den vorliegenden Fall zu entscheiden.

3)  Die dem Erkenntnisse zum Grunde gelegte Bekanntmachung des Generals v. Wrangel vom 12. November v. J. hat keine verbindliche Kraft.

4)  Die Verurtheilten haben selbst die in der Bekanntmachung vom 12. November v. J. enthaltenen Bestimmungen nicht übertreten.“ 28

 

Während der Haft Carls und seiner politischen Freunde wurde am 30. Mai 1849 das Dreiklassenwahlrecht oktroyiert und in den folgenden Wochen die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt. Das Vorgehen gegen die führenden Mitglieder der Linksliberalen  muß im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen gesehen werden.

Das Zentralkomitee der Berliner Demokraten rief zum Wahlboykott auf, der im überwiegenden Teil der Monarchie Resonanz fand. In Berlin jedoch gaben 46% der 76 900 Urwähler bei den Wahlen am 17. Juli ihre Stimme ab. Die konservative Partei konnte ihre Mandate verdoppeln, unter den gewählten Abgeordneten "befand sich kein einziger Repräsentant der linken Fraktion von 1848".

Die Juliwahl von 1849 markiert den beginnenden Abstieg der demokratischen Bewegung. So wurde das auch von der konservativen Seite gesehen und so hob man am Tage nach der Kammerwahl den Belagerungszustand für die preußische Hauptstadt auf.

Eine Reihe weiter Maßnahmen engte den Spielraum der demokratischen Vereine  erheblich ein. So die „Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts“ vom 29. Juli 1849, die die Anwesenheit der Polizei bei jeder Sitzung oder Versammlung vorschrieben und die Versammlung wegen ungesetzlicher Debatten auflösen konnte. Daneben trat eine Zusatzverordnung, die es der Fremdenpolizei ermöglichte, an den Berliner Bahnhöfen verdächtige Reisen zu kontrollieren und ihre Anwesenheit in der Stadt durch die Ausgabe von „Aufenthaltskarten“ zu überprüfen. Zusätzlich war durch eine bereits am 30. Juni 1849 erlassene  Verordnung war für ganz Preußen die präventive Pressezensur eingeführt worden.

Als sichtbar wurde, daß die Vereine trotz der rigiden Bestimmungen versuchten ihre organisatorische Basis in der Art und Weise wie sie bereits  im Jahr zuvor von Carl Herzfeld und seinen politischen Freunden anvisiert worden war, zu stärken, wurde auf Betreiben des Berliner Polizeipräsidenten  Hinckeldey, das preußische Vereinsgesetz am 11. März 1850 erlassen, das zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit“ die Verbindung von Vereinen durch Komitees, Ausschüsse oder Zentralorgane verbot und gegenseitigen Schriftwechsel zum Zwecke der Organisation untersagte.

Unter dem Druck dieser Pressionen verloren die demokratischen Vereine Berlins im Verlaufe des Jahres 1850 ihre Basis.

 

Epilog

 

Die Straßennamen und Straßenzüge wie Zimmer-, Linden-, Markgrafen-, Jerusalemer Straße, wo Carl Herzfeld sein Domizil hatte und ein Drittel seines Lebens verbrachte, sind noch vorhanden. Welche Auswirkungen die politische Aktivitäten auf seinen beruflichen Werdegang hatten, vermögen wir nicht zu sagen. Im Jahre 1859 ist er noch in Berlin nachweisbar, er wohnte zu diesem Zeitpunkt in der Besselstrasse Nr. 8. 29 Dann ließ er sich als Rechtsanwalt und Notar in Insterburg nieder und wurde später Justizrath beim Oberlandesgericht Königsberg. Er starb im Alter von 65 Jahren.

Von seinen Kinder war der Sohn Georg als Geh. Sanitätsrat in Berlin ansässig. Hedwig war mit einem Maurach verheiratet. Alwine, verehelichte Wilhelmi, hatte zwei Kinder, die Tochter Käthe war mit dem Reichgerichtsrat Eichelbaum verheiratet. Der in Amerika verschollene Konrad, entpuppte sich später als Musikprofessor in Chicago.

Auch einige Stätten, die im Zusammenhang mit den Ereignissen mit  Revolution von 1849/49 wie die Singakademie, das Königliche Theater am Gendarmenmarkt, der Deutsche Dom, vor dem die Märzgefallenen aufgebahrt waren, sind leicht zu finden. Dem Schlossplatz und dem Berliner Schloß , dem Streit über einen möglichen Wiederaufbau müsste ein eignes Kapitel gewidmet werden.

Andere sind von der Landkarte verschwunden, den Dönhoffplatz deckt der Asphalt einer jener überbreiten stalinistisch-staatssozialistischen Marginalen; daß die John-Forster-Dulles Allee im Tiergarten, in der Nähe der Kongresshalle etwas mit den Zelten zu tun hat, darauf kommt man erst nach intensiven Studium  gesamtberliner Kahlschlagromantik, was Gebäude und Straßenbe- zeichnungen anbelangt. Von der Weinstube Hippel keine Spur, sie muß sich irgendwo in der Dorotheenstraße befunden, ebensowenig vom Hotel de Russie unter den Linden.

Nun scheint man sich doch im Frühherbst des Jahres 1998 in Berlin der Begebenheiten vor einhundertundfünfzig Jahren erinnern zu wollen: der Zugang zum Lindentunnel soll geschlossen, der Platz neben der Neuen Wache neu gestaltet werden und den Namen der Revolution von 1848 tragen.

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Herzfelds Brautstand

Sagan

 

 

Lieber Herzfeld

Rosen verläßt morgen Sonnabend Abend mit dem letzten Zuge Glogau. Wir begleiten ihn bis Quaitz, von wo ab wir mit ihm nach Dahlkau gehen und dort übernachten wollen. Am anderen Morgen fahren wir nach Sprottau, Sagan u. am Abend mit dem letzten Zuge nach Glogau zurück.

Es ist nun allseitig der Wunsch ausgesprochen, Dich bei der Gelegenheit in Dalkau zu sehen, und Du wirst daher auch verstehen, mit dem letzten Zuge nach Quaitz u. von dort nach Dalkau zu kommen. Zu dem Ende lege ich ein Freibillet bei, und erlebe bestimmt auch den Verbrauch desselben. Ich habe vorgestern nicht einmal Abschied von Dir nehmen können. Einmal war der Dr. dazwischen u. dann wollte der Zug eben abgehen. Auf Wiedersehen.

Gl. d. 16/7. 47                                 Dein Meyer

 

Ich habe gestern p. Couvert einen hier an Deine Adresse zugegangenen Brief dem Notar zu ... an Dich übersandt, welchen Du wohl erhalten haben wirst. M.

 

 

Niederschlesische Zweigbahn

 

Mein lieber Herzfeld

 

Die gestern in aller Stille vollzogene Verlobung unsererseits mit Fräulein Ulrike Bail, der ältesten Tochter des praktischen Arztes, Eisenbahn Direktor H. Dr. Bail, beehrt sich ergebenst anzuzeigen, mit dem Bemerken, daß diese Nachricht nicht weiter erzählt werden darf, da sie vorläufig noch geheim gehalten werden soll.

Ich bitte mir mit umgehenden Zuge zu sagen, ob Du Actien Dir selbst in Sagan besorgt hast, oder ob sie für Dich deponiert werden sollen. Im ersteren Falle muß niemand davon wissen, und es ist nötig, daß ich dieselben schleunigst erhalte, es könnte sonst Unannehmlichkeit daraus entstehen. Sollte es nicht möglich sein, dort Actien aufzutreiben, so werden 20 für Dich durch Lehfeldt eingesandt werden.

Auf baldige Nachricht wartet

 

                                                 Dein

Glg 15/1 48                                      F. Meyer

 

 

Mein Lieber Herr Assessor

Verabredetermaßen zeige ich Ihnen hiermit an, daß ich morgen mit dem Vormittagszuge nach Berlin reise und mich freuen werde Sie auf dem Bahnhofe in Sagan zu treffen

                                               Ihr

Glogau d. 18/4. 48                                       aufrichtiger                                                                Beil

 

Im Auftrage der Mundelschen Eheleute ergeht hierdurch an den Assessor Herzfeld die Anzeige, daß morgen früh um 10 Uhr eine Ladung Menschen von Glogau nach Dalkau per Wagen, eine andere Ladung um 10 Uhr per Eisenbahn eben dahin abgeht. Mit der Anzeige erhält p. Herzfeld die dienstliche Order, sich bei Vermeidung der gesetzlichen Strafe morgen in Dalkau einzufinden. -

 

Glogau, Mittwoch am 19ten April 1848 Im Auftrage Ed. Bock

 

Lieber Herzfeld

 

Du kannst mir einen großen Gefallen tun. Erschrick nicht, es ist diesmal keine Penny - Anlage. -Ich muß nämlich Sonntag auf einige Tagen Frankfurt fahren und es würde mir sehr lieb sein, wenn Du so gut wärst und mir auf 8 Tage 1 wo möglich aber 2 Deiner Oberhemden leihen könntest. Ich würde Dich bitten für den Fall der Gewährung meiner Bitte, dieselben oder dasselbe an Hf. Seidel auf dem Bahnhofe zu senden. -

Was sonst uns hier angeht, so ist es langstielig wie immer.-

Mit der Eisenbahn nahen sich meine Unterhandlungen ihrem seeligen Ende. Der Dr. muß messen lassen, will aber wieder in einem ganz neuen Originalbriefe nicht mehr als 50t für die Mühe geben, ich thue es aber nicht unter 80 rth und er wird sich nun wohl einen anderen Feldmesser suchen, dem er dann wenigstens 90 rth geben muß. Was mich betrifft, ich bin gedocken. Meine Rechnung beträgt für den Preis von 80rth für die Mühe -

                                              234 rth 9sgl. Meine Vorschüsse sind:                  

 

                                also Verlust: 9sgr.

Ich schließe unter Wiederholung meiner Bitte mit 1000 Grüßen.                                           

Lebe wohl

Glogau 19/5 48                              Dein              tr.

                                                                    Ed. Bock

 

 

Lieber Herzfeld

 

Morgen Dienstag Vormittag 10 Uhr bewegt sich von hier p. Eisenbahn die Mädchenschule nach Dalkau. Ihr schließen sich größere Mädchen und überhaupt fast alle Einwohner Glogaus an. Auch die Bailsche Familie sammt sämtlichen Schwiegersöhnen (wirklichen und Geheimen) sind dabei. Durch Stimmen Einheit ist es in einer außerordentlichen Sitzung gestern der Beschluß gefaßt worden, daß Du, allenfalls durch Zwangsmittel, angehalten werden sollst, das Fest mit Deiner Gegenwart zu verherrlichen. Bei Deiner bekannten Gesinnungstüchtigkeit auf breiter Grundlage und in Betracht, daß Dalkau die Wiege Deines Glücks ist, auch die Folgen unberechenbar für Tonnen, zweifele ich nicht daran, daß Du willig Dich der getroffenen Bestimmung unterwerfen und morgen den bestaubten Aktentisch verlassen wirst, um eilenden Fußes dem Ort der Freude entgegenzugehen. Aber Du sollst auch fahren u. ich lege Dir ein Konzept dazu bei. Vielleicht kommst Du bis Glogau und siehst den Auszug Dir mit an. Nun wie Du willst. - Für schmackhaft und lecker zu bereitete Speisen sowie für Getränke ist bestens gesorgt.

Ich werde dann auch Dir meine (großartigen) Pläne in Bezug auf Pfingstreisen ... mitteilen, denn ich muß u. will diese Angel. endlich geordnet wissen.

Glg 5/6 48                                     Dein

                                                      Meyer

Vielleicht kommt noch einer oder anderer von Sagan mit.

 

Im Besitz des von Euer Hochwohlgeborenen mir verehrten, für mich sehr schätzbaren Geschenkes, statte ich meinen wärmsten innigsten Dank hiermit ganz ergebenst ab, und mir gütigst zu erlauben, daß ich bei rechter Gelegenheit solchen mündlich gegen Hochdenselben aussprechen darf.

 

Mit der größten Hochachtung             Euer Hochwohlgeboren

Glogau                                              ganz ergebenster den 6ten Juni 1848                                     Blaschke

 

 

 Julius Klindt

 Hedwig Klindt

   geb. Engelken

 als Neuvermählte

 Breslau d. 10.Juni 1848

 

Lieber Herzfeld

 

Deiner Einladung kann ich nicht Folge leisten, weil ich nicht wohl bin, ich habe etwas Cholera und viel Schnupfen; auch Eichner ist leidend und Chappuis schon lange nicht mehr in Glogau.

Dazu kommt, daß morgen Abend (Freitag 7 Uhr) in der Loge Cosmehl zu Ehren ein Abendessen veranstaltet wird, dem ich gern völlig genesen beiwohnen möchte. Ich hoffe, daß Du dabei nicht fehlen, und noch einige Saganer mitbringen wirst. Du hast übrigens versprochen, bald hierher auf einige Tage zu kommen, und da ich gleich nach dem ersten September nach Berlin, Dresden u.a. reise, so würde es gut sein, wenn wir über diese Reise, die Du jedenfalls wieder mitantreten mußt, vorher uns noch gründlich beraten. Auch wird Emilie Dannwöhler uns bald wieder verlassen.

Grüße die Saganer und laß Dich morgen sehen bei

                                         Deinem Meyer 24/8 48

 

Mein lieber Herzfeld!

Du würdest mir einen außerordentlichen Gefallen tun, wenn Du mir durch Überbringer "Göthes Faust u, Lessings Nathan d. W." schicktest. In einigen Wochen bringe ich Dir die Bücher gut gehalten selbst zurück. Solltest Du heute nicht im Stande sein, auf meine Bitte einzugehen, so will ich Sonnabends die Botenfrau zu Dir schicken. Freilich wären mir heute die Bücher lieber.

Lebe wohl ! Es grüßt Dich herzlich

                     Dein

Ober-Gorb d. 7/9. 48                                A. Glotz

 

 

Lieber Herzfeld!

 

Vergeblich haben wir am 12. Sept. auf Dich gewartet. Wir glaubten, daß Du auch ohne besondere Einladung Deinen Geburtstag in unserem Hause zu feiern kommen würdest; und wissen uns nicht zu deuten, was Dich abgehalten hat; - wünschen aber alle Dich, während ich und Emilie noch hier sind, einmal hier zu sehen; daher ergeht hiermit die freundliche Einladung, wenn möglich morgen Vormittag bei uns einzutreffen, hier zu schlafen u. vielleicht eine Partie mit uns zu machen. In froher Hoffnung, Dich hier zu sehen, bleibe ich indessen,

wie immer

Dein tr. Freund u. Bruder       Robert Bail

 

 

Lieber Herr Assessor!

 

Morgen reist Chappuis nach Margonin den Ort seiner Bestimmung ab, wenn es geht kommen Sie doch heute Abend her, er würde sich sehr freuen, wer weiß wann wir einmal wieder einen Abend zusammen verleben. Grüße kann ich nicht bestellen, da ich sie alle überraschen wollte. Meier erwarten wir heute.

 

d. 1lth. Nov. 48                             Emilie Bail

 

Guter Herr Assessor

 

Es ist mir wirklich sehr lieb, daß sich mir heute eine Gelegenheit darbietet, beiliegende Gegenstände nach Sagan zu schicken, die durch der Levintal unbedachtsames Einpacken verunglückt sind.

Der Schaden ist nicht erheblich, es ist mir auch nur um Verdruß zu vermeiden, denn, wie ich hoffe, wird durch die Geschicklichkeit des Hoftapeziers alles hergestellt werden können. Die Engelmann soll nur alles zur Böttchern tragen u. ihn bitten, mir alles sobald als möglich zu machen. Und Sie, lieber Herr Assessor, ersuche ich dem Boten das Körbchen mit den Blumen u. die gläsernen Vasen auf dem Fenster in unserer Stube mitzugeben.

Aufrichtig bedauere ich, daß wir jetzt nicht Hausgenossen sind, u. wie gern hätte ich auch gestern manches mit dem Freunde besprochen, der Herz u. Umsicht vereint; nur den Freund vermiß ich hier, u. es wollte mir bange werden, wenn ich dachte, daß ich seiner Zusprache und seinen Vorlesungen gänzlich entgehen sollte, es gibt aber nichts Vollkommenes u. ich bin zufrieden, wenn ich dann u. wann was höre, und möchte es jetzt vor allem was Erwünschtes sein, das ist mein herzlichster Wunsch, mit dem ich zeichne

 

                                    Ihre

                                    ergebenste Freundin (vmtl.Glogau, o.D.)                 M. Gerlach

 

 

Guter Herr Assessor,

 

Abermals muß ich Ihre Güte in Anspruch nehmen, ich lege einen Brief an die Ma. Wolf bei, der zur Post befördert werden soll, u. einen nach Gorpe, den ich aber offen mitschicke, u. der nur abgeht, wenn Sie vollkommen einverstanden sind, daß die Damen Freitags herein kommen. Ein O'blatt u. Post... habe ich auch dazu gegeben. In der Hoffnung Sie morgen zu sehen, alles andere mündlich, mit vollkommenster Hochachtung

 

(o.D.)                              Ihre ergebene Gerlach

 

Guter Herr Assessor

 

Nach dem herzlichsten guten Morgen frage ich darauf an, ob vielleicht Briefe an mich eingegangen, u. ob Sie etwas aus Gorpe gehört haben, wo ich jedenfalls Nachricht erwarten kann.

Hier habe ich mich schon so eingerichtet, daß ich heute die Freude haben konnte, all die lieben Meinigen bei mir zum Kaffee zu haben, wozu ich Kuchen gebacken, von dem ich mir erlaube, eine kleine Probe beizulegen. Da es Streuselkuchen ist, der mir zwar nicht so geraten wie manchmal schon.

 

                                    Mit dem freundlichsten Gruß (o.D.)                                Maria Gerlach

 

Geehrter Herr und Freund

 

Da ich meiner Bitte zu Folge einer schriftlichen Mitteilung von Ihnen entgegensehen konnte, so war es wohl verzeihlich, daß ich Ihren Brief an meinen Mann, der noch nicht von Tribusch zurück ist, in dem Wahne er sei an mich, aufmachte.

Es wäre mir eine große Freude gewesen, sollten Sie meinen Wunsch erfüllen können, u. mir etwas für den Albert empfehlen.

Ich will den Albert zu Weihnachten mit einem guten neuen Dichter beschenken u. hatte mir dazu Ihre Wahl u. Bestimmung erbeten. Wie es aber scheint, ist gar keine Zeit mehr für die Bitten und Wünsche alter, früherer Freunde u. Bekannten, doch gebe ich die Hoffnung nicht so leicht auf, was ich einmal erkannt als gut. -Oder hatte ich mich doch so ganz und gar geirrt

 

Was aber in aller Welt haben Sie gemacht, die ganze sogenannte vornehme Damenwelt ist bereit, gegen Sie zu Felde zu ziehen, ich glaube es aber nicht, was mir erzählt wurde, es wird ja zuviel gelogen, so wird die Sache wenigstens gewiß nicht gewesen sein.

Sie sollen dem Schaidt geraten haben, die Damen aus dem Wansbischen Lokal rauszuschmeißen die anderen Käufern den Platz wegnehmen. Diese, Ihre Worte zu dem Schaidt, will man gehört haben, sie gehen von Mund zu Munde. Ich teile Ihnen diese Stadtgeschichte mit gutem Grunde mit, erstlich können Sie Ihre Verteidigung besser führen, denn Sie werden angegriffen, u. zweitens wird die Fama geschäftig sein, es in Gorpe mitzuteilen u. wohl wieder vergrößert u. dem können Sie zuvorkommen.

Wahrlich es ist mir lieb davon zu sein von diesen verworrenen Kreisen u. ich sehne mich auch nicht im geringsten zurück. Ich bin mit der Buchhandlung Hallstein sehr zufrieden u. da lebe ich in meiner freundlichen gemütlichen Familie so still und glücklich, freilich bin ich auch etwas krank, was ja aber alle Winter mein Loos schon lange ist. Ich habe heut einen langen Brief an die Fr. Camurri* geschrieben, natürlich aber kein Wort von dem Klatsch, den ich doch auch Ihnen nur in der besten Absicht mitgeteilt habe. Da ich keine Freundin von dergleichen bin, u. mich also nur aus reiner Gutmütigkeit jetzt damit belaste.

 

Mit freundlichem Gruß

 

                                    Maria Gerlach

 

+ Sie haben doch den Band von Börnes-Schriften richtig erhalten ?

 

* Fr. Camurri - Ludwig Herzfelds spätere Schwiegermutter. - Der   Brief ist undatiert er muß Nov./Dez. 1848 geschrieben worden   sein.

 

Mein lieber Herzfeld

 

Als ich heute früh von Berlin kommend, Sagan passierte, ersuchte ich .Schopp Dir sagen zu lassen, daß ich wieder nach Glogau zurückgekehrt bin und für 2 Tage verweilen werde; ich ließ Dich gleichzeitig ersuchen, wenn Du morgen Zeit und Lust hättest, nach Glogau zu kommen. Diesen Wunsch hege ich noch, aber dringende Geschäfte oder Angelegenheiten habe ich mit Dir nicht zu verhandeln, es sei denn, daß Du im Stande wärst, mir eine 1/4 Million Preuß. Cour. zu leihen, versteht sich gegen einen guten Zins. Wie ich höre(von Rudolph, der von Sagan heute früh nach Sprottau geht), trittst Du heute als Liebhaber auf; ich würde Dich sonst vom heutigen Logenball unterrichtet haben.

Montag oder Dienstag fahre ich nach Berlin zurück.

Dein Vater, den ich gestern noch gesprochen habe, nach dem Dein Brief ihm bereits frühe ausgehändigt war, läßt Dich grüßen.

Lebe wohl, es grüßt Dich

Dein Meyer    d. 13/ 12

 

 

Bereits in mehreren Briefen wurde die Verbindung Ludwigs zu Marie Clementine Wüsthoff und ihrer Familie auf dem Gut Obergorpe angesprochen. Recht bald nachdem sie sich im Frühsommer 1848 kennen gelernt hatten, muss die Verlobung stattgefunden haben. Auf Ludwigs Brautstand spielt anscheinend Dorothea Plato in einem Brief aus Prag an:

 

Mein lieber Ludwig !

 

Nur Dein neuer Stand also war vermögend, den Zauber zu lösen, der Dich beinah ein Jahr in seinen Banden halt; endlich habe ich ein paar Zeilen, die ich mir längst wünschte, in meinen Händen, Kommen also vor allem meine besten Glückwünsche, ich freue mich unendlich! Wenn Deine Wahl eine gute ist.

 

Dein Schicksal im beruflichen auch ist also in einem Jahre gerade, das ist Dir bekannt, darum bitte ich Dich recht sehr, teile mir durch Küsters über Dein jetziges Verhältnis mit, ganz besonders, ob Du recht bald die Stelle erhalten wirst.

 

Mir geht es gut, nur betrübt es mich stets sehr, von Berlin nur Trauriges zu erfahren, Nicht helfen zu können wie ich gerne wollte. Wenn Du nach Glogau kommst, grüße Madame Hallstein, sie beklagte sich schon mehrere Male bei mir, daß Du sie gar nicht mehr aufsuchst, Ich hoffe ganz gewiß recht bald einen ausführlichen Brief von Dir zu erhalten, täusche nicht

 

                                                         Deine Dich liebende Tante

 Prag, d. 22. Nov. 1848                                              Dorothea

 

Wenden wir uns nun der Familie der Braut zu:

Marie Clementines Großvater, Johann Friedrich Wüsthoff (geb. 8. Dezember 1752 in Kolberg, gest. 30. September 1819 in Niedermednitz, war zur Zeit Nettelbecks, mit den er auch befreundet war, in Kolberg Regimentschirug. Er heiratete am 28. April 1799 Johanne Charlotte Wilhelmine  (geb. 23. Januar 1773), eine Tochter des Kriegsrats Bech.

Die Eheleute Wüsthoff besaßen das Gut Niedermednitz bei Sagan, das Obergorpe benachbart war. Sie hatten einen einzigen Sohn, Robert Wüsthoff (geb. 11. März 1800, gest. 3. Dezember 1838), der am 14. Mai 1826 die Mitbesitzerin von Obergorpe Johanne Amalie Clementine v. Thielenfeld (geb. 29.12.1796 in Kemnitz, gest. 1875 in Halle/S.) heiratete. Robert Wüsthoff verkaufte dann Niedermednitz. Seine Mutter lehnte es ab, bei den Kindern zu wohnen und lebte nach dem Verkauf des Gutes in Kottwitz bis zu ihrem Tode im Jahre 1859.

 

Robert und Clementine Wüsthoff hatten vier Kinder: Neben Ludwigs Braut, Marie Clementine (geb. 5. Dez. 1830), noch eine Tochter, Agnes, (Agnes Beissert, geb. 24.7.1835, gest. 24. 3. 1910 in Halle/S.) und den Sohn Heinrich (geb. 3.3.1833, gest. 1. 11. 1901 in Sioux City, U.S.A.) sowie den Sohn Oskar (geb. 1873, gest., in Utah, U.S.A.).

 

Die Gestalt von Robert Wüsthoff, dem Vater Maries, tritt uns in dem Brief eines Freundes von Ludwig, Bock, der wohl mit dem Pastor Bock identisch seien dürfte, der dann im Oktober 1849 Ludwig und Marie traute, entgegen:

 

Lieber Bruder!

 

Daß ich heute wegen Rheuma das Zimmer hüten muß, ist recht gut, denn so erübrige ich armer Geplagter, Andy liegt schon 6 Wochen, eine Stunde für Sie, süßer und... süßer, nicht nur wegen der schönen Ananas, die mir wohl den halben Winter versüßen soll, sondern weil Sie Bräutigam sind, und Ihre Braut sehr hübsch und liebenswürdig nicht nur sein soll, sondern sein muß, wenn sie nur eine Ader von Mutter und Vater hat. Und weil die Jeßner mir sehr, sehr liebe Freunde gewesen sind, nehme ich an Ihrer Verbindung um so inniger Teil. Mit tiefer Wehmut bin ich Sommer durch Mednitz und die Gorpe gefahren, wo ich sonst in den Häusern guter Menschen heimatlich war, die jetzt fast alle tot sind, und wenn es Sport gewesen wäre, nach einem bekannten Gesichte umzuschauen so suchte mein Auge wenigstens auf dem Mednitzer Berge, ob noch ein Kirschbaum von den von mir dahin gelieferten vorhanden sei, aber der Poststillion fuhr so rasch, und zunächst der Straße standen so viele Bäume, daß mir auch diese geringe Befriedigung versagt war.

 

Vater Wüsthoff war ein selten gescheiter Mann, verbunden mit ausgezeichnetem Humor und einer unerschöpflichen Komik, und das kann nur ein Mensch verbinden, der auch eine seltene Herzensgüte besitzt. Dabei ein Athlet von blühender Gesundheit, und ein Jüngling gegen uns Männer, daß er oft äußerte, er begreife nicht, wie wir an ihm, dem noch so jungen uns hängen könnten. Und wie lange schläft er schon.

 

Doch das ist Mißton in ihre Bräutigamslust. Und doch kann ich mir nicht wehren, in diesem Augenblick bei meinem herrlichen Wüsthoff zu sein, Für mich ist die Zeit seiner Entfernung, ich habe kein Mednitz und Gorp gekannt ohne ihn, sollte ich es wiedersehen, so würde mein Auge und mein Herz doch vor allem ihn suchen, und sich einsam fühlen. Wenige, schnelle Minuten,

wir Sterblichen nennen sie Jahre, wandern wir über über den Staub, welcher uns morgen bedeckt. Wenige holde Gestalten treten uns freundlich entgegen, schmiegen sich traulich an uns, sinken uns liebend ans Herz. Dreimal krähet der Hahn, und was wir umarmen ist Asche, arm und leer ist das Herz, das sich reich gefühlt. Also habe ich an der Stätte vorüberziehend, wo seine Hülle ruht, dem Lieben, noch heute um ihn trauernd, zugerufen.

Den Hammer habe ich aus der Hand gelegt, und mochte ihn wohl nicht wieder nehmen. Der rohe Geist der Zeit und die losgelassene Leidenschaft bricht auch in die stillen Hallen und treibt die wahre Freiheit und die Liebe aus. Lebe ich und bleibe gesund, tue ich, was schon das vorige Mal mein Wille war, ich komm zu Euch und feiere meinen Geburtstag bei Euch unter treuen Herzen,  was bis dahin noch geschieht. Wüßte ich nur etwas von meinem Hermann der Anfang September Kronstadt verlassen haben muß und nun in dem unglücklichen Ungarn pilgert, wenn noch pilgert. Gott befohlen rufe ich ihm nach in unbekannte Fernen hinüber, aber bange ist mir doch sehr nach ihm. Komme ich nach Sagen, sollen Sie mir recht viel von den Gorpern erzählen. Für heute herzliche Grüße dorthin und allen Lieben in Sagan. Auf Regen folgt Sonnenschein, der alte Gott lebt noch, und es muß auch wieder besser werden. Das ist Bräutigamsmut, der auch zur roten Fahne schwört, aber nicht zur blutroten, sondern zur rosenfarbenen der Hoffnung. Gut gehe es Ihnen und mich lasse der Höchste noch die gute Hoffnung erleben und Sie dann als erfahrenen Hausvater besuchen.

 

 

Ihr treuer B. Bock

den 17. Sept. abends (während es draußen stürmt)

 

Robert Wüsthoff, der Vater, ist Marie Clementine in lebhafter Erinnerung geblieben. Im Jahre l897, drei Jahre vor ihrem eignen Lebensende, schreibt sie:

 

" Nun taucht in meinen Erinnerungen die Leidenszeit des Vaters auf - er war ein grosser, starker Mann, scheinbar von guter Gesundheit und mit Körperkräften ausgestattet Doch da stellte sich das Gichtweh, wie man es damals nannte,  ein. Furchtbare Schmerzen in der rechten Hüfte; die durch allerlei Gewaltmittel sollten beseitigt werden. Erst wurde, wie immer damals, zum weisen Schäfer gefahren, der vielleicht mit seinen Salben und Pechpflastern und Streichen noch nicht das Schlimmste verbrach. Da dies aber nicht half, ging man zu einem berühmten Doktor, der ordnete dann ein Haarseil an. Es wurde ins Fleisch ein viereckiges Loch mit glühenden Eisen gebrannt und um die Wunde immer eiternd zu erhalten, täglich eine Partie Pferdehaar immer ein Stückchen weiter gezogen - die Schmerzen waren entsetzlich, aber Hülfe kam nicht. Da endlich schickte wieder ein berühmter Arzt den Vater nach Karlsbad, von wo er aber ebenso krank wiederkam. Jetzt endlich kam man auf Teplitz und da erklärte mein Vater, er müsse mich mitnehmen zur Linderung seiner Schmerzen. Ich war drei Jahre alt und wurde in einem Wagen voll Matratzen, in welchem er liegend fuhr, ihm zu Häupten gesetzt und habe ihn wohl mit meinem Geplauder die zwei langen Reisetage aushalten helfen. Zu meiner Pflege und Bedienung wurde unser Schäfer Heinrich mitgenommen, der auch sonst unser Faktotum war - er schlachtete alles Vieh, kurirte es auch, buk das Brot und den Kuchen, kurz, er war unentbehrlich. Ein zweiter Wagen barg das Gepäck und auch die Mutter. Wir übernachteten und kamen den zweiten Tag Abends in Teplitz an. Von dort habe ich nur schwache Erinnerungen - einmal, dass unsere Pferde den Schlossberg hinunter durchgegangen sind, und einmal, dass ich weggelaufen war, um mir Bobbons zu kaufen und dass mich dann, der Vater mit abgeschraubtem Pfeifenrohr durchgeprügelt hat. Der Vater ist übrigens in Teplitz fast ganz von seinen Leiden geheilt worden. Er konnte wieder gehen und seine Amtsgeschäfte besorgen - da aber, im Jahre 1838, wie er eben den Magazinbau vollendet, kam er aus Gross-Kleinitz von einer Kommission krank zurück - er phantasirte schon beim Abendbrot und es brach ein Nervenfieber aus. Die Aerzte wussten keinen Rath, man ja auch damals noch nicht so geeignete Mittel gegen das Fieber und die treuste Pflege der Mutter und der Tante Lange, die damals seit einem halben Jahre in unserem Hause war, konnte den Tod nicht abhalten, de den 3. Dezember 1838 eintrat. Noch am Tage vorher sind wir Kinder an seinem Lager gewesen, und er hat uns noch ermahnt zum Fleiss und zum Guten - und, liebe Kinder, so schwach daran meiner Erinnerung ist, - so habe ich doch sie mein Lebelang festgehalten und in allen bedeutenden Momenten meines Lebens sah ich den sterbenden Vater vor mir und glaubte seine Worte zu hören: „ weicht nicht ab vom Guten.“ Auch ein Briefchen habe ich noch, was er aus Kleinitz geschrieben:

Meine lieben Kinder!

Ich werde mich freuen Euch bei meiner Rückkehr gesund wieder zu finden und zu hören, das ihr gut gefolgt habt. Durch Fleiss im Lernen, Folgsamkeit und Liebe zu einander könnt ihr der Mutter und mir Freude machen und uns die Sorgen vergelten, die ihr uns macht

Euer Vater Wüsthof Kleinitz, den 2.May 1838, An Marie , Heinrich, Agnes Geschwister Wüsthoff. Oskar, der damals ein Jahr alt war, wird nicht genannt. Dieses auf Seidenpapier geschriebene Briefchen habe ich mir immer wie eine Reliquie aufgehoben.

 

Der Großvater der Braut  mütterlicherseits hieß Thiele von Thielenfeld; er wurde am 24. Februar 1752 in Görlitz geboren und studierte in Leipzig Theologie. Er war dann in Schlesien auf einem Gute Hauslehrer und heiratete die auf einem Nachbargut ansässige Charlotte Wilhelmine Dorothea, verwitwete von Wolfingen, geb. von Zeschau aus dem Hause Jessen (geb. 12. April 1754 in Jessen, gest. 12. Mai 1834 in Obergorpe). Ihr erster Mann, den sie 1770 geheiratet hatte, starb 1778, die Familie von Zeschau, aus der sie stammte, gehörte zum Meißnischen Uradel, der am 3L. März 1206 zuerst urkundlich erwähnt ist.

Die Schwestern von Maries Großmutter waren Eleonore Sophie Henriette (geb. 12. 3. 1740 in Jessen, gest. 9. 8. 1787 in Drehnow), die mit einem Herrn von Berge und Johanne Christine Elise (geb. 1742, gest. 1826 in Obergorpe), die mit einem Herrn von Knobelsdorf, Herrn auf Obergorpe, verheiratet war. Letztere heiratete nach dem Tode dieses ersten Mannes einen Herrn von Haugwitz. Die Tante Haugwitz blieb in beiden Ehen kinderlos. Die Großmutter Maries, Charlotte Wilhelmine, besaß die Güter Kemnitz, Jerschke und Jelz. Durch die Kriegszeiten kamen die Güter sehr herunter. Thiele, der im Jahre 1792 vom Kaiser Leopold in den Adelsstand erhoben worden war und sich jetzt Thiele von Thielenfeld nennen konnte, verkaufte sie in Jahre 1810 spottbillig und zog nach Lübben im Spreewalde, Dort geriet die Familie in größte Not, so daß die beiden Töchter Henriette und Clementine durch Sticken von weißen Kleidern Geld verdienen mußten. - Im Jahre 1821 nahm die kinderlose Tante Haugwitz

ihre Schwester Charlotte Wilhelmine mit den beiden Töchtern Henriette, u. Clementine, die später Maries Mutter werden sollte, zu sich nach Obergorpe. Von den drei Söhnen waren zwei, Carl und Oscar, im Befreiungskriege gegen Napoleon als Offiziere geblieben, während der jüngste Leopold, Jurist geworden war.

Nach dem Tode der Tante Haugwitz erbten ihre beiden Nichten Henriette und Clementine je zur Hälfte Obergorpe (etwa 1200 Morgen groß, nahe bei Sagan). Henriette heiratete dann den Major von Greiffenberg auf Gosda,  während Clementine sich 1826 mit Robert Wüsthoff verheiratete.

Maries Mutter, Clementine (geb. 29. Dezember 1797 in Kemnitz, gest. 1875 in Halle/S.), heiratete einige Jahre nach dem Tode ihres Mannes Robert Wüsthoff den Landesältesten von Camurry. Marie berichtet in ihren Lebenserinnerungen über den Stiefvater:

 

„Wie unser Vater 4 Jahre tot war - ich zählte damals 12 Jahre, entschloss sich unsere Mutter, dem Baron v. Camurri die Hand zu reichen - wie sie sagte und glaube, um uns Kindern wieder einen Vater zu geben. Camurri hatte Forstfach studiert, es aber nie zu einer Anstellung gebracht und lebte nun mit seiner Schwester Therese bei dem Stiefbruder Finkenstein in Niedergorpe. Er<wurde eigentlich von ihm erhalten. Ich erinnere mich noch des Tages, wo er das erste Mal nach Gorpe kam. Mein Vater lebte noch - ‘da kommt ein Italiener’, sagte man, er hat sich den Baronstitel zugelegt (ob es sich wirklich so verhielt, weiss ich nicht) kurz es wurde über ihn gespottet, so viel weiss ich noch und es konnte Niemand recht gut leiden. Meine arme Mutter, die sich ratlos und verlassen fühlte, hatte sich aber zureden lassen - auch von Franziska, die damals noch lebte und da Camurri ihr als ein guter und ehrenhafter Mann geschildert wurde, - dass dieser Bewerbung seinerseits wohl mehr Eigennutz als Zuneigung zu Grunde lag, das war leicht zu durchschauen - kurz meine Mutter holte auch noch Onkel Thielenfelds Einwilligung ein, und verlobte sich. War es mir auch eine nicht gerade angenehme Empfindung, einen neuen Vater zu bekommen,- da das Bild des Verklärten noch so ganz mein Herz erfüllte - so muss ich doch gestehen, dass ich auch nicht gerade einen Widerwillen gegen den Stiefvater hatte - wenigstens gelobte ich mir, auch ihm die Ehrfurcht und Liebe zu erweisen - sowie der guten Mutter, die ich schwärmend liebte. - Kleine Aeusserlichkeiten prägen sich oft in das Kindergemüt - so weiss ich von der Hochzeit nichts weiter, als dass sich endlich ein sehnlicher Wunsch von mir erfüllte. Ich bekam ein weisses Kleid mit rosa Band; meine Mutter fand ich sehr schön in ihrem grauseidenen Kleide und den Granatohrringen nebst Broche, ein Geschenk vom Vater - was sie aber leider nach der Hochzeit selbst bezahlen musste. -

Ich kann mich nicht über den Vater beklagen, er ist zu mir immer liebenswürdig und gut gewesen - nicht so gegen meine Geschwister, dass sie nie neidisch auf meine bevorzugte Stellung waren - im Gegenteil mich noch verwöhnten und lieben konnten - denn auch Tante Lange und Mutter zogen mich vor. Nur einmal haben mir der Vater und die Tante das Leben schwer gemacht - wie ich mich verlobte, da hatte jeder etwas auszusetzen. Beim Vater kam ausser den Vorurtheilen des Aristokraten, noch die gegenteilige politische Anschauung dazu. Tante Lange fand, mein Bräutigam sei zu alt, nicht schön genug u.s.w., sie zog sich jedes Mal, wenn er kam zurück. Der Vater sagte wenig zu mir, zankte aber dafür mit der Mutter, und so habe ich keinen sehr glücklichen Brautstand gehabt. Oft weinte ich mich, wenn ich allein war, recht  von Herzen aus über die Verstimmung zu Hause.“

Lieber Herzfeld,

Etwas unwohl und dadurch gehindert, morgen nach Sagan kommen zu können, sehe ich mich genötigt, Sie mit einer ergebenen Bitte zu behelligen.

Der Kämmerer Hensig in Sagan hat von Görlitz aus 175 t. in Staatsschuldscheinen erhalten, die mir gehören; haben Sie bitte die Güte, sich diese einhändigen zu lassen, bei Wiesenthal so gut als es nach dem Cours geht, umzusetzen; nur von dem Betrage Montag den 13th. D. Vormittag 10 Uhr auf dem Land- u. Stadtgericht 92 t., in meinem Namen, als Zinsen für das auf Gorb eingetragene Kapital gegen Quittung zahlen zu lassen. Das übrige Geld sowie die am 1. Januar an fällig gewesenen Coupons bitte ich, vorläufig behalten zu wollen, bis wir uns entweder hier oder in Sagan sehen.

Wir grüßen herzlich, nur mit der Bitte meine heutige Handschrift entschuldigen zu wollen,

nenne ich mich mit echter Hochachtung

                                     Ihr ganz ergebener Freund

O.   Gorb d. 12/1. 1849   Bar. Camurry

 

Lieber Herzfeld,

nur diese paar Zeilen, meine Frau reist Montag nach Sorau und wird Dienstagnachmittag gegen 4 Uhr im Ritter St. Georg einen Augenblick nur anhalten, im Falle Sie Marie sehen wollen.

Ihr aufrichtiger Freund Bar. Camurry

O’ Gorb, den 19. 1. 1849.

 

Im Februar 1849 wurde Ludwig von seinem Freund Meyer aufgefordert, die Braut mit ihren Eltern in Glogau vorzustellen.

 

Lieber Herzfeld

 

Soeben liegt mir ein Circular vor, welches zu einer Donnerstag, den 15ten Abend 7 Uhr in der Loge stattfindenden musikalischen Abendunterhaltung nebst Soupé einladet.

Vielleicht benutzt Du diese Gelegenheit, um Deine Braut mit ihren Eltern vorzustellen. Der Fastnachtsball wird wahrscheinlich erst Ende des Monats stattfinden.

Für die Eltern Deiner Braut dürfte die musikalische Soirée mehr Anziehendes haben, und ich würde Dir raten, diese Angelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen.

Wahrscheinlich werde ich Ende des Monats nach Berlin reisen und also nicht anwesend sein, wenn der Ball gegeben wird, was mir wenigstens nicht angenehm wäre. Fasse daher schnell einen Entschluß und eile zu uns.

Es versteht sich von selbst, daß Du diesmal sowie in allen künftigen Fällen bei mir absteigst und wohnst. Meine Frau hat bereits die Fremdenbetten im grünen Schlafsaal aufgerichtet, wo neben einer angenehmen Aussicht, alle Bequemlichkeit für einen verzogenen Junggesellen sich vereinigen.

Neben dem Empfangssaal ist auch für ein grand befoin gesorgt. Cosmehl kann leider wohl nicht kommen, da die Zeit zu kurz ist, ihn zu benachrichtigen. Seine Louise ist 8 Tage lang bei uns gewesen u. hat mit uns den Eisenbahn-Beamten-Ball besucht. Sie hat uns gesagt, daß ihre Vermählung im Mai auf Cosmehls Andringen

bestimmt stattfinden werde. An derselben Stelle, wo sie ruhte, wird Dein sorgenvolles Haupt sich künftig niederlegen. Schade, daß Deine Braut nicht bei uns logieren kann. Das geht aber nicht, denn das Schloß, welches den grünen Salon von dem Empfangszimmer absperrt, und in welchem sie wohnen müßte, würde Deinem Dietrich nicht widerstehn ...

 

Ich bitte mir, wenn irgend möglich, bis morgen Abend Antwort aus, weil ich, wenn Du nicht kommst, wahrscheinlich nicht gehen werde, sonst aber noch Gäste einladen will. Meine Frau wäscht - zum ersten Male, läßt aber trotzdem grüßen. Sonst nichts Neues.

 

Gl. d. 13/2. 49                                                                                                                                                                                                                                  Dein treuer Freund Meyer

 

Wir können davon ausgehen, daß Ludwig Herzfeld die freundliche Einladung annahm.

 

Herrn

Ober Landes Gerichts Assessor

frei, bald abzugeben,

Sagan

 

Hochverehrter Herr Assessor !

 

Gewiß erwarten Sie etwas anderes als einen Mahnbrief von mir und doch kann ich nicht umhin, Sie an ein, mir früher gegebenes Versprechen zu erinnern und zu bitten, daß sie morgen oder doch übermorgen, als den Montag, zu uns kommen, da Ihr Freund Chappuis hier ist. Er kam gestern zu meiner Freude hierher und will den Montag Abend nach Wahlstadt fahren, er hat den Wunsch ausgesprochen Sie zu sehen, daher bitte ich Sie herzlich, machen Sie ihm die Freude, wodurch Sie mich zur größten Dankbarkeit verpflichten würden.

Mein Chappuis weiß nicht, daß ich Ihnen schreibe, sonst würde er Sie gewiß grüßen lassen.

Sollten Sie bereits Ihrem Fräulein Braut versprochen haben, den morgenden Tag bei ihr zu verleben, so erhalten Sie von ihr gewiß die Erlaubnis, übermorgen zu uns zu kommen. Empfehlen Sie mich ich ihr auf auf das Herzlichste. Mit der Hoffnung keine Fehlbitte getan zu haben, muß ich schließen, und füge noch hinzu, daß Sie ein Nachtlager bei uns bereit finden werden. Sollte Ihre Zeit es nicht erlauben zu kommen, was ich nicht fürchten will, dann erhalte ich wohl Antwort.

 

Mit Hochachtung erlaube ich mich zu nennen

Ihre                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Freundin

Golgau den 17ten Feb. 1849                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Bertha Bail

 

 

Im April 1849 läßt sich Ludwig Herzfeld als Königlicher Rechtsanwalt und Notar in Sprottau nieder.

 

Am 23. Oktober desselben Jahres heiratet er „in aedibus privatis zu Obergorpe mit Dimissoriale durch den Herrn Pastor Bock aus Glogau ... die Jungfrau Clementine Marie Wüsthoff, älteste Tochter des Verstorbenen Oekonomie-Kommissarius und Rittergutsbesitzer Herrn Robert Wüsthoff zu Obergorpe.“

 

 

Ein zeitgenössischer Bericht  über die Hochzeit liegt uns nicht vor. 50 Jahre später am Tage der G9ldenen Hochzeit erinnert sich die Schwester der Braut, Agnes:

 

„Was war das damals für ein Leben, in dem sonst so stillen Dorfe und wie froh war das Brautpaar, als nach Überwindung so mancher Hindernisse der Hochzeitstag so herrlich schön anbrach ... Schwester Marie war der Liebling aller in Obergorpe. Ich weiß es noch wie heut’ als sie nach der Hochzeit in den Reisewagen einstiegen, der sie nach Sprottau bringen sollte. Nicht nur wir, auch das ganze Dorf stand um den Wagen und manche Abschiedsträne wurde verstohlen von den gebräunten Wangen der guten Obergorper Dorfgenossen abgewischt.“

 

Kosmehl, der alte Schulfreund, später Superintendent in Görlitz, sang beim Morgenspaziergang oder zum Abschied, die Zeitzeugen sind sich da nicht einig, mit mächtiger Stimme „aus dem Waldesgrün“:

Wach auf du goldenes Morgenroth und grüße meine Braut,

Daß sie des Himmels Seligkeit in Rosenwölcken schaut,

Wach auf, wach auf, und grüße meine Braut!

 

Ihr Frühlingsrosen, geht zur ihr, ihr Engelsköpfchen fliegt,

Daß ihr die Welt, wenn sie erwacht, in Rosenschimmer liegt.

Ach du mein Herz, flieg hin zu ihr, sag ihr in diesem Lied,

Wie all mein Glück an diesem Tag in Rosen aufgeglüht.

 

Wir wissen nicht, wer von Ludwigs Geschwistern unter den Gästen war, und ob der Vater Jacob an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilnahm; vielleicht war er aus gesundheitlichen Grünen verhindert, denn nicht ganz vier Monate später schied er in Berlin aus dem Leben.

 

 

 

 

7 Der  Adelsbrief befindet sich in Besitz von Ria Herzfeld Berlin.

 8) Er war später Justizrat in Frankfurt/O.

 9) Greiffenbergs

 

.

 

 

Das Schicksal der Familie in Berlin bis zu Jacobs Tod 1850

Der Friedhof Schönhauser Allee

 

Aus dem sich abzeichnenden Scheitern der bürgerlichen Revolution und den mit ihr verbundenen Hoffnungen auf Emanzipation, die insbesondere von den Juden angestrebt wurde, hatte bereits im Herbst 1848 Ludwig Herzfelds Schwager Joseph Josephson die Konsequenzen gezogen, er wanderte zusammen mit seinem Bruder Baer in die U.S.A. aus. Diesem Weg sollten in den Monaten darauf noch viele Emigranten wie etwa der im Zusammenhang mit dem geplanten Sturm auf das Neusser Zeughaus steckbrieflich gesuchte Joseph Herzfeld, in dessen Vaterhaus auch Ferdinand Lassalle verkehrte, gehen.

Joseph Josephson konnte in den U.S.A. nur schwer Fuß fassen, so daß in Berlin Ludwigs Schwester Bertha mit ihren Kindern völlig mittellos dastand. Wenden wir uns nun dem Schicksal von Ludwigs Familie in Berlin zu:

 

 

Lieber Ludwig,

 

Du mußt entschuldigen, wenn ich Dich bitte mir die tlr., die es für das Kleid machte, noch bis zum Sonntag zu schicken, ich hatte sie mir von Herrn Nissen geborgt und ihm gesagt, daß ich sie ihm noch vor Weihnachten, zu welcher Zeit er das Geld braucht, zurückgeben würde. Auch würde ich Dich bitten, wenn es Dir irgend möglich ist, mir t2 1/3 tlr. zu schicken; ich möchte gern jedem von den Unseren etwas schenken, damit der Weihnachtsabend nicht so freudlos vergeht, auch muß ich mein Dienstmädchen beschenken.

Ich hatte nur das Geld dazu bestimmt, und ich habe kein anderes, sonst hätte ich Dich nicht belästigt.

Von meinem Mann habe ich noch immer keinen Brief, ich hoffe täglich einen zu erhalten.

Viele Grüße von Allen.

 

Berlin, den 22. Dezember 1848

Deine Dich liebende Schwester Bertha Josephson

 

 

Lieber Ludwig

 

Es tut mir leid, daß ich Dich belästigen muß und Dich bitten, das Geld, was Du den Unserigen gibst, recht bald zu schicken, mein Geld ist nun völlig zu Ende, da ich für Carl schon den vorigen Monat ausgelegt habe, es hat auch diesen Monat noch nichts gegeben und ich habe diesen Monat besonders viel ausgegeben, da die Miete, der Lohn für das Mädchen und ... andere Ausgaben zum Neujahr waren. Du glaubst nicht, lieber Ludwig, wie unangenehm es ist, sich das Geld immer zu fordern, da Gaben nehmen an sich schon etwas sehr Schmerzliches und Niederbeugendes ist, ich wünschte, ich wäre im Stande die Unserigen zu erhalten, ich würde gar nicht von Niemandem etwas fordern. Es ist sehr schlimm, daß der Vater sogar Nichts verdient und sie so gänzlich auf Euch angewiesen sind, wenn auch erst noch ein paar Jahre vorüber waren, dann wird sich vielleicht jedes sein Bares selbst verdienen können. Wilhelmine hatte es gewiß schon längst getan, aber sie muß doch der anderen wegen im Hause bleiben. Im Februar hoffe wieder einen Brief von meinem Mann zu erhalten.

Den 9ten Januar kam ein Brief von Bernhard an die Eltern, wobei mir mein Mann mitteilte, doch konnte er mir über sein Geschäft noch weiter nichts mitteilen, er läßt Dich grüßen, ich habe am 18ten wieder an ihn geschrieben.

Die Unsrigen .., auch ich grüße Dich und Deine liebe Braut viel mal.

Berlin, den 18. Januar 1849 Deine Dich liebende Schwester

Bertha Josephson

 

Aber nicht nur Bertha trat als Bittstellerin auf, ebenso befand sich Carl in Geldnöten:

 

 

Berlin, den 15. Januar 1849

 

 

Lieber Ludwig,

 

so leid es mir tut, daß Du mir jetzt nicht mit Geld hast helfen können und so kritisch meine Lage auch für den Augenblick ist, da ich nun von Tag zu Tag mein Dasein friste, so habe ich doch (Vorne)haltungen getroffen, daß ich bis Ende des Monats die Sache halten kann. Ich rechne aber mit Bestimmtheit darauf, daß Du mir Ende dieses Monats oder doch Anfang Februar mit den restlichen 100 tlr. unter die Arme greifst. Wenn wir doch in Californien wären am Federflusse, wo es nichts als Gold gibt

 

 

Berlin, den 24. Januar 1849

 

 

Lieber Ludwig,

 

der Tag der Zahlung meiner Lebensversicherungsprämie rückt mit Riesenschritten heran und es ist mir bis jetzt nicht möglich gewesen, das mir Fehlende aufzutreiben. Ich wende mich daher noch einmal an Dich mit der Bitte, mir spätestens bis zum 30. oder 31. Januar 100 tlr zu schicken, jedenfalls auch umgehend mir zu schreiben, ob ich solches erwarten darf.

 

Berlin, den 26.1.1849

 

 

Lieber Ludwig,

 

ich danke für die übersandten 50 tlr. Meine Lage ist für jetzt eine sehr trübe. Ich habe gegen 650 tlr. Honorar ausstehen, von welcher Summe ich trotz Mahnung bis jetzt sehr wenig einbekommen habe. All mein Silberzeug, der Schmuck der Frau und meine Uhr sind versetzt worden, um die häuslichen Bedürfnisse und die Ausgaben zu Weihnachten und Neujahr zu bestreiten. Nun soll ich 150 tlr. für die Lebensversicherung zahlen. Ich habe durch ungeheure Mühe

50 tlr. aufgetrieben, dazu von Dir 50 tlr. jetzt erhalten, bin also im Besitz von 100 tlr. Wo ich die letzten 50 tlr. hernehmen soll, weiß ich nicht, und wenn ich nicht bis zum 1. Februar bezahle verliere ich die alten Einzahlungen und mein Recht aus der Versicherung. Ich wende mich deshalb noch einmal an Dich mit der Bitte, mir bis zum 31ten die qu. 50 tlr. oder wieviel weniger Du irgend kannst zu schicken. Solltest Du nicht im Stande sein, mir die ganzen 50 tlr., die mir fehlen, vorzuschießen, nun so muß ich allenfalls selbst nötigen Hausrat versetzen, wie wohl dies mir vor meinem Dienstpersonal im höchsten Grade unangenehm wäre. Ich würde mich beeilen, Dir in den nächsten Monaten das Vorgeschossene zurückzuerstatten, da ich im Februar, wenn keine Gelder kommen den Weg der Klage und Beschwerde betreten will, wodurch ich hoffe bald Geld zu erhalten. Wenn Du also auch jetzt nicht sehr bei Kasse bist, so würdest Du mir eine große Verlegenheit ersparen und Dir vielleicht bis zum 30ten noch etwas Geld in Sagan anschaffen können. Wenn Du den Brief den 30ten zur Post gibst, so erhalte ich ihn den 3lten früh, und dies ist frühzeitig genug. Ist es aber Dir ganz unmöglich mir noch weiter zu helfen, was ich indessen aus Deinem Schreiben nicht unbedingt annehmen kann, so gib mir unbedingt Nachricht davon. Wenn ich irgend jemand hier in Berlin hätte, bei dem ich Kredit rechnen könnte, würde ich Dich gewiß nicht in Anspruch nehmen. Du kannst also versichert sein, daß ich nichts mehr als die unerträglichsten Mittel hab, um mir Geld zu verschaffen.

 

An Berthas prekärer finanzieller Lage änderte sich bis zum Frühjahr 1849 nichts.

 

Lieber Ludwig!

 

Schon eher hätten wir den Brief Deiner Braut beantwortet, doch wartete ich täglich auf einen Brief von meinem Mann und wollte nicht eher schreiben, bis ich Dir dies anzeigen könnte, doch habe ich leider vergebens gewartet, der Dampfer ist angekommen und hat mir keinen Brief mitgebracht, ich muß nun noch wenigstens 14 Tage warten, da nur zweimal des Monats Nachricht kommt, ich bin recht sehr besorgt, daß mich mein Mann diesmal so lange ohne Nachricht läßt, wenn nur nichts Schlimmes vorgefallen ist, sobald ich einen Brief erhalte, werde ich es Dir anzeigen. Man lebt in einem fortwährenden Bangen, wenn ich nur diese Zeit erst überstanden hätte. Wenn es Dir möglich wäre, mir in diesem Monat etwas Geld zu schicken, wäre es mir sehr lieb, ich hatte gerechnet, von meinem Mann jetzt zu erhalten.

Dorchen aus Prag läßt Dich grüßen, sie hat in diesen Tagen geschrieben, es geht ihr gut.

Wir grüßen Dich alle vielmals.

Berlin, den 6ten März 1849 Bertha Josephson

 

 

 

 

Lieber Ludwig!

 

Gestern habe ich einen Brief von meinem Mann erhalten, ich schicke ihn Dir und er hat mir diesmal kein Geld schicken können, er wird es bei dem nächsten Brief schicken, ich bitte Dich daher um einen Vorschuß, sobald das Geld von meinem Mann kommt, schicke ich es Dir zurück. Es fällt mir sehr schwer, Dich lieber Ludwig, zu belästigen, da ich weiß, daß Du selbst sehr knapp bei Geld bist, ich habe es auch meinem Mann, dem ich gestern schon Antwort geschrieben, mitgeteilt und ihn gebeten, mir sobald als möglich, das Geld zu schicken, daß ich es Dir wiedergeben kann. Ich möchte Dich wenigstens um 50 tlr. bitten, da ich zum 1. April Miete und Lohn bezahlen muß, ich würde Dich sehr bitten, wenn Du mir bald etwas schicken könntest, da ich auch gar kein Geld mehr habe und Carl mir jetzt nichts geben kann. Ich hoffe Ende April oder Anfang Mai von meinem Mann zu erhalten und Du erhältst es dann bald, ich weiß, daß es Dir gewiß auch schwerfällt, aber ich habe hier Niemanden, bei dem ich mir leihen könnte. Lieber Ludwig, ich bitte Dich, mir den Brief von meinem Mann bald wieder zu schicken.

Wir grüßen Dich sowie Deine Braut vielmals.

den 14ten März 1849 Deine Dich liebende Schwester Bertha Josephson

 

 

Lieber Ludwig !

 

Dein Brief hat uns recht verstimmt, es ist doch sehr traurig, daß es uns Allen auf einmal nicht gehen will, ich muß zusehen, wie ich mich diesen Monat durchschlage, vielleicht bekomme ich im Mai Geld von meinem Mann, ich habe alles versetzt was nur möglich war, das Bett hab ich bei allem Muß nicht verkaufen können, unter der Hand kann man einen solchen Gegenstand gar nicht loswerden. Carl hat mir auf Deine 100 tlr. kein Geld geben können, er sagt für den Augenblick könnte er es Dir nicht zahlen. Mir war er etwas schuldig, darauf hat er mir etwas gegeben, für diesen Monat hat er den Unserigen auch noch nichts geben können, er glaubt Mitte April Geld anzurechnen, das er ihnen geben will.

Lieber Ludwig, ich bitte Dich sehr, wenn Du es nur möglich machen könntest, Du Dein Teil, was Du ihnen gibst, schicken könntest, da sie nichts haben, was zu Geld gemacht werden kann, und wenn ich auch alles, was ich habe mit Freuden teile, so habe ich ja leider so wenig, daß es lange nicht reicht. Die Miete ist noch nicht bezahlt und das ist doch etwas durchaus Notwendiges.

Schreibe uns nur recht bald, wie es mit Deinem Verhältnis steht, vielleicht ändert es sich noch

zum Guten. Das ist wohl eine schlechte Rolle in Sprottau? 12)

Schreib es uns nur.

Wir grüßen Dich und Deine Braut, hoffentlich sind die ihrigen wieder gesund. Recht bald einem Brief von Dir entgegen sehend,

bin ich Deine Dich liebende Schwester

Bertha Josephson

Berlin, den 9ten April 1849

 

Wann genau Bertha zusammen mit den Kindern ihrem Mann in die Vereinigten Staaten gefolgt, ließ sich bisher nicht genau ermitteln . Es wird vermutlich im Jahr 1850 gewesen sein. Joseph Josephson lebte nach dem Tode Berthas (vor 1876) im Haushalt seines Sohnes Albert in Brooklyn:

Albert Josephson                 33            Prussia             Fa. Hungary

Stock Broker

 

Flora Josephson (Wife)        22             KY                  Fa. Hungary

Keeping House

 

Joseph Josephson                60             Prussia             Fa. Prussia

Stock Broker

 

Bertha Josephson                 9        

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Tod des Vaters

 

 

 

 

Das Sterbeprotokoll ist uns überliefert:

 

 

 

 

Berlin Amtsgericht Mitte

Sterbefälle

 

 

AS 5422            Seite 67 re        Jg. 1850, Nr. 33

 

Laut Verhandlung vom 5 ten März 1850

vol. IV fol. 68 der Acten, Todesfälle der

Juden betreffend, ist der zur jüdischen Religions-

gesellschaft der Juden gehörige Kaufmann

Jacob Herzfeld am zwanzigsten Februar

achtzehn hundert Fünfzig Nachts zwölf Uhr

in einem Alter von sieben und fünfzig Jahren

am Blutbrechen hierselbst verstorben.

 

Eingetragen: Berlin am fünften März achtzenh

hundert Fünfzig

 

(gez.) Dittrich                                    (gez) Wendel

      Richter                                         Protocollführer

 

 

                      

 

Vermutlich waren Bertha und die jüngeren Schwestern, vielleicht auch Carl und die Schwiegertochter Ida sowie die Enkelkinder anwesend als Jacob starb. Mit Sicherheit befanden sich Carl, Louise und der Sohn Albert in Berlin. Letzterer war es vielleicht, der den Kaddisch, das jüdische Totengebet, über seinen Vater sprach:

"Isgadal wiskadasch ... erhöht und geheiligt sei Sein Name im Weltall, das Er erschaffen hat nach Seinem Willen. Sein Reich komme, so lange euch Leben und Tag gegeben und beim Leben des ganzen Hauses Israel..."

Der kurze Trauerzug wird sich über den Alexanderplatz zum Friedhof Schöhauser Allee bewegt haben. - Gleich nachdem der Leichnam ins offene Grab gelegt worden war, bestreute man ihn mit Erdklumpen. Wiederum erklang der Kaddisch, von einem der Söhne oder einem nahestehenden männlichen Verwandten gesprochen.

 

 

Im Juli des darauf folgenden Jahres ließ sich der letzte von Jacobs männlichen Nachkommen, Albert Leopold Herzfeld, am 27. Januar 1851 in der dicht bei der alten Synagoge gelegenen Marienkirche taufen.

 

 

 

 

 

 

 

ALBERT HERZFELD

*24. 4. 1835 in Guhrau + 1862 im Skagerrak

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die weiblichen Nachkommen blieben anscheinend – inzwischen ist diese Vermutung belegt – alle dem Judentum verbunden. Von drei Töchtern wissen wir mit Sicherheit, daß sie jüdische Männer geheiratet haben. Bertha den Joseph Josephson, Louise William Falk, der später in Wien ansässig war  und Ida den Leopold Oberwarth. Alwine blieb ledig.

Berthas Nachkommen in den USA blieben jüdisch.

Nach Mitteilung der Israeltischen Kultusgemeinde Wien ist  am 7. März Luise Falk, geb. am 20.4.1833 in Gurau, Schlesien, an Gefäßkalkung gestorben und am 7. Mai 1917, William Falk, geboren am 28. Sept. 1833 in Posen, damals Preussen, an Lungenentzündung. Beide liegen auf dem alten Teil der jüdischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs“.

Auch in der nachfolgenden Generation wird der Trend, dass die Frauen dem Judentum verbleiben sichtbar. Der Sohn aus der Ehe zwischen Luise und William Falk, der am 25. Feb. 1859 geborene Generalauditor Heinrich Falk hat sich erst später römisch-katholisch taufen lassen. Seine Schwester Hedwig, geb. 3. März 1861, war ebenfalls mit einem Juden dem Rechtsanwalt Josef Pick verheiratet. Sie starb am 3. Feb.1941. Sie ist im „Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“ zu finden.

Auf die Familien Josephson und Falk wird weiter unter ausführlich eingegangen.

 

 Die jüngste Tochter Jacobs, Ida Johanne, heiratete am 11.6.1867 in Berlin Leopold Oberwarth. Beide sind auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee begraben.

 

Wilhelmine (* 18.8.1821 in Guhrau, gest. vor 1876 in Brooklyn) wanderte    anscheinend zusammen mit ihrer Schwester Bertha in die U.S.A. aus. Bei ihr könnte es sich um die im Jahre 1851 im Berliner Adressbuch aufgeführte Josephson, geb. Herzfeld, verw. Assessor, Oranienstr. 146 handeln. Auch sie wird mit Sicherheit im Judentum verblieben sein. Über ihr Schicksal ist uns kaum etwas bekannt. Lediglich Albert Herzfeld berichtet in seinen „ Erinnerungen für Kinder und Enkel“ (1929): „Im Jahre 1866 war meines Vaters Schwester Wilhelmine (aus Amerika) in Teplitz im Bade. Sie floh mit allen Badegästen vor der preußischen Armee, und zwar nach Sprottau. Der Eisenbahnverkehr muß also trotz des Krieges ungestört gewesen sein. Sie kam in der Nacht an und fuhr mit dem Sprottauer Fuhrmann Stensch ... in der Nacht nach Mückendorf. Der Fuhrmann zog heftig an der pneumatischen Klingel in der Halle, die von Anfang an nicht geklingelt hatte. Es war eine von meiner Mutter arg verspottete Erfindung... Die Klingel verstand zu wenig von Physik oder die Abdichtung genügte nicht. Jedenfalls nahm die pneumatische Klingel auch in jener Nacht keine Rücksicht auf meine Tante Wilhelmine. Da es nicht klingelte fuhr Stensch nach Hause. Die Tante blieb bis zum Morgen auf der Bank in der Halle sitzen. Glücklicherweise war es eine warme Sommernacht. Am nächsten Morgen wurde sie durch das Hausmädchen entdeckt und dabei festgestellt, daß sie nur hätte zu klinken brauchen, um die Tür zu öffnen. Auf 3 Seiten, von der Halle, von der Veranda und von der Küche aus waren die Türen unverschlossen.“

 

 Bei einem Besuch in Florenz suchte ich auch die Synagoge und das angegliederte Gemeindebüro auf. Hier fand ich meine These, daß sich nur die männlichen Herzfelds taufen ließen und die weiblichen jüdisch blieben erneut bestätigt. Alwine, die Schwester des Ludwig Herzfeld , geboren am 8. Juli 1828 in Guhrau, sie war später Sprachlehrerin in Florenz, verstarb am. 23. Okt. 1919 und wurde  auf dem jüdischen Friedhof, Via Caciolle 13, Firenze Nova - Quadrato 5 - Fila III, Porto 8 begraben. Auf diesem Friedhof  findet sich auch noch ein Toni Herzfeld (gest. 1914)  und ein Maurice Herzfeld. Die in der Familie kolportierte Geschichte, Jacob Herzfeld habe einen Familienukas erlassen , der es den Töchtern untersagte, jüdisch zu heiraten, erweist sich als Fiktion.. Zwar blieb Alwine ledig, aber Bertha, Louise und Ida haben Juden geheiratet.

„Montag, 30. Juni 1997

Ich fuhr heute zum jüdischen Friedhof, um Alwines Grab  aufzusuchen.

Als ich die hinter einer großen Mauer und durch ein eisernes Tor gesicherte Anlage betrat, ging ein Regenschauer nieder. Die Friedhofswärterin, die weder Deutsch noch Englisch verstand, wohl selbst den Regen scheuend, stattete mich mit einem Regenschirm aus und wies mir den Weg. Trotz langen Suchens, die Sonne kam wieder hervor und brannte mir auf den Buckel, konnte ich das Grab nicht finden . Als mir ein Gärtner, der überhängende Äste von Feigenbäumen absägte, reife Früchte lagen zermatscht am Boden, auch keine Auskunft geben konnte, wandte ich mich Hilfe heischend  in das Wärtelhaus zurück. Nun bequemte die Dame sich, in ihrer Kartei nachzusehen und mit dem Büro der jüdischen Gemeinde zu telefonieren, von der meine Angaben stammten, jedoch wurden meine Angaben nur bestätigt.

Schließlich machte sie sich mit mir auf die Socken. Endlich wurde ich fündig(die Reihenangabe hatte nicht gestimmt) : Eine kleine, dünne Grabplatte aus Sandstein, deshalb bereits verwittert, die Oberfläche mit einer leichten Moosschicht bedeckt, ein Namenszug nur schemenhaft erkennbar, lag auf dem Boden. Ich musste der Versuchung widerstehen, sie in meiner Umhängetasche verschwinden zu lassen. Ich tastete mit den Fingern die Buchstaben entlang, legte ein Blatt Papier darüber und fuhr mit einem Bleistift über die grobe Fläche. Kein Zweifel  - der Name „Herzfeld“. Es handelte sich um ein Armengrab, die Beerdigung hatte wohl die jüdische Gemeinde ausgerichtet.“     

(Fußnote) - Diese Familie, in etlichen ihrer Zweige nicht unbetucht, hatte für ihre Toten, wie auch in Halle zu sehn ist, nur wenig übrig.

 

 Uns liegt ein Bericht der Großnichte Dore Herzfeld (Schober) über ihren Besuch in Florenz aus dem Jahre 1906 vor:

 

  Nun kommt die italienische Reise dran. Bin Vierteljahr vorher finden wir in der Berlitz-Schule mit italieni­schem Unterricht an. Dann, wurde die Reiseroute zusam­mengestellt, die -Rundreisehefte besorgt, mit den heuti­gen Preisen verglichen war diese Fahrt, alles 2.Klasse, lächerlich billig. Eines Mittags fuhr unser Zug ab, auf dem Bahnsteig trafen wir einen von Vaters Kolle­gen, der auf die Bekanntgabe unseres Reiseziels sagte "glückliche Jugend". Und er hatte recht, wir fuhren mit offenen Augen und bereit, das schönste in uns auf­zunehmen, ab. Die Reise verlief glatt, erst durch die lieblichen mitteldeutschen Wälder, dann durch die Nacht und tags durch Tirol und über den Brenner. Die schone Fahrt, die man so gerne noch einmal wiederholen möch­te, jetzt - wo uns Deutschen die ganze Welt verschlos­sen ist ! Dann kamen die italienischen Berge, nur mit zartem Laubwald bestanden, auch dort ging es nach den vielen Brennertunneln durch viele Tunnel hindurch und nach 28 Stunden kamen wir in Florenz an, wo uns Tante Alwine mit einer Droschke abholte und durch die schö­nen Florenzer Straßen fuhr, aber nicht umhin konnte, mit dem Droschkenkutscher am Schluß ein uns ganz neues Handeln um den Preis zu beginnen. Ihre Wohnung war am Ining* Arno, einer Straße, die den Arno begleitete und einen schönen Ausblick auf den Piassale Michel Angelo bot. Unser Schlafzimmer ging auf einen Lichthof und nachts hatten wir manchmal die Mäuslein an unseren Bettvorhängen spazieren, ließen uns aber nicht stören. T. Alwine war schon 83 Jahre alt, aber ungewöhnlich rüstig und geistig frisch. Sie war Sprachlehrerin ge­wesen und kannte dadurch viele gute Familien, in denen sie noch verkehrte und in deren Häuser wir nun auch geladen wurden. Ich verstand das Italienisch sehr gut und Tante Alwine war entsetzt, als sie merkte, daß ich den Bericht über eine schwere Geburt, den eine Bekannte ihr gegeben hatte, ihr wörtlich übersetzen konnte. Wir lernten dort richtig, wie gut Olivenöl schmeckt und manche italienischen Gerichte kennen. Im Hause wohnte ein Künstler, dessen Tochter Giorgina Giorgi uns in- und hauptsächlich außerhalb Florenz führte und mit der wir italienisch sprechen konnten. Wir hatten einen guten -Plan entworfen, nach dem wir an den kostenlosen Tagen die Museen gründlichst stu­dierten und die Kirchen und alles Erdenkliche besich­tigten. Wir sahen unendlich viel Schönes und lernten richtig sehen, wenigstens denke ich das. Wir waren am 3. April abgefahren und kamen in den schönsten Frühling, bald in sommerliches Wetter, so daß an den Häu­sern bis in mindestens ein Stockwerk die Glyzinien und Teerosen blühten. Im Auftrage von Vater und Mutter kauften wir eine  klassische Marmorfigur - i lottateri die Ringer, die später auf einer dazu angefertigten Säule unseren "Salon zierte. Auch für uns erstanden rir ;]e einen Kinderkopf aus Alabaster. In den Schaufenstern lagen wunderschöne Schmucksachen, auch auf .er berühmten Brücke "ponte recchio" waren sie in winzigen Auslagen zu sehen, aber dafür hatten wir leider :ein Geld. Ziemlich am Ende unseres Aufenthaltes kam Frau Weber (Justizrätin) mit Trude auch, nach Florenz, wir mochten sie eigentlich nicht recht, aber -Frau W. rar dort so nett, daß wir gern mit ihr einen Droschkenausflug nach der Gertosa machten, einem Kloster lieblich auf einem, Hügel gelegen.

eine -Bekannte von Tante Alwine lud uns zu einer Fahrt m eigenen Wagen zum Korso in den Cascinen ein. Bin liebliches Wäldchen, durch das eine breite Fahrbahn führte, auf der die "mondäne Welt" sich an bestimmten Tagen nachmittags auf diese Weise ein Stelldichein ab. Mit Griorgina waren wir in einem antiken Amphitheater, auf der Fahrt in der Elektrischen/Lernten wir einen Nürnberger Ingenieur kennen, der meinte, uns sofort als Deutsche erkannt zu haben» es sollte eine Schmeichelei ein. Im allgemeinen wurde man lieber für einen Ausländer gehalten, das heißt, einer anderen Nation angehörig, weil die Deutschen damals in dem Ruf standen, in den unangebrachtesten Kostümen, mit Hucksack und Nagelschuhen o.a. in den Galerien und Hotels aufzutauchen und somit ihr Vaterland in den Augen der anderen schlecht vertraten.

Tante Alpine hatte ein altes Mädchen, die schon "Jahr-zehnte bei ihr war, Maria, die gut kochte und wenig aufräumte. In der Familie in Halle wurde gesagt, Tante Alwine hätte erzählt, da würde behauptet, in Italien sei man. nicht sauber, aber sie wüsche ihre Gardinen alle 8 Jahre. Das Wohnzimmer war trotzdem sehr gemütlich mit altertümlich geschnitzten, dunklen wenigen Möbeln und Blumen. - Besonders gut schmeckten uns weiße Bohnen, die beim Verzehren mit Olivenöl übergossen irden, und gebratenes Fleisch mit Tunke, was für welches, weiß ich nicht mehr. Die Küche war ganz altertümlich mit einem Rauchfang über dem großen Herd, wie im Märchen. Oben hingen merkwürdige Gebilde, die uns zum Lachen reizten, besonders als Tante Alwine von dem einen behauptete, es sei eine luftgetrocknete Zunge. Unser Lachen veranlaßte sie wohl, uns die Güte ihrer Ware zu zeigen und die Zunge wurde 48 Stunden in Wasser gelegt und lange gekocht. Dann schmeckte sie allerdings delikat.

Das Klo war ganz altmodisch "zum Durchfallen" von oben bis unten, es hatte einen weißen Marmorsitz, auf dem ein Strohring lag, weil der Marmor natürlich viel zu ka1t war. Eines Tages wurden unten die Wässer (oder sonst was?) gereinigt und das Klo durfte nicht benutzt werden, deshalb führte uns Tante Alwine zu einem Arzt, Dr. Vonzetti - Junggeselle auch noch -, bei dem wir das Klo al'inghlese - englisch - benutzen durften, das eine normale Wasserspülung hatte. Das war wohl in Florenz aber noch nicht so verbreitet. Er wurden also verschiedentlich eingeladen zum Tee mit herrlichem Kuchen, einmal zum Abendbrot, wo es Spargel gab. Dort werden die Spargel nicht geschält, deshalb faßt man das Ende mit den Fingern an, taucht eine Spitze in Olivenöl und ißt nur so viel, wie von dem Stengel zart ist. Er schmeckt "wie ein Gedicht".

15. Mai wurden wir in Wien erwartet und wollten eigentlich gern allein nach Venedig fahren. Tante Alwine wollte aber mit einer alten Bekannten uns begleiten, weil es angeblich in Italien für junge Mädchen schicklich war, allein zu reisen. Wir waren von dem Plan nicht sehr begeistert und ließen sie es wohl auch etwas merken, was ja nicht sehr nett von uns war. So fuhren wir also zusammen los und landeten auf dem Bahnhof in Venedig, von dem man schnell an einen Kanal kam, auf dem lustig die Gondeln schaukelten, deren Gondolieri

 

laut und wortreich zum Mitfahren aufforderten. Tante Alwine handelte ein bißchen, wir "gondelten" los und wollten in einer ihr als billig und gut bekannten Pension nächtigen. Vorbei ging es an alten Häusern und Palästen, unter der Rialtobrücke hindurch und so fort, links lag der Markusplatz mit dem Dogenpalast, aber wir fuhren wer weiß wohin und es dunkelte schon, bis wir ausstiegen. Tante Alwine zog an einem alten Hause unten an einem Klingelzug, aber niemand öffnete, und so mußten wir mit der Gondel, die vorsichtshalber gewartet hatte, zu einer unbekannten Pension fahren, die nun gar nicht billig war. Sie war sehr hübsch ge­legen und A..M. and ich fühlten uns sehr wohl, wir fan­den sie mit den weißen Möbeln sehr elegant eingerich­tet. Nun zogen wir am nächsten Tag los, Tante Alwine interessierte sich glücklicher Weise nicht für ihr längst bekannte Kirchen und Paläste und so besichtigten wir allein die Kirche Maria della Salute, die Markuskirche, den Dogenpalast usw. und schlenderten auf den schmalen Gäßchen herum, die nur zum Gehen ein­gerichtet waren. Damals war grade der berühmte Campa-nile-Glockenturm auf dem Markusplatz eingestürzt und sollte erst wieder aufgebaut werden. Alles war eigen­artig und vieles überwältigend schön, noch dazu im Sonnenschein mit strahlend blauem Himmel. Mittags trafen wir uns, auch wohl meist zum Abendessen im "Gavaletto", einem kleinen sehr bekannten Restaurant in der Nähe des Markusplatzes. Tante Alwine hatte in .Florenz stets gesagt, Butter äße man in Italien nicht und als A.M. nun mal Butter (wozu weiß ich nicht mehr) bestellt hatte und Tante Alwine sagte, bitte, gib mir doch etwas Butter, sagte Annemarie, die sehr spitz sein konnte: loh denke, in Italien ißt man keine Butter. Damit und mit noch anderem hatten wir sie offenbar so gekränkt, daß sie es aufgab, für unsere Tugend be­sorgt zu sein. Es war auch nicht nett von uns, denn sie hatte In den 6 Wochen wirklich gut für uns gesorgt, aber brieflich hat sie uns nichts entgelten lassen.

Eines Tages fuhren wir zum Lido, hatten aber leider keinen -Badeanzug, den hätten wir uns ,ja leihen können. Es war aber keine Badezeit und wir wären die Einzigen gewesen, die von den anderen Gästen aus den Glasveran­den hätten kritisiert werden können, und das genierte uns, ,so kamen wir um den ersehnten Genuß!   -  Als wir in unserer Pension die teure Rechnung begli­chen, kam Tante Alwine empört zu uns, ihr hätten sie noch ein Nachtgeschirr auf die Rechnung gesetzt, wo sie doch nie eins benutzte! Das gab ihr den Rest. - Wir verabschiedeten uns von den 2 alten Damen und zogen allein zum Dampfer, der um Mitternacht in See stach...

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Friedhof an der Schönhauser Allee

 

 

Der Jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee ist eine der schönsten und stimmungsvollsten Begräbnisstätten, die ich kenne. Vor vier Jahren hatte ich ihn zum erstenmal betreten, um das Grab meines Urururgroßvaters Jacob Herzfeld zu suchen.

Dichtes Unterholz, das die Gräber überwucherte, umgestürzte oder in der Erde versunkene Steine, unleserliche Inschriften auf porösen Sandsteinflächen erschwerten das Unterfangen.

Auch bei meinen späteren Besuchen, zwar war das Unterholz inzwischen etwas gelichtet und etliche Grabsteine waren restauriert, hatte ich kein G1ück. Ebenso blieben die Verzeichnisse der Gräber, trotz eines überraschenden Fundes im Heizungskeller des Friedhofs Weißensee, für die betreffenden Jahre verschollen.

Nun machte ich mich wieder - einhundertneununddreißig Jahre nach der Beisetzung Jacobs - auf den Weg zur Schönhauser.

Einige Tage nach Ostern hatte mich ein Brief des Schriftstellers Gerd Kern erreicht: Er hatte Jacobs letzte Ruhestätte gefunden. Die Nachricht erregte mich, und so setze ich mich an meinem ersten freien Tag im Monat Mai in Hamburg in den Zug Richtung Berlin,

Kaum am Bahnhof Zoologischer Garten eingetroffen, verstaute ich mein Gepäck im Schließfach und fuhr mit der S-Bahn zum Grenzübergang Friedrichstraße. Menschenschlangen - Warten - Paß- und Zollkontrolle ... Weiter mit der S-Bahn - am Alexanderplatz umgestiegen in die U-Bahn - geht’s zum Friedhof an der Schönhauser.

Ich passiere das mir inzwischen gut bekannte Tor aus Eisengitterstäben. Bedecke das Haupt, die Leihgabe des Friedhofswärters verschmähend, mit meiner Jerusalemer Kipa.

Gleich neben dem Eingang, wo sich jetzt die Gedenkstele für die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtung erhebt, befand sich einst die vom Architekten Johann Hoeninger entworfene Feier- und Leichenhalle.

 

 

 

"Hier erfolgt in einem gesonderten Raum die rituelle Waschung des Toten (Tahara). Dazu wird der Leichnam entkleidet und auf einem Marmortisch durch begießen mit warmen Wasser gereinigt. Als Begründung bezieht man sich auf den Ausspruch von Juda hachassid (im 12. Jahrhundert in Speyer lebend): 'Der Mensch wird bei der Geburt gewaschen und ist rein. Darum soll er auch nach seinem Ableben gebadet werden.' Anschließend werden die Haare gekämmt und der Leiche die vorschriftsmäßig gefertigten Sterbegewänder (Tachrichin) angelegt. Diese bestehen für alle Verstorbenen unterschiedslos aus einem weißen Hemd, Beinkleid und Kopfbedeckung. Diese aus Leinen gefertigte Kleidung soll nach dem Tode alle sozialen Unterschiede auslöschen und gleichzeitig Reinheit und Einfachheit symbolisieren. Männer werden außerdem in ihren Gebetsmantel (Tallit), den sie zu Lebzeiten immer in der Synagoge anlegten, gehüllt, von dem aber zuvor die Schaufäden (Zizit) entfernt wurden. Anschließend legt man die Leiche in einen einfachen Sarg (Aron). Dabei wird unter den Kopf des Verstorbenen ein kleiner Beutel mit Erde aus dem Heiligen Land gelegt, damit so auch in der Diaspora die Heimkehr in die Erde des Landes der Vorväter ausgedrückt wird.

 

Die Aufbahrung des geschlossenen Sarges erfolgt in der Trauerhalle des Friedhofes. Zur Ehre des Toten und zur Tröstung der Hinterbliebenen wird eine kurze Leichenrede (Hessped) gehalten. Dazu spricht der Kantor oder Rabbiner bestimmte Gebete (u.a. El mole rachamim ... Gott, Du bist voll Erbarmen ! ...). Unter dem Geleit der an der Feierlichkeit Teilnehmenden wird dann der Sarg zum Orte der Beisetzung (Lewaja) getragen und dreimal abgesetzt, Dabei sprechen der Rabbiner oder der Kantor und die Begleitenden den 91. Psalm ('Wer wohnt im Schutze des Höchsten ...) Nachdem der Sarg in die Gruft abgesenkt wurde, werfen alle Teilnehmer nacheinander drei Schaufeln Erde in die Grube und sagen 'Ki afar atta w'el afar taschuw' - 'Von Staub bist Du und zum Staub kehrst Du zurück .1

Ich nehme an, daß die hier geschilderten Vorbereitungen für die Beisetzung Jacobs im Jahre 1850 noch in der Wohnung Grenadierstraße vorgenommen wurden.

 

Dicht neben der erwähnten Gedenkstele findet sich das Erbbegräbnis der Familie Landshoff oder Levy, gemeißelt auf schwarzen Granit begegnet uns hier zuerst der Name Herzfeld:

Jonas Herzfeld, geb. 25. 6. 1817, gest. 21. 12. 1878 Nathalie Herzfeld, geb. Landshoff, geb. 13.1.1820, gest. 27. 2. 1877.

 

Ob eine verwandtschaftliche Beziehung zu unserer Familie besteht, weiß ich nicht zu sagen.

 Nicht weit von dieser Grabstelle befindet sich der Stein einer Anna Herzfeld geb. Caro, geb. 9.7. 1851, gest. 6.11. 1879.

Ich biege nach links auf den parallel zur Schönhauser Allee verlaufenden Hauptweg ein, der von den wiederhergestellten Grabmälern der Ehrenreihe geschmückt wird.

 

Vorbei an der Ruhestätte des Rabbiners Jacob Joseph Oettinger (1780 bis 1860), der 1844 Bertha Herzfeld mit Joseph Josephson traute, der vielleicht auch unseren Jacob auf seinem letzten Weg begleitete, und am Doppelgrab der befreundeten liberalen Politiker Eduard Lasker (1829 - 1884) und Ludwig Bamberger (1823-1899). Der Blick fällt auf das Grab Ludwig Geigers (1848-1919), des bedeutenden Literaturhistorikers, und die Gräber von Adelheid Zunz (1802 - 1874), deren Salon fast ein halbes Jahrhundert lang dem intellektuellen jüdischen Berlin das Gepräge gab, und Dr. Leopold Zunz (1794-1886), dem Begründer der Wissenschaft vom Judentum. - In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verkehrte im Hause Zunz freundschaftlich der spätere braunschweigische Landesrabbiner und Wirtschaftshistoriker Levy Herzfeld, der Zunz auch seine Dissertation 'Chronologia judicum et primorum regum hebraeorum' widmete. Adelheid Zunz ("liebe Frau Doctorin") vertraute er seine großen und kleinen Sorgen an.

 

 

 

Weiter bewege ich mich zur nördlichen Friedhofsbegrenzung, um einen Blick auf den Grabsteinsockel - die Platte ist verschwunden2 nur eine Aufnahme des Grabes , die aus den 20er Jahren dieses Jahrhunderts stammt, existiert noch - eines Mannes zu werfen, der ebenfalls seinen Platz in der Ehrenreihe hätte finden sollen: Dr. Jeremias Jacob Wolff, geb. am 3. 2. 1759 in Harzgerode, promovierte am 8.3.1780 in Göttingen zum Dr. med., 1782 erhielt er seine Approbation für Berlin.3 In Nachfolge von Marcus Herz wurde er 1803 zum Leiter des

 

 

 

Jüdischen Krankenhause bestellt und später zum Geh. Hofrat ernannt. Er starb am 4. 7. 1833. Sein Vater Jacob Herzfeld (Herzveldt), Sohn des Arztes Issachar Beer aus Heizfeld (Heidingsfeld), war während des 7jährigen Krieges vorübergehend nach Harzgerode geflüchtet und hatte sich zwei Jahre später einige Zeit in Offenbach und Amsterdam aufgehalten.

Er starb hochbetagt am 5.11.1794 und wurde, wie bereits oben erwähnt, auf dem Friedhof Große Hamburger Straße bestattet. Seine Tochter Recha, die Schwester von Dr. Jeremias Wolff, war mit Abraham Schlochau verheiratet.4

Rechter Hand davon befindet sich das Feld D. In der Nahe der Ruhestätte des Leutnants Hermann Hirsch, außer Major Burg der einzige jüdische Offizier auf dem Friedhof Schönhauser Allee, stoße ich auf das Doppelgrab des Kaufmanns Elias Herzfeld, geb. am 11. Feb. 1787, gest. 24. Jan. 1865 od. 67 und seiner Ehefrau Henriette geb. Behrend (an anderer Stelle 'Baer' geschrieben). Henriette war am 28. August 1800 geboren worden und starb "am 8. März 1863 um acht Uhr abends im Alter von 62 Jahren an Entkräftung“.5

 

Elias und Henriette stammten aus Nordhausen, das nicht allzu weit von Harzgerode entfernt liegt. Die Tochter Ida hatte 1848 in Berlin den aus Hannover stammenden Jacob Cohn geheiratet. Einige Tage vor Elias war (vermutlich) sein Sohn "Robert Herzfeld aus Nordhausen ... am 19. Januar 1867 um sechs ein Viertel Uhr abends in einem Alter von 33 Jahren an der Abzehr verstorben". 6 Der Name Robert dürfte für Ruben stehen. Sollte diese Annahme richtig sein, können wir eine verwandtschaftliche Beziehung zu dem im Jahre 1810 in Ellrich/Harz, unweit von Nordhausen gelegen, wohnenden Ruben Herzfeld vermuten. Aus dessen Ehe mit Friederike geb. Levi stammt der bereits oben erwähnte braunschweigische Landesrabbiner Levi Herzfeld (geb.28. Dez., gest. 1810 ,11.März 1884).7

Nun findet sich ebenfalls auf dem Friedhof Schönhauser in der Nähe der Grabstelle von Recha Meyer, „des würdigen Mendelssohn würdige Tochter", ein imposanter barocker Grabstein, nur die Seite mit der hebräischen Inschrift schaut aus dem Boden: ...riel Heuzfeld, Sohn des MRH Abraham S... ist da zu lesen. Vermutlich liegt hier der Kaufmann Israel Heutzfeld, der am 19. April 1830, in der 9. Stunde starb, der dürfte mit dem in der Glogauer Staatsbürgerliste von 1812 aufgeführten identisch sein. Israel Heutzfelds Frau Dore war ebenfalls eine geborene Levy, unter den Kindern findet sich auch ein Knabe namens Ruben.

 

.Auf eine mögliche Beziehung zu Israel Heitzfeld in Glogau, gest. 1830 in Berlin (nachstehend sein Grabstein) wurde bereits weiter oben hingewiesen.

                                      

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Samuel HERZFELD

 

 

Elias Herzfeld

geb. 11.Feb. 1787

gest. 24. Jan. 1867

in Berlin,

dort Inhaber der Fa. Eidam u. Co (1)

 

Henriette  geb.Baer (Behrendt)

geb.28. Aug.1800

gest. 8. März 1863

 

 

 

 Jeanette Herzfeld

geb. in Nordhausen

00 26.2.1855

 

Herzfeld mit Wilh

Meno Burg

geb. 1822 in Berlin.

Teilhaber des

Elias Herzfeld 

 

Ida Herzfeld geb. 1826

in Nordhausen

00 3.11.1848

 mit Jacob Cohn

geb. 31.12.1812

in                                                                                  Stoldt/ Han.

Seraphine Herzfeld

Geb. 30. März 1828

in Nordhausen

gest. 6. 10. 1912

00 mit Hahn

Robert Herzfeld geb.

in Nordhausen

gest. 19. Jan. 1867

in Berlin

                                                                                                                                                                                                           

Stearinlichtfabrikaten

August Wilhelm u. Otto Burg; der Schwiegersohn, Teilhaber der Fabrik, Alte Jacob Str.5

Ludwig Herzfeld

geb. 13.02.1860

gest. 16.10. 1939 in Nordhausen

 

Der Bankier Arnold Herzfeld beerdigt auf dem Friedhof Berlin-Weißensee

stammt ebenfalls aus Nordhausen

Friederike Herzfeld

geb. 13.11.1826

gest. 17.8.1895

in Nordhausen

(falls sie keine Zwillings-

schwester von Ida ist, muss sie aus einer anderen Nordhauser Herzfeld-Familie stammen.)

(beerdigt in Nordhausen? Könnte mit dem dort 1867 bestatteten Robert Herzfeld identisch sein; jedoch weicht das Geburtsdatum – 1817 – erheblich ab. Falsch gelesen?)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bemerkenswert ist, daß die erste Frau des Samuel Josephson, des Schwiegervaters unserer Bertha Herzfeld, Henriette geb. Loebel Beer hieß, ob daraus eine Verbindung zu Henriette Herzfeld geb. Baer abzuleiten ist, will ich dahingestellt sein lassen.

Zwei hohe, weiße Marmorstelen ragen im Feld D empor und reflektieren grell das Licht der hervorbrechenden Sonne.

Hier sind die Schwiegereltern von Bertha Herzfeld, die Eltern Joseph Josephsons, beerdigt. Die Inschrift ist mühelos zu lesen:

 

 `                                                  

Samuel J o s e p h s o n                    Sophie Josephson

7gest. 30. Dez. 1855                           geb. Segall 

im Alter von                                        geb. zu Lissa am 26. 4. 1795

74 Jahren                                             gest. 30. April 1876

 

 

                                                                             

 

 

 

In dieser Sektion des Friedhofs befindet auch der Grabstein eines Mitglieds aus der Familie der Schwiegereltern von Louise Herzfeld, der Tochter unseres Jacob aus 3. Ehe

MEYER FALK

 geboren zu Posen am 15.Dezember 1802 gestorben zu Berlin am 21. Mai 1870 8

 

 

Bevor ich mich nun endgültig auf den Weg zu Jacobs Grab mache, werfe ich noch einen Blick auf die letzte

Ruhestätte von Sara Schlochauer geb. Munk, 12. 7. 1788 - 25. 1. 1869. Sie wer die Mutter von Dr. Valentin Schlochauer, der 1812 in Glogau zur Welt kam. Valentin heiratete am 29. 7. 1844, dem Tag, an dem Bertha Herzfeld mit Joseph Josephson getraut wurde, in Berlin Friederike, die Tochter des Samuel Friedländer. Die Trauung nahm ebenfalls der Rabbinatsassessor Oettinger vor.9

Die Zuordnung fällt mir jedoch bei einem anderen Stein, der die segnenden Hände eines Kohanim trägt, nicht schwer: Bei Wolf Weisbach und Lea Weisbach geb. Falkenheim handelt es sich um die Urgroßeltern von Freda Wuesthoff, der Frau von Onkel Franz Wuesthoff (Herzfeld).

Werner Weisbach, der Onkel Fredas, hat in seinen Jugenderinnerungen seiner Großmutter, die die Tochter eines Rabbiners aus Liegnitz war, ein bleibendes literaisches Denkmal gesetzt. Sein Vater Valentin Weisbach, Fredas Großvater, wurde ebenfalls auf dem Friedhof Schönhauser Allee im Erbbegräbnis der Familie Raphael, der Linie seiner Frau, beigesetzt. Erst nach langen Auseinandersetzungen mit den Verwandten seiner Mutter konnte Werner Weisbach verhindern, daß die Leiche seines Vaters exhumiert und auf den Friedhof Weißensee überführt wurde.10

 

Genug der Abschweifungen, nun die Schritte gezielt zu den Gräbern der Familie Liebermann gelenkt, nur einige Meter entfernt davon soll unser Jacob ruhen.

Sofort fällt der monumentale Marmorsakrophag Adolph Ritter Liebermann von Wahlendorfs ins Auge.

 

 In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das Erbbegräbnis von Louis Liebermann (1819-1894), in dem auch sein Sohn, der Maler Max Liebermann, 1935 bestattet wurde. Dieses Erbbegräbnis "ist eine Schöpfung des Architekten Hans Griesebach, der zu den bekanntesten Baumeistern der Neurenaissance in Berlin zählte“.11

Das Grabmal besteht aus einer Sandsteinmauer über L-förmigen Grundriss. Die Arkatur von drei zu vier Achsen ist in einem historisierenden Stil gehalten, in dem sich die klassische Richtung der Renaissance mit bestimmten Zügen des Manierismus mischt Gleich rechts dahinter, wo sich die Sandsteinmauern schneiden, befindet sich das Grab von Jacob Herzfeld.

Die aggressive, schwefelhaltige Berliner Luft verursacht die zunehmende Erosion des Grabsteins, trotzdem ist die Inschrift noch zu lesen:

 

 

Hier ruht un... .....bter Vater

JAKOB HERZFELD

gestorben im ...... Lebensjahre      

am 20. Februar 1850

 

 

Schweigend stehe ich da, als Nichtjude, den Kopf mit der Kipa gesenkt, meine Lippen formen den Kaddisch, der vielleicht das erstemal Seit einhundertneundreißig Jahren wieder an diesem Grab gesprochen wird :

Gepriesen und geheiligt sei Sein Name in

der Welt, die er nach Seinem Willen erschaffen. Sein Reich errichte Er in eurem Leben und in euren Tagen und während des Lebens des ganzen Hauses Israel. Drauf sprecht: Amen I

 

Sein großer Name sei gepriesen, jetzt und in alle Ewigkeit!

Gelobt, gepriesen, verherrlicht im vollen Ruhme und Glauben sei der Name des Allerhöchsten - gelobt sei Er - erhaben über jeden Lob-, Trost- und Segensspruch, die je in der Welt gesprochen.

Darauf sprecht: Amen!

 

Die Fülle des Lebens und des Friedens komme vom Himmel Über uns und über ganz Israel. Darauf sprecht: Amen!

 

Reicher Friede komme vom Himmel und Leben über uns. Er bringe Frieden über uns und über das gesamte Volk Israel.

Drauf sprecht: Amen !

 

 

Meine Augen suchen den Weg nach einem Stein ab, ich greife mir einen und lege ihn, dem alten Brauch entsprechend, auf das Grabmal Jacobs,

 

 

.

 

 

 

Nachwort

 

Nun möchte ich als Begründung nicht eine Soziologie der Familie bzw. hier der Herzfeld-Familie entwerfen, auch nicht uneingeschränkt die Aussage meines Namensvorgängers Wolfgang Herzfeld (1859-1941), mit dem ich, in seinem Todesjahre 1941 geboren, das familiengeschichtliche Interesse teile, daß "Blut dicker ist als Wasser", übernehmen. Es waren neben dem allgemeinen Interesse an der Geschichte auch ganz subjektive Faktoren, die mich zu einer intensiven  Beschäftigung mit der Familie Herzfeld führten. Zum einem dürfte unbewusst die Aufarbeitung der Scheidung  meiner Eltern eine Rolle gespielt haben. Das Interesse zunächst nur latent vorhanden, blieb erhalten, und wurde verstärkt durch das Interesse an einem unbekannten Vater, den ich als Dreizehnjähriger erstmals, auch da nur kurz, mit Bewußtsein gesehen hatte, und der in den U.S.A. lebte.

In der Auseinandersetzung mit seiner Person und weltanschaulichen Position sollten zwei Motivationsstränge, sich mit dem Judentum zu beschäftigen, zusammenkommen: Zum einem blieb mir unverständlich, daß jemand, der, falls ihm nur ein jüdischer Großelternteil mehr beschieden gewesen, der Liquidation anheim gefallen wäre, zumindest verbal zu einer antisemitischen Einstellung neigte und die Tendenz in seiner Familiengeschichte, die jüdischen Vorfahren zu "germanisieren", unübersehbar war. Es mag sein, daß hinter dieser Haltung die traumatischen Erfahrungen in der NS-Zeit mit dem Namen Herzfeld standen.

Zum anderen bot sich eine "neutrale" Plattform, nachdem ich seinen ersten Entwurf zur Familiengeschichte, die jüdischen Vorfahren betreffend, gelesen hatte, die nicht bewältigte Vergangenheit der Scheidung meiner Eltern aufzuarbeiten.

 

Wenn ich resümiere, was die Beschäftigung mit dieser Materie für mich persönlich brachte, danach wird ja heute immer wieder gefragt, so will ich das mit Hilfe einiger Reflexionen, die ich beim Besuch Freiburgs am Ostersonntag 1995 anstellte:

Von Badenweiler nach Freiburg einen kurzen Abstecher zum Besuch des Ostergottesdienstes im Münster.  Trübe Erinnerungen, das regnerische Wetter scheint sie zu unterstreichen, im Zusammenhang mit meinen Wanderjahren - an anderer Stelle darüber mehr. - Die Stadt steht in Beziehung und verbindet mich mit zwei, drei Personen, die hier wirkten. Zum einem mit Friedrich Meinecke, dessen "Weltbürgertum und Nationalstaat" zum Standardwerk des Historismus wurde; zum anderen mit Hans Herzfeld, der bei Meinecke studierte, nach dem Krieg kurze Zeit den Lehrstuhl für neuere Geschichte in Freiburg inne hatte, bis er Meineckes Nachfolger an der Freien Universität in Berlin wurde. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war in den wenigen Unterhaltungen, die mir mit Hans vergönnt waren, bei Aufgeschlossenheit wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Ansätzen gegenüber, die Verwurzelung im Denken seines Lehrers spürbar.

Lesenswert sind in diesem Zusammenhang auch seine Lebenserinnerungen, in denen er ausführlich auf seine Freiburger Studienzeit und die Vorlesungen und Übungen bei Meinecke eingeht. Demgegenüber und im Gegensatz dazu - Franz Rosenzweig, der ebenfalls bei Meinecke studiert hatte, über Hegel promovierte und im Erleben des I. Weltkrieges zum Kritiker an Hegels Totalitätsdenken und damit zum Gegner der politischen Geschichte wurde. Hans Herzfeld für mich ein Repräsentant unserer Familie, von seiner Herkunft ein Vertreter des assimilierten Judentums und des liberal-konservativen, bismarckisch-machtstaatlich geprägten Bürgertums. Ein Bürgertum unabhängig, ob aus dem Juden- oder Christentum stammend, als Kind der Säkularisation seine religiösen Wurzeln verleugnend, ein Bürgertum dem Franz Rosenzweig ebenfalls verbunden war, der aber letzten Endes im Zusammenhang mit dem I. Weltkrieg die Brüchigkeit dieser Weltanschauung erlebend, die gegenseitige Zerfleischung der Völker im I. Weltkrieg als logische Folge des philosophischen Totalitätssystems Hegelscher Provenienz erkennend, nun in sein philosophisches System wieder religiöse Grundkategorien einbezieht.

Bereits im Jahre 1910 jedoch bestimmte Rosenzweig die "Religion im Sinne des 20. Jahrhunderts" durch den Gegensatz zur Geschichte. Daraus ist in erster Linie zu entnehmen, daß die "Religion im Sinne des 19. Jahrhunderts" in Rosenzweigs Augen offenbar gerade der Glaube an die Geschichte als Theodizee war. Wer die Urteile des Geschichtsverlaufs  als letzte Kriterien für jegliches Werturteil nimmt, verzichtet nämlich auf die Transzendenz der Ethik und vergisst, daß die Geschichte selbst einem Werturteil unterliegen kann und soll. "Religion im Sinne des 20. Jahrhunderts" ist demnach als persönliche Beziehung des Menschen zu Gott zu verstehen, als Forderung des Menschen nach seiner unersetzlichen Verantwortlichkeit, jenseits der Logik, die ihn angeblich zu einer bloßen Schachfigur auf dem anonymen Spielfeld der Geschichte macht. Hier zeigt sich bereits die Kritik an der Geschichtsauffassung Hegels.

An dieser Stelle führt mein Rückweg zu einem religiös fundierten Judentum nicht über die väterlichen Vorfahren jüdischer Herkunft, den assimilierten Herzfelds, die in  der neuheidnisch deutschen bürgerlichen Kultur (als deren Repräsentant Goethe angesehen werden kann) aufgehen, sondern über die katholische Großmutter und Mutter bäuerlich-kleinbürgerlicher Herkunft. - Sicherlich hat eine gewisse Distanz zur protestantisch-innerweltlichen Gesellschaft ("säkularisiertes Luthertum") bei mir dazu geführt, den Geschichtsprozess unter ethischen Gesichtspunkten und die religiöse Dimension als eigenständige neben der innerweltlich-historischen zu betrachten. Ironischerweise (oder handelt es sich um eine Dialektik der Geschichte ?) verbindet mich nun meine katholische Mutter od. die Großmutter mit dem Judentum, in dem ich meine ethischen Grundauffassungen wieder entdecke, und das Judentum Franz Rosenzweigs mit dem Christentum, in dem der katholische Ritus des Ostergottesdienstes , die kollektive Form des religiösen Lebens, für mich zum "sozialen Zeichen" wird, das sich auf eine ideale Realität bezieht, "die noch nicht existiert und wovon sie selbst nur " Annäherung, Antizipation ist." Die religiöse Gemeinschaft verkörpert schon heute, jedoch in begrenzter, besonderer Form, die utopische Realität einer versöhnten Welt." Ausdruck und Vergegenwärtigung der Erlösungstat und der erlösten Welt (Ostern) vollzieht sich in und durch die Gemeinde, die in der communio den auferstandenen Herrn als Erstling einer erlösten Menschheit feiert. Also - ebenfalls nicht ohne Ironie - Reidentifikation mit dem Katholizismus durch den Juden Rosenzweig.

Aber auch an dieser Stelle möchte ich "meine" im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Geschichte der konvertierten und säkularisierten Herzfeld-Familie gemachten Entdeckung "Emanuelle Lévinas" nicht unerwähnt lassen, der die Gedanken Rosenzweigs weiterführend schreibt: "Das Ich ist derjenige, der vor jeder Entscheidung schon erwählt ist, die ganze Verantwortung der Welt zu tragen. Der Messianismus ist eben dieser Gipfel des Seins - die Umkehrung des Seins, das "in seinem Sein beharrt" -, der in mir seinen Ausgang nimmt." Hier berührt sich, um zur Osterliturgie zurückzukehren, jüdisches mit christlichem Denken, zugleich wird die Differenz sichtbar. Nur ist die Differenz nicht allzu groß, nehmen wir den Namen Christen (Christos = der Gesalbte = Messias) ernst.

Diese Gedanken zwischen abgenagten Lammknochen, einem halbleeren Campariglas, Wein und Brotkrumen zu Papier gebracht, fanden beim sich anschließenden Spaziergang durch die inzwischen sonnenbeschienenen Straßen Freiburgs in der Schaufensterauslage eines Buchladens ihre Entsprechung: Franz Rosenzweigs "Stern der Erlösung" präsentierte sich mir, es war wohl die gleiche Stelle, wo ich vor gut sechs Jahren in der Auslage "Totalität und Unendlichkeit" von Levinas gefunden hatte. So war beim weiteren Rundgang ein Blick auf die Universität , wo auch Husserl, Heidegger und Jaspers gewirkt hatten, unverzichtbar.

 

Epilogue

 

 

 

 

 

 

Now I come to the reason for this exercise. It is not a sociology of the family (the Herzfeld family), nor unreservedly the notion that "blood is thicker than water", which was stated by my namesake Wolfgang Herzfeld (1859-1941), who died the year I was born and with whom I share the interest in family history.

Apart from a general interest in history there were also quite subjective factors which led me to an intensive preoccupation with the Herzfeld family. One factor may be the unconscious reappraisal of the divorce of my parents. The interest was initially only dormant, but was preserved and strengthened by my interest in an unknown father living in the U.S.A, whom I was only aware of briefly seeing for the first time as a thirteen-year old.

In the discussion of my father as a person and of his philosophy of life, two motivating themes should come together, both concerned with Jewishness: On the one hand, it was incomprehensible for me that someone, who, even if he only had one Jewish grandparent, should attempt to ignore the fact, tended, at least verbally, to an antisemitic attitude and had an obvious tendency to "germanize" the Jewish ancestors in his family history. It could of course be that behind this attitude were the traumatic experiences during the Nazi period for someone with the name Herzfeld.

On the other hand, after I had read the first draft of his family history concerning our Jewish ancestors, a "neutral" standpoint was evident whereby I could reappraise the past divorce of my parents, with which I had not yet come to terms.

If I have to sum up what my involvement with this subject has done for me personally, as I am repeatedly asked, then I wish to do this with the help of some reflections which I made during a visit to Freiburg on Easter Sunday 1995:

From Badenweiler to Freiburg, a short trip to attend the Easter Service in the cathedral. Gloomy memories - the rainy weather seems to emphasize them - in connection with my years of travel – more about this later. The city has a relationship to me and connects me with two, three people who worked here. One was Friedrich Meinecke, whose "World Bourgeoisie and the Nation State" became the standard work of historicism; another was Hans Herzfeld, who studied under Meinecke and had the chair in Contemporary History at Freiburg for a short time after the war before he succeeded Meinecke at Berlin’s Free University. If my memory does not deceive me, in the few conversations with Hans that were granted me, the influence of his teacher’s thoughts were noticeable regarding the openness in accepting different approaches to economic and social history.

In this context, it is worth reading his memoirs, in which he covers in detail his Freiburg academic life, lectures and seminars with Meinecke. In contrast to this there is Franz Rosenzweig, who likewise studied with Meinecke, attained a doctorate on Hegel and in experiencing WW1 became a critic of Hegel’s all-inclusive thinking and with this, an opponent of political history. Hans Herzfeld is for me representative of our family: by origin he is a representative of assimilated Jewry and of the liberal-conservative middle class shaped by bismarckian state-power.

Now an independent middle class again includes religious basic categories in its philosophical system. Whether it originated from Jewry or Christianity, as a child of secularization it denied its religious roots, it was a middle class to which Franz Rosenzweig was connected; it finally experienced the brittleness of its world view with WW1, recognizing the reciprocal tearing apart of peoples in WW1 as a logical consequence of a Hegelian philosophical total system.

Already in 1910 Rosenzweig defined "Religion in the 20th Century sense" through its contrast to history. From this the main thing to be inferred is that in Rosenzweig’s eyes " Religion in the 19th Century sense" was obviously a belief in history as theodicy. Whoever takes the judgements of the historical process as the final criteria for any value judgement, ignoring the transcendence of ethics, forgets that history itself can and should be subject to a value judgement. "Religion in the 20th Century sense" is therefore to be understood as the personal relationship of Man with God, as a demand on Man to assume his indispensable responsibility, beyond the logic which apparently makes him a mere pawn on the anonymous playing field of history. Here the criticism of Hegel’s historical view is evident.

At this point, my way back leads to a religiously founded Jewishness - not through my paternal ancestors of Jewish origin, the assimilated Herzfelds, who merge with German neopagan middle class culture (Goethe can be regarded as their representative figure) - but through my catholic grandmother and mother of rural petit-bourgeois origin. I am sure that a certain distance from Protestant, inner-world society ("secularized Lutherdom") led me to regard the historical process under ethical criteria and see the religious dimension as independent beside the inner-world historical dimension. Ironically (or is it a dialectic of history?) now my catholic mother/ grandmother connect me to Jewishness: by this I mean that I again discover my ethical basic principles, and Franz Rosenzweig’s Jewishness connects to Christianity, in that the Catholic rite of the Easter Mass, the collective form of religious life, becomes a "social sign" for me, it refers to an ideal reality "that does not yet exist and about which it is but an approximation, an anticipation. "The religious community today embodies, albeit in limited, special form, the utopian reality of a reconciled world". Expression and imagination of the act of redemption and of the redeemed world (Easter) takes place in and through the parish, which in communion celebrates the risen Lord as the first of a redeemed mankind. Thus - likewise not without irony - reidentification with Catholicism occurs through the Jew Rosenzweig.

But here I would also not like to leave unmentioned "my" Emanuelle Lévinas, whom I discovered in connection with my reappraisal of the history of the converted and secularized Herzfeld family. He writes, following on from Rosenzweig’s thoughts: "The Self is that, which is already chosen before each decision to carry the whole responsibility of the world. Messianism is this summit of Being - the reversal of Being, which "persists in its Being", which takes its outcome in me". Here, returning to the Easter liturgy, Jewish and Christian thinking come together and at the same time their difference becomes visible. But the difference is not all that large, let us take the name Christian (Christos = the Lord’s Anointed = Messiah) seriously.

Between gnawed lamb chops, a half-empty Campari glass, wine and bread crumbs dropped on paper, followed by a walk through the now sunlit streets of Freiburg, these thoughts found correspondence in a bookshop window: Franz Rosenzweig’s "Star of Redemption" was on display, it could well have been the same place where I had seen "Totality and Infinity" by Levinas a good six years before. So on resuming my walk I could not miss taking a look at the university, where Husserl, Heidegger and Jaspers had also worked.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1 Jacob Jacobson (Hrsg.), Jüdische Trauungen in Berlin 1759-1813, Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 28, Quellenwerke Bd. 4, Berlin 1968, Einleitung S. XXX.

2 Ebd.

3 Vgl. Franz Schneider, Mitglied der Hetzfelder Flösserzunft, Heidingsfeld ein altfränkisches Städtebild. Heidingsfeld 1908, Nachdruck 1979, S. 3.

4 Vgl. dazu: M. Braun, Die Abstammung und der Name Ferdinand Lassalles, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 62. Jahrgang, NF 26. Jahrgang, Breslau 1918, S. 270-274. - Ein weiterer Beleg, daß der Name Herzfeld von Heidingsfeld abgeleitet wurde, findet sich bei Bernhard Wachstein, Die Inschriften des alten Judenfriedhofs in Wien, 2. Teil: 1696-1783, Wien und Leipzig 1917, S. 419: ‘Wolfgang (Simeon Wolf). Er starb als Produktenhändler, 36 Jahre alt, am 18. Oktober 1814, seine Frau Franziska (Freidel) T. mhrr Lazar Herzfeld, 43 Jahre alt, am 4. Dezember 1818.’ Anm. 1: ‘Zu Lazar Herzfeld ... er stammt aus Heidingsfeld, lebte in Pirnitz Mähren, hierauf in Wien. Das von ihm begründete Handlungshaus wurde von seinem Enkel Bernhard Wertheim ... unter den Namen ‘Lazar Herzfelders Enkel’ fortgeführt.

5 Bei Angehörigen des Stammes Levi findet sich die Bezeichnung SeGal (zum Stamme Levi gehörig), auf den Grabsteinen der Henkelkrug bald auf - bald neben der Schüssel plaziert. Bei den Kohanim, der Priesterkaste, die ebenfalls dem stamme Levi entnommen wurde, lautet die Abkürzung K./Z., woraus die Namen Katz, Cohn u.a. resultieren; die Grabsteine sind mit segnenden Händen verziert.

6 Levi heißt übersetzt ‘meines Herzens’. Nach Gerhard Kessler (Die Familienamen der Juden in Deutschland, Leipzig 1935) ist aus dem Väternamen Herz der künstliche Ortsname Herzfeld geworden.

7 Neben den bereits oben genannten sind das: Schönchen Herzfeld (Wwe. des Samuel David), Bela Bamberg geb. Herzfeld, Sara Herzfeld und Israel Heutzfeld in Glogau (seine Familie und deren Nachkommen sind nach 1820 in Breslau ansässig und nennen sich ebenfalls Herzfeld), Judith Herzfeld in Breslau, in Zborowsky den Isai Moses Herzfeld  und in Nicolai den Baruch Herzfeld, alle bis auf Schönchen sind also in Schlesien ansässig. Im Fürstentum Halberstadt Ruben Herzfeld (Ellrich), schließlich in der Provinz Posen der Lehrer Moses Herzfeld in Samter, in Buk der Kaufmann Samuel Herzfeld und in Pudewitz ein Rabbiner H. Samuel Herzfeld. Für Posen liegen uns allerdings die Verzeichnisse erst aus dem Jahre 1834 vor.

 

 

 

1 Der König der Chasaren Butan trat im Jahre 740 zum Judentum über.

 2 Slomo Netzer, Wanderung der Juden und Neuansiedlung in Osteuropa, in: Michael Brocke (Hrsg.), Beter und    Rebellen, Aus 1000 Jahren Judentum in Polen, Frankfurt/M. 1983, S. 36.

 3 Shlomo Netzer, a.a.O./, S. 37.

 4 Ebd., S. 40.

 5 Shlomo Netzer, a.a.O., S. 44.

 6 Heinrich Graetz, Volkstümliche Geschichte der Juden, Bd. 3, 10. Auflage, Berlin 1922, S. 293.

 7 Michael Riff, Das osteuropäische Judentum, in: Franz Bautz (Hrsg.), Geschichte der Juden. Von der biblischen Zeit bis zur Gegenwart, München 1983, S. 116.

 8 Shlomo Netzer, a.a.O., S. 46f.

 9 F.W.F. Schmitt, der Kreis Flatow. In seinen gesammten Beziehungen, Thorn 1867, S. 122.

10 Brenckenhoff an den Minister v. Hertzberg (17. Sept. 1772), zitiert nach : Max Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Erster Teil - Darstellung, Leipzig 1909, S. 36.

11 Otto Goerke, Der Kreis Flatow, Flatow 1918, S. 92f.

12 Selma Stern, Der Preußische Staat und die Juden. Dritter Teil: Die Zeit Friedrich des Großen. Erste Abtlg. Darstellung, Tübingen 1971, S. 73.

13 Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O., S. XXVI.

14 Max Bär, a.a.O., S. 420f.

15 Max Bär, a.a.O., S. 426.

16 Ebd., S. 429.

17 Ebd., S. 430.

 

 

 

 

 

 

1 A. Blanke, Aus Schlochaus vergangenen Tagen, 2. Aufl., Schlochau 1926, S.94. Vgl. Auch S. 27 u. S. 80f.

2 A. Blanke, a.a.O., S. 80f.

3 A. Blanke, a.a.O., S. 90.

4 Die Briefzitate stammen aus: Moses Mendelssohn, Brautbriefe, mit e. Einf., von Ismar Elbogen, Königstein/Ts. 1985.

 

5 Ebd

6 Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften, Nachdruck der Ausgabe von 1863 in 7 Bdn., Hildesheim 1972, Bd. i, S. 95f.)

7 Die Personenstandsdaten sind entnommen: Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen in Berlin - 1759-1813 -, Veröffentlichungen der Historischen Kommission (zu Berlin, Bd. 28, Berlin 1968, Nr. 206).

Der nachfolgende Text stammt aus: Karl Friedrich Klöden, Von Berlin nach Berlin, Erinnerungen 1786-1824, Berlin 1976, S. 436 ff.

 

 8 Aus dieser Ehe ging Wilhelm Caspari (geb. 28. 8. 1808, gest. 26. 6. 1866) hervor, von Beruf Indigohändler; er war ebenfalls mit einer Goldschmidt (Ernestine) verheiratet.

 9 Schönchen = Jeanette, Fr. D. Ruben Goldschmidt, T. d. Koppel Herzfeld aus Amsterdam, im Wochenbett gest. 17. 2. 1806. Sie war eine Nichte des Samuel David Herzfeld in Berlin. Ihre Kinder aus der ehe mit Ruben Goldschmidt wurden Christen: 1. Car, ursprünglich Jacob, geb. B. 3. 12. 1792 (T. 1. 8. 1825 = Carl Wilhelm G.), 2. Eduard, ursprünglich Samuel, geb. B. 27. 1. 1794 (T. 28. 9. 1823 = Friedrich Eduard G.); 3. Louis, ursprünglich Levin, geb. B. 22. 3. 1800 (T. 18. 5. 1829 = Heinrich Ludwig G.); Ferdinand, ursprünglich Benone, geb. Berlin 17. 2. 1806 (T. 6. 1. 1826 = Robert Ferdinand G.); weiterhin ist noch eine Tochter, Caroline (geb. 9. 2. 1796) zu erwähnen. Vgl. Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O.;: Nr. 612, u. Anm. Zu Nr. 612.

10 Jacob Koppel David Heizfeld = Jacob Herzfeld aus Amsterdam, gest. Vor 1789.

11 Sanwil Bamberg = der rabbinisch gelehrte Sanwil Herzfeld, Vorsteher des Talmud-Thora-Institutes und des Beth hamidrasch = Samuel David Hertzfeld, Ord. 238, geb. Heidingsfeld (Herzfeld) im Würzburgischen ca. 1733, Konz. 1. 8. 1764, gest. B. 28. 6. 1790. Samuel David war verheiratet mit Süssche, Tochter des Moses Bamberg ( 13. 4. 1765). Süschen, geb. Ca. 1744 in Berlin, starb dort am 23. 2. 1815. Samuel David hatte also den Namen seines Schwiegervaters übernommen.

12  Georg Hermann (eigentlich Georg Hermann Borchardt, am 7. Okt. 1871 in Berlin geboren, emigrierte 1933 nach Holland, wurde am 19. Nov. 1943 in Auschwitz ermordet.

13 Vgl. Das Kapitel  „Synagoge“ das der Familie Josephson gewidmet ist.

14 An dieser Stelle muß das Haus Burgstrasse 28 (vorh. 27),  von dem aus man einen Blick auf das Berliner Schloß hatte,   und das in der Nähe der Börse gelegen war, erwähnt werden.   Im Jahre 1853 hatte es einem Wilhelm Salomon Sobernheim  gehört. Dessen Vater war Dr.med. Salomon Sobernheim in Posen, der in Deutschland erste Versuche mit der Pockenschutz-Impfung machte, und ein Enkel des Wilh. Sal. Sobernheim war der HNO-Arzt Dr. Wilhelm Sobernheim, der 1939 Selbstmord beging. Im  Keller seines Hauses fand man Bilder der Vorfahren u.a. des  Jettchens Gebert, real Johanne Goldschmidt. Das Haus kam im Erbgang an die Kinder eines Joseph Herz feld, der nach 1848 steckbrieflich wegen revolutionärer Umtriebe gesucht, deshalb in die U.S.A., emigrierte (im Hause seines Vaters Jonas Herzfeld, der auch einige Jahre, um 1815, in dem kleinen Ort Büttgen b. Neuß, wo meine Frau Ruth fast zwanzig Jahre gewohnt hatte, lebte, verkehrte auch Ferdinand Lassalle, dessen Mutter Rosalie Herzfeld, Tochter des Abraham, aus Glogau war), an den  Dr. phil. Georg Herzfeld, den Magistratsassessor Dr. Gustav   Herzfeld (Wildpark b. Potsdam), Frau Marie (gen. Mamy)     Vohsen, geb. Herzfeld und Frau Rosa (gen. Leonart} von den Steinen, geb. Herzfeld (Steglitz). Der genannte Gustav Herzfeld wurde als getaufter Jude im K.Z. Theresienstadt umgebracht. Zur Verwandtschaft dieser Herzfelds (vgl. Stammbaum) gehörten auch Wieland Herzfelde und  John Heartfield (= Helmut Herzfeld).

Rosa Eleonore von der Steinen geb. Herzfeld war mit dem Baseler Schriftsteller von den Steinen verheiratet. Als Jüdin konnte sie dem Transport in ein Vernichtungslager 1940 entgehen, weil sie in Freiburg in einem von den Gengenbachern Franziskannerinnen  geleitet Altersheim lebte. Sie war 1867 in Düsseldorf geboren und starb im Dezember 1944 in Basel, wohin sie nach dem Angriff auf Freiburg (27. November 1944) gebracht werden konnte.

    Vgl. zu diesem Zweig der Familie Herzfeld im Einzelnen: Hans Seelig, Jonas Herzfeld (1793-1880) und Nachfahren in Wirtschaft, Kunst und Politik in: Neusser Jahrbuch für Kunst, Kulturgeschichte und Heimatkunde, Neuss 1987, S. 12 ff.     Stefan Rohrbacher, Aus der Familienchronik des Albert     Herzfeld, in: Neusser Jahrbuch, Neuss 1988, S. 58 ff.     Hugo Weidenhaupt (Hrsg.), Ein nichtarischer Deutscher, Die Tagebücher des Albert Herzfeld 1935-1939, Düsseldorf 1982.

Brief von Leonore Mannchen, Tochter des vorg., Albert Herzfeld, an den Verfasser (13,1.19911.

 

 

15 Vgl. Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O., Nr. 621.

16 DZA, Abteilung Merseburg, (inzwischen wider GstA Berlin), Gen.-Direct. Westpreußen u. Netzedistrikt, Mat., Tit. LIVII, Sect. 1. No. 2. , Blatt 79.

17

18 Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens, Entstehung u. Geschichte, Stuttg., Berlin, Köln, Mainz 1972, S. 105, Fußnote 10. Ortsakten Hundsfeld vol. 6.

19 Vgl.. „Verzeichnis sämmtlicher in der Provinz Schlesien - Breslauer Regierungsdepartment befindlichen jüdischen Staatsbürger, Nr. 2436.

20 Vgl. Selma Stern, Der preussische Staat und die Juden, Dritter Teil, 2. Akten, 2. Halbband, S. 1205ff.

21 In der Staatsbürgerliste der Provinz Posen findet sich folgende Schreibweise: Schlochow (Munk); die Klammern würden wir heute wohl durch einen Bindestrich ersetzen.

22 Auf dem jüdischen Friedhof in Halle/S. befindet sich das Grab einer Klara Friedländer geb. Herzfeld.

23 Sara Heitzfeld (geb. 3. 5. 1772) könnte eine Tochter des Abraham Joachim Heitzfeld (Herzfeld), geb. 29. 12. 1749, sein, obwohl das Datum der Eheschließung zwischen Abraham und Freide Castriel (geb. 24. 2. 1753 in Glogau) dagegen zu sprechen scheint, aber die Umrechnung in den christlichen Kalender bereitete oft Schwierigkeiten. – Ebenso Bela Heitzfeld (Herzfeld), geb. 20. 2. 1783, gest. 2. 7. 1829, die mit Michael Samuel Bamberger geb. 10. 9. 1781) verheiratet war. (Kinder: Heimann, geb. 4. 6. 1804; Jette, geb. 28. 9. 1805; Adolph, geb. 15. 9. 1807 und Jacob, geb. 1. 9. 1810.) Im Jahre 1812 lebten im Hausstand des Abraham noch die Töchter Philippine (geb. 12. 6. 1794) und Rosalie (geb. 1. 1. 1796), die Mutter Ferdinand Lassalles. Ein Sohn Bertriel, gest. 1830, liegt auf dem Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin begraben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 



1 Jacob Jacobson (Hrsg.) Jüdische Trauungen in Berlin 1759-1813, Veröffentlichungen der Historischen

2 Ebd.

3 Vgl. Franz Schneider, Mitglied der Hetzfelder Flösserzunft, Heidingsfeld ein altfränkisches Städtebild. Heidingsfeld 1908, Nachdruck 1979, S. 3.

4 Vgl. dazu: M. Braun, Die Abstammung und der Name Ferdinand Lassalles, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 62. Jahrgang, NF 26. Jahrgang, Breslau 1918, S. 270-274. - Ein weiter beleg, daß der Name Herzfeld von Heidingsfeld abgeleitet wurde, findet sich bei Bernhard Wachstein, Die Inschriften des alten Judenfriedhofs in Wien, 2. Teil: 1696-1783, Wien und Leipzig 1917, S. 419: ‘Wolfgang (Simeon Wolf). Er starb als Produktenhändler, 36 Jahre alt, am 18. Oktober 1814, seine Frau Franziska (Freidel) T. mhrr Lazar Herzfeld, 43 Jahre alt, am 4. Dezember 1818.’ Anm. 1: ‘Zu Lazar Herzfeld ... er stammt aus Heidingsfeld, lebte in Pirnitz Mähren, hierauf in Wien. Das von ihm begründete Handlungshaus wurde von seinem Enkel Bernhard Wertheim ... unter den Namen ‘Lazar Herzfelders Enkel’ fortgeführt.

5 Bei Angehörigen des Stammes Levi findet sich die Bezeichnung SeGal (zum Stamme Levi gehörig), auf den Grabsteinen der Henkelkrug bald auf - bald neben der Schüssel plaziert. Bei den Kohanim, der Priesterkaste, die ebenfalls dem stamme Levi entnommen wurde, lautet die Abkürzung K./Z., woraus die Namen Katz, Cohn u.a. resultieren; die Grabsteine sind mit segnenden Händen verziert.

6 Levi heißt übersetzt ‘meines Herzens’. Nach Gerhard Kessler (Die Familienamen der Juden in Deutschland, Leipzig 1935) ist aus dem Väternamen Herz der künstliche Ortsname Herzfeld geworden.

7 Neben den bereits oben genannten sind das: Schönchen Herzfeld (Wwe. Des Samuel David), Bela Bamberg geb. Herzfeld, Sara Herzfeld und Israel Heutzfeld in Glogau (seine Familie und deren nachkommen sind nach 1820 in Breslau ansässig und nennen sich ebenfalls Herzfeld), Judith Herzfeld in Breslau, in Zborowsky den Isai Moses Herzfeld  und in Nicolai den Baruch Herzfeld, alle bis auf Schönchen sind also in Schlesien ansässig. Im Fürstentum Halberstadt Ruben Herzfeld (Ellrich), schließlich in der Provinz Posen der Lehrer Moses Herzfeld in Samter, in Buk der Kaufmann Samuel Herzfeld und in Pudewitz ein Rabbiner H. Samuel Herzfeld. Für Posen liegen uns allerdings die Verzeichnisse erst aus dem Jahre 1834 vor.

 2 Shlomo Netzer, Wanderung der Juden und Neuansiedlung in Osteuropa, in: Michael Brocke (Hrsg.), Beter und   Rebellen, Aus 1000 Jahren Judentum in Polen, Frankfurt/M. 1983, S. 36.

 3 Shlomo Netzer, a.a.O./, S. 37.

 4 Ebd., S. 40.

 5 Shlomo Netzer, a.a.O., S. 44.

 6 Heinrich Graetz, Volkstümliche Geschichte der Juden, Bd. 3, 10. Auflage, Berlin 1922, S. 293.

 7 Michael Riff, Das osteuropäische Judentum, in: Franz Bautz (Hrsg.), Geschichte der Juden. Von der biblischen Zeit bis zur Gegenwart, München 1983, S. 116.

 8 Shlomo Netzer, a.a.O., S. 46f.

 9 F.W.F. Schmitt, der Kreis Flatow. In seinen gesammten Beziehungen, Thorn 1867, S. 122.

10 Brenckenhoff an den Minister v. Hertzberg (17. Sept. 1772), zitiert nach : Max Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Erster Teil - Darstellung, Leipzig 1909, S. 36.

11 Otto Goerke, Der Kreis Flatow, Flatow 1918, S. 92f.

12 Selma Stern, Der Preußische Staat und die Juden. Dritter Teil: Die Zeit Friedrich des Großen. Erste Abtlg. Darstellung, Tübingen 1971, S. 73.

13 Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O., S. XXVI.

14 Max Bär, a.a.O., S. 420f.

15 Max Bär, a.a.O., S. 426.

16 Ebd., S. 426.

17 Ebd., S. 429.

18  Ebd., S. 430

19  August Carl Holsche, Der Netzedistrikt. Ein Beytrag zur Länder- und Völkerkunde mit statistischen Nachrichten, Königsberg 1793, S. 60f.

1 A. Blanke, Aus Schlochaus vergangenen Tagen, 2. Aufl., Schlochau 1926, S.94. Vgl. Auch S. 27 u. S. 80f.

2 A. Blanke, a.a.O., S. 80f.

3 A. Blanke, a.a.O., S. 90.

4 Die Briefzitate stammen aus: Moses Mendelssohn, Brautbriefe, mit e. Einf., von Ismar Elbogen, Königstein/Ts. 1985.

 

5 Ebd

6 Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften, Nachdruck der Ausgabe von 1863 in 7 Bdn., Hildesheim 1972, Bd. i, S. 95f.)

7 Die Personenstandsdaten sind entnommen: Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen in Berlin - 1759-1813 -, Veröffentlichungen der Historischen Kommission (zu Berlin, Bd. 28, Berlin 1968, Nr. 206).

Der nachfolgende Text stammt aus: Karl Friedrich Klöden, Von Berlin nach Berlin, Erinnerungen 1786-1824, Berlin 1976, S. 436 ff.

 

 8 Aus dieser Ehe ging Wilhelm Caspari (geb. 28. 8. 1808, gest. 26. 6. 1866) hervor, von Beruf Indigohändler; er war ebenfalls mit einer Goldschmidt (Ernestine) verheiratet.

 9 Schönchen = Jeanette, Fr. D. Ruben Goldschmidt, T. d. Koppel Herzfeld aus Amsterdam, im Wochenbett gest. 17. 2. 1806. Sie war eine Nichte des Samuel David Herzfeld in Berlin. Ihre Kinder aus der ehe mit Ruben Goldschmidt wurden Christen: 1. Car, ursprünglich Jacob, geb. B. 3. 12. 1792 (T. 1. 8. 1825 = Carl Wilhelm G.), 2. Eduard, ursprünglich Samuel, geb. B. 27. 1. 1794 (T. 28. 9. 1823 = Friedrich Eduard G.); 3. Louis, ursprünglich Levin, geb. B. 22. 3. 1800 (T. 18. 5. 1829 = Heinrich Ludwig G.); Ferdinand, ursprünglich Benone, geb. Berlin 17. 2. 1806 (T. 6. 1. 1826 = Robert Ferdinand G.); weiterhin ist noch eine Tochter, Caroline (geb. 9. 2. 1796) zu erwähnen. Vgl. Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O.;: Nr. 612, u. Anm. Zu Nr. 612.

10 Jacob Koppel David Heizfeld = Jacob Herzfeld aus Amsterdam, gest. Vor 1789.

11 Sanwil Bamberg = der rabbinisch gelehrte Sanwil Herzfeld, Vorsteher des Talmud-Thora-Institutes und des Beth hamidrasch = Samuel David Hertzfeld, Ord. 238, geb. Heidingsfeld (Herzfeld) im Würzburgischen ca. 1733, Konz. 1. 8. 1764, gest. B. 28. 6. 1790. Samuel David war verheiratet mit Süssche, Tochter des Moses Bamberg ( 13. 4. 1765). Süschen, geb. Ca. 1744 in Berlin, starb dort am 23. 2. 1815. Samuel David hatte also den Namen seines Schwiegervaters übernommen.

12  Georg Hermann (eigentlich Georg Hermann Borchardt, am 7. Okt. 1871 in Berlin geboren, emigrierte 1933 nach Holland, wurde am 19. Nov. 1943 in Auschwitz ermordet.

13 Vgl. Das Kapitel  „Synagoge“ das der Familie Josephson gewidmet ist.

14 An dieser Stelle muß das Haus Burgstrasse 28 (vorh. 27),  von dem aus man einen Blick auf das Berliner Schloß hatte,   und das in der Nähe der Börse gelegen war, erwähnt werden.   Im Jahre 1853 hatte es einem Wilhelm Salomon Sobernheim  gehört. Dessen Vater war Dr.med. Salomon Sobernheim in Posen, der in Deutschland erste Versuche mit der Pockenschutz-Impfung machte, und ein Enkel des Wilh. Sal. Sobernheim war der HNO-Arzt Dr. Wilhelm Sobernheim, der 1939 Selbstmord beging. Im  Keller seines Hauses fand man Bilder der Vorfahren u.a. des  Jettchens Gebert, real Johanne Goldschmidt. Das Haus kam im Erbgang an die Kinder eines Joseph Herz feld, der nach 1848 steckbrieflich wegen revolutionärer Umtriebe gesucht, deshalb in die U.S.A., emigrierte (im Hause seines Vaters Jonas Herzfeld, der auch einige Jahre, um 1815, in dem kleinen Ort Büttgen b. Neuß, wo meine Frau Ruth fast zwanzig Jahre gewohnt hatte, lebte, verkehrte auch Ferdinand Lassalle, dessen Mutter Rosalie Herzfeld, Tochter des Abraham, aus Glogau war), an den  Dr. phil. Georg Herzfeld, den Magistratsassessor Dr. Gustav   Herzfeld (Wildpark b. Potsdam), Frau Marie (gen. Mamy)     Vohsen, geb. Herzfeld und Frau Rosa (gen. Leonart} von den Steinen, geb. Herzfeld (Steglitz). Der genannte Gustav Herzfeld wurde als getaufter Jude im K.Z. Theresienstadt umgebracht. Zur Verwandtschaft dieser Herzfelds (vgl. Stammbaum) gehörten auch Wieland Herzfelde und  John Heartfield (= Helmut Herzfeld).

Rosa Eleonore von der Steinen geb. Herzfeld war mit dem Baseler Schriftsteller von den Steinen verheiratet. Als Jüdin konnte sie dem Transport in ein Vernichtungslager 1940 entgehen, weil sie in Freiburg in einem von den Gengenbachern Franziskannerinnen  geleitet Altersheim lebte. Sie war 1867 in Düsseldorf geboren und starb im Dezember 1944 in Basel, wohin sie nach dem Angriff auf Freiburg (27. November 1944) gebracht werden konnte.

    Vgl. zu diesem Zweig der Familie Herzfeld im Einzelnen: Hans Seelig, Jonas Herzfeld (1793-1880) und Nachfahren in Wirtschaft, Kunst und Politik in: Neusser Jahrbuch für Kunst, Kulturgeschichte und Heimatkunde, Neuss 1987, S. 12 ff.     Stefan Rohrbacher, Aus der Familienchronik des Albert     Herzfeld, in: Neusser Jahrbuch, Neuss 1988, S. 58 ff. Hugo Weidenhaupt (Hrsg.), Ein nichtarischer Deutscher, Die Tagebücher des Albert Herzfeld 1935-1939, Düsseldorf 1982.

Brief von Leonore Mannchen, Tochter des vorg., Albert Herzfeld, an den Verfasser (13. 1.1991).

 

 

15 Vgl. Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O., Nr. 621.

16 DZA, Abteilung Merseburg, (inzwischen wider GstA Berlin), Gen.-Direct. Westpreußen u. Netzedistrikt, Mat., Tit. LIVII, Sect. 1. No. 2. , Blatt 79.

17 Vgl.Isidor Hirschberg (Hrsg.), Verzeichnis sämtlicher naturalisierter Israeliten im Großherzogtum Posen, Bromberg 1836 (in Gsta Berlin).

18 Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens, Entstehung u. Geschichte, Stuttg., Berlin, Köln, Mainz 1972, S. 105, Fußnote 10. Ortsakten Hundsfeld vol. 6.

19 Vgl.. „Verzeichnis sämmtlicher in der Provinz Schlesien - Breslauer Regierungsdepartment befindlichen jüdischen Staatsbürger, Nr. 2436.

20 Vgl. Selma Stern, Der preussische Staat und die Juden, Dritter Teil, 2. Akten, 2. Halbband, S. 1205ff.

21 In der Staatsbürgerliste der Provinz Posen findet sich folgende Schreibweise: Schlochow (Munk); die Klammern würden wir heute wohl durch einen Bindestrich ersetzen.

22 Auf dem jüdischen Friedhof in Halle/S. befindet sich das Grab einer Klara Friedländer geb. Herzfeld.

23 Sara Heitzfeld (geb. 3. 5. 1772) könnte eine Tochter des Abraham Joachim Heitzfeld (Herzfeld), geb. 29. 12. 1749, sein, obwohl das Datum der Eheschließung zwischen Abraham und Freide Castriel (geb. 24. 2. 1753 in Glogau) dagegen zu sprechen scheint, aber die Umrechnung in den christlichen Kalender bereitete oft Schwierigkeiten. – Ebenso Bela Heitzfeld (Herzfeld), geb. 20. 2. 1783, gest. 2. 7. 1829, die mit Michael Samuel Bamberger geb. 10. 9. 1781) verheiratet war. (Kinder: Heimann, geb. 4. 6. 1804; Jette, geb. 28. 9. 1805; Adolph, geb. 15. 9. 1807 und Jacob, geb. 1. 9. 1810.) Im Jahre 1812 lebten im Hausstand des Abraham noch die Töchter Philippine (geb. 12. 6. 1794) und Rosalie (geb. 1. 1. 1796), die Mutter Ferdinand Lassalles. Ein Sohn Bertriel, gest. 1830, liegt auf dem Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin begraben.

 

1 Zur Stadtgeschichte vgl.: F.W.F. Schmidt, der Kreis Flatow, Thorn 1867, S. 245ff.

 

 

2Carl Holsche, Der Netzedistrikt. Ein Beytrag zur Länder- und Völkerkunde mit statitistischen Nachrichten, Königsberg 1793, S. 126f.

 

3 Otto Goerke, Der Kreis Flatow, Flatow 1918, S. 380ff.

4 GStA, Berlin, R 7 B Nr. 55.

 

5 Otto Goerke, a.a.O., S. 403.

6 GStA, Berlin, Gen.-Dir. Westpr. Mat., Tit LXVII, Sec. 2, Nr. 25. Tabelle von denen in den Städten ihres Brombergschen Cammer Departements befindlichen jüdischen Gründen und Häusern, pro Anno 1800, Flatow Nr. 43; vgl. die Anlage.

 

 7 Jüdisches Museum Frankfurt/Main, Nachlaß Brilling, Friedhofsverzeichnis Lissa.

 8 Vgl. GStA Berlin, Gen.-Dir. Westpr. U. Netzedistrikt, Tit. LIVII. Sect. 1 No. 2. Tabelle von den jüdischen Gründen und Häusern in den Städten des Netzedistrikts pro 1802..

9 Otto Goerke, a.a.O., S. 403.

10 E. Birnbaum und H. Vogelstein (Hrsg.), Festschrift zum 200 jährlichen Bestehen des israelitischen Krankenvereins und Vereins für Beerdigung Chewra Kaddischa zu Königsberg in Pr., Königsberg i. Pr.,  S. 4

 

1 Hans Plehn, Geschichte des Kreises Strasburg in Westpreußen, Leipzig 1900, S. 296

2 Hans Plehn, a.a.O., S. 219. Im Jahre 1772 waren es vier Schlachter, drei Handelsmänner, ein Krüger, drei Glaser, zwei Schneider , ein Schumacher, ein Einleger und ein Pächter.

3 Hans Plehn, a.a.O., S. 254.

4  Hans Plehn, a.a.O., S. 266.

5 Jacob Jacobson (Hrsg.), Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809-1851, Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission, Bd. 4, Quellenwerke Bd. 1, Berlin 1962, S. 441, Nr. 2372.

6 A. E. Holsche, Geographie und  Statistik von West- Süd- und Neuostpreußen, 1. Bd. Berlin 1800, S. 261f.

7 Salomon Maimons Lebensgeschichte. Von ihm selbst geschrieben und herausgegeben von Karl Philipp Moritz. Neu herausgegeben von Zwi Batscha. Frankfurt 1984, S. 13).

8 A.E. Holsche, ebd.

9 Selma Stern, Der preußische Staat und die Juden, 3. Teil, Die Zeit Friedrich des Großen, Erste Abtlg.: Darstellung, Tübingen 1971, S. 311.

10  Vgl. GStA Berlin, VIII, J 1, Bd. 16, Verzeichnis der auf den Grund eines Naturalisationspatents in Berlin wohnenden Judenfamilien, Nr. 100.

11  GStA Berlin, VIII HA, J 1, Bd. 52, 1850, Nr. 23.

12  Evangelisches Zentralarchiv, Berlin, Kirchenbuchstelle, Taubücher der Jerusalemer Kirchengemeinde, A 2008, S. 462, Nr. 231 (Raphael Herzfeld) u.a.; Brief der Frau v. Witzleben an an Ludwig Herzfeld, Berlin, v. 19. 9. 1845.

13  Karl Josef Kaufmann, Geschichte der Stadt Deutsch Eylau, Danzig 1905, S. 145.

14  GStA Berlin, II. HA Westpr. u. Netzedis. Mat. Tit. LXVII Sect. 1, Nr. 8, Bl. 9 u. 10. Die nachfolgende Darstellung stützt sich zusätzlich auf die Bl. 48 bis 50 u. 63 bis 64 sowie Sect. Nr. 2, Bl. 96 bis 99.

Mit der beigefügten Stammtafel wird versucht die verwandtschaftlichen Beziehungen darzustellen.

15 In diesem Jahr ist in Gollub auch ein Josph Marcus Sackolowski mit seiner Frau Hadder und den Kindern Choje, Zanna und Feigel zugezogen.

16 Er wird später durch den Schulmeister Abraham Joachim abgelöst (1780) Verblüffend ist die Namensgleichheit mit dem in Glogau ansässigen Abraham Joachim Heitzfeld (= Herzfeld), dem Großvater Ferdinand Lassalles. Der wurde am 29. Dezember 1749 in Heidingsfeld (?) geboren. Aufgrund des Patents vom 14. 1. 1771 in Glogau heiratete er dort Freide Castriel, geb. 24. 2. 1753; die Mutter Ferdinand Lassalles, Rosalie, wurde am 1. Januar 1796 in Glogau geboren. - Sara Heitzfeld (=Herzfeld), geb. 3. Mai 1772 in Glogau geboren, verh. Mit Anschel Cohn, scheint eine seiner Töchter gewesen zu sein. Abraham Joachim Heitzfeld war ein „Kohanim“ (=Cohn), Joachim in Neumark war Zadeck (=Zadock), also ebenfalls zur Priesterkaste gehörig.

17  Leider liegen (bisher) keine Listen  für den Zeitraum von 1780 bis 1805 vor (was um so bedauerlicher ist, das in diese Periode die Geburt von Jacob und vermutlich auch die seines Bruders Mendel fällt). Der zuständige Steuerrat hatte versäumt die um 1790 fälligen Listen zu erstellen oder abzuliefern. Den Mahnungen der Regierung konnte er nicht nachkommen, da er zwischenzeitlich verstarb.

18  Vgl. das Flatow-Kapitel.

19  Christian Meyer, Geschichte des Landes Posen, Posen 1881, S. 314.

20  Ebd.

21  Edikt vom 28. März 1794, zitiert nach Christian Meyer, a.a.O., S. 331. - Als subsidäres allgemeines Recht wurde am 1. Juni 1794 das Allgemeine Landrecht eingeführt.

22  Vg. Christian Meyer, a.a.O., S. 340f.

23  Man kann sich ein Bild davon machen, wenn man in Analogie dazu die Auswirkungen der verschärften Grenzkontrollen auf russischer Seite im Jahre 1846  sich vor Augen  hält „Seitdem geriet der Grenzverkehr ins Stocken, der Schmuggelhandel wurde eingedämmt: das Gewerbe ins Strasburg ging merklich zurück. Gollub fing an zu verarmen, die reich gewordenen Kaufleute zogen fort. Vorher soll in Gollub der jährliche Umsatz allein an Schnitt-, Kurz-, Galanterie- und Materialwaren an 200.000 Taler betragen haben; jede Nacht - mit Ausnahme des Sabbat - gingen Waren im Werte von 7-8.000 Talern von Gollub über die Grenze. Später wird der Gesamtwert sämtlicher Waren, die in einer nacht von Gollub nach Russland geschmuggelt wurden, durchschnittlich auf 3-5.000 Taler angegeben.“ (H. Plehn, a.a.O., S. 300).

Um die Wende vom 18. Zum 19. Jahrhundert finden sich in Dobryzin nur noch 45 Haushaltungen, was ungefähr 150 Einwohnern entsprach. In einer zeitgenössischen Beschreibung hieß es lapidar: „Bobrownik ... ist ein sehr schlechter Ort ... Dobryzin an der Drewenz, eine adliche Stadt, ist beinah noch schlechter.“ (Vgl. A. E. Holsche, a.a.O., Erst. Bd. Berlin 1800, S. 506.)

24 Vgl. Friedhofsregister Lissa, Nachlass Brilling, Jüdisches Museum Frankfurt/M.

25  Gnendel, die Tochter des Salman Mirels trug den Namen der Frau des Oberrabbiners der Dreiergemeinde Altona, Hamburg, Wandsbek Salomon Meschullam Mirel (gest. 22. Kislew, 22. November, 1706), vermutlich ihrer Groß- oder Urgroßmutter. - Da in Grätz (ebenfalls im Posenschen) im Jahre 1834 ein Moses Mescholem und ein Salomon Herzfeld, die ursprünglich aus Ellrich im Harz stammten, lebten und Namen aus der Familie Mirels trugen, scheint mir ein Zusammenhang mit den Herzfelds gegeben.

An anderer Stelle wies ich bereits hin auf den rabbinisch gelehrten Sanwil (Samuel David) Herzfeld, Vorsteher des Talmud Tora-Instituts in Berlin, geb. Heidingsfeld im Würzburgischen ca. 1733, gest. am 28. 6. 1790 in Berlin. Sein Bruder Jacob Koppel starb um das Jahr 1789.

26  Vgl. A. E. Holsche, Geographie und Statistik von West- Süd- und Neu- Ostpreußen, Zweiter Band, Berlin 1804, S. 279.

27  Ebd.

28  Sie heiratete am 5. Juli 1821 Friedrich Wilhelm v. Knobloch auf Puschkeiten in Ostpreußen.

29  Es besteht die Möglichkeit, daß Zapplau zur Synagogengemeinde Lissa gehörte. In diesem Falle könnte sich Mendel bereits im Jahre 1810 auf dem Gut befunden haben.

30  Die Familie Munk, die in Prag und Wien, später in Glogau beheimatet war, hat zahlreiche berühmte Persönlichkeiten hervorgebracht. Stellvertretend seien genannt: Rabbi Aron Mose Teomim, gest. vor 1609 in Prag; R. Samuel Phoebus, gest. 1616 in Wien; R. Veitel Munk, geb. in Wien, 1616 Rabbiner in Worms, gest. 1630 als Rabbiner in Wien; R. Zebi Hirsch, Rabbiner in Plozk; R. Loeb Hirschel Munk, Rabbiner in Grätz (um 1704) und Krotoschin; R. Beer Munk, Rabbiner in Meseritz; einer seiner Söhne, R. Itzig Munk aus Glogau, ist in der Zeit von 1701 - 1745 Mitglied der Posener Gemeindebehörde, des Kahal, dessen Sohn Tochros ist 1760 deren Vorsteher, Itzig starb vor 1763; zu nennen wären noch R. Jehuda Loeb, R. Meir Posener. (Diese Geschlechterabfolge ist Louis Lewin, Geschichte der Juden in Lissa, Pinne 1904, S. 334 entnommen.)

Erwähnenswert sind weiter der Philologe Eduard Munk (1803-1871), der berühmte Orientalist Salomon Munk (1803-1867), ein Vetter des Eduard; der Bankier und Stadtverordnete von Glogau Raphael Loebel Munk (gest. vor 1839) - Mendel Herzfeld ältester Sohn trägt ebenfalls den Namen Raphael.

31  A. H. Heymann,Lebenerinnerungen, hrsg. v Heinrich Loewe, Berlin 1909, S. 107ff.

32  „1 ) die im Herzogtum Warschau Geborenen,

2)    die von Eltern, die Bürger des Herzogtums Warschau war Geborenen,

3)    die Besitzer unbeweglichen Eigentums im Herzogtum Warschau,

4)    diejenigen Polen, die in den polnisch-italienischen und rheinischen Legionen oder in der kaiserlich französichen Armeen bis zum 1. Januar 1808 gedient haben, sowie alle diejenigen Bürger des Herzogtums Warschau, die in der Französischen Armee dienen oder künftig dienen werden,

5)    alle Diejenigen, die seit der Zeit de3r letzen Formierung der Nationalarmee im Jahre 1806 in den Kriegsdienst getreten sind und sich noch in demselben befinden oder ihn wogegen Wunden, Verkrüppelung oder verlorener Gesundheit haben verlassen müssen,

6)    wer in Folge der Beschlüsse der regierenden Commission ein bürgerliches Amt verwaltet hat, endlich

7)    jeder, der seit 10 Jahren im Lande wohnt und der polnischen Sprache mächtig ist.

 

Außerdem sollte man dieses allgemeine Bürgerrecht durch königliche Verleihung erlangen können. Namentlich solche Ausländer berücksichtigt werden, die sich um das Land verdient gemacht haben, ihm ihre Talente und Erfindungen gewidmet oder bedeutende Anlagen gemacht haben und seit einem Jahre im Lande wohnhaft sind.“ (Christian Meyer, a.a.O., S. 345.)

33 Christian Meyer, a.a.O., S. 351. - Ein Erlaß vom 30. Oktober 1812 untersagte den Juden die Verfertigung und den Verkauf von Getränken und in einem weiteren Erlaß wurde die Einwanderung ausländischer Juden beschränkt: „Die Begünstigungen, welche ein Dekret vom 20.März 1809 für die ins Land einwandernden Ausländer ausspricht, soll nur derjenige Jude teilhaftig werden, welcher ein Reinvermögen von 60.000 poln. Gulden nach weist und

1)    entweder eine Fabrikanstalt (exkl. Getränkefabrikation) oder en gros-Handlung zu errichten beabsichtigt oder durch Atteste den Nachweis führt, daß er sich Wissenschaften widmet;

2)    polnisch oder französisch oder deutsch lesen und schreiben kann;

3)    sich verpflichtet, die Kinder vom /. Jahre an in die öffentlichen Schulen zu schicken und

4)    keine der dem alttestamentarischen Volk noch immer eigne äußere Abzeichen zu tragen verspricht.

Außer dieser Klasse sollen nur noch solche Juden fernerhin aufgenommen werden, welche wenigstens 300 pol. Gulden an Vermögen nachweisen und außerdem vor einer aus vereideten Sachverständigen bestehenden Kommission dartun, daß sie eines der folgenden Handwerke der Gerber, Riemer, Sattler, Tuchmacher, Leinweber, Bergleute, Schmiede, Messerschmiede, Büchsenmacher, Tischler, Rademacher oder Stellmacher erlernt haben und sich verbindlich machen, dasselbe wenigstens 5 Jahre, von ihrer Ankunft im Lande an gerechnet, bei Strafe der Zurückweisung über die Grenze, zu treiben.“

34 Ismar Freund, Die Emanzipation der Juden in Preußen, Bd. 2, Berlin 1912, S. 273f.

1 Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens. Entstehung und Geschichte, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1972, S. 98f.

2  In den Judenregistern des Guhrauer Magistrats, die mit dem Jahre 1814 begannen, war die Familie des Jacob Herzfeld unter der Nummer V eingetragen. Soweit uns bekannt, wohnte auch sein Bruder Mendel im seiner Familie in Guhrau. Nach Angaben der polnischen Archive befinden sich diese Register nicht in ihren Beständen. Möglicherweise befindet sich eine Abschrift im (ungeordneten) Nachlaß Brilling, der sich im Jüdischen Museum in Frankfurt/Main befindet.

3  Guhrau gehörte zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Breslauer sondern zum Liegnitzer Kammerdepartement. Listen dieses Bezirks sind, soweit überhaupt vorhanden, kann man im Breslauer Archiv vermuten. Für die Stadt Liegnitz existieren Bestände.

4  Soweit aus dem Friedhofsregister Lissa ersichtlich wurde kein Mitglied der Familien Mendels oder Jacob Herzfelds in Lissa beerdigt. Es kommt daher nur Rawitsch, wo der Oberrabbiner J. B. Herzfeld, amtierte in Betracht.Hier werden die Frauen Jacobs und sein Bruder mit Teilen seiner Familie ruhen.

4 Rabbiner r. John Cohn, a.a.O., S. 35.

5  A. Heppner u. J. Herzberg, AusVergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posner Landen, Koschmin-Bromberg 1909, S. 892f.

6 Heinrich Graetz, Volkstümliche Geschichte der Juden, Bd. 3, 10. Aufl. Berlin 1922, S. 295.

7 Heinrich Graetz, ebd.

8 Freimark, Porträts von Rabbinern, Hamburg 1991, S. 40.

 9 E.Hildesheimer, Die Rabbiner Halberstadts, Bd. 4 der Reihe Juden in Halberstadt, Halberstadt 1993, S. 8.

10 B.H. Auerbach, Geschichte der israelischen Gemeinde Halberstadt, Halberstadt 1866, S. 64.

11  B.H. Auerbach, a.a.O., S. 65 f.

12  B. H. Auerbach, ebd., S. 68.

13  B.H. Auerbach, ebd., S. 69 f.

14  B. H. Auerbach, a.a.O., S. 66 f.

15  Brief von Salomo Dubno an Heidenheim; zitiert nach: B. H. Auerbach, a.a.O., S. 67, Anm. 179.

16  Vgl. H. Graetz, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. 11 Bd., 2. Aufl Leipzig 1900, S. 545.

17  Vgl. dazu: H. Graetz, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 20. Jahrg., Breslau 1871, S. 465 ff.

 

 

18 Vgl GStA, HA II, Gen. Dir. Südpreußen VI, Ortschaften, Nr. 1794-1806 Rawitsch 1794-1806: „Posen 10th Aug. 1799 - Das Gesuch des Juden Itzig Benjamin Oberndorf aus Breslau zu Etablierung eines Handels mit Wolle, wollenen Waren und schlesicher Leinwand in Rawicz um eine allerhöchste Conzession betreffend. - Der Jude Itzig Benjamind Oberndorf aus Breslau hat durch den Kriegs- und Steuerrath Hoffmann Euer Königl. Majestät allerhöchste Conzession zur Etablierung eines Handels mit Leinwand, Wollen und wollenen Waren in Rawicz nachgesucht und zugleich angezeigt, wie er..., die Tochter des Schutzjuden Josua Baer Haerzfeld daselsbt Namens Gertel“. Aus den Anlagen ging hervor, daß der Oberndorf über ein eignes Vermögen von 2500 thr verfügte und von seiner künftigen Faro weitere 400thr „erheiratet“. Da der Handel für Rawicz und die Provinz Posen als unbedeutend angesehen wurde, gabe man dem Ersuchen statt.

Vgl. auch GStA XX, HA Rep. 17 II 2fi, Nr. 24, B1. 33-34. Generalverzeichnis der am 24. März 1812 auf den

Grund einer legalen Erlaubnis in Königsberg wohnhaften Judenfamilien.

 

19 Die Monatsschrift erschien von 1783 bis 1797 in Königsberg, dann in Berlin und Breslau.- Nach Salomon Maimon verfolgte die „Gesellschaft der Forscher der hebräischen Sprache“ mit der Herausgabe der Zeitschrift die Absicht, „die Kenntnisse der hebräischen Sprache aus ihren Quellen selbst zu schöpfen und dadurch vernünftige Exegesis einzuführen“. Sie enthielt „schere Auslegungen der heiligen Schrift, hebräische Gedichte, prosaische Aufsaätze, Übersetzunegne aus nützlichen Schriften und dgl.“

 

20 Diese Entwicklung mußte naturgemäß zu starken Auseinandersetzungen in der Königsberger Gemeinde führen. So wurde am 17, Oktober 1773 mit Stimmenmehrheit beschlossen, "daß von  heute ab niemand in der Chewra (Verein für Krankenpflege- und Beerdigung -W.H.) zur Wahl kommen soll, wenn er nicht deutlich sichtbar einen Bart trägt. Diese Bestimmung fand sogar Eingang in die Satzungen von 1779.

Die Zopffrage wurde am 22. Februar 1784 ein Gegenstand der Verhandlung.  Chaijm Hameln, ein Enkel der berühmten Glückel, brachte sie als Vorsteher der Chewra zur Sprache. Es wurde beschlossen, daß im Falle eines Verstoßes man dem Betreffenden 'vorstellen sollte, "daß die Chewra bereits in Delabration ist wegen die Haarbeutels und Zöpf, und kein Zweifel nicht ist, daß die Chewra wird es nicht leiden, „Wenn die Chewra sellte beschließen, daß niemand von der Chewra kein Haarbeutel und Zöpf tragen, daß diejenige, welche an jetzo tragen, sagen können: Wir wollen das nicht eingehen, sondern wir gehen aus der Chewra araus und geben keine Strafe,     Dieses soll sie zu keine Verantwortung dienen, sondern sie haben jetzo den Willen und können araus gehen ohne einzige Streitigkeiten, sondern die Chewra gestattet es ihnen, ohne     Ein-schränkungen". (Zitiert nach: Eduard Birnbaum und Hermann Vogelstein (Hrsg.), Festschrift zum 200jährigen Bestehen des israelischen Vereins für Krankenpflege und Beerdigung Chewra  Kaddischa zu Königsberg in Pr.,, Königsberg i.Pr. 1904, S.62.

 

 

 

 

 

 

21 H. Jocowicz, Geschichte der Juden in Königsberg i. Pr., Posen 1867, S. 111,

22 Entnommen: E. Birnbaum u.  H. Vogelstein a.a.O., S. 66.

23 Vgl. H. Jocowicz, a.a.O., S. 112.

24  E. Birnbaum und H. Vogelstein, a.a.O., S.63

 

 

 

 

25  Rabbiner Dr. John Cohn, Geschichte der jüdischen Gemeinde Rawitsch, Berlin 1915, S. 90.

26  Es handelt sich um H. Jocowicz, der die Geschichte der Juden in Königsberg verfaßt hat.

 

 

 

27 Mitgeteilt von Lewin, Geschichte der Juden in Lissa, S. 289.

 

 

29  Leiser Landshut, Toldoth Ansche Haschem (Berliner Rabbinergeschichte, Berlin 1884, S.33, Die Übersetzung der Grabinschrift und das Heraussuchen der wichtigsten personenbezogenen Daten verdanke ich Pater Pius OSB, Kloster Gerleve.

28 Das Jahr 5606 = 1846,

 

 

30 Die Evangelische Volkschule war in der Schulstraße gelegen. Eine Tafel am Schulhaus kündete: „Zur Bildung des Verstandes und Herzens christlicher Jugend. Erbaut 1798.“

31 Albert Herzfeld, Erinnerungen für Kinder und Enkel, Halle 1929, S.11 - Da Louise Schlochow (Munk) bereits im Oktober 1831 verstorben war,ist diese Aussage zumindest auf Ludwig Herzfeld bezogen falsch.

32 Aus den mündlichen Erzählungen von Ludwigs Herzfelds Sohn Wolfgang, die von Katharina v. Boxberg, geb. Herzfeld dem Verfasser mitgeteilt wurden.

33 Albert Herzfeld, ebd.

34 Die Angaben sind entnommen : Bundesarchiv Koblenz (jetzt Potsdam) Nr. 134, Film Nr.1127/40 Glogau. Geburten 1819-1850 u. Nr. 135, Film Nr. 1129/40 Personenstandsfälle 1820-1847.

35 Albert Herzfeld, a.a.O., S.11f.

36 Ebd.

[3] Vgl. Evangelisches Zentralarchiv Berlin, Taufkartei (1800-1874) und Taufbücher der Domgemeinde u. der Dreifaltigkeitsgemeinde. Marcus, geb. am 7. März 1810 in Lissa = Paul Maximilian Heinrich Herzfeld. Sein älterer Bruder Raphael, der am 15. November 1806 geboren worden war, nannte sich Carl Ludwig Raphael Herzfeld.

[4] Nathan Samter, Judentaufen im 19. Jahrhundert. Mit besonderer Berücksichtigung Preußens dargestellt. Berlin 1906, S. 32.

[5] „1815 waren Ludwig Hellwig und Carl Friedrich Rungenhagen zu Vizedirektoren ernannt worden. Hellwig von Beruf Farbenfabrikant, hatte u.a. bei Zelter Komposition studiert und war schon 1793 als Sänger der Singakademie beigetreten. 1813 wurde er Hof- und Domorganist und Musiklehrer am Joachimsthalischen Gymnasium. Auch Rungenhagen war Schüler von Zelter. 1814 war er mit seiner Oper „Die Fischer von Colberg“ hervorgetreten, in der Singakademie war er seit 1801 Mitglied und von Beginn an gehörte er zur Liedertafel.“ Nele Hertling, Die Singakademie im musikalischen Leben Berlins 1791-1850; in: Berlin zwischen 1789 und 1848 - Facetten einer Epoche, Akademiekatalog 132, Berlin 1981, S.255)

[6] Nele Hertling, a.a.O., S. 259.

[7] Carola Stern. Der Text meines Herzens. Das Leben der Rachel Varnhagen., Reinbek bei Hamburg 1994, S. 241.

6  Ebd.

7 Carola Stern, a.a.O., S.254.

8 Ebd., S.255.

9 Ebd., S.256.

10 Wilhelm v. Humboldt, Schriften zur Politik und zum Bildungswesen, Bd. 4, S. 30f. der Werkausgabe in V Bänden, Stuttgart 1964.

 

11 Wilhelm v. Humboldt, Schriften zur Anthropologie und Geschichte, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Werke in fünf Bänden, Bd.1, S. 107.

12 Richard Friedenthal, Karl Marx, S.78.

13 Zitiert nach: Hilde Spiel, Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation, Frankfurt 1981, S. 476.

 

 

14

15 Carola Stern, a.a.O., S. 268.

16 Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 8. Januar 1829, zitiert nach: Heinrich v. Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. 4., Leipzig 1928, S. 193.

17 Vgl. Hanns Günther Reissner, Eduard Gans, Tübingen 1965, S. 142.

18 Evangelisches Zentralarchiv Berlin, Taufkartei (1800-1874), Taufbuch der Jerusalemer- u. Neuen Kirchengemeinde, S.77.

19 Monika Richarz, Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe, Tübingen 1974, S. 178.

20 Monika Richarz, a.a.O., S.179.

21 Monika Richarz, a.a.O., S.138.

22 EZA Berlin 7, Gen. XV Nr. 34, Bd. 1-4: Evangelischer Oberkirchenrat der evangelischen Landeskirche der älteren preußischen Provinzen, Generalia XV Nr. 34 „Die zur christlichen Religion übergetretenen jüdischen Proselyten zu ihrem weiteren Fortkommen und zu ihrer Ausbildung bewilligten Unterstützung“.

23 Heinrich v. Treitschke, a.a.O., Bd.IV, S. 543.

24 Miller und Sawatzki, S. 101, nach der Schilderung von Dr. Med. Max Ring, zitiert nach H.G. Reissner, a.a.O., S. 159.

25 Richard Friedenthal, a.a.O., S.

26 Heinrich v. Treitschke, Bd. V., S.568

27 Vgl. Heinrich v. Treitschke, Bd. V, S. 418.

28 Ebd., S. 422.

29 Ebd., S. 471.

30 Vgl. Carola Stern, a.a.O., S.272.

31 Albert Herzfeld, a.a.O., S. 39.

1 W. Mila, Berlin oder die Geschichte des Ursprungs der allmähligen Entwicklung und des jetzigen Zustands der Hauptstadt,..., Berlin/Stettin 1829, S. 299.

2 „Onkel Qual, der ebenfalls in Glogau Referendar war, hat uns Kindern aus dieser Zeit erzählt, daß es ein Hauptvergnügen gewesen wäre, die an den Toren in einem Wachthause postierte Schlacht- und Mahlsteuer zu umgehen. Einmal hätten sie ein geschlachtetes Schwein als kranke Großmutter verkleidet und wären im Kutschwagen so an der Wache vorbeigefahren. Einer, der neben der Großmutter gesessen hat, hat sie gehalten und gesagt ihr wäre übel. Die Damen trugen damals allgemein Schleier, gewöhnlich schwarze, so daß ein Gesicht abends im Wagen nicht zu erkenne war. Die Straßenbeleuchtung war sehr mangelhaft. Von Zeit zu Zeit war eine Öllaterne in der Mitte der Straße an einer Kette aufgehängt, die, wenn die Laterne angezündet wurde, herabgelassen wurde.“ (Albert Herzfeld, a.a.O., S. 13.)

3 Vgl. Bein, Werner; Schellakowsky, Johannes; Schmilewski, Ulrich (Hrsg.) Glogau im Wandel der Zeiten, Bergstadtverlag Wilhelm Gottlieb Korn, Würzburg 1992, S. 206ff.

4 Zum Dank erhielt er einen goldenen Ring, der sich noch im Jahre 1929 im eines seiner Söhne, des Albert Herzfeld, befand. Albert Herzfeld, Erinnerungen für Kinder und Enkel, Halle/S. 1929, S.15.

5 Wogegen Ludwigs spätere Braut, wie wir aus einem Gedicht zu den Märzereignissen des Jahres 1848 entnehmen können, mit seinen politischen Ansichten übereinstimmet.

6 Stadtarchiv Halle, Personalia, Mitgliederbuch der Freimaurerloge ‚Zu den drei Degen’, S.136, Nr.1228.

1 Zentralarchiv der evangelischen Kirche in Berlin

2 Josephson, Samuel, geb. 4.1.1781 in Berlin, Kfm. aus Lissa

                 Ehefrau: Henriette geb. Loebel Beer

                 Kinder: Ella - geb. 22. Febr. 1806 in Lissa

                              Jacob - geb. 4. März 1809 in Lissa

                              Jüttel - geb. 8. Mai 1811 in Lissa

   Samuel Josephson war in 1. Ehe verheiratet Sept. 1803

                             in 2. Ehe verheiratet 20. März 1813    Naturalisationspatent vom 10. Januar 1815.

   (Verzeichnis, der aufgrund eines Naturalisationspatents in Berlin    wohnenden Judenfamilien. GStA Berlin, VIII; HA, J 1, Bd. Nr.12, S. 36)

 

   Samuel Josephson, Kaufmann, geb. 4. Januar 1781,

            Heirat 1813 : Scheindel, geb. S(e)gall

            früher Lissa, seit 1. Sept. 1842 Berlin

            Naturalisationspatent d.d. Berlin 10. Januar 1815

   Kinder: Henriette (Jette)    - geb. 24. Mai 1817

                Philippine             - geb. 10. März 1818       

                Joseph                   - geb. 16. März 1819

                Bernhard (Baer)    - geb. 16. Januar 1822

                Moritz (Moses)     - geb. 3. Mai 1825

                Hertz                     - geb. 14. März 1827

   (GStA Berlin, HA VIII, 3 1, Bd. 16. Die Abkürzung SGal bedeutet:    zum Stamme Levi gehörig, daraus leitete sich später der Name Segall ab. Henriettes (Jette) und Scheindels (Sophie) Vater war also ein Levit.)

Posen, d. 21. Dez. 1802 das Gesuch des Schutzjuden Samuel Joseph zu Berlin, um die Erlaubnis zur Verheiratung mit der Tochter des  Schutzjuden Loebel Baer zu Lissa und zu seinem Etablissement daselbst. Dem Ersuchen wurde am 29. Juni 1803 stattgegeben. (GStA     Berlin, H II, Gen.Dir. Südpreußen VI, Ortschaften, Nr.1519 Lissa     1802-1805.)

 

 

3 Im Berliner Wohnungsanzeiger ist dagegen die Neue Friedrichstr. 79  ausgewiesen. Samuel Josephsons Witwe Sophie (Scheindel) wohnte später in der Krausnickstr. 19.

 

 

4 Josephson, Joseph, Brennereiverwalter - Mehl u. Vorkosthdlr., N. Friedr.str. 78, geb. Lissa 16.3.1819, 2 Rtl. 1.3. f.N.B.H., heir. 28.7.1844 Bertha, To.d.Kfm. Jacob Herzfeld aus Guhrau (25-26)    V.:Hdlsm. = Samuel Josephson, Nr.2296. (J.B.B. 2.10.1943, Nr. 2221,    S.416)

 

 

5 Jacob Herzfeld, Kommissionswarenhändler (Witwer)

   geb. 3. Dezember 1789 (nach protokollarischer Angabe).

   Kinder:   Wilhelmine             geb. 18. August 1821    

                  Ellwine                  geb. 8. Juli     1828          

                  Louise                   geb. 20. April   1833         

                  Albert Leopold      geb. 23. April   1835        

                  Johanne Ida           geb. 25. April   1839

   früher: Guhrau, Staatsbürgerbrief Attest des Magistrats zu Guhrau vom 26. April 1844, in Berlin seit 1844,                      Verfügung vom 15. Oktober 1844.

   (GStA Berlin, HA VIII, J 1, Bd. 16: Liste derjenigen Staatsbürger, welche das Staatsbürgerrecht in den auswärtigen Provinzen der Monarchie genommen und sich demnächst in Berlin niedergelassen haben. Nr. d. Familie 100, Nr. d. Person 254.)

 

 

6 Wir finden ihn im Berliner Adreßbuch (1889/89) wieder:   Herzfeld, Georg, Dr. med. pr. Arzt Kurfürstenstr. 15/16 pt. W.

 

 

7 A.H. Heymann, Lebenserinnerungen, Nach seiner Niederschrift im Auftrage seiner Kinder herausgegeben von Heinrich Löwe. Berlin 1909,

 

8 Es besteht die Möglichkeit, daß Joseph Isaac, den wir 1778 in Neumark/ Westpreußen finden, ein Sohn des Isaac Joseph aus Lissa  (1725) ist. Vgl. die Stammtafel im Kapitel  'Die Synagoge'.

 

 

9 Da sich die Briefe im Nachlass von Ludwig Herzfeld fanden, können  wir davon ausgehen, wie auch an anderer  Stelle bezeugt, daß er  seinen Vater Jacob unterstützte.

 

 

10Auf dem Friedhof an der Großen Hamburger Straße ruhten

      Samuel David Herzfeld, gest. 28. Juni 1790 und seine Frau

      Süßchen       Herzfeld, gest. 23. Februar 1815

      Schönchen     Herzfeld, Frau d. Ruben Goldschmidt, gest. 17. Febr. 1806    

      Jacob Behrend Herzfeld, gest. 5. Nov. 1795 und seine Frau

      Hendel Herzfeld. - Eine verwandtschaftliche Beziehung diesen Herzfelds zu unserer Familie konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

 

11 Ernst Engelbrecht, Kriminalkommissar und Leiter der Streif- und Fahndungsmannschaft des Berliner Polizeipräsidiums, zitiert nach: Eike Geisel, Im Scheunenviertel, Berlin 1981 (2. Aufl.), S.12.

 

12  Spätestens seit 1827 war der 1793 od. 1791 in Prenzlau geborene Isaac Josephson in Berlin ansässig. Zuvor hatte er in Brieg und in Prenzlau, wo wir Verwandte d. Josephsons, die Familie Herz Berendt, finden, gewohnt. Mit seiner Frau Charlotte, geb. Löwenberg,       die Ehe wurde 1822 geschlossen, hatte er eine Reihe von Kindern.       Bekannt sind uns Betty(*21.Febr.1827), Henriette (*16. Jan.1829),  Albert (*9.0kt. 1830) und Nanette (*30.Aug. 1832). - Isaac Josephson, der zunächst afs Federposenfabrikant, später als Commissio nair für Landgüter bezeichnet wird, wohnte 1851 in der Oranienburger Str. 20, später in der Johannisstr. 12 (1866). Das Berliner Bürgerrecht erhielt er am 26.6.1834, unter der Nr. 1416 der  J.B.B. findet sich folgende Eintragung: Josephson, Isaac, Feder      posenfabr., Rosenthaler Str. 45, geb. Prenzlau 7.9.1791, Bg. Prenzlau 3.2.1813, seit 1826 in B. als Werkmeister, verh. seit 10J.,Frau u. 4 Kinder, Vermögen 500 Rtl., 1 Rtl. f.d.A., gest. nach 1858. Vater.: Abraham Josephson, Stbgr. (A.Km. 2366),Kfm., gest.Prenzlau.

 

 

13 Vgl. Anm. 4.

 

14 J.B.B., Nr. 2372, 19.2.1845: Herzfeld, Jacob, bisher Bg. u. Schnittw. hdlr. zu Guhrau - Kommissionsw.hdlr., Zimmerstr. 89, geb. Gollup  (Gollub) Dezember 1789, 6 Rtl. 1.3 f. N.B.H., später evtl. Jahresbeitrag, gest. nach 18848; V.: Rabbiner, gest.

 

 

15 Vgl. Anm. 3.

 

16 Josephson, Bernhard Baer, Hdlgsd. - Kommissionsw.hdlr., Rosethaler Str. 28, geb. Lissa 16.1.t822, 5 Rtl. 11.3 f. N.B.H,V.: B.Bg. u. Courtier = Joseph Josephson, Nr.2296.

 

 

 

17 Dieser Conrad wanderte nach Amerika aus, galt in der  Familie lange als verschollen, soll 1876, so Großonkel Albert, Musikprofessor in Chicago gewesen sein.

18 Dorothea Plato war mit Madame Hallstein bekannt.

 

19 Wieso der Antrag auf Arrest von Stettin aus gestellt wurde, erklärt sich aus dem Wohnsitz des Gläubigers.

 

 

[8]   Robert Springer, Berlin’s Strassen, Kneipen und Clubs im Jahre 1848, Berlin 1850. Bei Friedrich Gerhard.

[9]   Der Spruch des Berliner Kriegsgerichts gegen die am 22. Und 24. Mai Verhafteten: Lehrer Gercke und Koch,   Assessoren Gubitz und Herzfeld, Dr. Waldeck, Dr. Weiß, Buchdruckereibesitzer Berends, Partikulier Schönemann, Justizrath Pfeiffer und Thierarzt Mecklenburg. Von den Verurtheilten selbst beleuchtet. Berlin. Bei Friedrich Gerhard. 1849.

[10]   Sie war eine Tochter des Lewin Hertz Hertzfeldt aus Flatow.

[11]   In dem hier zu schildernden Zeitabschnitt fällt auch seine Verlobung mit Marie Clementine Wüsthoff.

[12]   Wilhelm Mommsen, Größe und Versagen des deutschen Bürgertums, Ein Beitrag zur politischen Bewegung                   des 19. Jahrhunderts, insbesondere zur Revolution 1848/49, 2. Aufl., München 1964, S. 64.

[13]    Günter Richter, Zwischen Revolution und Reichsgründung (1848-1870), in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, Zweiter Band, Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 1988, S.615.

[14]   Julius H. Schoeps Die Märzrevolution 1848 im Spiegel des Briefwechsels zwischen Moritz Steinschneider Steinschneider und Auguste Auerbach, in Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, Universität Tel-Aviv, Bd. XIV 1985, S.342ff

8 Robert Springer, a.a.O., S.77f.

[15]   Robert Springer, a.a.O., S. 109f.

[16]  Robert Springer, a.a.O., S. 238.

[17]  Ebd., S. 238f.

[18]  Robert Springer, a.a.O., S. 238.

[19]  Ebd., S. 238f.

[20]  Ebd., S. 239.

[21]  Am 21. April war noch als Karfreitagsaufführung in kleinster Besetzung, an der möglicherweise auch noch Raphael Herzfeld, der Vetter von Carl und Ludwig mitgewirkt hatte, Grauns „Der Tod Jesu“ zu Gehör gebracht worden.

[22]  Günter Richter, a.a.O., S. 635.

[23]  Robert Springer, a.a.O., S. 246.

16  Robert Springer, a.a.O., S. 247

17  Günter Richter, a.a.O., S.637.

18  Friedrich Julius Stahl (1802-1861) stammte aus Heidingsfeld (= Herzfeld), er war wie Ludwig Herzfeld vom Judentum zum Christentum konvertiert. Stahl wurde zum maßgeblichen konservativen Staatstheoretiker.

21 Ebd., S. 5.

22 Ebd., S. 6.

23 Robert Springer, a.a.O., S. 181f.

24 Der Spruch des Berliner Kriegsgerichts ..., a.a.O., S. 13f.

25 Ebd., S. 25f.

26 Der Spruch des Berliner Kriegsgerichts ..., a.a.O. S. 26

27 Ebd., S. 29

28 Ebd., S. 36.

29 1842 - Herzfeld 117, Auskultator, Adlerstr.5

1843 - Herzfeld, C.A. Kammerg. Referendar, Zimmerstr.89

1848 - Herzfeld, C.A., Markgrafenstr. 30

1851 - Herzfeld, C.A., Kammerg. Assessor, Jerusalemer Str. 13, Nm. 2-3

1854 - Herzfeld, C.A., Lindenstr.61

1859 - Herzfeld, C.A., Besselstr. 8, 2-3

1 Alfred Etzold, Joachim Fait u.a. (Hersg.), Jüdische Friedhöfe in Berlin, Berlin 1987, S.16.

2  Bei meinem Besuch im Oktober 1989 auf dem Friedhof habe ich Teile der Platte gefunden,  

3 In den Göttinger Universitätsmatrikeln wird Jeremias Jacob  Wolff als 'Offenbachiensis’ bezeichnet. Sein Vater Jacob Herzfeld wird unter den Offenbacher Subscribenten der Mendelssohnschen Bibelübersetzung aufgeführt.

4 Vgl. oben das Kapitel „Herkunft und Kindheit“.

5 GStA Berlin, Rep. VIII, J 1, Bd. (1863), S.34.

6 GStA Berlin, Rep. VIII, J 1, Bd. (1867), S.184

7 Zu Levi Herzfeld Werdegang vgl.: Kurt Wilhelm, Levi Herzfeld, Der erste jüdische Wirtschaftshistoriker, in: Brunsvicensia Judaica, Braunschweiger Werkstücke, Bd.35, Braunschweig 1966, S. 59ff.

Der Schriftsteller Gerd Kern schrieb mir am 6.11.1989 zur Familie des braunschweigischen Landesrabbiners:"Dazu fand ich eine Notiz, die ich vor Jahren auf einem Zettel in der Privatbibliothek eines Bekannten in West-Berlin machte.

 

'HERZ CUSEL in Ellrich, der 1726 geboren, seit 1762 dort ein Haus besaß, am 23. 7. 1763 als 'publiquer Bedienter' nämlich Gemeindecassirer vor 1793 gestorben sein muß. -Seine Witwe starb ca. 1803.

Der Sohn RUBEN HERZ erhielt 1799 die Conzession als Extraordinairer und den Trauschein zur Ehe mit seiner Cousine Ritchel.

Ruben Herzfeld starb 7. 3.1831 in Ellrich.

Er heiratete in Nordhausen FRIEDERIKE LEVY (Levin) aus Nordhausen. Beide hatten 8 Kinder - 4 Söhne und vier Töchter:

 

HERZ                                                                                       CAROLINE 00 Oppenheheimer, Bleichrode

LEVY Herzfeld (geb.                                                                SCHEINCHEN

28.12.1810 in Ellrich,

braunschw. Landesrabb.

CUSEL                                                                                     EVA 00 Warburg (Ellrich)                          

LIPMANN                                                                                GÜTCHEN 00 Frohnhausen

                                                                                                                in Ellrich

Rubens Bruder JOSEPH HERZFELD geb. Ellrich 15.8.1767 wurde der Stammvater der Bleicheroder Familien Herzfeld.'

Weiterhin schreibt ein mir Unbekannter in dieser Notiz: 'Meschulam Herzfeld habe ich noch gekannt; in Graetz geboren, lebte er als Kfm. in Sorau, kam oft zu meinen Eltern nach Hoyerswerda. Sein Neffe ist der jetzige Vorsitzende des CV, Dr. Ernst Herzfeld in Essen.' "

 

Durch diese Notizen wird eine Verbindung zu den Herzfelds im Posenschen hergestellt. Wir finden im Jahre 1834

in der Gemeinde Graetz einen MOSES MESCHOLEM und einen SALOMON HERZFELD, der erstere wird als Handelsmann, der letztere als Kaufmann bezeichnet. Aus dieser Familie od. einer dieser Familien stammen wohl der jüdische Stadtverordnetenvorsteher A. Herzfeld, der im Jahre 1904 zum 25. Mal in diesem Amt bestätigt wurde, davon erfolgte die Wahl 21 Mal einstimmig (A. Herzfeld war auch Vorsteher der Gemeinde) und M. Herzfeld, der 1870/71 am Feldzug gegen Frankreich teilnahm. Letzterer dürfte mit dem in den Notizen erwähnten Meschulam Herzfeld identisch sein. ERNST SALOMON HERZFELD, von dem ebenfalls die Rede war, wurde 1875 in Graetz geboren. Er war ab 1902 Rechtsanwalt in Posen-Stadt und von 1903 - 1936 in Essen/Ruhr tätig. Ernst Salomon war eng mit dem Central Verein der deutschen Juden verbunden. In den Jahren 1903-1923 war er der Vorsitzende des Landesverbandes Rheinland-Westfalen (Essen), seit 1924 Mitglied des Hauptvorstandes in Berlin und in der Zeit von 1936-1938 der Vorsitzende des C.V. sowie Mitbegründer und Beiratsmitglied der Reichsvertretung der deutschen Juden in Berlin (1933 - 1938), außerdem war er Vorstandsmitglied und Vizepräsident der Synagogengemeinde Essen. Dort wohnte er in der Schubertstr. 44, sein Büro hatte er im Hansahaus am Hauptbahnhof. Salomon I. Herzfeld  (geb. 14.2.1875 wie aus einer anderen Quelle zu entnehmen) war mit Klara Frankenstein verheiratet und hatte vier Kinder. Im Jahre 1939 emigrierte er nach Palästina. Im Jahre 1948 starb er auf einer Reise in Buenos Aires.

 

Die Ellricher Herzfelds scheinen mit denen nur einige Kilometer entfernt in Nordhausen wohnenden verwandt zu sein, auch dürften verwandtschaftliche Beziehungen zu den Halberstädtern bestehn. Sollten sich diese Annahmen weiter verifizieren, können wir davon ausgehen, daß die Anfang des 19. Jahrhunderts in Preußen und seinen Nachbarstaaten lebenden Herzfelds einen Klan bildeten.

 

 

 

7  Der Name Sophie steht dabei für Scheindel; vgl. dazu das     Kapitel 'Die Synagoge', in dem die Familie Josephson ausführlich behandelt wird.

Auf der in Hebräisch gehaltenen Rückseite des Grabsteins  von Samuel Josephson wird er als der 'rabbinisch gelehrte'     Samuel Broh bezeichnet. Der Bruder seines Vaters war  Simon Samuel Aron (Broh). Dessen Enkeltochter, Bertha     geb. Levin (1835-1910) war mit dem Weißwarenhändler Hermann Borchardt (l830-1890) verheiratet. Aus dieser Ehe ging     als jüngstes von 6 Kindern der spätere Schriftsteller Georg Hermann Borchardt (geb. 7. 0kt. 17871, gest. 1943 in Auschwitz) hervor.

Georg Hermann, unter diesem Namen publizierte er, war ein     Schüler des Askanischen Gymnasiums in Berlin, er wohnte in der H1.-Geist-Str. 49, im Haus des Tabakhändlers Praetorius.

Bekannt wurde er durch seine Romane, die im Biedermeier angesiedelt sind, "Das Spielkind, Jettchen Gebert und "Die Nacht des Dr. Herzfeld" u.a. Da den Figuren des letztgenannten Romans nachweislich Personen aus der Verwandtschaft Pate gestanden haben, können wir annehmen, daß auch der Romantitel "Die Nach des Dr. Herzfeld" nicht zufällig gewählt wurde. Auch dies ein weiteres Indiz für den engen Zusammenhang zwischen den Familien Josephson und Herzfeld.

 

Aus der hebräischen Inschrift des Grabsteins von Sophie geht hervor, daß ihr Vater Leib Halevi (=SeGal, diese Abkürzung, die zum Eigennamen wurde, bedeutet zum Stamme Levi gehörig) mit dem Vater der 1. Frau von Samuel Josephson identisch ist. Henriette und Sophie waren also Schwestern.

 

 

 8 Meyer Falk wird vermutlich ein Bruder des Schviegervaters von Louise, Abraham Isaac Falk, sein.Vgl. den Exkurs über die Falks in dieser Chronik der Familie Herzfeld.

 

9 Im Lissa-Kapitel bin ich ausführlicher auf die Beziehungen zu  unserer Familie eingegangen. Auf dem jüdischen Friedhof in Halle ist eine Clara Friedländer geb. Herzfeld beerdigt.

10 Werner Weisbach, Und alles ist zerstoben. Erinnerungen aus der Jahrhundertwende Wien-Leipzig-Zürich 1937, S.323 ff.

11 Alfred Etzold u.a., a.a,O., S. 64


 [HW1]